40. Warum?

Patrick kam nicht mehr zu mir zum schlafen, was mich deprimierte. Er hatte auch nicht mit mir gegessen, sondern war einfach still und heimlich zu Maurice in dessen Zimmer gegangen, um sich von diesem umarmen zu lassen. Schmerz und Leid waren in den Augen des siebzehnjährigen zu sehen, als ich ihm gesagt hatte, dass dieser Kuss niemals hätte passieren dürfen und ich wollte das nicht sehen, es war meine Schuld. Ich wollte nicht, dass unser erster Kuss so passierte, ich hatte gehofft den Braunäugigen eines Tages ganz sanft küssen zu dürfen, möglichst wenn wir ganz allein waren und glücklich sein durften, aber das ging nun nicht mehr. Seinen ersten Kuss hatte ich ihm nun ohne zu fragen genommen, ich wollte doch ihm die Wahl lassen wen er diesen schenkte, er sollte das entscheiden können und nun war ich ein Dieb, fühlte mich elendig. Niemals mehr wieder würde mich der Braunäugige ansehen können ohne diesen Moment im Kopf zu haben, er würde mich nun verachtet und das verstand ich, ich hätte nichts anderes getan. Allein wie schockiert und erschrocken mich Patrick angesehen hatte als ich mich von ihm gelöst hatte zeigte, dass ich niemals eine Chance bei ihm haben würde, dass er mich niemals so lieben würde wie ich ihn und das akzeptierte ich, es kam schließlich nicht unerwartet.

Als ich am nächsten Morgen in die Küche lief in der Hoffnung meinen Freund beim Frühstücken zu erwischen stand stattdessen ein blasser, müder Maurice vor mir und sah mich einfach nur an, was mich verwunderte. So hatte ich den Blonden noch nie gesehen, das machte mir Angst. Ganz langsam kam der Größere auf mich zu und guckte starr auf mich herab, was mich verunsicherte. „Was hast du zu ihm gesagt, Manuel? Und was genau hast du dir dabei gedacht?", fragte mich der Grünäugige mit dunkler, gedrückter Stimme und ich machte große Augen, hätte nun nicht mit dieser Frage gerechnet. Offenbar ging es Patrick nicht gut wegen meinen Worten, aber warum? Er hatt am gestrigen Tag beschämt seinen Blick von mir abgewendet und ich wusste nichts anderes zu sagen als das was ich gesagt hatte. Ich hatte mich entschuldigt und hoffte den Braunäugigen nicht verletzt zu haben, aber das schien falsch gewesen zu sein, auch wenn ich das nicht nachvollziehen konnte. „Ich habe nur gesagt, dass es mir leid tut, dass ich Patrick geküsst habe, mehr nicht...", lautete meine Antwort, welche den Jüngeren schnaufen ließ.

„Ist das dein ernst? Dir tut es leid, dass du Patrick geküsst hast? Verdammt, siehst du eigentlich nicht was du da tust? Patrick hat gestern darüber nachgedacht seinen Vater anzurufen und sich von hier abholen zu lassen, Manuel. Ich sehe doch wie ihr beide euch verhaltet und wie ihr euch immer anseht und du kannst mir nicht sagen, dass du Patrick nicht liebst, das ist so offensichtlich! Steh doch zu deinen Gefühlen und sag ihm was du denkst, verdammt! Es ist in Ordnung, wenn du dich nicht traust eine neue Beziehung einzugehen nach Sascha. Du darfst dich meinetwegen auch gerne selbst so traurig machen wie du willst, aber wenn du Patrick da mit reinziehst, dann kann ich da nicht mehr weiter still zugucken! Hast du überhaupt eine Ahnung wie riesig seine Angst davor ist dich traurig zu machen? Ich weiß wirklich nicht was damals mit Sascha passiert ist und ich will auch gar nicht, dass du es mir erzählst, Manuel, aber du musst verstehen dass das Vergangenheit ist und dass du da gerade einen jungen Mann mit deiner Angst vor Bindungen kaputt machst! Patrick kann nichts für deine Vergangenheit und hat das Recht zumindest die Wahrheit gesagt zu bekommen! Sieh endlich ein, dass du Patrick liebst und gib ihm eine Chance das mit dir zu klären. Er braucht Klarheit und die einzige Person die ihm diese geben kann bist du!"

Mit schockiertem Blick sah ich den Riesen vor mir an und wusste nicht zu reagieren. So aufgebracht hatte ich den ruhigen, liebevollen Maurice noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, er machte sich vor mir groß und ich machte mich automatisch kleiner, zeigte Schwäche. Er wusste dass ich Patrick liebte, er hatte es mir angesehen und ich Idiot hatte nicht gemerkt wie sehr man es mir ansehen konnte, nun wusste ich warum Michael das gestern getan hatte. Ich hatte den Butler dafür angemeckert, dass er es wagte Patrick durch mich seinen ersten Kuss zu stehlen, aber dass dieser uns nur ein bisschen näher zusammenbringen wollte hatte ich nicht geahnt. Auch dass Patrick mich offenbar auch liebte war mir unklar gewesen, er schien gar nicht so und ich dachte, dass er sich nicht einmal zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte, war ich denn dumm? Selbst zwei unbeteiligten Männern war es aufgefallen, auch meine Mutter hatte schon ein wenig über uns gewitzelt und ich dachte nicht einmal daran, dass der siebzehnjährige mich mögen könnte, ich war jämmerlich. Und allein weil ich dem Braunäugigen Angst gemacht hatte, indem ich ihm von Sascha erzählt hatte, wollte der Jüngere nun gehen und das durfte ich nicht zulassen, das würde ich nicht zulassen. Ich wusste nicht warum ich mich nicht traute dem Kleineren zu sagen was ich fühlte, ich hatte einfach das Gefühl den siebzehnjährigen in Gefahr zu bringen, wenn er bei mir war und das hing mit Sascha zusammen, aber ob der Braunäugige das verstand? Das letzte was ich wollte war ihn zu kränken oder zu verletzen, auch wenn ich das schon längst getan hatte.

„Patrick hat jemand besseren als mich verdient, Maurice...ich liebe ihn, das stimmt, aber ich glaube, dass es besser für ihn wäre nicht mit mir zusammen zu sein! Sieh mich an, ich habe zwei Kinder und habe dauernd Angst Patrick irgendwie in Gefahr zu bringen, da wird niemals eine gesunde Beziehung draus werden können!", sprach ich, aber glücklich schien der Blonde nicht zu sein. In diesem Moment sah der Größere mich monoton an, er konnte und wollte nicht fassen was ich gerade sagte und doch war es die Wahrheit, das musste er akzeptieren. Patrick war viel zu jung für mich, er hatte noch sein ganzes Leben vor sich, er hatte Ziele und Wünsche, eine Zukunft und ich war niemand der sich ihm in den Weg stellen wollte. Wenn es jemand verdient hatte das zu bekommen was er wollte, dann war es Patrick und ich wusste nicht was einmal aus ihm werden würde, aber ihn durch meine Anwesenheit aufhalten durfte ich nicht, er war viel zu schön und liebenswert dafür. Ich war einfach nicht dafür gemacht in einer Beziehung zu sein, ich würde den Braunäugigen sicher nicht gut genug behandeln und war ihm nicht würdig.

„Ich bin enttäuscht, Manuel, einfach nur enttäuscht. Du solltest doch eigentlich wissen, dass es nichts wichtigeres für Patrick gibt als einfach ein bisschen geliebt zu werden und das kannst du, sonst würde er dich nämlich nicht so gerne haben! Aber gut, dann ist das eben so. Aber wundere dich nicht, wenn er nie mehr wieder zurückkommt, sobald ihn sein Vater abholt...und komm nicht zu mir, wenn du deine Entscheidung doch bereust! Ich kenne dich gut genug um zu wissen was das beste für dich wäre und ich habe es dir gesagt!", meinte Maurice, während er langsam seinen Kopf schüttelte und an mir vorbei ging, um den Kühlschrank zu öffnen. Mir wurde unwohl zumute bei diesem Gedanken, mein Freund könnte nicht mehr wieder kommen, wenn er ging. Hatte der Braunhaarige das etwa gesagt, wollte er tatsächlich nicht mehr wiederkommen? Es ging ihm hier doch gut, er hatte alles was er brauchte, ich würde mich doch noch immer gerne um ihn kümmern und ihn liebhaben, auch wenn wir nicht zusammen wären, wollte er das doch nicht mehr? Ich war damit einverstanden den Jüngeren nicht mein nennen zu dürfen, er durfte hier bleiben und musste mir nichts bezahlen, aber ihn nie mehr wieder zusehen würde ich nicht akzeptieren können, ich brauchte den Braunäugigen doch an meiner Seite. Er ließ mich ihn in der Nacht schützend halten, ich durfte ihn sanft anlächeln und mit ihm kuscheln, ihm helfen seinen eigenen Platz im Leben zu finden und das wollte ich nicht aufgeben, der Kleinere war mir viel zu sehr ans Herz gewachsen. „Hat er gesagt, dass er gehen möchte?"

Leise schnaubte mein Koch. „Ja, das hat er. Und er möchte dich übrigens auch nicht sehen, wenn sein Vater ihn abholt! Du hast ihm sein Herz gebrochen, Manuel...", antwortete der Grünäugige, was mir den Boden unter den Füßen wegriss. Patrick wollte mich wirklich nicht mehr sehen, es war kein Zufall, dass er sich in seiner letzten Nacht bei mir nicht zu mir gelegt hatte, ich hatte alles zerstört. Ich sah es nicht als richtig an dem Franzosen seine Zukunft zu versauen, ich war es nicht wert mit ihm zusammen sein zu dürfen und doch schien es auch nicht richtig zu sein ihm seine Freiheit zu geben, warum denn nur? Dem Braunäugigen fehlte offenbar die Lebenserfahrung um zu verstehen, dass er sich lieber einen gleichaltrigen Partner suchen sollte, der Jüngere fühlte sich von mir verletzt und ich wusste nicht wie ich das wieder gut machen sollte, schließlich hatte ich doch recht. Schockiert schaffte ich es nicht mehr mich zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen. Sicher wollte mich der Kleinere nicht mehr sehen, er nahm mir dadurch jegliche Chance diese Situation mit ihm zu klären und was das hieß wollte ich wirklich nicht akzeptieren.

„Oh, ach ja! Ich nehme mir übrigens erstmal frei, ja? Du musst dir dein Essen also selbst machen, aber Milo und Malu bekomme ich noch mit versorgt, also mach dir um die zwei keine Sorgen! Bis dann...", berichtete mir mein Koch, bevor er mit vier Puddings und zwei Löffeln einfach verschwand, mich stehen ließ. Ich sah wie benommen das Fenster an und wusste nicht zu handeln, konnte nicht klar denken. Nun war auch Maurice wütend und enttäuscht, er zeigte mir die kalte Schulter, was er vorher noch nie getan hatte und er würde jedem essen kochen, abgesehen von mir, damit bestrafte er mich für mein, zumindest aus seiner Sicht, unangebrachtes Verhalten. Der Koch beschützte und sorgte für Patrick, er kümmerte sich mit vollem Einsatz um den Kleineren und unschwer war zu vermuten, dass er einen Beschützerinstinkt gegenüber ihm hatte, so wie bei seinem kleinen Bruder. Ohne etwas zu essen lief ich in das Wohnzimmer und ließ mich auf der Couch nieder, dachte nach. Vielleicht war es besser so, Patrick fiel es sicher nicht so schwer mich loszulassen, wenn er mich nun hasste und das einzige was ich noch für ihn tun konnte war seinen Wunsch nach Abstand zu akzeptieren, sowie noch einmal mit seinem Vater zu sprechen, diesem zu erklären was geschehen war.

Ich musste Patrick gehen lassen, auch wenn mein Herz das nicht wollte.

(...)

Erst ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken, ganze drei Stunden später. Ich hatte lustlos auf der Couch gesessen und auf diversen sozialen Medien meine Zeit verschwendet, in der Hoffnung einen brianten Einfall zu haben, um Patricks Leben vielleicht ein wenig besser zu gestalten. Der Braunäugige verließ das Zimmer meines Kochs kein einziges Mal, es war als würde er genau wissen, dass ich noch hier war und nur darauf hoffte ihm ein letztes Mal zu begegnen, was mich traurig machte. Es war in Ordnung, dass mich der Kleinere nicht mehr sehen wollte, ich hatte ihn offenbar sehr verletzt und traurig gemacht, aber dass er mir keine Möglichkeit ließ ihm meine Gedanken zu erläutern machte mich traurig. Ich hatte begriffen, dass ich dem Brünetten einfach hätte erklären sollen was ich fühlte und warum das so war, Maurice hatte mir dabei die Augen geöffnet, doch scheinbar brachte mir das rein gar nichts. Die einzige Möglichkeit die mir blieb war, ich schrieb dem Jüngeren einen Brief, in welchem ich ihm alles erklärte und gab diesen seinem Vater, das hatte ich auch getan. Mit ein wenig Glück verstand der Franzose was ich mir dachte und kam mich zumindest noch ein letztes Mal besuchen, das würde mich unglaublich glücklich machen. Ohne Patrick an meiner Seite würde es ruhig werden, viel zu ruhig.

Eilig richtete ich mich auf und lief in Richtung Eingangstür, um diese mit einem Mal zu öffnen. Michael tauchte hinter mir auf, der Butler war dieses Mal um einiges langsamer als ich und das war mir absolut egal, ich würde sowieso allein mit Patricks Vater sprechen. Ein älterer, Braunhaariger Mann stand vor der Tür und sah mich mit einem Blick an, welcher töten könnte. Gegenseitig sahen wir uns genau an, musterten den jeweils anderen und ich wusste genau was mein Gegenüber von mir hielt, denn ich dachte das gleiche von ihm. „Wo ist er?", fragte mich der etwas Kleinere unfreundlich, er sagte nicht hallo und wollte sichtlich auch nicht hier sein, aber das war mir egal. Mein einziges Ziel war es mich einmal mit diesem Kerl zu unterhalten, ich wollte herausfinden was der Grund dafür war, dass er sich niemals wirklich um meinen Schützling gekümmert hatte und vielleicht schaffte ich es auch, dass der Braunäugige sich zumindest ein bisschen wohler bei ihm fühlen konnte. Es musste einen guten Grund dafür geben, das der Ältere seinen Sohn nicht so gut behandelte wie dieser es verdient hätte und ich wollte diesen erfahren, zumindest wissen ob der Kunsthändler tatsächlich herzlos war oder einen Grund für sein Handeln hatte. „Noch nicht fertig, er frühstückt noch. Wollen Sie vielleicht reinkommen? Ich würde mich gerne einmal mit Ihnen unterhalten, bis Patrick fertig ist!"

Entnervt atmete der Brünette aus, verdrehte seine Augen, ging jedoch an mir vorbei in die Villa und sah sich um. „Der Junge soll sich beeilen! Ich habe nicht ewig vor meine Zeit hier zu verschwenden, unser Flug geht in zwei Stunden!", motzte mein Gast und ich zog meine linke Augenbraue in die Höhe, wusste nicht zu handeln. Es war offensichtlich gewesen, dass der Kunsthändler so schnell wie nur irgendwie möglich verschwinden wollte, er wollte seinem Sohn nicht die Möglichkeit lassen wieder zu fliehen und das verstand ich sogar, aber unnötig fand ich es dennoch. Geradewegs lief der Kleinere in das Wohnzimmer, ganz als würde er sich hier auskennen und ich fragte mich wirklich wie weit er beim ersten Mal gegangen war, ob er einfach an Michael vorbeigestürmt war oder nicht. Kopfschüttelnd folgte ich dem alten Mann und sah nur im Augenwinkel wie sich die Tür zu Maurices Zimmer im Gang öffnete, erblickte die traurigen Augen meines Freundes, was mein Herz stehenbleiben ließ. Tatsächlich sah der Jüngere unglaublich traurig aus, er musste vor nicht allzu langer Zeit geweint haben und gerne würde ich ihn nun trösten, aber das wollte er nicht und das akzeptierte ich.

Genervt verschrenkte mein Gast seine Arme vor der Brust und setzte sich auf die Couch, während ich die Tür schloss. „Ich werde dich übrigens noch wegen Entführung anklagen! Du hattest nicht das Recht Patrick einfach hier zu behalten...", meinte der Mann auf der Couch und ich unterdrückte ein Schmunzeln, konnte nicht fassen was er mir da vorwarf. Ich sollte Patrick entführt haben? Hatte er etwa mit Archie gesprochen, hatte dieser etwa deswegen herausgefunden wo Patrick war? Es war mir ein einziges Rätsel wie dieser es herausgefunden hatte, niemand hatte ihm davon berichtet und Patrick selbst wäre niemals auf die Idee gekommen ihm auch nur einen Hinweis zu geben, aber nun war es sowieso zu spät und es war egal. Allein diese herablassende Art zu reden konnte ich nicht leiden, sie erinnerte mich an meinen Schützling als er gerade angekommen war und so sehr mein Freund es auch leugnete, er ähnelte seinem Vater mehr als er es wollte. „Das können Sie gerne tun, es wird Ihnen nur nichts bringen! Patrick ist nämlich freiwillig bei mir geblieben und das wird er auch aussagen bei einer Verhandlung, aber tun Sie sich keinen Zwang an. Und ganz ehrlich, so wie Sie ihn scheinbar behandelt haben hätte ich Patrick sogar wirklich gezwungen bei mir zu bleiben, wenn er tatsächlich hätte gehen wollen!"

Mit bösem Blick wurde ich gemustert, aber das war mir egal. „Was zur Hölle hat der Junge dir bitte erzählt? Ich habe Patrick immer gut behandelt!", fragte mich der Kunsthändler und ich zog unbeeindruckt meine linke Augenbraue hoch, unterdrückte ein Seufzen. Offenbar bemerkte der Braunäugige nicht einmal wie er sein Kind behandelte, das machte es mir einfacher das alles genau zu erklären. Ich wollte wissen wie ein Vater seinem Sohn kein bisschen Liebe zukommen lassen konnte, wie es sein konnte, dass der Ältere nie bemerkt hatte wie sehr Patrick unter ihm litt und auch dass beide nie miteinander gesprochen hatten war mir ein Rätsel. Es wirkte als würde der Künstler sich kein bisschen für seinen Sohn interessieren, ihn einfach immer trauriger werden lassen und das konnte ich als Vater am aller wenigsten verstehen. „Das denken Sie vielleicht! Wie kann es sein, dass ein Vater sich kein bisschen um seinen Sohn kümmert? Patrick hat mir erzählt, dass Sie ihm nie gesagt haben, dass Sie ihn lieben und sowas wie eine einfache Umarmung hat er von Ihnen auch nicht bekommen! Ich weiß wirklich nicht was Sie unter Erziehung verstehen, aber seinem Kind einfach nur stumm Befehle zu geben und es zu zwingen das zu tun was man für richtig hält ist definitiv falsch. Patrick will nichts mit Kunst machen! Er möchte studieren und hat so viele Talente, die Sie trauriger Weise nie gefördert haben! Wussten Sie überhaupt dass er ein Talent hat Sprachen zu lernen und zu sprechen? Sie haben ihn nicht gut behandelt, nicht nach dem was er sagt...ja, er hat nie gehungert und er hat auch nie Geldprobleme gehabt oder so, aber sowas wie das Gefühl von Liebe hat er nie bekommen und das ist bei der Erziehung doch mit das wichtigste!"

Verärgert musterte mich Patricks Vater. „Ach, und du willst wissen wie man sein Kind richtig erzieht und bist besser als ich, oder was? Ich habe immer alles getan was mir möglich war, damit es dem Jungen eines Tages einmal gut geht!", sprach der Kunsthändler, was mich innerlich knurren ließ. Er musste sein Kind doch lieben und ihm sagen, dass es gut so war wie es war, das hatte er nie getan. Erst ich hatte den siebzehnjährigen liebevoll umarmt, ihm gesagt, dass er ein wundervoller Mensch war und ich gab ihm meine ganze Liebe, das kannte er alles nicht. Niemals könnte ich mein eigenes Kind so herzlos aufziehen wie es Patricks Vater getan hatte. „Nein, ich weiß nicht wie man sein Kind am besten erzieht! Aber ich glaube, dass es wichtig ist seinem Kind immer wieder zu sagen, dass man es lieb hat und dass es gut ist so wie es ist und genau das haben Sie nicht getan. Warum ist das so, Herr Mayer? Wieso haben Sie Patrick nie gesagt, dass Sie stolz auf ihn sind? Ich kann das einfach nicht nachvollziehen, beim besten Willen nicht. Patrick ist ein so liebenswerter und aufmerksamer Junge, ich hätte ihm als sein Vater jeden Tag zumindest einmal gesagt wie sehr ich ihn liebe und das wäre immer noch nicht genug gewesen!"

Genervt verdrehte mein Gast seine Augen. „Ich weiß es nicht, okay? Ich liebe ihn ja, aber es fällt mir schwer sowas zu sagen oder ihm das zu zeigen! Das kannst du einfach nicht verstehen...", versuchte mir der Kurzhaarige zu erklären, was mich aufhorchen ließ. Es war unvorstellbar für mich meinem Kind nicht zu sagen wie sehr ich es liebte, für diese Unfähigkeit musste es einen guten Grund geben. Nichts daran war aus meiner Sicht schwer, man konnte diese Worte immer aussprechen und selbst wenn sie nicht wahr waren, so konnten sie einem Kind die Welt bedeuten. „Nein, kann ich auch nicht! Ich verstehe auch nicht wieso Sie Patrick wieder mit zu sich nehmen wollen, wenn er es bei mir besser hätte! Der Junge braucht und verdient es geliebt zu werden, verstehen Sie das? Ich würde ihn mit allem was ich habe unterstützen und er hätte immer jemanden zum reden, das hat er bei Ihnen einfach nicht, auch wenn Sie das vielleicht denken oder wollen...wollen Sie nicht auch, dass es Patrick gut geht? Bitte, erklären Sie mir was es für Sie so verdammt schwer macht ihm zu sagen, dass Sie ihn lieben!"

Schockiert zögerte der Braunäugige nach meinen Worten. Ich wusste, dass Patrick mittlerweile nichts anderes mehr wollte als hier wegzukommen, aber wenn ich ihn schon gehen lassen musste, dann wollte ich zumindest sicherstellen, dass er hin und wieder hörte, dass man ihn liebte. Nur zu gut konnte ich mir vorstellen, dass der siebzehnjährige nachdem er weg wäre alle Kontakte hier her blockieren würde und da ich ihm dann nicht mehr sagen konnte, dass er wundervoll war, musste das jemand anderes für mich machen. „Jetzt sei doch Mal still! Ich bin dir gar keine Erklärung schuldig, also lass es endlich gut sein! Es ist das beste für Patrick, wenn er mit zurück nach Frankreich kommt und zurück in die Schule geht. Wenn er irgendwann einmal erfolgreich sein will muss er sich in der Schule anstrengen und das kann er hier nun Mal nicht...", sprach mein Gast verärgert aus, was mich unzufrieden nicken ließ. Diese Unterhaltung hatte keinen Sinn, Patricks Vater war genau so ein Sturkopf wie er und würde nicht einmal versuchen zu verstehen was mein Standpunkt war, es war zwecklos.

„Okay, wie Sie wollen...aber merken Sie sich meine Worte, Patrick wird eines Tages wieder weglaufen und dann können Sie ihn nicht einfach so wieder zurückholen, das kann dann niemand mehr! Und ich werde ihn dabei mir allem was er braucht unterstützen, das verspreche ich...es wird das letzte Mal gewesen sein, dass Sie Ihren Sohn gesehen haben...", meinte ich mit monotonem Gesichtsausdruck, welcher dem Künstler das Blut in den Adern gefrieren ließ. Egal was mein Freund brauchen würde, ob es Geld oder ein Fahrer war, er bräuchte mir nur zu schreiben und ich wäre unterwegs. Auch, wenn der siebzehnjährige mir nichts sagen sollte und einfach ohne meine Hilfe verschwand, dann würde ich nicht helfen ihn seinem Vater zurückzubringen. „Was meinst du damit? Hat er gesagt, er will weglaufen?", fragte der Braunäugige mich nun ruhig, das erste Mal überhaupt und ich verstand, er wollte wissen ob sein Sohn noch einmal weglaufen wollte. So wenig ich auch daran glaubte, dass er sein Kind wirklich liebte, er schien es dann wohl doch zu tun und das war ein gutes Zeichen, es gab noch Hoffnung.

„Das sagt er schon seit Anfang an, also seitdem ich ihn kenne! Und sobald er achtzehn Jahre alt ist können Sie nichts mehr dagegen tun, weil er dann volljährig ist und damit allein entscheiden darf wo er hingeht! Deswegen reißen Sie sich endlich Mal zusammen und zeigen Sie dem Jungen zumindest ein bisschen Mitgefühl und Liebe, sonst erreichen Sie genau das Gegenteil davon was sie eigentlich erreichen wollen, dass er bleibt! Und es ist schlimm jemanden zu verlieren den man mit ganzem Herzen liebt, das werden Sie bis ans Ende Ihres Lebens bereuen...", murmelte ich mit betrübtem Blick, was den Vater des Jungen schockierte. Ich hatte keine Chance meinen Liebsten bei mir zu behalten, sein Weg würde zurück nach Frankreich führen und ich würde mir Sorgen machen müssen, ob der Kleinere es denn auch gut hatte, ob es ihm gut ging. Niemals mehr wieder könnte ich ruhig schlafen, ich würde immer die Angst haben, das mein Freund sich ungeliebt fühlte und dass er wieder weinte, das würde mich zerstören. Traurig senkte ich meinen Blick und überlegte wie ich den Vater Patricks vielleicht doch noch davon überzeugen könnte ihn zumindest zu umarmen, aber mir fiel nichts ein.

„Ich kann ihm nicht verzeihen was er getan hat, deswegen schaffe ich es nicht ihm zu sagen, dass ich ihn liebe...", murmelte mein Gast leise, dabei sah er mich nicht an und ich wusste nicht was Patrick getan haben könnte, er hatte nichts unrechtes getan. Verwundert sah ich in die Richtung der Tür zum Wohnzimmer um einen Schatten festzustellen, welcher sich kaum merklich bewegte, Patrick hörte zu. Er wollte herausfinden was wir hier besprachen, er hörte still zu und ich sah genau darin meine Chance dem Jüngeren zumindest so zu zeigen, dass ich ihm wirklich nichts schlechtes wollte. „Was hat er denn getan?", fragte ich vorsichtig, in der Hoffnung den Älteren nicht zu verärgern und ich sah wie mein Gast sich wirklich versuchte zusammenzureißen, er wollte meine Hilfe. Ich konnte nur noch dafür sorgen, dass mein Liebster ein möglichst angenehmes und ruhiges Leben führte, wenn er schon nicht mehr bei mir bleiben wollte, das würde ich tun.

„Er hat seine Mutter umgebracht...Patrick ist mit seiner Mutter als Kind oft spazieren gegangen und irgendwann im Winter, da müsste er noch sechs Jahre alt gewesen sein, da ist Patrick eben einfach auf einen zugefroren See gelaufen, weil er Schlittschuhlaufen wollte! Es ist noch nicht lange genug kalt gewesen und das Eis hat durch sein Gewicht angefangen zu brechen, aber er ist nicht sofort eingestürzt. Seine Mutter ist dann zu ihm aufs Eis gegangen, weil Patrick sich nicht mehr getraut hat weiterzulaufen und...niemand weiß genau wie, aber Patrick hat es geschafft unversehrt das Eis zu verlassen, aber seine Mutter eben nicht! Sie ist eingebrochen und bevor sie gerettet werden konnte, ist sie erfroren...und seitdem kann ich in diesen Jungen nicht mehr ansehen ohne daran zu denken, dass er Schuld daran hat, dass meine geliebte Manon nicht mehr da ist! Was hätte ich denn anderes tun sollen? Er ist das einzige was mir noch geblieben ist von ihr und er neigt dazu nicht auf das zu hören was man ihm sagt, ich musste ihn doch unter Kontrolle bekommen! Patrick ist das einzige was ich noch habe das ich liebe und ich kann ihn nicht einfach gehen lassen! Ich habe Manon versprochen ihn gut auf das Leben vorzubereiten und ihm alle Möglichkeiten zu geben die ich kann! Und jetzt liebt er mich nicht Mal, ich habe absolut in allem versagt was geht."

Schockiert öffnete ich meinen Mund, wusste nicht was ich sagen sollte. Es war auf einmal vollkommen verständlich wieso mein Freund allein beim Anblick von Eis Panik bekam, er musste sich an diesen einen Moment in seinem Leben erinnern in welchem er fast gestorben wäre, wusste er davon überhaupt etwas? Konnte er sich daran erinnern oder hatte er einfach nur das Gefühl von Angst dabei, wenn er Eis sah? Beide hatten die Brünetten ein Trauma von diesem Tag, sie hätten beide schon längst zu einem Psychologen gehen sollen, der einmal all diese Erlebnisse mit ihnen aufarbeitete und sollte Patrick eines Tages wieder zurück zu mir kommen, dann würde ich ihm auf jeden Fall anbieten einen guten Psychologen für ihn zu suchen.

„Er hat sie nicht umgebracht, nein...Patrick ist sechs Jahre alt gewesen, als das passiert ist, er hat noch nicht daran gedacht, dass er im Eis einbrechen könnte, wenn er da rauf geht! Das wollte er mit Sicherheit nicht. Und ich glaube, ich verstehe warum Sie Patrick versucht haben so zu erziehen...aber das ist dennoch nicht richtig gewesen! Als das passiert ist, da haben Sie nicht nur Ihre Frau verloren, sondern er hat auch seine Mutter verloren und das hat ihn wirklich sehr getroffen! Haben Sie ihm nie erklärt was genau er falsch gemacht hat und was da passiert ist? Warum er seine Mama nie mehr wieder sehen wird? Ich weiß, dass ist wirklich hart für Sie gewesen, aber Sie sind der Vater eines kleinen Kindes gewesen, das auf einmal keine Mutter mehr hatte und als dieser hätten Sie Patrick unterstützen müssen! Hatten Sie damals wirklich niemanden der Ihnen hätte helfen können? Geschwister, Eltern, Freunde oder Arbeitskollegen? Ich weiß nicht ob ich das einfach nicht richtig nachvollziehen kann, was sie da fühlen und gefühlt haben, weil ich als Vater mein Kind selbst nie so allein mit einem Problem lassen würde, aber ich kann das wirklich nicht verstehen, tut mir leid. Sie hätten Patrick niemals die Schuld an dem geben sollen was passiert ist!"

Kopfschüttelnd stand ich auf und legte den Briefumschlag auf den Couchtisch, sodass mein Gast diesen sah. Ohne noch einmal zurückzusehen verließ ich das Wohnzimmer wieder, um einen vollkommen schockierten Patrick zu sehen in dessen Augen Tränen der Überforderung zu erkennen waren. Mitleid kam in mir auf, als ich das sah und ich ging auf den Kleineren zu, um ihn in meine Arme zu ziehen, ihm Trost zu spenden. „Es ist nicht deine Schuld, okay? Lass dir das nicht einreden, versprich es mir! Du warst noch ein Kind und wusstest nicht was richtig und falsch ist, da warst du einfach zu jung für...auch wenn das nicht richtig ist, hat dein Vater immer nur versucht dich zu beschützen, indem er dich so eingesperrt hat und er liebt dich, er weiß nur nicht wie er es dir zeigen kann. Ich weiß nicht was du mit deinem Leben gerade eben vorhast, Patrick, aber wenn du wirklich mit deinem Vater mitgehen willst, dann tu das ruhig! Es ist okay für mich und ich werde deine Entscheidung so akzeptieren wie sie ausfällt, egal wie. Du bist ein schlauer Kerl und wenn du doch nicht mehr bei deinem Vater sein willst, ich werde dich überall abholen, egal wo auf der ganzen Welt! Und Patrick, egal wie allein und verlassen du dich fühlst, merke dir, dass ich dich immer lieben werde und dass es immer eine Person auf der Welt gibt die dich bei sich haben möchte. Sei weiterhin so stark wie bis jetzt, dann kann dich nichts und niemand aufhalten!"

Mit einem kleinen Kuss auf die Stirn ging ich davon, ließ meinen Freund seinen eigenen Weg gehen. Nun war es allein seine Entscheidung ob er mich verließ oder nicht.

~4900 Worte, geschrieben am 19.12.2021

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