Kapitel 85

Mittwoch, 24. September

Gestern wurde Can entlassen, kam aber nicht zur Schule, und ich bin ihm die Tage, die er im Krankenhaus verbracht hat, nicht wirklich von der Seite gewichen. Ich habe ihn und Malik immer besucht, bin aber dann auch nach Hause gegangen und bin nicht - wie beim ersten Mal dort - geblieben. Nachdem ich mich parfümiert habe, esse ich kurz etwas und gehe dann, nachdem ich meinen Rucksack geschultert habe, aus der Wohnung und höre von Nelly - Hot in here. Da der Aufzug spinnt, habe ich keine andere Wahl und muss die Treppen nehmen, was in weniger als zwei Minuten geschafft ist. Ich öffne mit Schwung die Tür, wo ich mich erschrecke, da Can vor meiner Tür steht. Wieso ist er hier? "Was zum? Was suchst du hier?", frage ich überrascht und spüre, wie es hier warm wird. "Ich bin auch hier!", ruft jetzt Ramazan, den ich neu bemerke. "Was sucht ihr hier?", frage ich etwas belustigt und laufe aus der Tür, da ich keine Zeit verplempern will. "Mein Auto ist ja kaputt und da dachten wir uns, dass wir dich doch abholen können", sagt Can lapidar. Ich nicke etwas überrascht und nehme dann meine Ohrhörer ab. Es freut mich, dass die beiden hier sind. "Wann holst du dir ein neues Auto?", frage ich. "Ich muss im laufe dieser Woche gucken gehen, wird aber bestimmt lange dauern." Ich nicke und laufe mit den beiden nach links. Es ist so ungewohnt. Mit Ramazan zwar nicht, aber mit Can total. "Jetzt weiß ich, wo du wohnst und kann dich immer Besuchen", schnurrt Ramazan und grinst. "Bist immer willkommen, aber nur wenn keiner zu Hause ist." "Schade. Ich wollte unbedingt deine Brüder kennenlernen", schmollt er.

Wir steigen in einer der vielen Busse ein. Es kommt nie ein einziger Bus, da es immer so voll ist. Leider ist auch unserer voll, weswegen wir uns in den Bus quetschen müssen. Ramazan läuft weiter durch, doch wir kommen nicht weiter. Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken und frage mich, wann ich meinen Füherschein mache. Ich werde ihn sowieso nicht machen. Vor allem regen mich diese kleinen Blagen auf, die sich vor einen Sitz stellen, statt ihn runterzuklappen und dann Platz zu nehmen oder die, die mit ihren gottverdammten Taschen einen Platz belegen. Genervt halte ich mich an der Stange fest und versuche der Kurve standzuhalten. Als sich eine Hand um meine Taille schlingt, erschaudere ich leicht. Can steht dicht hinter mir. Mir ist echt warm, mein Herz schlägt schneller. Ich bin urplötzlich wacher und meine Haut verspürt alles intensiver. Das ist faszinierend. Ich sollte mich aus dieser Berührung ziehen, aber ich will nicht. Er lässt ja nur nicht zu, dass ich das Gleichgewicht verliere. Mehr ist da auch nicht. Da ist doch nichts dabei und außerdem endet die Fahrt schnell. Wir steigen aus dem Bus aus und laufen auf die Metallbänke zu, wo schon Viyan und das Mädchen sitzen. Die schon wieder. Sie wäre sicherlich nicht begeistert, wenn sie wüsste, dass Can mich festgehalten hat. "Was ist passiert?", fragt Viyan Can geschockt. Ach ja, sie weiß von nichts. "Hatte einen Unfall." Nun wird das Mädchen auch aufmerksam. "Was? Ehrlich?" Sie springt auf und inspiziert Can genau, was mich nervt. Ist sie sehbehindert, dass sie es von der Entfernung nicht sehen konnte? Sie muss ihm nicht so nahekommen. "Warst du deswegen nicht in der Schule?" Weswegen denn sonst? "Ja", antwortet Can und lässt sich von Elif umarmen. Ich fahre mir über mein Gesicht, um dieses ekelhafte Getue nicht sehen zu müssen. "Wieso hast du mir nichts gesagt? Ich wäre dich besuchen gekommen." Weil du nervst. "Ich brauchte Ruhe." Sie schaut ihn etwas ungläubig an. "Haben dich wenigstens deine Freunde besucht?" Was ist das für eine Frage? Natürlich haben seine Freund ihn besucht! Diese Freunde haben auch Namen! "Ja. Alle, die ich gebraucht habe waren da", sagt er sanft, was meinen Körper irgendwie erblühen lässt. Ich verkneife mir ein Lächeln und schaue zum Gebäude hoch. "Gehen wir heute Malik besuchen?", frage ich, da ich weiß, dass Elif die Tatsache stören wird, dass ich vor ihr Bescheid wusste. "Malik ist auch im Krankenhaus?!", fragt Viyan jetzt noch geschockter und hält sich die Hand vor dem Mund. "Ja", seufzt Can und fährt sich durch seine Haare. "Wir können ja direkt nach der Schule zu ihm. Kommst du mit Elif?", fragt Can. Wieso fragt er sie? "Ähm, ich kann heute nicht." Natürlich. "Nur weil es um seinen Freund geht und nicht um ihn selbst, interessiert es sie nicht", kommt es spöttisch von mir, bevor ich ins Gebäude, zum Englisch Raum laufe. In Englisch ist mir plötzlich wieder der kleine Dialog von Can und mir eingefallen, als wir das Thema Beziehungen hatten. Wir standen voller Zorn gegenüber und haben indirekt über die Sache mit Cihan geredet. Das waren Zeiten. Ich laufe aus dem Raum raus, wo ich Aleynas ekelhafte Stimme höre. Anscheinend hat sie ebenfalls mitbekommen, dass Can im Krankenhaus lag. Das einzig Gute daran ist, dass es Elif stört. Nach der Pause laufe ich mit einem Grinsen zum Chemieraum und freue mich auf meinen schnuckeligen Lehrer. "Wieso so glücklich?", fragt Ramazan. "Herr Krasniqi. Dieser Mann ist ein Geschenk!", sage ich, woraufhin mir Viyan zustimmt. "Er ist ein ganz normaler Lehrer", kommt es irgendwie genervt von Can, den ich angriffslustig anschaue. "Er ist kein normaler Lehrer. Er ist sehr attraktiv", verteidige ich meinen Chemielehrer. "Dann hast du wohl einen sehr schlechten Geschmack", summt er dezent arrogant und zieht seine rechte Augenbraue hoch. "Da ist jemand traurig, dass man einen Lehrer ihm vorzieht", meine ich darauf im selben Ton. "Bitte! Bitte streitet euch heute nicht! Ich wechsele noch irgendwann die Schule wegen euch. Das ist nicht mehr normal", meckert Viyan und macht dann mit einem perversen Lächeln Herrn Krasniqi Platz. Ich schiele noch einmal zu Can und laufe dann grinsend rein. Im Deutschunterricht reden wir wieder über Organisatorisches, da uns keine Klausuren mehr in diesem Fach aufhalten. Herr Markus hat wohl mit den Lehrern aus den anderen Kursen geredet und erzählt uns, dass sich sehr viele aus den anderen Kursen gemeldet haben, um mitzuhelfen. Gerade liest er die Namen vor, und ich unterbreche ihn bei einem ganz bestimmten Namen. "Cihan?" Cans Rücke spannt sich an. "Ja, der Cihan", sagt Herr Markus, der keine Ahnung hat, was los ist. "Wo genau hilft er mit?", frage ich ruhig. "Er meinte, dass er überall helfen würde." Na toll. "Okay", füstere ich und lasse den Mann weiter sprechen. Das wird ein Desaster!

Nach der Schule holen wir für alle etwas zu Essen, nehmen den Bus und fahren zu Malik, der sich freut uns wieder zusehen. Wir wollten Saliha ebenfalls abholen, doch diese hat ihre Tage und ist nicht in der Lage normal zu laufen. "Lang nicht mehr gesehen", sagt Malik zu mir, weswegen ich meine Augen aufreiße. Viyan weiß von nichts und wird mich entweder töten oder blamieren. "Wir sollten essen. Ich verhungere", wechsele ich das Thema, greife nach der Tüte mit den ganzen Dürüms und gebe Malik seins mit einem Killerblick, worauf er mir ein entschuldigendes Lächeln schenkt. "Was genau ist jetzt passiert?", will Viyan wissen, die Malik fassungslos anschaut. "Wir hatten einen Autounfall", erzählt Malik, weswegen Viyan laut die Luft einzieht. "Da war so ein Hurensohn Fahrer, der nicht fahren konnte", bringt Can mit angespanntem Kiefer raus. Ich schaue kurz zu Viyan und schüttele mit dem Kopf, damit sie keine weiteren Fragen stellt. Da eine angespannte Stille herrscht, fängt Ramazan an Geschichten zu erzählen und lockert damit die Spannung. "Ich habe ein Mädchen kennengelernt", setzt er grinsend an. "Sie sah gut aus und hatte auch eine gute Figur, aber dann, als sie mich küssen wollte, dachte ich jemand hätte vergessen den Müll rauszubringen." Sofort fange ich an zu lachen und da meine Lache nicht wirklich leise und sehr ansteckend ist, fangen auch die anderen an zu lachen. "Ich schwöre das ist nicht lustig. Ich bin fast gestorben, habe ihr dann gesagt, dass ich schnell los müsste", sagt Ramazan und schüttelt sich vor Ekel, während ich mir die Tränen wegwische. Dieser Junge ist ein Goldstück. Er erzählt uns weitere Geschichten und verschafft uns allen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Viyan wird von ihrem Bruder abgeholt und geht deswegen als Erste von uns. "Was habt ihr so in der Schule gemacht?", fragt Malik. "Wir hatten mit Herrn Krasniqi", schwärme ich, was Can leise schnauben lässt. "Wir haben wieder über den Abiball und so geredet. Cihan wird mithelfen", informiert Can Malik genervt. "Was? Sein verdammter Ernst?", fragt Malik nun im selben Ton, wie Can. "Scheißt mal auf ihn. Wir werden einen Abschlusskönig und eine Abschlusskönigin wählen", sage ich motiviert. "Jeder weiß doch, dass ich gewinnen werde", säuselt Ramazan, streckt sich, um dann seinen Arm um mich zu legen. "Träum weiter. Ich habe schon Ideen, wie die Show sein soll." Ich grinse vor mich hin. "Ich will nicht wissen, was du dir da so ausmalst, Shana", sagt Malik grinsend. Das wirst du am eigenen Leib erfahren. "Wisst ihr noch, als ich im Krankenhaus lag?", spricht Ramazan jetzt. "Ja! Wo du so getan hättest, als ob du dein Gedächtnis verloren hättest!", rufe ich vorwurfsvoll und schmeiße seinen Arm runter. "Sei ehrlich. Du fandest es lustig." Ich hatte fast einen Herzinfarkt, was redet dieser Junge da? "Lustiger war es aber, als du und Can euch die ganze Streit gestritten habt oder du mit dem Mädchen, wie hieß sie noch mal? Jenny? Keine Ahnung, aber du hast dich auch mit ihr gestritten." Ich kann mich noch perfekt daran erinnern. Ich weiß, dass Ramazan nichts Ernstes von ihr wollte, aber das heißt noch lange nicht, dass sie für fünf Minuten zu ihm ins Krankenhaus kommen soll und dann wieder geht, weil sie sich mit einem Kollegen trifft. "Anders hatte sie es nicht verdient", gebe ich mürrisch von mir. "Das Beste war aber, als du gesagt hast, dass Ramazan dein Freund wäre, nur damit du in den Krankenwagen steigen kannst", sagt Malik und lacht auf. "Würde ich wieder machen", gebe ich stolz von mir und verschränke meine Arme vor der Brust.

"Hast du schon ein Hotel? Herr Markus hat am Montag danach gefragt", frage ich Can bezüglich der Abschlussfahrt. "Ja", ist das Einzige, was ich zu hören bekomme. "Und welches?", hake ich nach. "Erfährst du doch Morgen. Warte doch einfach", gibt er genervt von sich und tippt irgendwas in sein Handy ein. Will der mich verarschen? Wenn er schon hier ist, kann er es mir doch sofort sagen. Was ist sein verdammtes Problem aufeinmal? Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und schaue zu Malik und Ramazan, die mich mit ahnungslosen Blicken anschauen. "Komm mal runter. Ich hab nur gefragt. Kann ich hellsehen?", gebe ich im selben Ton zurück. "Lern es", murmelt er apathisch und schaut immer noch auf sein Handy. Oh mein Gott, dieser Junge ist komplett blöd! Can hat wieder seine Tage. "Willst du mich verarschen oder was? Was schiebst du hier für Filme ab?", frage ich zynisch. "Leute, beruhig euch", versucht Malik unseren Streit zu schlichten, doch er wird von uns ignoriert. Nun schaut mich Can an, doch ich schaue an ihm vorbei. Er soll nicht hoffen, dass ich ihn anschaue. "Sei doch einfach mal leise", knurrt er, was mich dazu bringt aufzustehen. Ramazan hält mich aber auf. "Seid beide jetzt leise", sagt Ramazan in einem ernsten Ton, bevor Ruhe eintritt. Kaum zu glauben, dass ich ihn die ganzen Tage besucht habe, dass ich mit ihm zu seinen Untersuchungen gegangen bin. Ich bin so dumm! Ich bereue es, so nett zu ihm gewesen zu sein und mir Gedanken darüber gemacht zu haben, mich ihm zu öffnen. Ich bereue es, dass ich heute seine Hand nicht weggeschoben habe. Wie konnte ich bloß denken, dass wir uns irgendwann mal verstehen werden? Ich verstehe nicht, wieso er so angepisst ist. Wenn Can etwas tut, dann aus einem bestimmten Grund. Bin ich etwa seine Anti-Stress Puppe oder was? Ich bin so verdammt sauer, dass mir die Tränen aufsteigen, aber ich blinzele sie schnell weg. "Sorry, aber mir ist die Laune verdorben worden. Ich gehe dann mal", gebe ich trocken von mir und verlasse mit festen Schritten den Raum. Ich will nicht mehr bei so einem arroganten und undankbaren Arschloch sein. Als ich aus dem Krankenhaus austrete, vibriert mein Handy.

'Komm zurück', schreibt Can. Das kann er vergessen!

'Nerv mich nicht', schreibe ich und verlasse die Auffahrt.

'Shana, sei nicht so.' Das hat er jetzt nicht geschrieben!

'Willst du mich verarschen? Du machst mich ohne Grund beschissen von der Seite an und verlangst von mir, dass ich nicht so sein soll? Was bildest du dir ein?'

'Ich hatte mich nicht wirklich unter Kontrolle, ich weiß, aber ich konnte bei dieser Nachricht nicht anders.'

'Nicht mein Problem.'

'Shana, es ging um dich.' Um mich?

'Ok.' Mein Nachtragen kommt mal wieder aus mir heraus.

'Glaubst du mir?'

'Nein', schreibe ich direkt und ehrlich.

'Cihan hat mir geschrieben. Er hat mich provoziert, meinte, dass er viel Spaß mit uns haben wird bei den Vorbereitungen und vor allem mit dir. Wie sollte ich da ruhig bleiben?'

Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich sehe keinen Grund, mich jetzt deswegen blöd anzumachen. Soll er doch Cihan blöd anmachen und nicht mich. Ich habe ihm nämlich nichts getan. Wie kann man nur wegen so einer Nachricht so eingeschnappt sein? Wieso lässt er seine Wut an mir aus? Ich habe ihm nichts getan. Er hat nicht das Recht, so zu mir zu sein - vor allem nach diesen Tagen. Wenn ich wieder daran denke, dann werde ich verdammt sauer. Wieso war ich so nett zu ihm? Das regt mich so sehr auf. Ich will es einfach vergessen. Ich antworte ihm nicht und laufe schnell nach Hause.

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Schreibblockade on fleek.

-Helo

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