31. Tannenbaum

Den ganzen Tag über verbrachte ich damit Maurice und Manuel dabei zu helfen einen Tannenbaum zu schmücken, welcher bis zum Abend in seiner vollen Pracht strahlte. Während Monika, wie sich Manuels Mutter mir später vorgestellt hatte, mit ihren beiden Enkeln einen Spaziergang machte, kleidete ich das erste Mal in meinem Leben einen Christbaum mit bunten Kugeln und einer riesigen Menge Lametta ein, wobei ich stets ein Lächeln auf meinen Lippen trug. Manuel blieb die ganze Zeit über bei mir, lachte über meine etwas vorsichtige Herangehensweise beim schmücken und half mir sogar dabei die Christbaumspitze auf die Spitze des Baumes zu stecken, um sich danach mit mir vor den Baum zu stellen und unser Werk stolz zu betrachten. Ganz sanft legte er mir seinen einen Arm um die Hüfte, zog meinen Körper an den seinen und ich hatte wirklich Spaß daran auch einmal derjenige zu sein, welcher den Baum zu Weihnachten schmücken durfte, anstatt anderen dabei zuzusehen wie sie es taten oder einfach nur einen bereits fertig geschmückten Baum hingestellt zu bekommen. Mit Manuel war alles gleich viel lustiger und entspannter, selbst das backen und verzieren von ein paar Weihnachtskeksen, oder die Jagd durch die ganze Wohnung, als ich dem Brünetten seine Brille geklaut hatte und ich war ihm für jede Sekunde dieses Tages dankbar.

Erst als es dunkel wurde ließ ich mich erschöpft, jedoch weiterhin lächelnd auf der Couch nieder und schloss die Augen, während ich mich an meinen Freund lehnte, der uns eine flauschige Decke über legte. Bald würde Monika zurückkommen, zusammen mit Manuels Bruder und dessen Sohn Noah, doch statt mich noch einmal hübsch zu machen, blieb ich einfach bei dem niedlichen Familienvater sitzen und ließ mich streicheln. Für den Grünäugigen war es Gewohnheit das alles an Weihnachten zu machen, er schmückte jedes Jahr den Tannenbaum, backte immer wieder aufs neue Kekse und auch, wenn er wahrscheinlich sonst eher weniger mitmachte, mochte er das ganze Weihnachtsfest sehr. Besonders über meine Suche nach Nähe freute er sich spürbar, denn nun, wo ich mich müde an seine Seite kuschelte und lächelte, konnte er nicht mehr anders und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn, hielt mich dabei sicher. Hätte ich gewusst, was ich die ganzen Jahre über verpasst hatte, dann wäre ich viel früher auf die Idee gekommen abzuhauen und ich war vor allem Manuel sehr dankbar, dass er mich so liebevoll aufnahm, ich würde mich später irgendwie erkenntlich zeigen dafür. Leider schmeckte mein Bûche de Noël nicht gut genug, um ihn Manuel zu zeigen und deshalb musste er nun bis nächstes Jahr warten, um diese französische Köstlichkeit einmal probieren zu können, was er jedoch sicher aushalten würde.

„Danke Manu. Weihnachten ist wirklich toll! Du bist ein guter Mensch...", murmelte ich leise, als ich meinen Kopf ein wenig in die Richtung des Größeren drehte und daraufhin sanft gedrückt wurde. Immer wieder bewies mir der Ältere, dass er ein anständiger und großherziger Mann war, dem in seinem bisherigen Leben nur ein paar schlimme Dinge geschehen waren und ich schämte mich mittlerweile dafür, wie ich ihn zu Anfang behandelt hatte. Er war es, der verhindert hatte, dass ich zurück zu meinem Vater musste und er gab mir das erste Mal das Gefühl geliebt zu werden, es gab nichts, was das jemals wieder ausgleichen könnte. Auch, dass ich nun so oft lächelte und viel ruhiger wurde hatte ich allein dem Grünäugigen und seiner brillanten Umgangsweise mit mir zu verdanken, er war ein einziges Wunder. Bei meinem Vater wäre ich niemals so liebevoll behandelt worden wie hier, er war schließlich der Meinung, dass ich schon groß genug war und allein klar kam, das handhabte mein Freund ganz anders. Ihm war es egal, dass ich schon alt genau war um allein klarzukommen, er kümmerte sich um mich und freute sich darüber mich bei sich zu haben, so wie niemand anderes. „Wie gesagt, du wirst Weihnachten lieben! Du hast aber noch gar nicht das beste gesehen, Patrick. Warte nur, bis die Kinder gleich nach Hause kommen und die Geschenke aufmachen, dann wirst du richtig begeistert sein!", grinste Manuel und nun öffnete ich wieder meine Augen, um den freudigen Blick meines Beschützers zu sehen, welcher mich belustigte. Noch kein Mal hatte der Brünette heute auch nur die Andeutung gemacht, dass auch ich etwas unter dem Baum finden würde und ich war schon ganz gespannt darauf, was er mir gekauft hatte, denn bis zum Morgen wusste ich von nichts.

„Es muss schön sein jedes Jahr glückliche Kinder zu Weihnachten zu sehen, oder?", fragte ich also, da ich nicht näher darauf eingehen wollte, dass ich von seinem Geschenk wusste und sofort wurde auch Manuels Blick sanfter, er verstand. Er hinterfragte nicht einmal, warum ich nun das Thema wechselte und tat stattdessen etwas, das mich verwundert. Bisher hatte er sich nur in einer etwas heruntergekommenen Verfassung, dann, wenn es ihm psychisch oder körperlich nicht so gut ging so verhalten wie nun, und selbst jetzt fand ich es schön was er tat, ließ es widerstandslos zu. Müde gähnte mein Freund, während er sich auf die Couch legte und seinen Kopf auf meinen Beinen bettete, sodass ich ihm sanft durch das Haar streichen konnte. Fürsorglich legte ich die Decke ein wenig mehr über seinen Körper, sodass ihm auf keinen Fall kalt wurde und begann zu lächeln, je näher sich mir der Größere drückte. Diese Suche nach Nähe kam bisher nicht oft vor, Manuel wartete stets, bis wir komplett für uns allein waren und in diesem Moment fühlte er sich merklich sicher, denn seine Augen schlossen sich ganz automatisch, während ich ihn liebevoll streichelte. „Es ist das beste daran. Ich versuche Milo und Malu ja immer so glücklich zu machen wie nur irgendwie möglich, also nicht nur an Weihnachten! Die beiden kommen aus ekelhaften Verhältnissen und ich könnte niemals mit meinem Gewissen vereinbaren sie nicht so gut zu behandeln wie es geht. Milo habe ich vor etwa sieben Jahren zusammen mit Sascha adoptiert, ein paar Monate bevor...vor seinem Unfall. Der Kleine war damals mein persönliches Weihnachtswunder, weißt du? Eigentlich wollte ich damals noch keine Kinder haben und Sascha auch nicht, aber wenn auf einmal ein Korb mit einem Baby drinnen vor deiner Haustür steht, dann kannst du es nicht einfach so wieder abgeben! Seine Mutter hat sich nicht um ihn kümmern können, besser gesagt, sie konnte es einfach nicht ertragen ihn zu sehen und da sie es auch nicht übers Herz gebracht hat ihn umzubringen, hat sie ihr Glück bei uns versucht. Schwer vorzustellen, dass es überhaupt zur Auswahl stand Milo umzubringen, oder?"

Mit großen Augen hörte ich dabei zu, wie Manuel ganz von allein erzählte und seinen Kopf näher an mich lehnte, vorsichtig nach meiner Nähe verlangte. Ich hatte mit allem gerechnet, dass der Ältere mir erzählte was er sonst so an Weihnachten tat oder dass er von mir erwartete weiter zu erzählen, aber dass er anfing von seinem Ehemann und Milos Vorgeschichte zu erzählen, das kam unerwartet. Es war schockierend, vor was einem Schicksal Manuel seinen Sohn gerettet hatte und was ihm hätte passieren können, wäre der Grünäugige nicht da gewesen und so wie er es im Moment brauchte, nahm ich mir seine Hand, um sie zu drücken. Allein von sich aus den Namen seines Liebsten zu sagen kostete den Millionär eine Menge Kraft und wie er das sonst bei mir machte, spendete ich ihm Liebe und Nähe, zeigte, dass ich für ihn da war. Für meinen Freund war es ein riesiger Fortschritt, dass er mir etwas aus seinem früheren Leben erzählte und ich wollte gerne mehr hören, denn allein das erzählen von seinen Erlebnissen half ihm dabei diese zu verarbeiten. „Das ist schrecklich, Manu...woher weißt du, dass seine Mutter sich nicht um ihn kümmern konnte? Hast du Kontakt zu ihr?", fragte ich also vorsichtig, da ich den Älteren nun nicht überfordern wollte und leicht schüttelte er seinen Kopf, drückte meine Hand sanft. Leise seufzte der Größere, da er sich wohlfühlte durch meine liebevollen Berührungen und ich fuhr fort. „Nein, habe ich nicht. Als wir Milo in seinem Körbchen gefunden haben, lag ein Brief neben ihm, in dem seine Mutter die ganze Situation geschildert hat...sie ist wohl erst sechzehn gewesen und hat es nicht übers Herz gebracht ihr eigenes Kind abtreiben zu lassen, auch wenn es ungewollt war. Ich bin glücklich darüber, dass sie sich dafür entschieden hat ihn so abzugeben! So hat Milo zumindest eine Chance bekommen auf ein gutes Leben und ich habe einen Engel aufnehmen dürfen! Er ist mein ganzer Stolz, weißt du? Also neben Malu natürlich, ich hab die beiden ja gleich doll lieb!"

Überwältigt von den Informationen über Milo guckte ich betrübt auf den hell leuchtenden Weihnachtsbaum und dachte nach. Ich hatte zwar schon damit gerechnet, dass der Kleine irgendwie ungewollt von seinen Eltern war oder dass seine Eltern schlichtweg und ergreifend nicht die Möglichkeit hatten sich um ein Baby zu kümmern, schließlich hatte Manuel den Schwarzhaarigen adoptiert, aber dass das ganze damals so von statten ging war unerwartet. Was war Manuel nur für ein Mensch? Er nahm bereitwillig jeden bei sich auf, dem es aus welchen Gründen auch immer nicht so gut ging und kümmerte sich sorgevoll um sie, denn nicht nur Milo und Malu waren auf diesem Wege zu ihm gekommen, sondern auch Maurice und ich. Ihm machte es keine Probleme jemand anderen aufzunehmen, er kaufte sogar für mich ein Weihnachtsgeschenk, obwohl wir uns keinen Monat lang kannten und erwartete dafür nur, dass ich ihn nicht mehr abwies, was ich auch nicht tat. Niemals wieder würde ich ihn abweisen, das nahm ich mir fest vor und ich musste ihm das verständlich machen, um wieder sein sanftes Lächeln sehen zu dürfen. Es gefiel mir das Glitzern seiner Augen zu sehen, wenn er glücklich war und ich war ebenso gerne der Grund dafür, dass er lächelte, fühlte mich gleich sehr viel besser. „Du bist viel zu gut für diese Welt, Manu. Es tut mir leid, dass ich dich am Anfang so unfreundlich behandelt habe, das hast du ganz und gar nicht verdient...kannst du mir das verzeihen?"

Im Augenwinkel sah ich wie Manuels Augen sich blinzelnd öffneten, mich verwundert musterten. So vorsichtig wie ich sprach und wie ich ihn dabei ansah, er war das nicht so gewöhnt und deswegen drehte er sich in meine Richtung, weg vom Weihnachtsbaum, um mich von unten schüchtern ansehen zu können. Ich konnte mich an keinen Moment in meinem Leben erinnern, in dem mich jemand so liebevoll gemustert hatte und deswegen sah ich schüchtern zur Seite, fühlte mich unwohl. Ganz sanft spürte ich, wie sich eine Hand auf meine Wange legte und meinen Kopf wieder in Manuels Richtung drehte, sodass ich ihn ansehen musste. Ein mildes Schimmern war in seinen Augen zu erkennen, welches mich sofort ein wenig sicherer fühlen ließ und ich fragte mich was er nun sagen würde. „Mach dir doch darüber keinen Kopf mehr, Patrick, das ist vergeben und vergessen, in Ordnung? Ich weiß doch, dass du ein ganz lieber bist und mich auch lieb hast, stimmts?", fragte mich der Brünette mit einem Funkeln in den Augen, welches mich ein wenig aufheitern sollte. Besonders an Weihnachten wollte er mich auf keinen Fall traurig sehen, denn Weihnachten war das Fest der Liebe und er war bereit dazu mir alles zu verzeihen was ich getan hatte, ganz ohne zu zögern. Sein Wunsch war es mich zufrieden zu stellen und zu retten, dafür opferte er seine gesamte Freizeit und er versuchte sogar seinen eigenen Sohn von mir zu überzeugen, damit ich mich wohlfühlte, warum nur konnte ich mich nicht bei ihm revanchieren?

„Ein bisschen vielleicht...", gab ich zu, dabei spürte ich wie meine Wangen sich erröteten und lächelte vorsichtig, als Manuel sich darauf hin aufsetzte, um mich beleidigt zu mustern. Meine Antwort war ihm scheinbar noch nicht genug, er wollte mehr hören von mir und ich verdrehte belustigt meine Augen, beugte mich zu dem Brünetten hinüber und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, welcher seine Augen blitzen ließ. „Hast gewonnen, ich hab dich lieb, okay? Du schuldest mir für diese Worte einen Porsche!", meinte ich, bevor ich aufstand und mich auf den Weg ins Badezimmer machte, um meine Haare in Ordnung zu bringen. Den irritierten Blick des Älteren hätte ich nun gerne gesehen, aber da ich auch bei Peter den bestmöglichen Eindruck hinterlassen wollte, genau wie bei seiner Mutter, würde ich meine letzten Minuten damit verbringen mich hübsch zu machen. Ich hatte nur flüchtig ein paar Dinge über den Bruder meines Freundes erfahren, er soll Fremden gegenüber sehr freundlich sein und eine erfolgreiche Anwaltskanzlei besitzen, was mich fast schon genauso nervös werden ließ wie am gestrigen Abend. Mit Anwälten hatte ich bisher in meinem Leben noch nicht wirklich viel zu tun, doch sicher würde auch Peter so aufgeschlossen sein wie Manuel und ich wollte mich gut anstellen, damit er mich mochte. „Hast du überhaupt eine Fahrerlaubnis?", ertönte hinter mir die Stimme Manuels, was mich verwundert aufblicken ließ. Durch den Spiegel sah ich den fragenden Blick des Millionärs und war erstaunt darüber, dass das seine erste Frage war und nicht, wie ich auf diese Idee kam. Dachte er ernsthaft darüber nach mir einen Porsche zu schenken? Was ein Idiot.

„Nö, ist aber auch egal, ich habe ja Maurice, der mich überall hinfährt!", sagte ich, während ich mir die Haare nach hinten kämmte und unzufrieden eine Schnute zog, da meine Haare ein einziges Vogelnest waren, welches sich wohl niemals unter Kontrolle bringen lassen würde, egal was ich tat. Manchmal überlegte ich mir meine Haare einfach abzurasieren, aber da ich mit einer Glatze unmöglich anzusehen war, blieben die Haare dran und ich ärgerte mich über sie. „Schade, das wäre was gewesen, dass ich dir einfach hätte besorgen können...", seufzte mein Freund, bevor er das Badezimmer verließ und mich schockiert den Blick heben ließ. Er hatte also tatsächlich einen Moment lang darüber nachgedacht mir einen Porsche zu kaufen, nur weil ich ihm gesagt hatte, dass er mir einen schuldete und ich war sowohl verwundert, als auch irgendwie verletzt, auch wenn ich wusste, es war unnötig. Ich hatte dem Brünetten doch schon so oft gesagt, dass ich ihm keine Last sein wollte und wenn er mir einfach einen Porsche kaufte, dann war ich definitiv eine Last für ihn. Ein Auto hatte ich mir kein bisschen verdient, besonders keinen Porsche und ihn einfach entgegen nehmen würde ich auch nicht, das wäre zu viel des guten. Es war in Ordnung, wenn er mich bei sich aufnahm und nichts dafür verlangte, ich würde mich noch früh genug an der Miete beteiligen können und ihm etwas zurückgeben können, doch ein Auto, welches so teuer war wie ein Porsche, das könnte ich nicht Mal eben so zurückzahlen. Irgendwann würde ich mir selbst ein Auto kaufen, ich konnte das doch, nur eben noch nicht jetzt, dafür war es noch zu früh.

„Manu?", rief ich also durch die Wohnung, nachdem ich meine Haare aufgegeben hatte und sofort erhielt ich ein zustimmendes ja aus Richtung seines Schlafzimmers, weswegen ich dort hinging. Verträumt lächelnd stand er vor seinem Spiegel, mit einem bunten Weihnachtspullover an, statt dem langweiligen grauen von davor und ich hob kurz irritiert meine linke Augenbraue, betrachtete ihn eine Sekunde lang dementsprechend und stellte mich einfach vor ihn, sodass er mich ansehen musste. Aufmerksam musterte er mich. „Ich bin glücklich bei dir, verstanden? Du musst mir nichts teures kaufen wie ein Auto, das ist nicht nötig. Wenn ich etwas möchte, dann frage ich dich explizit danach oder spare selbst darauf, aber so etwas teures will ich nicht von dir geschenkt bekommen, okay? Ja, du meinst es nur gut, aber ich bin auch ohne sowas wie ein Auto ganz gut dran und ich möchte dich auch gar nicht so viel kosten, auch wenn du es dir ja eigentlich leisten kannst! Wenn du mir was schenken willst, dann bleib bei Schokolade oder einem Buch, das geht immer...", machte ich dem Größeren klar und obwohl er nicht damit einverstanden zu sein schien, nickte er leicht, um zu zeigen, er hatte verstanden.

„Ich versuche mich dran zu halten, aber weißt du, wenn ich dir etwas schenke, dann schenke ich es dir nicht ohne vorher genau drüber nachgedacht zu haben, Patrick! Du bist mir jeden Cent wert, ja? Mach dir keine Gedanken um irgendwelche teuren Geschenke von mir, das sind nämlich Geschenke und für die zahlt man kein Geld zurück!"

~2700 Worte, geschrieben am 27.04.2021, hochgeladen am 22.06.2021

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