3. Tränen

Von Wut getrieben ging ich einen der langen Gänge des Schlosses entlang, zu dem Raum, in welchem Archie für gewöhnlich seine Geldübergaben machte und die erworbenen Gegenstände herausgab. Michael folgte mir stumm, wie es sich für einen Butler gehörte und senkte untergeben den Kopf, wollte mich nicht noch mehr reizen als ich es schon war. In wenigen Sekunden würde sich mein bisheriger Freund anhören müssen, dass ich enttäuscht von ihm war, dass er es wagte einen Menschen zu verkaufen und vor allem, dass er mir immer hätte sagen können, wenn sein Geld knapp wurde, ich hätte ihm geholfen. Es war nicht schwer mir zu erreichen, Anrufe und Mails nahm ich immer wahr, also hätte ich ihn definitiv nicht zurückgewiesen, wenn er mich um ein wenig Geld gebeten hätte. Wir hatten uns gerade beide strafbar gemacht, er, indem er einen Menschen zum Verkauf anbot und ich, indem ich diesen Menschen gekauft hatte, das würde er mir nun erklären müssen, ob er wollte oder nicht. Mich würde er nun nicht so einfach loswerden können, denn er kannte mich gut und wusste wie dickköpfig ich sein konnte, wenn ich etwas haben wollte, also würde er diesem Gespräch auch nicht aus dem Weg gehen können, denn schließlich brauchte er nun mein Geld. Vielleicht war es auch ein wenig übertrieben den alten Mann nun anzufahren, weil er mich nicht einfach um Hilfe gebeten hatte, doch das hielt mich nicht davon ab es wirklich zu tun. 

Ohne zu klopfen betrat ich das Zimmer, in dem mein langjähriger Freund stand und auf den jungen Mann einredete, ihn verärgert und enttäuscht musterte, während der Brünette einfach nur still dastand und zuhörte, wie der Blauäugige Hüne ihn dafür anpöbelte, dass er ihn ruinierte. Noch immer verdeckte nur eine Boxershorts seinen Körper, was ich im tiefsten Winter unverantwortlich fand. Kaum braun war der Jüngere, das erkannte ich selbst durch das Licht der Deckenlampe sehr gut und obwohl er sehr zierlich wirkte, ebenfalls sehr dünn aussah, so konnte man leicht die Konturen seiner Muskeln erkennen. Er sah wirklich wunderschön aus, könnte beinahe als Model angesehen werden und doch stand er nun einfach nur da, sah den alten Mann vor ihm an, welcher wütender war als jemals zuvor und obwohl ich genau das nun erwartet hatte, dass er sich unterwürfig verhielt und Angst zeigte, so blieb er standhaft und hörte sich alles an. Meine Augen verdunkelten sich bei diesem Anblick, denn es war definitiv nicht die Schuld des Schönlings, dass er auf der Bühne stand und vielleicht nicht den Betrag erzielt hatte, welchen er eigentlich hätte erbringen sollen. „Lass ihn sofort in Ruhe, Archibald! Wir müssen reden...", sagte ich beim betreten des Raumes, weswegen der Besitzer des Schlosses sofort verstummte und mir einen erschrockenen Blick zuwarf, welcher sich jedoch schnell in einen unsicheren änderte, nachdem er seinen echten Namen vernahm und nicht seinen Spitznamen. Nicht viele wussten, dass er eigentlich Archibald mit Vornamen hieß, auch wenn es sich eigentlich fast wie von selbst ergab, und da ich diesen Namen nun nannte ahnte der Ältere nun ganz genau, dass nun ein ernstes Gespräch folgen würde. Ich war um einiges Kleiner als er, schwächer auch und doch würde er es niemals wagen mir etwas zu tun, denn schließlich wollte er einerseits nicht meine Anwälte am Hals haben und meinen großen Bruder schon gar nicht. 

Langsam drehte sich auch der Junge vor ihm in meine Richtung, sah mich mit traurigen, tränengefüllten Augen an und sofort wollte ich nichts lieber als ihn zu umarmen, doch tat ich nichts weiter als ihm in seine glänzenden, doch recht trostlosen Augen zu gucken. Was war in den fünf Minuten nur passiert, dass die vorher entschlossenen und hübschen braunen Augen des Kleineren so verzweifelt und trostlos wirkten, gerötet waren wie keine anderen. Wie nur konnte Archie ihn so sehr zum weinen bringen, dass dieses Paar Augen kein bisschen Lebensfreude mehr zeigte? Erst nahm er dem Brünetten seine Freiheit und dann das, es war unerklärlich für mich. Dieses Verhalten passte nicht zu ihm, er war sonst immer ein liebevoller, freundlicher und großzügiger Mann gewesen, der keiner Fliege etwas zu leide tat, es musste einen guten Grund dafür geben, weshalb er einen Jungen zum Verkauf anbot und wenn er mir diesen nicht gleich nannte, dann würde ich nie mehr wieder einen Fuß in dieses Gebäude setzen. Meine Füße trugen mich wie von allein in die Richtung meines so eben gekauften Menschen, langsam und darauf bedacht ihm keine Angst zu machen. Trotz der Tatsache, dass Archie ihn vor wenigen Momenten noch angemeckert hatte, wich er mir gekonnt aus, machte also einen Schritt auf den Hünen zu und von mir weg, und brachte mich so dazu ein sanftes, liebevolles Lächeln aufzusetzen, da ein erzürnter Blick in diesem Moment sicher nicht sehr ratsam war, wenn ich doch eigentlich dafür sorgen wollte, dass der Jüngere ein Vertrauen zu mir aufbauen konnte und sich nicht vor mir fürchtete, so wie er es im Moment zu tun schien. 

Aufmerksam hielt ich ihm meine rechte Hand hin, ließ ihm Zeit diese mit der meinen zu verbinden. „Na komm, du bist ja ganz kalt...Michael wird sich eben um dich kümmern und dir etwas richtiges zum anziehen besorgen!", erklärte ich sanft lächelnd, während ich die kleine, kalte und doch so sanfte Hand des Jüngeren hielt, sie zärtlich drückte und mich irgendwie gut dabei fühlte sie zu halten, was ich mir nicht wirklich erklären konnte. Ich war einige Zentimeter größer als der Hübschling vor mir, musste sogar leicht zu ihm hinunter blicken, doch das störte mich nicht wirklich. Von nahem sah der Brünette noch so viel schöner aus als aus der Ferne betrachtet, doch ihm das nun zu sagen würde das Fass zum überlaufen bringen. Er war schon mit der Tatsache überfordert, dass er nun einen Besitzer hatte und ihn tatsächlich weinen sehen wollte ich nicht, das würde nur damit enden, dass ich nicht damit umzugehen wusste und laut wurde, weil ich innerlich genauso wenig Ahnung davon hatte wie ich mit dieser Situation umgehen sollte wie er auch. Ich wusste nicht einmal den Namen des Jungen, geschweige denn wo genau er herkam und ob er meine Worte überhaupt verstand, doch der auch Archie vorher auf Deutsch auf den Kleineren eingeredet hatte, ging ich einfach davon aus, dass er diese Sprache auch verstand. Und wenn nicht, dann würde er sicher zumindest Englisch verstehen, immer hin waren wir hier im Vereinigten Königreich, in London, da sollte er zumindest das verstehen, wenn er von hier kam. 

Michael hatte meinen stummen Befehl sofort erkannt, begab sich neben mich und senkte untergeben sein Haupt, um Demut zu zeigen und hielt unserem Gast seine Hand hin, um verständlich zu machen, dass er nun übernehmen würde. Leicht schüttelte der Junge vor uns seinen Kopf, zeigte so, dass er nicht wollte und mir brach das Herz, als er mich nahezu flehend musterte, mich allein mit seinem Blick bat ihn nicht mitzunehmen, aber diesen Wunsch würde ich ihm nicht erfüllen. Der Brünette brauchte eine sichere, warme und liebevolle Umgebung, in der er wieder zu Kräften kommen konnte und sich wohlfühlte, das konnte er hier nicht haben und deswegen war der einzig richtige Weg für ihn, dass er sich mir anvertraute, bis wir einen guten Platz für ihn gefunden hatten. Ihn dazu zwingen für mich zu arbeiten würde ich nicht, wie könnte ich auch, ich hatte ihn schließlich gekauft, damit er freikam und nicht, um ihn schließlich bei mir einzusperren und schon allein aus diesem Grund würde ich ihm erst einmal ein wenig Zeit geben, um sich an das Gefühl zu gewöhnen ein freier Mann zu sein und all das machen zu können, was er wollte. Mein Butler würde sich gut um ihn kümmern, bis er ruhiger wurde und ich würde mich der Weile schon einmal darüber informieren wie ich dem Jüngeren helfen konnte wieder Lächeln zu können. Im Moment hatte der Junge einfach nur Angst vor der vor ihm liegenden Zeit, schließlich wurde er vielleicht gerade das erste Mal in seinem Leben an einen anderen Menschen verkauft und wusste nicht, was genau auf ihn zukommen würde, oder er war schon einmal bei jemandem, der ihn nicht gut behandelt hatte und fürchtete sich deswegen vor mir, was auch in Ordnung war. Bis er mir vertraute und mich näher an sich heranließ würde ich sowieso nichts an seinem Verhalten ändern können, also würde ich ihm keinen Druck machen, das sollte ihm am schnellsten helfen mit seiner Situation klarzukommen. 

Gerade als ich damit beginnen wollte auf ihn einzureden, ihm zu erklären, dass ich ihm nichts tun würde und nur helfen wollte, da beugte sich Archie zu ihm hinunter und flüstere ihm etwas ins Ohr, was ich leider nicht verstand. Keinen Moment später schlossen sich die Augen des Brünetten und eine einzige, kleine Träne lief seine linke Wange hinab, bevor er seine Hand aus meiner löste und an mir vorbei ging, sodass mein Butler ihm folgen musste. Leicht deutete der Grauäugige eine Verbeugung an, ehe er aus dem Zimmer verschwand und mich mit dem Besitzer dieses Schlosses allein ließ. Meine Augen fokussierten die des Hünen vor mir, ehe er schließlich seufzte und sich von mir abwandte, eine Packung Zigaretten aus der Schublade seines Schreibtisches herausholte, das Fenster hinter dem Schreibtisch öffnete und sich eine Zigarette anzündete, was mir schon ohne ein Wort verriet, der Ältere war am grübeln. Schon vor Jahren hatte er eigentlich damit aufgehört zu rauchen, nun tat er das nur noch, wenn er wütend war und um runterzukommen, das schien in diesem Fall genauso zu sein. Trotzdem änderte das ganze nichts an der Tatsache, dass der Größere gerade einen wehrlosen und verängstigten Menschen versteigert hatte, nur um an Geld zu kommen. Ich war so maßlos enttäuscht und wütend, aber bevor ich ihn anschrie, dass er ein dummer Idiot war und sich nie mehr wieder bei mir melden sollte, würde ich mir erst noch seine Erklärung dazu anhören, denn eins hatte ich in der Zeit als Chef einer riesigen Firma gelernt. Bevor man vorschnell Entscheidungen traf, bewahrte man Ruhe, atmete einmal ein und aus, bevor man sich die Version des anderen anhörte. Nur, wenn man alles zu einem Thema kannte, konnte man eine geeignete Entscheidung treffen. 

„Erzähl mir Mal bitte warum du einen Menschen auf einer Kunstauktion als Kunstwerk ausgibst, ihn verkaufst und ihn hier auch noch zum weinen bringst!", befahl ich Archibald, während ich mich auf die Couch vor dem Schreibtisch setzte und mir einen der vielen Stifte nahm, welche lose auf diesem verstreut lagen, um damit zu spielen. Den Blick wandte der Familienvater noch immer von mir ab, er fokussierte sich allein auf den Rauch, welchen er auspustete und in die Natur entrinnen ließ, da er genau wusste, wie schlecht dieser Rauch für meine Gesundheit war. Ich ließ dem Blauäugigen bewusst Zeit zum nachdenken, um seinen körperlichen Zustand beurteilen zu können. Er hatte sich seit dem letzten Mal als wir uns im Sommer gesehen hatten kaum verändert, war nicht dünner geworden und sah auch nicht krank aus, was mir unterschwellig zeigte, dass es ihm eigentlich gut ging. Es sah nicht so aus, als wenn ihm das Geld fehlen würde um sich genügend zu Essen zu kaufen und da er tatsächlich doch recht lange überlegte wie er beginnen sollte, war ich auf seine Antwort sehr gespannt. Ich war niemand, der einem seine Fehler schnell vergab und wenn der Hüne nun nicht etwas überzeugendes ablieferte, mir bewies, dass er das alles nicht so gemeint hatte wie es rüberkam, dann würde er es schwer haben mein verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Man spielte nun mal nicht mit dem Leben von wehrlosen Menschen, damit es einem selbst besser ging und wenn der Ältere da anderer Meinung war als ich, dann würde er mich von einer ganz anderen Seite erleben. 

„Ich habe darauf gehofft, dass du ihn kaufen wirst, Manuel, nur deswegen habe ich meine Worte so gewählt. Du weißt selbst gut genug, dass ich es genauso wenig leiden kann, wenn ein anderer Mensch leidet, wie du und glaub mir, ich hätte darauf gerne verzichtet, aber es war nötig. Dass er jetzt weint habe ich tatsächlich nicht gewollt, aber ich kann es auch nicht mehr ändern...sein Name ist Patrick und bevor du weiter denkst, dass ich ihn dir verkauft habe, kann ich dich beruhigen, du musst mir kein Geld überweisen oder sonst was machen! Ich habe nicht vorgehabt ihn wirklich zu verkaufen und er selbst wollte das wahrscheinlich auch nicht, aber das tut gerade eben nichts zur Sache. Erstmal will ich dir ganz kurz erklären, wieso das ganze gerade passiert ist. Erinnerst du dich noch an die ungeplante Pause, die wir vor seiner Auktion gemacht haben? Mein liebes Töchterchen hat nach mir verlangt und eigentlich wollte ich schnell die Auktion zu Ende bringen, weil es sowieso nur noch ein einziges Gemälde gewesen wäre, das ich verkauft hätte, aber die gute nimmt sich nun mal das was sie will, da ist sie wie ihre Mutter...ich habe die Auktion also unterbrochen und bin zu ihr, weil ich gedacht habe, dass etwas passiert ist, aber das war es nicht. Der gute Patrick hat nach mir gefragt und mich darum gebeten ihn bei der Auktion zu versteigern! Erst habe ich nein gesagt, weil das für uns beide nicht gut gewesen wäre, aber dieser sture Bock hat nicht aufgegeben und als er dann meinte, dass es sein Leben ist und dass er entscheiden kann was damit passiert, da habe ich dann doch zugestimmt! War dumm von mir, das weiß ich, aber im Endeffekt hat er mit einer Sache Recht, er darf seine eigenen Fehler machen und das soll er auch tun!"

Gespannt hörte ich dem Größeren zu und zog erstaunt meine linke Augenbraue in die Höhe, als ich hörte, dass es tatsächlich Patrick selbst gewesen sein soll, welcher sich hatte verkaufen lassen. Archie würde mich niemals anlügen, so jemand war er einfach nicht und doch klang das ganze so undenkbar für mich, denn wieso sollte ein freier Mensch seine Freiheit aufgeben für nichts? Der Brünette hatte im Endeffekt nichts von seinem Verkauf, er bekam kein Geld und schadete sich nur selbst, in dem er sich die Freiheit nahm, was ich einfach nicht verstehen konnte. Die Freiheit des Menschen war sein wichtigstes Gut, hatte er diese nicht mehr, so war es ihm nicht möglich sein Glück zu finden und zu leben, was er doch eigentlich verdient hatte, so wie jeder andere auch. Ich kannte seine Umstände nicht, doch unterernährt hatte mir der Braunäugige eben nicht ausgesehen, als ich ihn kurz gemustert hatte und ebenso war sein Körper von keiner einzigen Narbe geziert, keinem blauen Fleck oder einem Kratzer, was mir verdeutlicht, dass es ihm eigentlich niemals schlecht gegangen sein konnte. Natürlich kannte ich den Jüngeren nicht, konnte demnach nicht wissen, ob er vielleicht doch Obdachlos war und so nach einem warmen Zuhause für sich suchte, doch das war so unwahrscheinlich, vor allem durch die Tatsache, dass er Archie zu kennen schien, sonst würde er schließlich niemals direkt nach diesem verlangen. Schon in diesem Moment war mir der Braunäugige ein einziges Rätsel und dieses galt es zu lösen, wenn ich Antworten wollte. 

„Und warum genau hat er dich gefragt ob du ihn zum Verkauf anbieten kannst? Ich meine, man gibt schließlich nicht ohne vorher nachzudenken seine Freiheit auf und lässt sich von irgendeiner fremden Person kaufen, wenn man das nicht wirklich möchte...", fragte ich nun etwas ruhiger, jedoch gab mir der Größere noch immer nicht seine Aufmerksamkeit. In mir drinnen sammelten sich immer mehr und mehr Fragen, auf die ich einfach keine Antwort fand und diese würde ich auch nicht finden, bis ich mich näher mit meinem neuen Schützling befasst hatte. Er hatte nicht so ausgesehen als wäre er sonderlich glücklich bei mir gelandet zu sein, doch das wäre ich in seiner Lage auch nicht, also konnte ich ihn durchaus gut verstehen. Der Kleinere schien einfach nicht damit gerechnet zu haben, dass ihn tatsächlich jemand kaufen würde und im Prinzip hatte ich das auch nicht getan, denn Archie wollte mein gebotenes Geld gar nicht haben, somit war der Jüngere theoretisch noch immer frei. Ihm musste das nur später jemand erzählen, dass er mir nicht gehörte und dass er gerne jederzeit wieder nach Hause gehen konnte, wenn er wollte, dann würde er mir vielleicht auch einmal die Möglichkeit geben seine Augen glücklich glitzern zu sehen, denn das würde sicher wunderschön aussehen. Es war sicher unangebracht so etwas zu denken, schließlich war der Brünette noch minderjährig und ebenso nicht an einem sehr viel älteren Mann interessiert, doch hatte der Kleine nun einmal mein Interesse geweckt, dagegen konnte ich auch nicht viel tun. Sein zierliches Aussehen ließ mich den Wunsch verspüren den Älteren zu beschützen, ich wollte ihn einfach in den Arm nehmen und ihn wieder zum lächeln bringen, doch dafür musste ich erst einmal sein Vertrauen gewinnen, denn ohne dieses ging nichts. 

„Das ist etwas, was du ihn später selbst fragen musst. Ich will dich nur noch um eine einzige Sache bitten, Manuel, und zwar, dass du Patrick bitte unter keinen Umständen jetzt einfach so freigibst und ihm einmal so richtig zeigst, was es heißt nicht richtig nachgedacht zu haben! Also, du sollst ihm auf keinen Fall wehtun, aber er soll aus dieser ganzen Sache lernen, dass man etwas bis zu Ende denkt und nicht voreilig entscheidet. Du bist von jetzt an der, der ihn gekauft hat und hart durchgreifen muss! Patrick soll dadurch einfach nur aus seinem Fehler lernen, weil ich ihn trotz allem sehr gerne habe und nicht will, dass er irgendwann wirklich Mal in ernste Schwierigkeiten gerät, aus denen ihn keiner so einfach retten kann."

(...)

Einige Minuten noch saßen wir gemeinsam da, besprachen eine geeignete Taktik um uns beide sicher und ohne ein Verfahren an den Hals zu bekommen, weil wir Menschenhandel betrieben hatten, aus dieser Situation zu bekommen. Ich fühlte mich bei der ganzen Sache ziemlich unwohl, denn auch, wenn Patrick vielleicht Voreilig gehandelt hatte mit der Entscheidung sich hier verkaufen zu lassen, so hatte er doch sicher seine guten Gründe dafür und sollte eigentlich nicht dafür bestraft werden, dass er eine Lösung für sein Problem finden wollte, besonders nicht von mir. Als bis vor kurzem noch Beobachter konnte ich keine Aussage darüber treffen ob der Braunäugige nicht vielleicht doch richtig gehandelt hatte, aber da ich Archie versprochen hatte den Jüngeren erst einmal bei mir zu behalten, allein zu seinem Wohle, musste ich mich nun auch daran halten, auch wenn es mir schwerfiel. Vielleicht mochte mich der Jüngere nicht, doch trotzdem hatte ich nun den Auftrag auf ihn achtzugeben und da er scheinbar von seinen Eltern weg wollte, aus welchem Grund auch immer, würde ich mich ihm annehmen und zumindest dafür sorgen, dass er ein Dach über dem Kopf hatte und sicher war, wenigstens nicht frieren musste. Archibald meinte, dass der Braunäugige bald volljährig sein würde und dann würde es nicht einmal mehr als Entführung zählen, dass er bei mir war und nicht Zuhause, schließlich hatte er von da an auch das Recht allein zu entscheiden wo er sich aufhielt und wo nicht. 

Völlig in Gedanken versunken lief ich einfach den langen Gang entlang in Richtung Ausgang, dabei achtete ich kein bisschen auf meine Umgebung und auf das, was um mich herum geschah. Erst als ich ein lautes Atmen vor mir hörte, es ging nur stoßweise und war beschleunigt, da riss ich erschrocken meine Augen auf und blieb auf der Stelle stehen. So schnell er konnte, rannte Patrick vor mir den Gang entlang und vor Michael davon, welcher wütender aussah als jemals in seinem Leben zuvor, doch das interessierte mich kein bisschen. Eher beobachtete ich das sich mir bietende Szenario und wollte gerade anfangen den Braunäugigen Schönling zu warnen, er solle gefälligst aufpassen wo er hinlief, da war es auch schon zu spät und er rannte direkt in mich rein, sodass wir beide umfielen, ich auf den Rücken und er auf mich drauf. Mein Butler kam sofort auf uns zugeeilt und wirkte nun nicht einmal mehr ansatzweise so wütend wie zuvor, eher waren seine Augen vor Schock weit aufgerissen, dass sein Herr nun auf dem Boden lag und von einigen Schaulustigen betrachtet wurde, welche ebenso im Gang herumliefen und entweder wie ich zum Ausgang wollten oder auf ihr Zimmer gingen. Ich jedoch achtete allein auf die ängstlichen, verheulten Augen Patricks, welche in diesem Moment nur einige wenige Zentimeter von mir entfernt waren und mich für einen kurzen, winzigen Augenblick musterten, das erste Mal richtig betrachteten. Nun bedeckten mehr als nur eine einfache Boxershorts den Körper des Kleineren, er trug nun ebenso einen dicken blauen Pullover und eine dunkle Jeans, doch wie wahrscheinlich potentiell alles, sah er verboten gut mit diesen Klamotten aus. Nur diese Augen zerstörten sein Gesamtbild, sie strotzten nur so vor Angst, Reue und Trauer, das konnte ich ihm im Moment noch nicht nehmen. Abwarten und Tee trinken, das würde meine Mutter wahrscheinlich dazu sagen.

„Sir, ist alles in Ordnung?", fragte Michael mich, dabei wollte er sich zu mir hinunterknien und mir aufhelfen, doch meine Aufmerksamkeit galt nur Patrick. Als er merkte was hier geschah, auf wem er lag und wer neben ihm kniete, da wollte er aufspringen und so schnell es ihm möglich war verschwinden, doch das verhinderte ich gekonnt. Reflexartig legte ich ihm meine Arme um die Taille, hinderte ihn damit daran sich von mir zu lösen und abzuhauen, wie er es wahrscheinlich eigentlich vorgehabt hatte. Laut rief er, dass ich ihn gehen lassen sollte, dass er nicht bei mir sein wollte und weg wollte, er versuchte sicher tausend Mal sich von mir loszureißen, aber ich ließ ihn nicht. Immer wieder sagte ich mit sanfter Stimme seinen Namen, ließ den Brünetten einfach tun und seine Gefühle für sich sprechen, gab ihm die Möglichkeit das rauszulassen, was er schon so lange in sich drinnen versteckt hatte und nicht loswerden konnte. Die Blicke der Schaulustigen waren mir ganz egal, sollten sie doch gucken, ich konzentrierte mich ganz allein darauf den Jungen über mir und wunderte mich darüber wie ein einziger Mensch sich so dagegen sträuben konnte mir einmal kurz zuzuhören, denn dann wäre er mit Sicherheit schon viel ruhiger, aber er ließ mich nicht mit ihm sprechen, hörte mir nicht einmal zu. Innerlich fragte ich mich was den eigentlich doch so süßen und sicher aufmerksamen Patrick dazu brachte so sehr auszuticken, ob er schon länger solche Aggressionen in sich trug und diese nun herausließ, oder ob er wirklich einfach nur Angst hatte, dass ich ihm etwas antat, wenn er ohne sich zu wehren mit mir mit ging, doch egal was es war, es gab dem Kleineren das Gefühl sich bedrängt zu fühlen. Diese Situation war neu für ihn, er wurde zum ersten Mal verkauft und bangte nun um seine Freiheit als wäre es das einzig wichtige im Leben eines Menschen, was es auch war. Er sollte kämpfen, das war in Ordnung. 

Bis er irgendwann schluchzend aufgab und mich leise, sodass nur ich seine Worte hören konnte, darum bat ihm nichts zu tun. Sanft fuhr meine rechte Hand seinen Körper hinauf, nur, um den Kopf des Braunäugigen ganz zärtlich an meine Brust zu drücken und ihm Beistand zu leisten, auch wenn er sich ganz und gar nicht wohlfühlte. „Es wird alles gut, Patrick, dir wird nichts passieren, verstehst du? Ich werde dich mit zu mir nehmen und dann gucken wir weiter. Niemand wird dir etwas tun, das verspreche ich dir hoch und heilig. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben! Beruhig dich einfach kurz und dann fahren wir nach Hause, da kannst du dich erst einmal ausruhen und bekommst etwas zu essen. Das hier war ein ansträngender Tag und ich will nicht, dass wir noch einmal den beiden Herren von vorhin begegnen, die auch für dich geboten haben, also lass uns gehen, wenn du alles hast was du brauchst!", sprach ich leise auf ihn ein und war überrascht von mir selbst. So liebevoll hatte ich das letzte Mal mit jemandem gesprochen, als ich noch etwas hatte, für das es sich zu leben lohnte.

~3970 Worte, geschrieben am 02.02.2021, hochgeladen am 24.02.2021

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