11. Wut

Einen ganzen Tag hatte ich Patrick nun komplett in Ruhe gelassen, war nicht in sein Zimmer gegangen oder dem Brünetten nahegekommen, einfach aus dem Grund, dass er merklich Zeit zum verarbeiten dessen brauchte, was er gesehen und gelernt hatte. Auch in seiner zweiten Nacht hier konnte er nicht wirklich ruhig schlafen, ich hatte ihn leise weinen gehört und war betrübt über die Tatsache, dass er nun noch nicht einmal mehr Maurice an sich heranließ. Der Blonde hatte ihm bereitwillig sein Essen gemacht, es ihm sogar auf sein Zimmer bringen wollen und doch wies unser Gast ihn sofort ab, verlangte, dass der Koch das Essen vor die Tür stellte und ging, ihn in Ruhe ließ. Nachdem ich ihm in sein Bett gelegt hatte, als er in meiner kleinen privaten Bücherei umgekippt war, hatte ich ihm eine kleine Auswahl an Büchern in sein Zimmer gebracht und ihm eine kleine Notiz hinterlassen auf der stand, dass er gerne nach mehr fragen durfte, wenn er fertig mit dem durchlesen war und noch Lust hatte etwas zu lesen, meine Tür stand immer für ihn offen. Natürlich konnte er nicht innerhalb eines einzigen Tages mit sechs Romanen durch sein, welche alle auch noch in verschiedenen Sprachen waren und von denen ich nicht einmal wusste ob er sie verstand, schließlich wusste ich bloß, dass er Spanisch, Deutsch, Italientisch und Französisch sprechen konnte, doch da keine Beschwerden erklangen ging ich davon aus, dass der Brünette mit meiner Auswahl ganz zufrieden war.

Als mir das leise Schluchzen meines Gastes jedoch in der dritten Nacht so sehr den Schlaf raubte, dass ich es nicht mehr aushielt, schälte ich mich aus meiner Decke und verließ mein Schlafzimmer, nur um ein paar Schritte weiter nach links zu gehen, wo ich vor einer dunklen Holztür stehenblieb und kurz lauschte. Die Tür dämpfte es, doch war von innen ganz klar das leise, herzzerreißende Weinen meines Besuchers zu vernehmen, welches mich schnell dazu brachte vorsichtig anzuklopfen und auf eine Zustimmung zu warten, dass ich eintreten durfte. Stattdessen jedoch verstummten die Geräusche aus dem Raum komplett, kein Schluchzen, Schreien oder Wimmern war mehr zu vernehmen, was mich wieder einmal zum seufzen brachte. Ich fand es wirklich interessant wie sehr ein einziger Mensch solch eine Angst vor einem anderen Menschen bekommen konnte, nur weil er ein einziges Bild gesehen hatte, was ihn verstört hatte. Es war ein einziger Fehler meinerseits, welcher das so schon geringe Vertrauen des Franzosen zu mir komplett vernichtet hatte und nun musste ich alles daran setzten einen Weg zu finden wie ich ihn davon überzeugen konnte, dass ich nicht so war wie er von mir dachte. Mit ein wenig Glück würde ich den Jüngeren irgendwann noch einmal sehen und konnte ihn doch noch davon überzeugen, dass man mit mir sogar unter Umständen ein wenig lachen konnte, wenn man sich auf meinen Humor einließ. Ich hatte nicht viele Freunde mit denen ich Späße machen konnte, deswegen war ich über jede Person sehr dankbar, welche mich akzeptierte und mich vielleicht sogar Mal auf einem meiner Anwesen besuchen kam, doch da ich wusste wie schwer das für eine Person wie Patrick war, welche sich selbst erst einmal davon überzeugen musste, dass sein Gegenüber ihm wohlgesonnen war, würde ich wohl auch nach seinem Abgang von hier nicht mehr mit ihm rechnen können.

„Ich komme rein, Patrick...", warnte ich, bevor ich langsam und vorsichtig den Türgriff nach unten drückte und das Hindernis vor meinen Augen von mir wegdrückte, sodass ich in den hell erleuchteten Raum hineinsehen konnte. Kein Geräusch war zu vernehmen, kein Schluchzen oder Schniefen, nur ein blendendes Licht und sofort sah ich in dessen Richtung, da ich dort meinen Gast vermutete. Unzufrieden kniff ich die Augen zusammen, weil ich die Helligkeit nicht gewöhnt war und brauchte erst einmal einen kleinen Moment, bis ich mich daran gewöhnte und wieder klarer erkennen konnte was vor meinen Augen geschah. Nur unschwer war zu erkennen, dass es Patrick mental und physisch sehr schlecht ging. Tiefe, dunkle Augenringe waren das erste was mir auffiel, als ich in die Richtung meines Schützlings blickte. Verunsichert wurde ich gemustert und sofort wusste ich, dass dieser Junge sich nun erst einmal nicht mehr beruhigen würde, sondern unruhig in meiner Gegenwart verweilen würde. Der Kleine war blass und unsicher, traute sich nicht einmal mehr sich zu regen, was mich schnell zu dem Entschluss kommen ließ, dass ich nun mit dem Jungen über dieses Bild sprechen musste, ob er wollte oder nicht, ob ich wollte oder nicht. Mit einem der Romane saß der Brünette auf einem Sessel, im Schneidersitz saß er da und eine Decke hatte er sich um die Schultern gelegt, was ihn verdammt kindlich wirken ließ. Nur die blanke Panik in seinen Augen machte dieses Bild seinerseits kaputt, zeigte mir, dass ein Gespräch wirklich nötig war und doch war es mir noch ein Rätsel wie ich ihm verständlich machen sollte, dass er sich nicht vor irgendjemandem hier zu fürchten brauchte, so wie er es im Moment gerade noch tat. Er hatte nur noch ein paar Tage hier zu verbringen, da wäre ich glücklich, wenn er zumindest diese Zeit noch ein wenig genießen könnte und mit einem Bild von mir hier herausging, welches ich gutheißen konnte. Zumindest für einen Mörder sollte er mich nicht halten, mehr war gar nicht nötig.

„Willst du nicht schlafen? Du siehst müde aus...", fragte ich den Braunäugigen sanft, während ich die Tür leise schloss und mich auf die Kante seines Bettes setzte, um zu zeigen, dass ich ihm nicht näher kommen würde als nötig. Ohne seinen Blick von mir abzuwenden saß er weiterhin auf dem Sessel, schien ganz und gar nicht fröhlich über meine Anwesenheit zu sein, doch das störte mich nicht wirklich. Meine Aufgabe war es nun den Kleinen wieder glücklich zu machen, zumindest dafür zu sorgen, dass er seinen verlorenen Schlaf nachholte, wenn er sich schon nicht darauf einließ hier zur Ruhe zu kommen. Ich vermisste es in seine freudigen, großen und wunderschön glitzernden Augen sehen zu können, welche er noch auf der Bühne beim Verkauf präsentiert hatte und doch wusste ich, sollte kein Wunder geschehen würde ich das nicht mehr erleben. Bis er mich verließ würde ich nun nur noch seinen kalten, ängstlichen Blick sehen und das wollte ich nicht, denn obwohl ich es sicher nicht sollte, begann ich mich zu fragen ob der Jüngere tatsächlich schon einmal etwas erlebt hatte, was ihm das Vertrauen in seine Mitmenschen genommen hatte. Er hatte Angst und hasste es hier, daran würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch nichts ändern lassen, doch da er es bei seinem Vater ebenso zu hassen schien, sonst wäre er gar nicht erst auf die Idee gekommen sich selbst zu verkaufen, hatte er nicht mehr viele Orte wo er einen Unterschlupf finden würde. Archie würde ihn mit Sicherheit aufnehmen, den Platz für ihn hatte er und doch stellte ich mir die Frage ob der Brünette tatsächlich bei der Person bleiben wollte, die ihn offensichtlich so behandelte, wie er es brauchte. Mein bester Freund hatte nichts schlechtes dabei im Sinn, als er Patrick auf diese Bühne gelassen hatte und doch könnte es dem Siebzehnjährigen so vorkommen, als hätte der gebürtige Engländer ihn in diese Situation gebracht, direkt in die Arme eines Mörders laufen lassen, auch wenn das nicht die Wahrheit war.

Vorsichtig schüttelte Patrick seinen Kopf, sagte jedoch kein Wort. Er war niemand der viel redete, zumindest nicht sofort und doch würde ich diese Art von Antworten nicht akzeptieren. „Ich verstehe. Willst du dich dann vielleicht mit mir unterhalten? Ich würde ganz gerne wissen ob du schon Mal einfach so ohnmächtig geworden bist und ob das an etwas bestimmtem liegt, oder tatsächlich vorgestern das erste Mal passiert ist..", fragte ich nun lächelnd, während ich den Kleinen anlächelte und dabei zusah, wie er sich unzufrieden mit der ganzen Situation auf die Unterlippe biss. Ob er es wollte war mir egal, der Jüngere würde sich nun nicht bis er hier wegkonnte verstecken und mit niemandem mehr reden, das würde ich definitiv nicht zulassen, allein aus dem einfachen Grund, dass jeder Mensch einen anderen Menschen zum sprechen brauchte, sonst wurde man einsam und traurig. Besonders in dem noch so jungen Alter des Brünetten wäre es schrecklich, wenn er sich selbst von all denen fernhielt, die ihm ein guter Freund sein wollten und vor allem, wenn er aus Angst vor mir auch Maurice von sich stieß, welcher wohl von allen hier am besten mit ihm klarkam. Der Franzose war der Grund dafür, dass mein Koch nur noch halb so stark lächelte wie sonst, sich sogar ein wenig zurückgezogen hatte und sich riesige Vorwürfe machte, dass er die Schuld daran trug, dass es Patrick nun so schlecht ging. Hätte er unserem Gast nicht gesagt, dass dieser sich umsehen durfte, dann wäre er niemals hinten in die kleine Bibliothek gegangen und wäre vielleicht auch nie umgekippt. Ich saß lange mit dem Blonden im Arm auf der Couch und hatte ihn beruhigt, bis er schließlich nur noch da saß, meine Nähe genoss und mit mir einen Film geschaut hatte, was ihn nun doch einschlafen ließ. Es war mir schon fast ein Rätsel wieso der Grünäugige sich nie zu mir an den Tisch setzte, wenn ich Mal unten war und mich immer nur dann ein wenig um Liebe bat, wenn er diese von Michael nicht bekommen konnte.

„Ist das erste Mal passiert...", waren die knappen Worte des Brünetten, was mich ein wenig glücklicher lächeln ließ. Ich dachte, dass er nun einfach schweigen und hoffen würde, dass ich ihm nichts tat, doch scheinbar hatte ich mich da getäuscht. Zwar beobachtete er mich noch immer starr, ließ mich nicht aus den Augen, aber er zuckte nicht zusammen oder schien zu zittern, war bemüht ruhig zu bleiben. Unruhe und Angst waren die beiden Gefühle, welchen den Kleinen im Moment terrorisierten und am liebsten würde ich ihm zeigen, dass er nichts davon zu haben brauchte, doch um das tun zu können, würde ich erst einmal meine Grenzen testen müssen. Seine Worte bestätigten mir, dass er zu aller Wahrscheinlichkeit einfach nur nicht mit der Situation klargekommen war und deswegen sein Bewusstsein verloren hatte. „Du glaubst ja gar nicht was du mir da für einen Schrecken eingejagt hast, als ich dich gefunden habe! Maurice macht sich auch schon große Sorgen um dich und ich wäre dir dankbar, wenn du ihn zumindest nicht mehr abweist, weil glaub mir, das nimmt er sich mehr zu herzen als er es sollte. Mit mir musst du dich nicht zwingend gut verstehen, aber Maurice hat dir nichts getan und verdient es auch nicht so behandelt zu werden, was bei mir ja eigentlich auch der Fall ist! Oder habe ich dir etwas getan, Patrick?", fragte ich meinen Schützling mit hochgezogener linker Augenbraue, was die Augen des Kleinen schnell groß werden ließen. Unsicherheit schlich sich in seinen Blick, auch Mitleid konnte ich erkennen und doch schien der Jüngere nicht begeistert von der Idee zu sein sein Zimmer zu verlassen, was ich an seiner Stelle auch nicht wäre. Er bekam alles was er zum überleben brauchte, konnte im Bett essen, lesen so viel er wollte und hatte keiner Arbeit nachzugehen, welche ihn schwer belastete oder sonst etwas, er lebte hier das Leben eines Königs. Mir fiel nichts ein worüber er sich beschweren könnte, doch trotzdem würde er das noch tun, so waren wir Menschen nun einmal, nie mit dem zufrieden was wir schon besaßen und gierig nach mehr.

„Ich will nicht mit jemandem meine Zeit verbringen, der jemand unschuldigen umgebracht hat, Manuel! Und Maurice ist ein netter Kerl, aber so lange er für dich arbeitet kann er es vergessen auch nur eine weitere Sekunde mit mir Zeit zu verbringen! Ich werde hier einfach in diesem Zimmer bleiben und warten, bis ich gehen darf. Also außer du tötest mich jetzt auch, dann mach es zumindest schnell und jetzt...", sagte Patrick mit Augen, welche voller Gefühle und Ängste steckten, was mein Herz schwer werden ließ. Er sah mich einfach nur an, wartete auf eine Reaktion meinerseits und immer mehr viel mir auf, der Brünette musste sein Leben wirklich hassen, wenn er sich vor dem Tod nicht einmal hier fürchtete, wo er doch sicher wusste, ich würde es einfach tun können ohne einen tatkräftigen Grund zu brauchen. Ohne zu zögern hatte er mir diese Worte ins Gesicht gesagt, er beichtete mir, dass er von meinem Mord wusste und erzählte, dass er keine Zeit mit mir verbringen wollte, warf mir das alles an den Kopf, ganz ohne sich vor meiner Reaktion zu fürchten. Ihm war es wirklich egal was aus ihm wurde, wenn er seinen Tod akzeptiert hatte und das war etwas erschütterndes, grausames und zugleich unverständliches für mich. Sein Vater war reich, bekannt und geschätzt, der Braunäugige hatte nichts zu fürchten, keine Geldsorgen und zudem auch noch eine Menge Interessenten, schließlich sah er aus wie ein Gott, wunderschön und jung, war der Traum eines jeden. Mir fiel nichts ein was er hätte nicht haben können, es war mir ein einziges Rätsel.

„Du hast das Bild also wirklich gesehen, gut zu wissen...", begann ich zu sprechen, während ich überlegte wie ich nun fortfahren sollte und meine Beine übereinander schlug, sodass ich meinen Kopf auf meinem Arm stützen konnte, welchen ich auf das Bein stellte. Sofort zuckte die Hand meines Gastes ein wenig in die Richtung des Buches auf seinem Schoß, er suchte ganz automatisch nach einer Waffe, welche er gegen mich verwenden konnte und da wurde mir bewusst, dass der Kleine es genau darauf abgesehen haben könnte, mich im richtigen Moment anzugreifen, um fliehen und nie mehr jemandem gehören zu müssen. Es wäre nur eine Möglichkeit dessen, was die Gedanken des Kleinen waren und doch war sie nicht auszuschließen, was mich jedoch nicht beunruhigte. Ich musste Ruhe bewahren und dem Brünetten seine negativen Gedanken nehmen, koste es was es wolle. Dieser Junge war ein Rätsel für mich, welches ich wohl oder übel lösen musste, damit ich meine Ruhe bekam. „Hör zu, Kleiner. Ich bin wirklich alles, reich, gutaussehend und ein erstklassiger Familienvater! Aber ein Mörder bin ich nicht und das werde ich auch niemals sein, hast du das verstanden? Dieses Foto aus der Bibliothek ist mir zugeschickt worden, schon vor ungefähr sieben Jahren und glaub mir, es ist nicht das einzige was ich geschickt bekommen habe, da gibt es noch so viel mehr von. Bilder, Briefe und Videobänder habe ich alle noch irgendwo hier im Haus versteckt und deshalb ist es auch wichtig, dass du hier nicht einfach ohne mich durch die Zimmer läufst, ja? Ich stehe in der Pflicht auf dich aufzupassen und will nicht, dass du hier verstört rausgehst, weil du zu viel gesehen hast!"

Wütend knurrte Patrick auf. „Hör gefälligst auf mich Kleiner zu nennen und mich wie ein kleines Kind zu behandeln, ich bin keins mehr!", forderte der Franzose mit festem Blick, welcher mich meine linke Augenbraue in die Höhe ziehen ließ. Der Brünette ignorierte meine Worte, antwortete mir nicht und das ließ offen, ob er mir traute oder nicht. Warum ich ihn nun Kleiner nannte war selbst mir ein Rätsel, schließlich war er nur ein paar Zentimeter kleiner als ich und auch nur neun Jahre jünger, doch stören würde mich dieser Name nicht. Er passte wie die Faust aufs Auge zu dem Jungen, da er sich doch genau so verhielt, genau wie ein Kind. Patrick weigerte sich mit mir zu reden, schloss sich in seinem Zimmer ein und nahm keine Hilfe von mir an, obwohl er eigentlich schon längst gemerkt haben musste, dass ich ihm nichts tun würde. Es störte ihn wie ich ihn behandelte, doch so langsam war ich mit meinen Ideen am Ende, wie ich es ihm möglichst einfach machen konnte sich bei mir wohlzufühlen. Ich versuchte mit ihm darüber zu sprechen, er wies mich ab. Mittlerweile ließ er nicht einmal mehr Maurice an sich heran, obwohl dieser ihm von allen hier am wenigsten etwas getan hatte und auch Malu vermisste ihn sehr, da sie es zu mögen schien, wie der siebzehnjährige ihr etwas aus einem Buch vorlas. „Gut, und wie soll ich dich sonst nennen? Du verhältst dich doch wie ein Kind, also sollte es auch klar sein, dass du wie eines behandelt wirst von allen! Wenn du mir einen Grund dazu gibst, dann höre ich auch auf damit, aber im Moment hast du es dir noch nicht verdient, dass ich dich deinem Alter entsprechend behandele!"

Nun kam Leben in den Körper des Brünetten. Seine Augen begannen böse zu funkeln und er klappte sein Buch zu, um es trotzdem noch festzuhalten, jedoch aufzustehen und auf mich zuzukommen, sich direkt vor mich zu stellen. Ich erinnerte mich sofort an unser erstes richtiges Gespräch hier in diesem Zimmer, als er aufgewacht war und nicht mit mir sprechen wollte, da hatte er sich auch dazu hinreißen lassen sich genau vor mich zu stellen, den großen zu spielen und mir zu zeigen, wie sehr er es verabscheute in meiner Nähe sein zu müssen. Diesen Jungen verstand ich einfach nicht, er hatte Angst vor mir und wollte nicht bei mir sein, ließ es sich im Gegenzug jedoch auch nicht nehmen mich anzumeckern, was mir zeigte, er war niemand der viel über das nachdachte was er tat, sondern eher jemand, der sofort handelte und das selbst dann, wenn seine Handlungen negative Konsequenzen mit sich zogen. Ohne auf es zu achten schmiss er das Buch auf sein Bett, um mit dem freigewordenen Zeigefinger auf mich deuten zu können. „Wo verhalte ich mich denn bitte wie ein Kind, Manuel? Ich verstehe es nicht, also sag schon! Bin ich dir einfach nur zu jung oder willst du mich bloß ärgern, weil du es gerade kannst? Sieh mal, ich kann eigene Entscheidungen treffen, ist dir das nicht erwachsen genug?", versuchte der Kleine zu argumentieren, was mich seufzen ließ. Patrick war fest davon überzeugt, dass er es verdient hatte seinem Alter entsprechend behandelt zu werden und deswegen wurde er laut, doch bringen würde ihm das nichts. Ich konnte gut verstehen, dass er erwachsen behandelt werden wollte und auch für seine Meinung einstand, das machte er gut, doch sich selbst mit Worten zu verteidigen musste er lernen, da führte kein Weg dran vorbei. Hier würde er das ganz sicher tun können, ich würde ihm schon ein angemessenes Verhalten beibringen können und ihm zeigen, dass man nicht immer sofort laut werden musste, wenn einem etwas nicht gefiel, sondern auch gut alles ruhig mit Worten klären konnte, denn das war eine wertvolle Fähigkeit, die dem Braunäugigen im Laufe seines Lebens noch weiter bringen würde. Mit gutem Beispiel ging ich voran.

„Du bist vorlaut und handelst ohne nachzudenken, wie man sieht. Außerdem bist du schnell aggressiv und redest nicht mit mir über das offensichtliche, sondern hast nur deine eigenen Interessen im Kopf! Guck dich um und sieh wo dich deine eigenen Entscheidungen hingebracht haben! Du hast dich selbst verkaufen lassen, bist dann hier gelandet und bist mit nichts zufrieden, was ich mache. Ich verlange nichts von dir und gebe dir sogar die Möglichkeit mir jederzeit zu sagen, wenn dich etwas stört oder wenn du etwas brauchst, und du? Stellst dich bockig hin und willst lieber bis zum Ende hier drinnen versauern, als dich einfach einmal ganz kurz mit mir zusammen hinzusetzen, zu reden und vielleicht noch was besseres rauszuschlagen, als einfach nur deine Zeit hier abzusitzen, so als wärst du im Knast! Dir fällt nicht Mal auf, dass du es hier wirklich gut haben könntest, wenn du dich einfach nur darauf einlassen würdest jetzt hier zu sein und zu guter Letzt verletzt du auch noch andere Menschen um dich herum mit deinem Verhalten, die dir nichts getan haben, absolut gar nichts. Mit deinen Aktionen bringst du deine Karriere und auch die deines Vaters in Gefahr!", redete ich auf den Kleinen ein, dessen Hände sich nun zu Fäusten ballten und dem sein Gesicht sich errötete. Vielleicht war es genau das, was Patrick brauchte, einfach einmal jemanden der ihm die Meinung geigte und sagte was er gerade falsch machte, ganz ohne wütend zu werden. Wie er von seinem Vater gelernt hatte war etwas was ich nicht wusste, ob man gut mit ihm umgegangen war oder nicht, doch ich hatte meine eigenen Vorstellungen von Erziehung, welche ganz klar besser für den Jungen waren als das, was ihm bisher zu teil wurde. Hier würde mit ihm gesprochen werden, um Differenzen zu klären, doch leider war der Brünette schon alt genug, als dass er noch einmal eine Bezugsperson annehmen würde, die ihm den richtigen Weg wies.

„Zum Teufel mit meinem Vater, das hat der doch verdient! Und du lässt mich jetzt gefälligst in Ruhe, ist das klar? Meine Karriere ist mir so egal wie sonst nichts und die meines Vaters sowieso, was meinst du warum ich überhaupt auf die Idee gekommen bin mich verkaufen zu lassen? Ich werde von meinem Vater dazu gezwungen das zu tun was er von mir will und du bist doch genauso wie er, ein verdammter...", rief der Franzose wütend, während er am Ende nach den richtigen Worten suchen musste und zitterte, was mich schockierte. Tränen der Verzweiflung bildeten sich in den Augen des Kleineren, welche mich sofort alarmiert aufstehen ließen und den Jüngeren erschrocken zum zurückzucken brachten, weshalb ich sofort langsamer wurde, wieder sanfter guckte. Die Worte Patricks beunruhigten mich mehr, als dass sie mich verletzten und ich nahm alles was er sagte ernst, schließlich war das hier das erste Mal, dass er mir eine private Information von sich gab, wenn auch eher unbeabsichtigt wahrscheinlich. Sein Vater schien nicht das zu sein was er in den Medien vorgab zu sein, sein Sohn beschrieb ihn mit keinem einzigen Wort positiv, er verabscheute ihn sogar und dass er sagte, er wurde von dem Kunstkritiker zu Dingen gezwungen die er nicht wollte, ließ mich intuitiv das Bedürfnis verspüren ihn zu beschützen. Mit seinen eigenen Gefühlen war er komplett überfordert, wie es mir schien schon sehr lange und der fehlende Schlaf der letzten Tage trug mit Sicherheit auch seinen Teil dazu bei, dass der Brünette nun von sich erzählte, was ich ausnutzen musste, so lange es ging. „Patrick, hey, was meinst du damit, dass dein Vater dich zu etwas zwingt?"

Aufmerksam sah ich dem Jüngeren dabei zu wie er sich von mir abwendete, sodass ich nicht mehr sehen konnte wie ihm Tränen der Verzweiflung die Wangen hinabliefen. „Ist doch egal...", schniefte mein Gast leise, während er sich einmal mit dem linken Handgelenk die Tränen wegwischte und wieder zu seinem Sessel gehen wollte, doch das ließ ich nicht zu. Sanft griff ich nach einer seiner Hände, um ihn davon abzuhalten wieder seinen geliebten Abstand zu mir einzunehmen. Gerade eben war er mir so nahe gewesen wie sonst nicht, er hatte begonnen sich mir zu öffnen und auch, wenn das nicht war, weil er mir vertraute, durfte ich das nicht so enden lassen. Ich wollte wissen was ihn bedrückte, innerlich so fertig machte und wieso er von seinem Vater weggelaufen war, ob er überhaupt noch dorthin zurückgehen wollte oder nicht. Sein Vater schien ihn wirklich schlecht behandelt zu haben, so sehr wie Patrick ihn verachtete und ihm nur schlechtes wünschte, aber was ihm angetan wurde würde ich wohl erst dann herausfinden, wenn er sich wieder ein wenig beruhigte. „Das ist alles andere als egal, Patrick! Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht erklärst was du meinst. Sieh mich an und sprich mit mir, dann wird es dir besser gehen!", sagte ich, doch mein gegenüber hörte nicht zu und versuchte sich loszureißen. Mir war es unerklärlich wieso er sich nicht von mir helfen lassen wollte, ich würde ihm doch beistehen und versuchen mit ihm eine Lösung zu erarbeiten, wie er hier unbeschadet und gestärkt wieder herausging, aber dafür musste er mit mir reden, ob er wollte oder nicht. Das hier war doch schon ein guter Anfang, er schmiss mich nicht sofort aus dem Zimmer und hatte schon mehr mit mir gesprochen als jemals zuvor, wenn auch nicht so freundlich wie jeder andere, aber das störte mich nicht, daran konnte man noch arbeiten. Im Moment war ich näher an meinem Ziel das Vertrauen des Kleinen zu gewinnen als bisher und das zeigte, er brauchte vielleicht auch einfach nur Mal jemanden, der um ihn kämpfte und nicht sofort aufgab, wenn er merkte, dass er nicht erwünscht war. Patrick musste man zu seinem Glück zwingen und das würde ich auch.

„Verdammt, lass mich in Ruhe! Du kannst mir nicht helfen, weil mir nicht zu helfen ist! Ich will einfach nur von hier weg und nie wieder zurückkommen, nicht zu dir, nicht zu Archie und erst recht nicht zu meinem Vater. Geh einfach und lass mich allein...", rief Patrick wütend, während er sich von mir löste und mich mit einem solch geballten Hass ansah, dass ich mitgenommen meinen Blick senkte. Dieser Junge war so verdammt verletzt innerlich, er schaffte es nicht einmal mehr die Hilfe eines anderen anzunehmen und wollte keinen Kontakt mehr zu seinem Vater, welcher sich ziemliche Sorgen zu machen schien. Ich hatte am gestrigen Abend einen kleinen Ausschnitt eines Interviews gehört, in dem der Ältere erzählt hatte wie sehr er seinen Sohn vermisste und dass er sich nichts mehr wünschte als ihn wiederzubekommen, was mich misstrauisch hatte werden lassen. Zwischen den beiden war etwas vorgefallen und der Kunstkritiker versuchte eindeutig das ganze nicht den Medien zu offenbaren, einen auf unwissend und besorgt zu tun, was er tatsächlich sehr gut hinbekam. Wüsste ich nicht wie Patrick über seinen Vater dachte, wie er drauf war und wie er rüberkam, wenn er allein war, dann hätte ich niemals erkannt, dass die beiden sich miteinander gestritten hatten oder es vielleicht schon länger taten. Beide kamen sie auf öffentlichen Veranstaltungen und bei Interviews freundlich rüber, sie lächelten stets und gaben keine Anzeichen auf eine Auseinandersetzung, demnach gab es für mich auch keinen Anhaltspunkt um herauszufinden wann das ganze angefangen hatte. Mein Gast hatte sich mit der Zeit eine Meinung über seinen Vater gebildet, die nun nur schwer wieder zu ändern war, wenn die beiden sich schon seit längerer Zeit nicht verstanden und dieser Gedanke ließ mich wieder aufsehen, noch einmal direkt in das vor Abneigung glänzende braun des siebzehnjährigen. Ob ihn die Einsamkeit trieb?

Ohne zu zögern ging ich auf den kleineren zu und umschloss seinen Körper sanft mit meinen beiden Armen, sodass ich genau spüren konnte, wie er sich erschrocken versteifte und in eine Schockstarre fiel. Liebevoll strich ich ihm über den Rücken, gab ihm meine Nähe. „Ich bin nicht wie dein Vater Patrick und das will ich auch nicht sein. Du brauchst mich wirklich nicht von dir abzuweisen und kannst dich mir ruhig anvertrauen, das ist nichts schlimmes. Ich habe dich hier aufgenommen und bin für dich da, egal wann und wo, hast du das verstanden? Wir kennen uns vielleicht nicht wirklich, aber so lange wie du hier bist werde ich mich um dich kümmern und es ist mir egal was du davon hältst! Du wirst hier nicht einfach allein gelassen oder zu irgendwas gezwungen, was nicht gut für dich ist. Also, versuchen wir es noch einmal...willst du mir erzählen zu was dein Vater dich zwingt? Ich höre dir zu und bin für dich da...", fragte ich meinen Schützling sanft, dabei drückte ich den zitternden, mit der Situation komplett überforderten Körper des Jungen an mich und merkte, wie er sich von mir wegdrücken wollte, jedoch nur sehr schwach. Kaum war der Druck zu spüren, mit dem er versuchte von mir wegzukommen und das ließ mich schwach lächeln. Es war schon spät, der Brünette hatte seit einiger Zeit nicht wirklich viel Schlaf abbekommen und war vollkommen am Ende mit seinen Nerven, was schlussendlich dazu führte, dass er sich ohne viel Widerstand auf mich einließ. Ich wusste, dass es sich nicht gehörte ihm auf anhieb so nahe zu kommen und ihn einfach zu umarmen, schließlich hatte er mir ausdrücklich gesagt, dass er das nicht wollte, doch wirklich schlimm schien er es nun auch nicht zu finden, sonst würde er sich nun sehr viel mehr gegen mich sträuben.

Schniefend schüttelte er seinen Kopf, begann sich jedoch näher an mich zu drücken. „Kannst du vielleicht einfach bei mir bleiben? Ich glaube, wenn ich jetzt anfange zu reden, dann weine ich wieder...", fragte Patrick leise, während er seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte und die Augen schloss, mein Herz zum beschleunigen brachte. Es war unglaublich wie niedlich unbeholfen und vorsichtig er sein konnte, es gefiel mir so mit ihm hier zu stehen. „Aber natürlich, Patrick, wie du möchtest!"

~4710 Worte, geschrieben am 27.02.2021, hochgeladen am 04.03.2021

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