16. Betrunken

Müde sah Manuel aus, als wir zurück zu seiner Villa fuhren. Maurice hatte sich unglaublich fürsorglich um uns alle gekümmert, er versorgte geübt den Verletzten in unserer Runde, wärmte uns ein paar Pommes auf, als wir Zuhause ankamen und badete Malu und Milo, während ich stumm mit Manuel auf der Couch saß und ihn sich an mich lehnen ließ, so wie auf der Bank. Ich machte mir unglaublich große Sorgen um den Grünäugigen und mir war klar, dass sich das nicht gehörte, besonders da wir uns kaum kannten, doch so lange wie der Größere noch neben der Spur war würde ich ihn nicht einfach so allein lassen. Sicher hielt ich ihn in meinem Arm, fühlte mich irgendwie dazu verpflichtet auf ihn aufzupassen und da er sogar leicht lächelte, als ich ihm erlaubte sich auf der Couch hinzulegen, um seinen Kopf auf meinem Schoß zu betten, da wusste ich, dass er sich bei mir tatsächlich wohlfühlte. Trotz dessen, dass ich Berührungen nicht leiden konnte, ließ ich den Größeren näherkommen und kuscheln. Schon seit einigen Minuten lag der Brünette schlafend auf der Couch, während ich ihm nebenbei zärtlich durch das Haar strich und eines der Bücher las, welche mir der Millionär gebracht hatte. Da dem Älteren nicht kalt werden sollte, hatte ich ihm vorsichtig eine Decke über den Körper gelegt und wartete nun darauf, dass er wieder aufwachte, damit ich schlafen gehen konnte. Es fühlte sich merkwürdig angenehm an jemanden zu haben, um den ich mich kümmern konnte. 

Erst nachdem Maurice sich für den heutigen Tag verabschiedet hatte, vernahm ich ein lautes Poltern und sah erschrocken von dem Buch auf, um zu lauschen. Noch immer bewegte sich mein Schützling keinen Zentimeter, schlummerte ruhig weiter und da das unmöglich Maurice gewesen sein konnte, er war schon vor einigen Minuten verschwunden, seufzte ich leise, um das Buch wegzulegen, Manuels Kopf leicht anzuheben und aufzustehen, sodass der Grünäugige auf keinen Fall aufwachte. Einen letzten Blick warf ich ihm zu, ehe ich mich auf den Weg in Richtung Eingang machte und einen Mann entdeckte, der mir gar nicht gefiel. Michael stand da, versuchte sich die Jacke auszuziehen, dabei schwankte er merklich und sofort wusste ich, er musste etwas getrunken haben. Ich wusste nicht recht zu handeln, denn so sehr wie er mich hasste, würde er definitiv nicht zögern mich zu schlagen oder anzuschreien, wenn er merkte, dass ich da war. Das durfte auf keinen Fall geschehen, sonst würde Manuel aufwachen und das wollte ich nicht, er brauchte seine Ruhe, um wieder gesund zu werden und sich von diesem Sturz zu erholen. Leise beobachtete ich ihn dabei, wie er sich seine Wintersachen auszog und schlussendlich zu Boden stolperte, als er sich zu mir umdrehte, weswegen ich nun doch aus meinem Versteck heraustrat. „Michael, alles in Ordnung?", fragte ich den Älteren, dessen Augen plötzlich ganz groß wurden und als er mich tatsächlich trüb musterte, mit einer unbändigen Wut in seinem Blick, da wusste ich, ich hätte ihn nicht ansprechen sollen. Unsicher wich ich ein paar Schritte zurück und beobachtete den Größeren dabei, wie er sich wieder aufrichtete und auf mich zu torkelte. „Wegen dir will Maurice mich nicht mehr bei sich haben!", rief der Grauäugige wütend und obwohl ich wusste, dass ich ihn so nur noch mehr provozieren würde, blieb ich ohne zu zucken stehen und stellte mich dem Brünetten. Ich hatte noch nicht oft das Vergnügen mich um einen besoffenen Menschen kümmern zu dürfen, eigentlich noch nie und deswegen musste ich mich nun allein auf das Wissen berufen, welches ich mir irgendwann einmal aus Langeweile angeeignet hatte. 

„Michael, nicht so laut! Du weckst noch Manuel auf, wenn du weiter so rumbrüllst...", meinte ich ruhig, aber der Brünette hielt wie erwartet nichts von meinen Worten und kam mir näher. Aggressiv baute er sich vor mir auf, starrte wütend auf mich nieder und obwohl ich Angst haben sollte, schließlich wusste ich, dass der Butler nicht zögern würde mich zu schlagen, tat ich nichts. Ich wollte ihn nicht in seinem Zustand schlagen, er zitterte und fror, konnte sich kaum auf den Beinen halten und auch, wenn ich selbst verletzt werden würde, so würde ich mich nun nicht gegen den Größeren wehren. So lange er nicht bei vollem Bewusstsein war könnte ich niemals ohne schlechtes Gewissen einen geschwächten Mann schlagen, auch wenn er mich nicht mochte. „Ach komm, was kümmert dich schon Manuel! Du hasst ihn doch sowieso!", wetterte der Grauäugige weiter und das tat nun tatsächlich irgendwie im Herzen weh, denn der Wahrheit entsprechen tat das nicht, zumindest nicht mehr. Ich empfand die Anwesenheit des Millionärs als beruhigend, wenn ich an den heutigen Tag zurückdachte und so langsam gewöhnte ich mich sogar an den Gedanken hier zu sein, bei dem Familienvater und auch bei Maurice, ich fühlte mich beinahe schon wohler hier als bei meinem Vater, doch das war auch nicht schwer. Von Anfang an meinte ich, dass ich Manuel hasste und nicht bei ihm sein wollte, aber je länger ich tatsächlich hier war, desto wohler fühlte ich mich und es war falsch, denn so würde ich es nur schwerer haben wieder zu gehen, wenn es nicht sogar schon zu spät war. „Bitte, ich weiß, dass du mich hasst und ich verstehe das auch, aber du musst wirklich leise sein, Manuel braucht diese Ruhe wirklich...", sagte ich leise, doch das brachte den Butler nur dazu wütend zu knurren. 

Bevor ich weiter nachdenken konnte sah ich auch schon wie Michael seine rechte Hand zur Faust ballte, sie erhob und mich direkt ins Gesicht schlagen wollte, doch kam er nicht dazu. Ängstlich zuckte ich weg und wollte ausweichen, stieß jedoch im gleichen Moment gegen eine starke Brust und bekam einen Arm um die Taille geschlungen, was mich erschrocken meinen Kopf in die Richtung der Person drehen ließ, welche mich so eben vor Schmerzen beschützt hatte. Manuel stand da, hielt Michaels Faust fest und warf mir einen aufmerksamen Blick zu, welchen ich nur erwidern konnte. Sicher hielt er mich und wirkte kein bisschen mehr so schwach wie vorhin noch, seine Augen verfolgten starr die meines Angreifers und ich wusste nicht wieso, doch obwohl ich selbst stark sein wollte, lehnte ich mich nun doch schutzsuchend an den Grünäugigen heran und fühlte mich direkt sicherer. „Wag es dir ihn auch nur anzufassen und du bist gefeuert, Michael, hast du das verstanden?", knurrte Manuel leise und sofort zog der Butler seine Hand zurück, senkte den Blick und machte sich klein, zeigte Schwäche. Selbst wenn der Brünette betrunken war wie sonst was, gerade eben noch mich verprügeln wollte, wagte er es nicht sich seinem Herrn zu widersetzen und das zeigte nur seine Loyalität gegenüber dem Millionär. Wenn er sich morgen dazu in der Lage fühlte aufzustehen, dann würde ich mich definitiv einmal mit ihm unterhalten und ihn fragen was genau sein Problem mit mir war, um es aus der Welt zu schaffen. „Aber Sir, ich wollte doch nur...", wollte sich der Ältere rechtfertigen, aber das ließ mein Beschützer gar nicht erst zu. „Du wolltest ihn schlagen, nichts anderes! Wenn du jetzt noch weiter diskutierst brauchst du gar nicht mehr hier aufzutauchen. Und jetzt los, geh schlafen und sei still, bevor du noch irgendjemanden weckst!"

Schniefend nickte Michael und ging wortlos an uns vorbei, begann auf halbem Wege zu schluchzen und ich fühlte mich so schuldig wie noch nie, schließlich war das alles meine schuld. Mitleidig sah ich dem völlig fertigen Butler hinterher, sah zu, wie er wegtaumelte und hinter einer Wand verschwand. Erst dann wandte ich Manuel meinen Blick zu und bekam zärtlich eine Hand auf die Wange gelegt, wurde neugierig betrachtet. „Alles gut, Patrick? Hat er dir wehgetan oder war ich rechtzeitig da?", fragte mich der Grünäugige sofort und augenblicklich konnte ich nicht mehr anders, drehte mich um und lehnte schutzsuchend meinen Kopf an seine Brust. Ohne auf sich zu achten war er mir nachgekommen, nahm mich in Schutz und fragte nun als aller erstes nach meinem Wohlergehen, obwohl es ihm deutlich schlechter ging als mir. Er war es der vorhin auf den Kopf gefallen war, nicht ich und doch stand er nun stark hier, hielt mich schützend und kümmerte sich um mich, das sollte andersherum sein. Ich wollte auf ihn acht geben und nicht er auf mich, ich hatte wieder einmal versagt. „Ja, es ist alles gut. Und bei dir? Wie fühlst du dich?", stellte ich ihm eine Gegenfrage und nun schlich sich ein sanftes Lächeln auf die Lippen meines gegenüber, er musterte mich lieb. Vorhin noch sah er so schwach aus, ganz blass und müde, als wäre er zu nichts mehr im Stande und nun war er es der stärker schien, als ginge es ihm wieder gut. „Ich bin nur müde, aber ansonsten hast du dich wunderbar um mich gekümmert, Danke!"

Mein Herz schlug höher bei den Worten des Älteren. Er schien wirklich gesünder als vorhin und doch war er noch müde, dabei hatte er seit dem Vorfall fast nur geschlafen, er lehnte schon während der Fahrt nach Hause an meiner Schulter und wollte meine Seite gar nicht mehr wirklich verlassen und das merkte ich auch in diesem Moment noch sehr, so wie er mich an sich drückte. Michael war schon längst weg, es ging keine Gefahr mehr von ihm aus und doch hielt es der Millionär noch für nötig mich zu umschließen, schützend zu halten und mir seine Nähe zu geben. Und so ungern ich es auch zugeben wollte, ich fühlte mich verdammt wohl dabei von ihm gehalten zu werden. „Dann gehen wir jetzt ins Bett, komm! Ich werde bei dir schlafen, weil du dich seit deinem Sturz vorhin komisch verhältst und ich bin immer noch der Meinung, dass du zum Arzt hättest gehen sollen, aber wenn du nicht willst, dann musst du halt damit leben! Los, beweg dich!", meinte ich nun wieder etwas sicherer, da ich nicht mehr so schwach wirken wollte und als ich mich löste um in das Schlafzimmer des Größeren gehen zu können, da schlich sich ein grinsen auf seine Lippen, welches mich wieder stoppen ließ. Warum nur freute sich der Ältere, weil ich ihm sagte, dass ich bei ihm schlafen würde? Gestern war er doch auch bei mir geblieben, weil er sich Sorgen um mich gemacht hatte und nun war es komisch, weil ich dieses Mal derjenige war, welcher bei ihm blieb? Ich fühlte mich angegriffen, auch wenn er es mit Sicherheit nicht einmal böse meinte. „Ach, schlaf doch allein, mir doch egal!"

Beleidigt ging ich einfach ohne ihn in Richtung unserer Zimmer, wütend auf mich selbst, weil ich merkte wie ich dem Brünetten langsam näherkam und ihn akzeptierte, ja, mir Sorgen um ihn machte. Manuel verwirrte mich, zog mich auf eine gewisse Art und Weise an, doch das musste unbedingt aufhören, sonst würde ich doch nie mehr wieder gehen können und das war es was ich von Anfang an wollte, von hier weg. So gut es mir hier auch ging, bei dem Millionär würde ich niemals das machen können was ich wollte und Geld verdienen wäre auch schwer, schließlich wollte ich doch irgendetwas mit Sprachen machen, ich könnte ein sehr guter Dolmetscher werden, aber dafür musste ich studieren und irgendwie an Geld kommen. Ohne meinen Vater welcher alles bezahlte war mein Leben tausend Mal schwerer, doch zurückgehen zu ihm würde ich deswegen noch lange nicht, da lebte ich lieber auf der Straße. Ich hatte kein Geld und müsste erst einmal eine Unterkunft finden, was schwer werden würde, schließlich ließ mein Vater sicher nach mir suchen und ich hatte nur meinen Personalausweis, kein Geld oder sonst etwas. Vielleicht wäre es ja doch besser erst einmal hier zu bleiben, bis es wieder wärmer wurde, aber ob Manuel das zuließ war eine andere Frage. Ich lief einfach nach oben und zuckte erst ganz oben erschrocken zusammen, als sich zwei Armem um meinen Bauch schlangen. Verwundert musterte ich den Besitzer dieser Villa und drehte mich zu ihm, um in die schimmernden Augen des Älteren zu sehen. 

„Ich meinte das nicht böse, Patrick. Du hast nur endlich wieder so stark gewirkt wie sonst immer und das hat mich eben glücklich gemacht! Bitte, ich würde gerne bei dir schlafen, wenn du das noch willst! Ich störe dich auch nicht und bin ruhig!", erklärte mir der Brünette mit großen, flehenden Augen und das verwunderte mich nun sehr, ließ mein Herz noch einmal höher schlagen. War das der Grund wieso er sich bei mir so wohlfühlte, er musste nicht selbst den starken spielen und konnte sich fallen lassen? In seiner Firma war er der Chef, hier zu Hause befehligte er Michael und Maurice, doch bei mir war das ganz anders, ich stand in keinerlei Verbindung zu ihm und so konnte er sich von mir führen lassen, musste nichts tun als das. Er wollte, dass es mir gut ging und dass ich mich gut fühlte, es machte ihn glücklich zu sehen, wenn ich mich gut fühlte und er wollte bei mir sein, obwohl ich ihm nichts zu bieten hatte. Der Größere fühlte sich als erster Mensch überhaupt wirklich wohl in meiner Nähe und war mir dankbar dafür, dass ich ihn umsorgte, und das obwohl ich ihn ständig von mir wegstieß. „Komm schon mit!", gab ich schließlich nach und sofort wurde ich dankbar gedrückt, merkte, dass ich ihm damit wirklich etwas gutes tat. Ständig war er so allein, er brauchte bestimmt nur einmal jemanden der mit ihm kuschelte und so konnte auch ich mich in diesen Haushalt etwas einbringen, auch wenn es nichts war, was jedem etwas nützte. Ich selbst war kein Freund von Berührungen, aber so süß wie Manuel in diesem Moment wirkte, er sah mich dankbar an und nahm mich an die Hand, um mit mir in Richtung Schlafzimmer zu laufen, da machte ich doch mal eine einzige Ausnahme, vielleicht als kleines Danke dafür, dass er mich vor Michael beschützt hatte. 

Verwirrt musterte ich den Grünäugigen dabei, wie er sich seinen Hoodie auszog und sich einfach unter meine Decke legte, ganz ohne sich seine Socken auszuziehen. Ich wusste nicht, ob ich der komische von uns beiden war oder er, denn eigentlich schlief man doch immer ohne Socken, aber wenn dem Älteren das ganze so lieber war, dann sollte er eben so schlafen. „Schläft man hier in England immer mit Socken?", fragte ich den Millionär schließlich doch, als ich mir die meinen Socken gerade auszog und sofort wurde ich komisch von der Seite angeguckt, was mich jedoch nicht störte. Vielleicht war das ganze ja ein Brauch oder einfach normal in England, denn mir wurde immer gesagt, dass es gesünder wäre ohne Socken einzuschlafen, aber wenn es tatsächlich einen guten Grund dafür gab, dass der Brünette einfach mit schlief, dann war das für mich interessant. Es war immer gut fremde Bräuche zu kennen und sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, man konnte so viel von anderen Menschen lernen, es war oft einfach unglaublich. „Ne, ich schlafe nur gerne mit Socken, weil mir sonst kalt ist!", antwortete der Grünäugige, was mich belustigte. Müde schlossen sich seine Augen, während ich mich neben ihn unter die Decke legte und das Licht ausschaltete, sodass wir bald einschlafen würden. „Du bist komisch, Manuel!", meinte ich, als ich ein wenig zu ihm hin rückte und ihn von hinten umarmte, weil sich das irgendwie angenehm anfühlte. Leise hörte ich den Älteren schnauben, jedoch beschwerte er sich kein bisschen und begann sanft zu lächeln, was mich beruhigte. Er fühlte sich also tatsächlich wohl in meinen Armen. „Du auch, Patrick...", murmelte Manuel. 

„Aber ich mag dich trotzdem!"

~2560 Worte, geschrieben am 28.03.2021, hochgeladen am 30.03.2021

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