10. Ohnmacht

Liebevoll lächelte ich, während ich meinen Kindern dabei zusah wie sie sich mit der Hilfe Maurices ihre Wintersachen auszogen und dabei glücklich grinsten, sich darüber freuten gemeinsam mit mir im Schnee getobt zu haben. Besonders Milo freute sich darüber, schließlich war ich sein Vater und er tat nichts lieber als mit mir zusammen Zeit zu verbringen, wohingegen Malu oft lieber bei Maurice war, denn dessen sanfte und hohe Stimme hatte auf die dreijährige schon immer sehr beruhigend gewirkt, weshalb auch immer. Ich akzeptierte es so wie es war und ließ die Kleine entscheiden, ob sie etwas mit mir machen wollte oder nicht, schließlich musste sie ja nicht immer etwas mit mir zusammen tun. Wir aßen zusammen, manchmal ließ ich mir von ihr sogar die Nägel lackieren, malte mit ihr ein Bild oder sah einfach bloß mit ihr zusammen einen Film, das mochte sie schon immer gerne. Auch sprechen üben tat ich fleißig mit ihr, doch bisher brabbelte sie manchmal nur, doch das war in Ordnung, sie hatte ja noch Zeit es richtig zu lernen. Als ich die Kleine adoptiert hatte, war noch nicht klar gewesen, dass sie schwerhörig war und so hatte sie erst vor einiger Zeit ein Hörgerät bekommen, was ihr half ihre Umwelt ein wenig besser wahrzunehmen. Nur manchmal hörte ich meine Tochter schon Dinge wie Papa sagen und das machte mich beinahe so stolz wie damals bei Milo, jedoch eben nur fast. Die beiden machten mich stolz, da würde ich niemals sagen können, dass es einer von ihnen mehr tat als der andere. 

„Und, hat Patrick sich ein wenig mit dir unterhalten, oder nicht?", fragte ich Maurice nebenbei, während ich meine Jacke neben die des Brünetten hängte und Michael dabei zusah wie er sich die Handschuhe auszog. Mein Butler wollte es nicht zugeben, doch ihm war mehr als nur kalt und da ich ihm das genau angesehen hatte, entschied ich mich dazu wieder nach Hause zu gehen, da auch mir trotz dem ziehen meiner Kinder sehr kalt war. Die beiden Kleinen hatten einen riesen Spaß dabei sich von mir durch die Gegend ziehen zu lassen und nebenbei Michael mit Schneebällen abzuwerfen, was der Grauäugige einfach still ertrug. Ich hatte ihm schon einmal gesagt, dass er meinen Kindern ruhig sagen konnte, wenn ihn etwas daran störte wie sie mit ihnen umgingen, doch der Größere schüttelte ablehnend den Kopf und meinte, dass es schon in Ordnung sei, schließlich verletzten die beiden niemanden und schrien ihn auch nicht an. „Ja Sir, ich habe ihm ein wenig davon erzählt was Sie alles so tun und ich denke, dass Patrick nun ein wenig besser von ihnen denkt als davor. Er sieht sich übrigens gerade ein wenig die Villa an, ich hoffe es war in Ordnung, dass ich ihm das erlaubt habe?", fragte mich der Blonde etwas verunsichert, dabei sah er mich nur einmal kurz an, um zu sehen was ich davon dachte und wandte sich gleich daraufhin wieder Malu zu, um sie aus ihrer Winterhose zu befreien. Die Blauäugige ließ das einfach zu, ganz ohne sich zu beschweren und kicherte sogar leise, als der Ältere ihr einmal sanft in den Bauch piekte, ihr gewollt diesen Laut entlockte. Verwundert zog ich meine linke Augenbraue in die Höhe, begann nachzudenken. Wenn der Brünette hier ganz allein herumlief und in den Raum ganz hinten lief, dann würde er mein Lieblingszimmer betreten und eventuell Dinge sehen, die ihn verstören könnten, wenn nicht sogar etwas denken ließen, worüber ich auf keinen Fall mit ihm sprechen wollte, mit niemandem mehr. 

„Ich werde Mal nach ihm sehen und dann essen wir!", beschloss ich, bevor mich meine Beine geradewegs in die Richtung des Raumes trugen welcher außer von mir von niemand anderem betreten werden durfte. Es war nicht die Tatsache, dass dort ein teurer und wertvoller Flügel stand, welcher schon seit Ewigkeiten nicht mehr berührt worden war, sondern vielmehr das unfertige Gemälde und das Manuskript meiner Memoiren, welches noch nicht einmal fertig überarbeitet war. Ich wollte nicht, dass Patrick es sah und las was ich da geschrieben hatte, doch vor allem wollte ich nicht dass er die Bilder sah, welche noch in dem kleinen Heft lagen, das durfte auf keinen Fall geschehen. Er würde Fragen stellen, alles Vertrauen in mich verlieren was er schon irgendwie aufgebaut hatte, auch wenn es nicht wirklich viel war und das wollte ich nicht, schließlich hatte ich irgendwie das Verlangen den Jüngeren ein wenig näher kennenzulernen, denn so aufmüpfig wie er sich bisher verhalten hatte würde er nicht immer sein. Der Brünette schien mir mit seinem bisherigen Leben unzufrieden gewesen zu sein und das ließ ihn Dinge tun, welche er bei normalem Verstand nicht tun würde, allein weil sein Verstand ihm gesagt hätte, was seine Handlungen für Konsequenzen hätten. Mit ein wenig Glück würde ich den Braunäugigen bald dazu bekommen mir ein wenig etwas über sich und seine Gefühle zu erzählen, ihn so ein wenig besser kennenzulernen und vielleicht zog er es dann auch in Erwägung mich ein wenig näher an sich heranzulassen, ganz ohne sich groß gegen meine Anwesenheit zu wehren oder mich anzumeckern, dass er nicht in meiner Nähe sein wollte. Vorhin schon hatte er begonnen ein wenig zahmer zu reagieren, als ich ihm erlaubt hatte das zu tun was er wollte und das war etwas gutes, was ich auf keinen Fall wieder kaputt machen wollte. 

Auf dem Gang sah ich ihn nicht laufen, was mich ein wenig nervös machte und beschleunigen ließ. Ich verfluchte mich selbst in diesem Moment dafür zumindest die Fotos nicht ordentlich weggeräumt zu haben, sodass sie außer mir niemand fand und doch wusste ich, dass ich sie auch ein zweites Mal nicht richtig irgendwo verstauen würde, einfach aus reiner Faulheit und Lustlosigkeit. Es war ganz allein meine Schuld, wenn der Braunäugige mich nun vollständig hasste oder sogar fürchtete, denn das letzte Bild auf dem Stapel war für einen außenstehenden nur zu missdeuten, es ging einfach nicht anders als das. Nun würde es so oder so zu spät sein, wenn er es gesehen hatte, würde ich es gleich an seiner ersten Reaktion mir gegenüber erkennen und ob ich wollte oder nicht, dann würde ich mich mit ihm unterhalten müssen. Wenn er hier herauskam und jemandem erzählte was er gesehen hatte, würde die Polizei Verdacht schöpfen und mich für einen Mörder halten, das konnte ich mir nicht leisten, es würde meine Karriere ruinieren. So schnell wie nur irgendwie möglich musste ich dem Kleineren klarmachen, dass ich auf keinen Fall ein Mörder war und diesen Mann auf dem Bild nicht umgebracht hatte, dass das alles nur ein einziges Missverständnis war und vor allem, dass er keine Angst vor mir zu haben brauchte, weil ich ein friedvoller und eigentlich recht liebevoller Mensch war. Die Augen eines Menschen verrieten viel über dessen Gedanken und Gefühle, da konnte auch der Jüngere tun was er wollte, er war dadurch lesbar wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten auch. Mich gruselte es vor dem Gedanken nun gleich mit ängstlichen, unsicheren und großen Augen angesehen zu werden, es hatte mich schon am Morgen gestört diese Augen so zu sehen, doch ob ich wollte oder nicht, da würde ich durch müssen. 

Aufmerksam lauschte ich, als ich das dumpfe aufprallen eines Gegenstandes vernahm und vorsichtig die Tür zu dem Raum öffnete, welcher eigentlich von niemand anderem als mir betreten werden sollte. Schockiert riss ich meine Augen auf und ging auf den Franzosen zu, dessen Augen nun doch geschlossen waren, sich auch nicht öffnen wollten. „Patrick, hey! Hörst du mich?", fragte ich den Jüngeren schockiert, während ich mich neben ihn kniete und keine Antwort bekam, nur sah, wie sich die Brust des Kleineren unregelmäßig hob und senkte. Ein Buch lag neben ihm, noch geschlossen und allein an dem Cover erkannte ich, dass es sich um einen kleinen Roman handelte, welcher ursprünglich aus Spanien kam und nur bei mir gelandet war, weil meine Mutter mich dazu bewegen wollte Spanisch zu lernen. Patrick lag einfach ohnmächtig da, seine Haut glich Schnee so weiß war sie und obwohl ich ihn nicht einmal kannte, begann ich mir große Sorgen um ihn zu machen. Hatte der Brünette Kreislaufprobleme, von denen ich nichts wusste? Musste er eigentlich Medikamente nehmen und hatte hier nicht die Möglichkeit dazu, weil er sie nicht mitgenommen hatte? Oder war er einfach nur so verängstigt, dass er ohnmächtig geworden war, als er gemerkt hatte, dass ich kam? Die Memoiren lagen noch immer unverändert auf ihrem Platz, so wie ich sie verlassen hatte und doch hatte das nicht gleich zu bedeuten, dass der Brünette nichts gesehen hatte, was nicht für seine Augen bestimmt war. Ich würde es erst später herausfinden was der Braunäugige wusste, erst einmal würde ich dafür sorgen müssen, dass er hier herauskam und sich ausruhen konnte, dann konnte ich ihn später fragen wie es ihm ging, ob er Fragen an mich hatte und was er von mir hielt. 

Vorsichtig strich ich dem Kleineren über seine makellose, reine Haut und beneidete ihn dafür so jung zu sein wie er es noch war, denn ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren sah schon längst nicht mehr so schön aus wie er in diesem Moment. Mit Sicherheit hatte er das Bild gesehen und war vor Überforderung umgekippt, um einer Interaktion mit mir aus dem Weg zu gehen, was mich leise seufzen ließ. Ich würde ihn darauf ansprechen müssen und doch würde ich das erst später tun, erst einmal musste der Kleine hier weg, sich beruhigen und seinen fehlenden Schlaf aus der Nacht nachholen, dann würde er morgen schon wieder ganz anders drauf sein, zumindest hoffte ich das. Vorsichtig hob ich den Jüngeren auf den Arm, um mit ihm aufstehen zu können und das erste Mal zu sehen, wie verdammt niedlich der Brünette im Schlaf aussah, so ruhig und sanft, dass man gar nicht vermuten würde, dass er eigentlich oft sehr zurückweisend war. Leicht stand der Mund des Braunäugigen geöffnet, hauchte in einem immer gleichmäßiger werdenden Rhythmus Luft gegen meine Brust und ich fragte mich wirklich ob der Jüngere nicht immer so ruhig sein könnte, das würde mir vieles erleichtern und an Arbeit sparen. Die Zeit würde sicher nicht dafür ausreichen ein wenig Vertrauen zu ihm aufzubauen, schließlich wollte der Brünette so schnell es ging wieder von hier verschwinden, doch mit ein wenig Glück konnte ich ihn zumindest davon überzeugen, dass ich ein guter und anständiger Mann war, welcher in seinem bisherigen Leben noch nichts rechtswidriges gemacht hatte und erst recht keinem anderen Menschen sein Leben genommen hatte. Schon in diesem Moment ließ der Gedanke mein Herz schwer werden, dass Patrick irgendwann wieder ging und mich allein ließ, dabei wusste ich nicht einmal genau wieso. Wahrscheinlich wollte ich es auch einfach nicht wissen. 

Langsam lief ich durch die Gänge meiner Villa zurück in Richtung Eingangsbereich, da sich dort die Treppe in das zweite Stockwerk befand. Immer wieder warf ich meinem Gast einen aufmerksamen Blick zu, um zu prüfen wie es ihm ging, bis sich die Augen des Kleineren auf halben Wege tatsächlich blinzelnd öffneten und mich musterten, wenn auch nicht so klar wie sonst. Sanft lächelte ich den Kleineren an, da ich genau wahrnahm wie sehr er sich auf meinem Arm versteifte und doch schien er nun ein solch endloses Misstrauen zu mir zu haben, dass es mich leise seufzen ließ, einfach traurig machte. „Alles ist gut, keine Angst! Du hast dein Bewusstsein verloren und ich bringe dich jetzt ins Bett, damit du dich ausruhen kannst! Ich bringe dir auch gleich noch das Buch welches du haben wolltest und noch was zu essen...", erklärte ich meinem Schützling ruhig, mit liebevoller Stimme und sofort erkannte ich sein Unbehagen, vermutete nur unschwer, dass er mit einer ganz anderen Reaktion von mir gerechnet hatte. Still betrachtete er mich und versuchte zu erkennen, ob ich log und ihn nun vielleicht doch an einen ganz anderen Ort bringen würde, wie sein Zimmer, doch als er dann endlich die Treppe erkannte, welche er am heutigen Tag schon einmal betreten hatte und nun ein zweites Mal mit mir zusammen betrat, da entspannte sich der Körper des schmächtigen Jungen ein wenig und er zog einen rechten Arm ein wenig näher an sich heran, jedoch klar darauf bedacht mich nicht wütend zu machen oder zu stören. Müde schlossen sich die Augen Patricks wieder, doch was er dann tat, das ließ mein Herz wieder einmal höher schlagen als es sollte. 

Der Jüngere lehnte seinen Kopf an meine Brust und blieb ruhig.

~2050 Worte, geschrieben am 22.02.2021, hochgeladen am 03.03.2021

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