24. Tasse

Müde lief ich am nächsten Tag durch die Villa in Richtung Treppen, nachdem ich das erste Mal wieder richtig gearbeitet hatte und gähnte leise, denn obwohl ich es liebte meiner Arbeit nachzugehen, war sie sehr kräfteraubend und mühsam. Den gesamten Tag über hatte ich in meinem Zimmer verbracht, um Besprechungen und Meetings mit meinen Mitarbeitern abhalten zu können, was sich stark bemerkbar gemacht hatte. Als mir Michael schließlich mein Abendessen auf das Zimmer gebracht hatte, entschied ich mich dazu Schluss zu machen und aß schnell auf, um den Teller nach unten zu bringen und mit meinem Sohn ein wenig fernzusehen, bis er sich dazu entschied schlafen zu gehen. Nachdem ich dann ein wenig Zeit am Handy verbracht hatte, meine Nachrichten checkte und mit meiner großen Schwester geschrieben hatte, welche es dieses Jahr wohl krankheitsbedingt nicht schaffen würde unsere Mutter zu besuchen, dafür aber schwor nächstes Jahr auf jeden Fall zu kommen, entschied auch ich mich dazu ins Bett zu gehen, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Als ich Patrick an diesem Morgen kurz gesehen hatte, sah er müde aus wie sonst war und ich dachte erst, dass ich ihn angesteckt hatte, aber nachdem er mich schüchtern zur Begrüßung umarmt hatte, schob ich seinen müden Blick einfach darauf, dass er gerade erst aufgestanden war. 

Als ich jedoch an der Küche vorbei lief, hörte ich ein leises Schluchzen und hielt inne, sah in den Raum hinein, um einen völlig in sich gekehrten Patrick auf dem Boden knien zu sehen, welchem wohl ein Glas heruntergefallen war. Mitleid kam in mir auf bei diesem Anblick, dem Kleine schien dieses Missgeschick wirklich leid zu tun und als ich näher an ihn herantrat, sah ich auch, dass er sich wohl irgendwie durch die Glasscherben an der Hand verletzt hatte, was mich eilig handeln ließ. „Patrick, hey! Komm, steh auf und halt die Wunde kurz unter Wasser, ich gehe ein Pflaster holen! Bin gleich zurück...", sagte ich, bevor ich in Richtung Badezimmer lief und eine Packung Pflaster aus einem Schrank hervorholte, um mir eines davon herauszunehmen. Noch während ich zurücklief riss ich das eine Stück Papier von der klebenden Fläche ab, um das Pflaster gleich schnell benutzen zu können und musterte den völlig fertigen Franzosen, dessen Blick sich nicht einmal dann erhob, als ich wieder vor ihm stand. Nur seine Tränen rannen noch seine Wangen hinab, tropften auf den Boden und ich konnte nicht anders, nahm den Brünetten einfach in den Arm, nachdem ich seine Wunde am Daumen endlich versorgt hatte. Beruhigend drückte ich den Kopf des Jüngeren an meine Brust, strich ihm sanft durch das Haar und küsste ihn ein einziges Mal auf den Kopf. „Alles wird gut, Patrick! Ich räume das gleich auf, ja? Es wird bald aufhören wehzutun...", murmelte ich leise, doch der Braunäugige tat nichts als seine Stirn an meine Brust zu lehnen und zu schweigen, einfach weiter zu schluchzen. Ganz klein machte er sich, zeigte Demut und ich vermutete nur unschwer, dass er einfach nur übermüdet war und deswegen nicht dazu in der Lage klar zu denke, was mich ihm noch einen weiteren Kuss auf das Haar zu hauchen. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie schien der Brünette einfach nicht mehr ruhig schlafen zu können und ich wusste nur eine Sache die dagegen nun helfen könnte, ich musste ihn ruhig bekommen. 

„Es tut mir leid, Manu...ich wollte die Tasse nicht kaputt machen, das war ein Versehen!", schluchzte der Brünette leise, was mich mitleidig zu ihm hinunterschauen ließ. Er machte sich in letzter Zeit oft selbst fertig, weil er laut ihm etwas falsches tat und ich wusste, dass ich deswegen noch einmal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden musste, aber erst, wenn er wieder ein wenig wacher war. In diesem Moment half nur eins, ihn sicher fassen und ihm zeigen, dass ich ihm nicht böse war wegen der Tasse, damit er sich bald in sein Bett legen konnte und schlief. „Das war ein Versehen, Patrick, ich weiß. Ist schon in Ordnung, sowas kann jedem Mal passieren! Mir ist auch schon so oft ein Teller runtergefallen und hier ist ja noch genug Geschirr, also ist doch alles gut, oder? Du brauchst deswegen nicht zu weinen, Patrick!", redete ich sanft auf den Brünetten ein, welcher sich nun doch an mir festhielt und meine Nähe annahm. Zwar nur sehr zaghaft, aber er lehnte sich an mich und nickte leicht, was mich lächeln ließ. Ganz vorsichtig strich ich ihm über den Rücken und ignorierte den Fakt, dass ich eigentlich schlafen wollte, denn in diesem Moment brauchte mich der Junge vor mir und ich würde für ihn da sein. Er war durch meine Bitte hier zu bleiben ganz verunsichert, ich wusste nicht wirklich wieso und doch würde ich ihm noch ein wenig Zeit geben sich hier einzugewöhnen, nun wo er sich schon so an mich herantraute und mich langsam zu mögen schien. Der Braunäugige brauchte nur ein wenig Liebe, dann würde er sich schon an mich gewöhnen. „Wollen wir schlafen gehen?"

Ablehnend schüttelte der Junge vor mir seinen Kopf. „Ich kann nicht schlafen, Manu. Zuhause habe ich nahe an einem Bahnhof gelebt und alle paar Minuten einen Zug vorbeifahren gehört und das fehlt mir! Aber wenn du müde bist, dann geh ruhig ins Bett, ich räume hier auch schnell auf und lege mich dann auch hin...", erklärte der Jüngere, was mich wissend nicken ließ. Ich konnte gut nachvollziehen was ihn störte an dieser Ruhe, immer wenn ich ein paar Tage von Zuhause weg war und kein Kind mehr in der Nähe hatte was mit mir spielen wollte, konnte ich auch ganz schlecht einschlafen, einfach weil ich die Lautstärke gewohnt war und mir half es dann immer etwas warmes zu trinken, das könnte dem Kleinen ganz bestimmt auch helfen. „Dann setz dich kurz ins Wohnzimmer, ich habe eine Idee!", wies ich den Brünetten an, bevor ich ihm einen Kuss auf die Stirn drückte und mich daran machte ein Kehrblech zu besorgen, um die Glasscherben entsorgen zu können. Maurice sollte am Morgen nicht aus Versehen in einen der Scherben hineintreten und sich verletzen, weil er nicht wusste, dass Patrick eine Tasse heruntergefallen war und auch Michael sollte sich nicht verletzen, auch wenn er eigentlich immer Schuhe trug, wenn er hier war. Gelassen sammelte ich alles zusammen was ich nun brauchte, holte zwei Tassen und schüttete Milch in sie, um die Tassen für ein paar Sekunden in die Mikrowelle zu stellen und so zu erwärmen. Für gewöhnlich machte ich das in einem Topf, aber in diesem Moment war das hier die bessere Lösung und nachdem ich in beide Tassen auch noch ein wenig Honig gab, welchen ich gut verrührte, war das warme Getränk auch schon fertig. 

„So, das hier wird dich ganz bestimmt müde machen! Ich trinke so etwas immer, wenn ich von Zuhause weg bin und auch nicht schlafen kann...das ist warme Milch mit Honig, sowas trinkst du doch, oder?", fragte ich den Brünetten sanft, während ich mich neben ihn setzte und ihm die Tasse hinhielt, welche er sich mit großen Augen nahm. Noch immer liefen ihm Tränen die Wangen hinab, aber als er die Milch sah schlich sich ein dankbares Lächeln auf seine Lippen und er nickte leicht, bevor er glücklich einen kleinen Schluck nahm und sich ein wenig näher an mich lehnte. Scheinbar brauchte der Jüngere gerade einfach ein wenig Zuneigung und fühlte sich so nahe bei mir wohl, da ließ ich ihn ganz ruhig an meiner Seite lehnen, schmiegte vorsichtig meinen Kopf an den seinen, während auch ich meine Milch trank und allmählig ruhiger wurde. Still saßen wir beide da, ich sah immer wieder nach ob der Braunäugige sich auch wirklich wohlfühlte und sich beruhigte, was besser klappte als ich gedacht hatte. Schon bald atmete der Brünette ganz ruhig, stellte seine leere Tasse müde auf seinem Schoß ab und als ich schließlich ebenso fertig war mit trinken, da waren die Augen des siebzehnjährigen schon längst geschlossen und er war in seiner Traumwelt verschwunden. Niedlich sah es aus, wie der Kleinere sich neben mir wohlfühlte und es genoss gestreichelt zu werden, ganz zärtlich von mir berührt zu werden, was mich lächeln ließ. Es tat mir schon fast leid ihn nun wieder wecken zu müssen, doch hier unten konnte er nicht schlafen, sonst würde er nur Rückenschmerzen bekommen oder von meinen Kindern geweckt werden, das wollte ich ihm nicht antun. 

„Patrick, nicht hier schlafen, ja? Komm, du musst ins Bett, sonst tut dir morgen der Rücken weh und dann meckerst du mich an, weil ich dich hier habe schlafen lassen!", redete ich auf den Franzosen ein, dessen Augen sich nun blinzelnd öffneten und mich müde musterten, gar nicht mehr so richtig wahrzunehmen schienen wo er war. Unzufrieden zog Patrick eine Schnute, stand jedoch gähnend auf und rieb sich seine Augen, während ich unsere beiden Tassen in die Hand nahm, um sie in die Küche zu bringen. Auch ich hätte am liebsten einfach weiter dort sitzen bleiben wollen, die Wärme meines Freundes spüren wollen und mich meiner Müdigkeit hingeben wollen, doch stattdessen schaltete ich nun das Licht aus und machte mich auf nach oben, um mir meine Zähne putzen zu gehen. Patrick war schon längst verschwunden, ich hörte nichts mehr und lächelte bei dem Gedanken daran, wie er sich schutzsuchen an mich geschmiegt hatte, obwohl er keine zehn Minuten zuvor noch geweint hatte weil er dachte, ich wäre ihm für die kaputte Tasse böse. So langsam wuchs sein Vertrauen in mich, ich spürte es und merkte es, war einfach nur glücklich darüber ihn nun so weit bekommen zu haben, dass er meine Nähe widerstandlos akzeptierte. Keinen warnenden Blick warf er mir zu, nein, er selbst suchte die Nähe zu mir und ich würde ihm diese auch immer geben, egal wann er es brauchte. 

Mit einem leisen gähnen betrat ich schlussendlich mein Zimmer und blickte auf einen schüchtern wirkenden Patrick, welcher auf meinem Bett saß und mich flehend musterte. Nervös spielte er mit seinen Fingern. „Darf ich bei dir schlafen, Manu? Ich bleibe auch hier auf der Seite und störe dich nicht!", bat mich der Brünette, was mich liebevoll zu lächeln beginnen ließ. Genau das hatte ich schon erwartet, der Jüngere fand es schön bei mir zu nächtigen und hatte sich so sehr daran gewöhnt bei mir zu liegen, dass er nun Probleme hatte allein zu schlafen. Ich empfand ähnlich für ihn, hatte es ebenso genossen ihn bei mir liegen zu haben und mit ihm zu kuscheln, aber ob das tatsächlich so gut für ihn war konnte ich nicht sagen. Vielleicht würde er später starke Probleme haben allein zu schlafen, wenn ich ihm nun erlaubte bei mir zu schlafen und doch wollte ich ihn nun nicht abweisen, so süß wie er mich von unten musterte. „Klar, rutsch ein bisschen zur Seite!", erlaubte ich also, was die Augen des Kleinen dankbar leuchten ließ und noch während er unter meine Decke krabbelte, zog ich mir meinen Pullover aus, um mich neben den Brünetten legen zu können. Sofort schmiegte er sich an mich, kuschelte mit mir und ich umschloss zärtlich seinen Oberkörper, um ihn ein wenig zu wärmen. Dankbar wurde ich für meine Tat auf die Wange geküsst, wodurch ich erschrocken meine Augen aufriss und mich leicht versteifte. Patrick hatte meine Küsse noch nie erwidert, er ließ mich ohne sich zu beschweren tun was ich wollte, zuckte nicht einmal zurück oder boxte mich für meine Liebe, die ich ihm gab und nun tat er es mir gleich, was mich glücklich machte. Der Jüngere brauchte meine Liebe und Zuneigung dringend, gewöhnte sich schnell daran und ich würde ihm noch viel öfter zeigen, dass er nun sicher war, das schwor ich mir. 

„Bonne nuit, Manu!", murmelte Patrick leise, bevor er sich klein machte und still wurde, während ich zu lächeln begann. Ich hatte mich nie wirklich viel mit anderen Sprachen als deutsch und englisch beschäftigt, aber weil ich hier einen gebürtigen Franzosen neben mir liegen hatte, dachte ich mir, dass es nicht schaden konnte mich etwas mit französisch zu besprechen und siehe da, ich verstand ihn halbwegs. Wenn ich mich recht erinnerte, dann bedeutete das, was er gerade gesagt hatte gute Nacht und ich war irgendwie stolz darauf mich so weit gebildet zu haben, konnte das ganze aber trotzdem nicht so recht aussprechen. Der Braunäugige würde mich auslachen, wenn er meine Aussprache hören würde, da war ich mir sicher und deswegen würde ich erst einmal nichts weiter auf französisch zu ihm sagen, bis ich die Sprache ein wenig gelernt hatte. „Ich hab dich auch lieb, Patrick...", flüsterte ich, was den Kleinen dazu brachte verwundert seine Augen zu öffnen und mich zu mustern. Er wusste nicht wie viel ich tatsächlich von dem verstand, was er sagte und es schien ihm ein wenig unangenehm zu sein, dass ich so etwas sagte, aber vielleicht lernte er daraus und erklärte mir nun immer was er da sagte, so lernte ich auch seine Sprache sicher schnell. Das würde ihn sicher freuen, denn die ganze Zeit deutsch sprechen zu müssen, weil keiner hier eine andere Sprache verstand, war sicher auch nicht so schön für den Kleinen. „Das heißt gute Nacht, Manu!", korrigierte er meinen Fehler, aber was ich danach sagte nahm ihm wohl endgültig den Wind aus den Segeln. Fröhlich und sanft glänzten seine Augen nun, als ich ihn auf die Stirn küsste. 

„Ich weiß, Patrick! Ich hab dich trotzdem lieb!"

~2210 Worte, geschrieben am 11.04.2021, hochgeladen am 29.04.2021

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