22. Papa
Lächelnd betrachtete ich die schlafende Malu auf meiner Brust und strich ihr zärtlich durch das lange Haar, während ich mit ihr vor dem Fenster stand und sah, dass die Sonne hell am Himmel schien und mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Michael war vor einigen Minuten einfach gegangen, warum genau hatte er nicht gesagt, jedoch übergab er mir ohne zu zögern Manuels Tochter und bat mich darum auf sie aufzupassen. Sofort hatte ich die Kleine auf den Arm genommen und ihr leise etwas erzählt, was sie ganz schnell hatte müde werden lassen und zum einschlafen gebracht, so sah ich sie wirklich gerne. Sie konnte noch nicht so wirklich sprechen und brauchte eine Menge Liebe, welche ich ihr sehr gerne geben würde, wenn Manuel es für gut hielt. Er sah das erste Mal nicht begeistert darüber aus, dass ich seine Tochter im Arm hielt und ich glaubte, er wollte einfach nur nicht, dass ich sie aus Unachtsamkeit verletzte oder fallen ließ, aber da ich schon einige Zeit hier war, würde der Ältere sicher ein wenig mehr Vertrauen in mich gefasst haben und es nicht ganz so schlimm finden wie vor ein paar Tagen noch.
„Hey, hat dich meine Prinzessin schon wieder in Gewahrsam genommen?", fragte irgendwann Manuel leise, was mich dazu brachte erschrocken in seine Richtung zu gucken und zu lächeln. Sanft sah er mich an und stellte sich seitlich hinter mich, sodass ich mich ihm nicht zuwenden musste, wenn ich nicht wollte. Ganz vorsichtig begann auch er seiner Tochter durch das Haar zu fahren und schmunzelte belustigt, als sie blinzelnd die Augen aufmachte. „Kann man so sagen! Ich hab ihr ein bisschen was von meinem Tag erzählt und dann ist sie eingeschlafen...bist du schon fertig mit deinem Bruder?", fragte ich leise, was den Größeren zum grinsen brachte. Liebevoll hauchte er seinem Kind einen Kuss auf die Stirn und legte mir seinen Arm um die Hüfte, um mich in Richtung Couch zu ziehen. Ohne mich zu wehren ließ ich mich mitziehen, setzte mich und ließ mir Malu abnehmen, um das Tablet in die Hand gedrückt zu bekommen. „Ja, du hast echt ein Talent was das angeht Leute zum einschlafen zu bringen! Mein Bruder musste kurzfristig los zu seiner Frau, weil sie sich beim Sport verletzt hat und nicht auf meinen Neffen aufpassen kann, also bin ich schon früher hier und du kannst anfangen dir ein paar Klamotten zu bestellen! Einfach alles in den Warenkorb packen, dann bezahle ich nachher und wenn wir Glück haben kommt das Zeug noch an, bevor wir an Weihnachten weg sind...", erklärte Manuel mir, während er sich direkt neben mich setzte und seiner Tochter einmal leicht auf die Nase stupste, um sie zum kichern zu bringen. Erfreut tatschte sie ihrem Vater nun auch ins Gesicht und wurde daraufhin sanft angepustet, was sie schlussendlich zurückzucken ließ. Verwundert begann ich nach meinen Klamotten zu suchen, welche ich auch sonst gerne trug.
„Wo fahrt ihr denn hin?", fragte ich interessiert, während ich eine Seite aufrief und guckte, was gerade so im Angebot war und was mir gefiel. Der Brünette hatte mir kein Preislimit mitgeteilt, welches ich nicht überschreiten durfte und so würde ich wohl einfach alles was mir gefiel in den Warenkorb tun und am Ende ausmisten, sodass wir auf einen Preis kamen, den er in Ordnung fand. Ich wollte nicht zu viel für mich ausgeben lassen, was ich nicht so schnell zurückzahlen konnte und wollte dem Größeren auch nicht zu sehr auf der Tasche liegen, schließlich war es schon großzügig genug von ihm mich hier aufzunehmen. Es stand mir nicht zu sein Geld auszugeben, für das er hart gearbeitet hatte und sobald ich zur Schule ging, würde ich mir einen Nebenjob suchen gehen, dann konnte ich Manuel zurückzahlen was er für mich ausgab, zumindest ein bisschen etwas. „Wir fahren zu meiner Mutter nach Essen, so wie jedes Jahr! Du wirst sie lieben und mit Glück lernst du dann auch meinen Bruder kennen, aber er weiß nicht ob er kommen kann, deswegen stell dich erst Mal nur darauf ein meine Mutter kennenzulernen. Peter würde dich auch gerne kennenlernen, ich habe ihm eben schon davon erzählt wie du zu mir gekommen bist und er ist schon ganz gespannt darauf dich zu sehen!", erzählte mir Manuel, was mich schockiert die Augen aufreißen ließ. Ich sollte seine Mutter kennenlernen und seinen Bruder? Mit ihm nach Deutschland kommen, um Weihnachten zu feiern? Nein, Weihnachten war ein Fest der Familie und nichts wo auf einmal ein völlig fremder Junge auftauchen konnte, das ging nicht. Ich gehörte nicht in diese Familie, zumindest was unseren Familienstammbaum anbelangte und deshalb hatte ich auch nicht das Recht dazu einfach Weihnachten bei Manuels Mutter zu verbringen, erst recht, weil ich dieser Frau nicht einmal ein Geschenk machen konnte. Es gehörte sich nicht sich einfach irgendwo einzuladen und dann noch nicht Mal ein Geschenk mitzubringen an Weihnachten, damit würde ich mir nur unser erstes Treffen kaputt machen.
„Nein Manu, ich habe ja nicht Mal ein Geschenk für deine Mutter oder deinen Bruder! Außerdem gehöre ich nicht zur Familie, ich sollte lieber hier bleiben...", lehnte ich ab, was den Größeren verwundert seine Augenbraue hochziehen ließ, jedoch auch wesentlich sanfter lächeln ließ als vorher noch und mich verunsicherte. Der Grünäugige hatte mir gesagt, dass ich von nun an zu seiner Familie gehörte und doch war ich da eher unsicher, wollte vor allem seiner Mutter nicht zu nahe treten, da sie mich nicht kannte und kein schlechtes Bild von mir haben sollte. Wenn Manuel aus gutem Hause stammte so wie ich, dann war seine Mutter sicher sehr achtsam was ihn und auch sein Geld anging, das kannte ich von meinem Vater nur zu gut und da ich definitiv nicht günstig war, zudem auch noch eine einzige Last für den Grünäugigen, konnten die eigentlichen Feiertage schnell zu Streit führen und das durfte einfach nicht passieren. „Denkst du wirklich, dass es meine Mutter auch nur irgendwie interessiert, dass du ihr kein Geschenk mitbringst? Oder, dass du nicht wirklich offiziell zur Familie gehörst? Maurice kommt auch mit und der ist auch nicht blutsverwandt mit mir. Milo und Malu sind beide adoptiert und meine Mutter liebt beide genauso, als wären sie wirklich von mir! Du kannst also beruhigt mitkommen! Und wenn du dich wohlerfühlst, dann kannst du mit Malu etwas für meine Mutter als Geschenk basteln und ihr das dann geben, wenn wir da sind, da freut sie sich immer drüber...ich möchte dich auf jeden Fall mitnehmen und ihr vorstellen!", meinte Manuel mit sanftem Blick, was mich traurig den Bildschirm des Tablets mustern ließ. Es war doch zu erwarten, dass Manuel eine ihn über alles liebende Mutter hatte, welche ihn sicher bei allem möglichen Unterstützte und nicht einmal hinterfragte was er tat. Sie wirkte super lieb der Erzählung des Älteren nach, aber ich wusste nicht einmal wie man sich zu Weihnachten bei einer Familie richtig verhielt, schließlich verbrachte ich seit meinem fünften Lebensjahr jedes Weihnachten ganz allein und ohne Fest.
„Ich habe noch nie Weihnachten gefeiert, Manu...", gestand ich meinem neuen Aufpasser leise, was ihn mitleidig zu mir hinübergucken ließ. Hundertprozentig würde ich mich bei dieser Feier zum Affen machen, irgendetwas peinliches passierte mir immer und dann würde ich mich niemals wieder bei ihr blicken lassen können, dann würde ich Manuel blamieren. Er war reich, gutaussehend und kinderfreundlich, viel zu lieb für diese Welt, und ich würde ihn vor seiner Familie beschämen, das konnte ich doch nicht tun. Der Größere tat so viel für mich, er nahm mich hier auf und kümmerte sich um mich, verlangte nichts von mir dafür und ich würde einen Teller fallen lassen, welcher zusätzlich sicher der Lieblingsteller seiner Mutter war und dann würde auch Manuel enttäuscht von mir sein, das wollte ich nicht. Ganz vorsichtig lehnte er sich nun an mich und gab mir Liebe. „Dann wird das ein ganz besonderes Fest für dich, versprochen! Du wirst Weihnachten lieben, Patrick!", lächelte mein Beschützer mich an, während ich mich verunsichert an ihn lehnte und seinen Arm genoss, welcher sich schützen um meine Taille schlang. Der Grünäugige würde mich mit seinem Leben beschützen, oder zumindest gab er mir genau dieses Gefühl und ich mochte das, fühlte mich durch ihn das erste Mal in meinem Leben sicher. Vielleicht gab er mir auch nur den Mut mich einmal jemandem zu öffnen, er nahm mich schließlich an die Hand und sprach mir Mut zu so viel er konnte, oder so viel ich zuließ. „Erzähl mir bitte etwas davon wie du dort immer Weihnachten verbracht hast!"
Grinsend begann mein Freund zu sprechen. „Als Kind ist meine Mutter immer mit mir und meinen Brüdern zum Krippenspiel gegangen und danach in die Kirche, aber das war gar nicht meins! Sie ist nicht unbedingt gläubig, aber meine Großeltern waren das und irgendwie ist sie halt nie von dieser Tradition an Weihnachten zur Kirche zu gehen weggekommen...aber egal! Oft haben wir uns dann ins Wohnzimmer gesetzt und gegessen und danach gabs das beste an Weihnachten, die Geschenke! Ich weiß bis heute nicht wie der Weihnachtsmann es geschafft hat die Geschenke da unbemerkt unter den Baum zu legen und ich schätze, dass ich das wohl niemals herausfinden werde. Du brauchst aber keine Angst haben jetzt auch mit in die Kirche zu müssen oder so, Maurice bleibt dann auch immer einfach zuhause und kocht etwas schönes, da kannst du ihm dann helfen oder du guckst Fernseher, dir fällt ganz bestimmt was ein...als ich Milo aufgenommen habe, bin ich immer mit ihm ein wenig über den Weihnachtsmarkt spazieren gewesen und habe Schmalzgebäck gegessen, aber das habe ich auch schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gemacht. Für mich war Weihnachten immer die beste Zeit im Jahr...", erzählte Manuel, jedoch wurde er zum Schluss hin immer ruhiger und ich wusste, dass da irgendwann Mal etwas passiert sein musste, was seine Meinung zu Weihnachten ins negative verändert hatte. Ob es etwas mit seinem Vater zu tun hatte? Diesen hatte der Grünäugige bisher noch kein einziges Mal erwähnt, so als würde er gar nicht mehr existieren und ich verstand, suchte weiter nach Klamotten, welche auch nicht zu teuer waren, jedoch meinen Wünschen entsprachen. Ich hatte auch kurz vor Weihnachten meine Mutter verloren, seitdem war nichts mehr so schön wie es einst war und besonders zu dieser Zeit holte einen das geschehene immer wieder ein, da würde ich den Älteren nicht noch mehr traurig machen, weil ich wissen wollte was er hatte.
„Als meine Mutter noch gelebt hat haben wir immer zu Weihnachten einen Kuchen gegessen, den Bûche de Noël, ich weiß nicht ob dir das etwas sagt! Es ist auch tatsächlich das einzige was ich immer sehr gerne mochte, weil ich es mochte diesen Kuchen mit meiner Mutter zusammen zu backen. Leider kann ich einfach nicht backen, sonst hätte ich den Kuchen zu Weihnachten gemacht...", seufzte ich niedergeschlagen, während ich mich schutzsuchend an ihn lehnte und sofort wahrnahm wie er seine Aufmerksamkeit mir schenkte, wieder im hier und jetzt ankam. Ganz nebenbei ließ er seine Tochter auf dem Boden stehen, sodass sie, natürlich immer in Beobachtung ihres Vaters, im Raum herumtapsen konnte, um ein Spielzeug zu suchen, welches sie in diesem Moment haben wollte. Auch ich war ihr einen achtsamen Blick zu, schließlich wollte ich nicht, dass sie sich aus Versehen irgendwie verletzte. „Das ist doch dieser Kuchen der aussieht wie ein Baumstamm, oder? Den wollte ich auch schon immer Mal probieren, aber vielleicht kannst du ihn ja nächstes Jahr für uns machen, dann hast du bestimmt genug Übung und machst das mit links!", lächelte der Brünette wieder, was mich überlegen ließ. Gerne würde ich ihm diese Tradition ein wenig näher bringen und ihm zeigen, dass ich auch etwas konnte, aber ich wusste nicht einmal das Rezept für diesen Kuchen oder wie man ihn machte, ich musste erst einmal etwas geeignetes heraussuchen. Sicher würde ich mit ein wenig mehr Übung etwas hinbekommen, aber ob dieser Kuchen schmeckte oder nicht, das war eher fragwürdig. Ich musste einfach nur hoffen, dass Maurice mir seine geliebte Küche abends anvertraute und mich versuchen ließ zu backen, dann hatte ich zumindest irgendetwas, was ich meinem neuen Freund schenken konnte.
Für einen kurzen Moment herrschte eine angenehme Stille, ich suchte fleißig weiter nach ein paar Hoodies, so wie ich sie eigentlich ganz gerne trug, bis ich die kleine Malu vor mir stehen sah, welche mir ein kleines blaues Spielzeugauto hinhielt. Erfreut wollte sie es mir scheinbar überreichen, während sie leise vor sich her brabbelte und mich liebevoll lächeln ließ. Langsam schien sie das Sprechen zu erlernen, ihre Worte hörten sich fast schon nach dem Wort Papa an und ich verstand, vermutete nur unschwer, dass die Kleine meinen Namen auszusprechen versuchte und einfach noch nicht bereit dazu war. „Na das ist ja ein schönes Auto was du da hast! Magst du das deinem Papa geben, ja?", fragte ich das Mädchen lieb, während ich das Tablet zur Seite legte und sie hochhob, um sie wieder auf den Schoß ihres Vaters zu setzen. Glucksend hielt die Blonde jedoch weiterhin mir das Spielzeug hin, statt ihrem Vater auch nur einen Blick zu schenken. „Guck Mal, Malu! Das ist der Patrick, nicht der Papa, ja?", versuchte Manuel seiner Tochter beizubringen wie mein Name lautete, aber die Blauäugige brabbelte einfach weiter und fiepste belustigt, was den Millionär entschuldigend zu mir gucken ließ. Ich lehnte mich einfach weiterhin an den Brünetten heran, ließ sein Kind zu mir hinüber krabbeln und piekte ihr schlussendlich sanft in den Bauch, was sie zum lachen brachte. Milo und Malu unterschieden sich wie die Sonne und der Mond, die eine vergötterte mich praktisch, hatte mich innerhalb einer Woche als ihren Papa akzeptiert und der andere hasste mich, obwohl ich einfach nur existierte. „Ich glaub, ich habe gerade inoffiziell dein Kind adoptiert!"
Grinsend begann nun auch Manuel seine Tochter zu kitzeln, wirkte viel erleichterter und glücklicher als zuvor. „Jap, ich denke auch! Du bist bestimmt ein toller Papa, Patrick!"
~2300 Worte, geschrieben am 07.04.2021, hochgeladen am 22.04.2021
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