Kapitel 80

Donnerstag, 20. September

Seit Wochen hängt Elif mit uns ab. Na ja, sie hängt mit Viyan, Saliha, Malik, Ramazan und Can ab, da ich nicht mit ihr abhängen will. Ich ignoriere sie wie immer gekonnt und konzentriere mich umso mehr auf den Stoff für die anstehenden Klausuren. Wieso kann man Mathe nicht ganz abwählen? Ich brauche diese Scheiße nicht. Wieso versteht das Schulministerium das nicht?! Bei Can habe ich vor zwei Wochen gegessen und hätte eigentlich seine ältere Schwester kennengelernt, doch sie musste wieder zurück nach Hamburg. Cans Mutter hat sich total gefreut, genau sowie Derya und sie wollten mich gar nicht gehen lassen. Ich habe ihnen aber versprochen, dass ich wieder komme. Ich schreibe gerade den letzten Satz meiner Spanisch Klausur zu Ende, beleidige Can als riesigen Gorilla auf Spanisch, was meine Spanischlehrerin zum Lachen bringt und gehe entspannt aus dem Raum. Sprachen liegen mir schon seit der Geburt, weswegen ich nur im seltenen Fall lerne. Ich warte auf Ramazan, Viyan und Malik, aber leider automatisch auch auf Can, bevor wir direkt zur Sporthalle laufen, da wir die Pause durch geschrieben haben. "Wenn du mich beleidigst, dann solltest du deine Stimme dämpfen", informiert Can mich, als ich mich auf die Stufe setze und warte, bis Herr Jakubeck kommt. Wir haben ihn jetzt bekommen, da Herr Markus nur im ersten Abijahr Sport unterrichtet. Wieso, weiß ich aber nicht. "Das war beabsichtigt", gebe ich apathisch von mir und schaue auf mein Handy, wo ich eine Nachricht von Viyan bekomme.

'Schnapp dir Can! Schnapp dir sein Ding!', schreibt mir meine verrückte Freundin.

Ich fange an zu lachen und schaue heimlich zu ihr. Sie schaut grinsend weg, weswegen ich noch mehr lachen muss. "Was hast du?", fragt Ramazan schmunzeln. Ach, wenn du nur wüsstest. "Nichts", sage ich entspannt seufzend und sperre mein Handy. Man weiß ja nie, am Ende nimmt Can es mir noch weg. Herr Jakubeck kommt und schließt die Halle auf. Da ich schon in Jogginghose und T-Shirt zur Schule gekommen bin, lege ich einfach in der Kabine meine Tasche und Jacke ab und gehe in die Halle. Die Halle füllt sich immer mehr mit den Schülern, unteranderem kommen die drei Jungs rein, gefolgt von Viyan und Saliha. Sie alle setzen sich zu mir auf die Bank und fangen an zu reden. "Shana, lass mal heute raus", sagt Viyan. "Wohin?" "Keine Ahnung. Lass erst zu dir und dann sehen wir weiter", schlägt sie vor. "Kommst du nicht mit?", frage ich Saliha, die es verneint, da sie zu ihrer Schwägerin muss. Leider Gottes kommt auch Elif in die Halle und hinter ihr Aleyna und mit ihren Hündinnen. Aleyna überholt Elif und kommt auf Can zu. "Können wir uns heute treffen?", fragt sie mit einer ekelig verstellten Stimme. "Wieso?", fragt Can. Müsste er nicht sofort zustimmen? Ach ja, geht ja nicht, wegen Elif. "Ich möchte was klären und so." Dieses und so hört sich verdächtig nach Herumgelecke an. Can nickt nur und lächelt Elif zu. Das sieht Aleyna auch und bleibt deswegen bei uns. Sind wir ein verdammtes Tierheim, dass jeder zu uns kommt, der keinen hat?! Herr Jakubeck kommt in die Halle und meint, dass wir machen können, was wir wollen. Das Gute bei ihm ist, dass er ein total entspannter Lehrer ist. Er ist der Ansicht, dass es nichts bringt etwas Großes zu machen, wenn man nur eine Stunde zur Verfügung hat. Ich bleibe also mit meiner Clique - falls man es so nennen kann - plus Can, Elif, Aleyna und ihren Hündinnen auf der Bank sitzen und lehne mich gelangweilt an Viyans Schulter. "Lasst Fußball spielen", schlägt Malik vor und steht auf. Ramazan und Can erheben sich ebenfalls, genau sowie Aleyna und ihre Mitläufer. "Seit wann kannst du Fußball spielen?", frage ich spöttisch. "Schon immer", gibt Aleyna arrogant von sich und zieht ihre Leggings noch höher, als sie schon ist. "Das Mädchen kriegt irgendwann Schläge von mir", murrt Viyan und spuckt imaginär und laut. "Hat Shana doch schon gemacht", erinnert Saliha sie, weswegen wir lachen. "Das waren noch Zeiten", schwelge ich in Erinnerung. "Du hast Aleyna geschlagen?", fragt Elif in einem ungläubigen Ton. "Jap", gebe ich trocken von mir und sehe zu, wie Aleyna bloßgestellt wird, da Ramazan die ganze Zeit durch ihre Beine schießt. Da fällt mir wieder ein, dass Elif mich ja schlagen will, falls es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Genau das bringt mich zum Lachen, weswegen Saliha und Viyan mich fragend anschauen. "Erzähle ich später", gebe ich kopfschüttelnd von mir und sehe zu, wie Cathleen einen Ball gegen den Arm kriegt. Verdient meiner und jeder anderen Meinung nach. Sie hängt jetzt mit Melissa, einem Mädchen aus meinem Deutsch-LK ab und redet ab und zu mit Aleynas Clique. Hätte sie wegen des Balles, der sie getroffen hat nicht laut beleidigt, dann wäre sie mir gar nicht in den Sinn gekommen.

Nach der Stunde, in der Saliha, Viyan und ich viel geredet und gelästert haben, trennen wir uns, da ich zu Biologie muss, Viyan zu Geschichte und Saliha zu Philosophie. Ich warte auf Ramazan und ignoriere Can, der Elif zum Lachen bringt. "Und? Hast du ein neues Mädchen am Start?", erkundige ich mich bei Ramazan. "Also ich habe gerade eine schwere Trennung hinter mir. Ich brauche etwas Abstand", schluchzt er. "Ich werde erst so in ein paar Tagen wieder zu mir kommen und dann sehen wir weiter." Ich nicke schmunzelnd. "Und du?" Nun verwandelt sich mein Schmunzeln in einen verwirrten Blick. "Kein Lover?" "Nein", antworte ich lachend. "Gut so. Sonst müsste ich mit ihm reden." Dabei spannt er angeberisch seine Oberarme an. "Hast du bis jetzt immer noch nicht dein erstes Mal gehabt?" Ich bin sehr erstaunt, dass ein Player wie Ramazan immer noch keinen Sex hatte. Er ist nicht hässlich, ist schlau, charmant und witzig und zudem gut gebaut. "Nein", sagt er stolz grinsend. "Sehr schön. Lass sie uns gemeinsam verlieren." Nachdem dieser Satz meinen Mund verlassen hat, schlage ich meine Hände erschrocken auf meinen Mund. "Ich meinte das nicht so!" Doch das interessiert Ramazan gerade nicht wirklich, denn er fängt aus tiefstem Herzen an zu lachen und krümmt sich dabei. Manchmal drücke ich einfach falsch aus. Das ist mir sehr oft passiert. Vor allem im kurdischen, da es dort Wörter gibt, die nur einen anderen Buchstaben haben und dann etwas komplett anderes bedeuten. Einmal habe ich vor dem Besuch zu meinen Eltern gesagt, dass ich zu meinem Freund gehe und nicht zu meiner Freundin, da ich Hewale - was Freund heißt und sich meiner Meinung nach weiblich anhört - und Hewala - was Freundin heißt und sich männlich anhört - nicht unterscheiden konnte. Also habe ich total entspannt vor versammelten Mannschaft gesagt, dass ich zu meinem Freund gehe, ohne zu wissen, dass ich das Falsche gesagt habe. "Ach, Shana. Ach, Shana", säuselt Ramazan schmunzelnd und legt einen Arm um meine Schulter. Beschämt fahre ich über meine Wangen und schaue mit leicht gespitzten Lippen zu Boden. "Danke für das Angebot. Ich werde es auf jeden Fall nicht abschlagen", flüstert er mir zu und fängt wieder an zu lachen. "Ramazan!", rufe ich beschämt und schlage ihn, was ihn noch mehr zum Lachen bringt. Und da seine Lache so verdammt lustig ist, kann ich nicht anders und muss mit lachen. "Was ist los?", fragt Can, als wir lachend die Treppen hochsteigen. "Shana hat mir ein Angebot gemacht, welches ich nicht abschlagen kann." Sofort kriegt Ramazan einen Klaps auf den Hinterkopf und schaut mich lasziv an. "Auf meinen Arsch." Er streckt mir seinen Hintern raus und will, dass ich dort drauf schlage. "Los, Dom Shana", schnurrt er, weswegen ich irritierende Geräusche von mir gebe und ihn zu mir ziehe. "Lass uns schnell rein, bevor wir zu spät kommen", gebe ich lachend von mir und ziehe Ramazan schnell in den Biologie Raum, wo Frau Schnitzler schon Aufgaben an die Tafel schreibt. Mit einer Ausrede setzen wir uns hin. Ich stehe noch einmal auf, um die Tür zu schließen, was aber nichts gebracht hat, da einen Moment später Can die Tür aufreißt.

Malik wartet vor dem Biologie Raum auf uns, damit wir gemeinsam rüber laufen können. Als wir vor dem Chemieraum ankommen, fange ich an I Will Always Love You von Whitney Houston zu singen. Dieses Lied singe ich so gut wie immer, vor allem, da ich eine so gute Sängerin bin. Ich verstehe nicht, wieso Viyan und Saliha nicht wollen, dass ich singe. Ich sage ihnen immer, dass sie nicht eifersüchtig seinen sollen, aber sie wollen nicht aufhören, mir zu sagen, dass ich nicht singen kann. Ich fange an den Refrain zu singen und höre dann eine wunderschöne, melodische Stimme mitsingen. Ich höre abrupt auf zu singen und schaue überrascht zu Malik, der immer noch weiter singt. "I will always love you", singt er leise zu Ende und schenkt mir sein typisches, warmes Malik-Lächeln. Immer noch geschockt gehe ich auf ihn zu und nehme seine linke Hand in meine linke Hand. Meine rechte Hand lege ich auf mein Herz, um ihm zu zeigen, wie gerührt ich bin. "Willst du mich heiraten?", flüstere ich, was ihn zum Lachen bringt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Can aufgehört hat mit Elif zu reden und zu uns schielt. "Ey! Hast du dein Angebot, das ich angenommen habe vergessen?", fragt Ramazan gespielt eifersüchtig, dem ich einen Luftkuss schenke. "Seit wann kannst du so gut singen? Also natürlich nicht so gut wie ich, aber du weiß, was ich meine." Er lacht auf und schüttelt den Kopf. "Hab mit zehn Jahren oder so erkannt, dass meine Stimme gar nicht so schlecht ist und seit dem singe ich ab und zu", erzählt er und lehnt sich an die eierschalenfarbene Wand an. "Gar nicht so schlecht? Du singst wunderschön!" Malik lächelt schüchtern und bedankt sich bei mir. Ich wusste doch, dass dieser Junge ein verborgenes Talent besitzt. Allein seine ruhige und nette Art hat mir gezeigt, dass es irgendetwas an ihm gibt, was ihn so besonders macht und das ist seine schöne Stimme. "Du wirst jetzt immer für mich singen!" "Versprochen", sagt Malik lächelnd. "Ich kann auch singen!", ruft Ramazan und räuspert sich. "Nobodys perfect! Ramazan is perfect! Again and again till I get right", singt er selbstbewusst und tanzt die Choreografie von Hannah Montanas Nobodys Perfect. "Natürlich. Zwar nicht so gut, wie ich, aber du bist ganz nah dran", grinse ich und lasse Herr Krasniqi vorbei - den ich nebenbei mit meinen Blicken ausziehe -, damit er die Tür aufschließen kann. Nach der Schule nehmen Viyan und ich den Bus direkt zu mir. Saliha ist von der Schule aus zu ihrer Schwägerin gelaufen, da diese in ihrer Nähe wohnt. "Die will dich Schlagen? Soll sie herkommen! Ich zerreiße sie!", sagt Viyan im Bus und gestikuliert wie eine Wilde. "Wird sie schon nicht", kommt es entspannt von mir, als ich den Stop-Knopf drücke und zwei Minuten später mit Viyan aussteige. Bei mir zu Hause angekommen, setzt sich Viyan auf meinen Schreibtischstuhl und ich lege mich auf mein Bett. "Also? Was machen wir?", fragt Viyan. "Lass uns irgendwo Essen gehen, aber später. Ich muss warten, bis Mama nach Hause kommt", sage ich. "Erzähl mir, wie Can dir das erzählt hat mit Elif." Ich räuspere mich und setze mich auf. "Also an dem Tag, an dem Elif sich abgemeldet hat, hat er mir nach der Schule geschrieben, dass Elif sauer auf ihn ist." "Wieso?", fragt Viyan mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Weil er nichts unternommen hat." Viyan guckt mich verständnislos an. "Ramazan ist doch sein bester Freund! Was soll er gegen ihn sagen?" "Hab ich ihm auch gesagt. Jedenfalls haben die beiden sich dann getroffen und weißt du wo?", frage ich leicht lächelnd. "Wo?" "Hinter dem Haus, auf dem Spielplatz." Sie schaut mich überrascht an, während ich nicke. "Ehrlich?" "Ja. Und dieser Esel hat, als Elif mit ihm geredet hat, zu mir hoch geschaut und deswegen hätte Elif mich fast gesehen!" "Du hast sie gestalk?", fragt Viyan etwas verdutzt. "Joa, er hat mir halt den Standort geschickt." "Warte! Woher weiß er, wo du wohnst?", fragt sie misstrauisch. Ich halte mir kurz den Nacken bevor ich weiter rede. "Ähm, ja. Can wohnt in der Nähe von mir." Ihre Augen weiten sich überrascht. "Du warst ja mal bei ihm", sagt sie wissend. Sehr oft. "Eh, ja." Ich nicke langsam mit meinem Kopf, was sie erahnen lässt, dass ich etwas verheimliche. "Shana, wieso weiß er, wo du wohnst?" "Er hat mich einmal nach Hause gefahren", summe ich verheimlichend. "Wann?" Ihre Stimme ist total ernst, genau wie ihr Blick. Ich will ihr nichts verheimlichen, aber es ist mir irgendwie unangenehm darüber zu reden. Ich zucke unschuldig mit meinen Schultern, während ich ihr ein kleines Lächeln schenke. Damit entlocke ich ihr ein kleines Schmunzeln für eine Sekunde, bevor sie wieder ernst wird. "Wann?" Ich fahre mir über meine Wangen und fange an zu Erzählen. "Also einmal, nach dem ich eine Klausur geschrieben habe, ich glaube das war Bio, hat mich Can abgefangen. Er war irgendwie voll gut drauf an diesem Tag und hat mich halt in sein Auto geschleppt", erzähle ich. "Und dann?" Ich fahre mir durch meine Haare und schaue schmunzelnd auf den Fernseher hinter ihr. "Wir waren in Köln", murmele ich und achte auf ihre Reaktion. Ihr Gesicht ist versteinert. Sie wird mich töten. "Was?", fragt sie noch einmal nach, obwohl sie es beim ersten Mal verstanden hat. "Wir waren in Köln." Ich lächele unschuldig und ziehe meine Schultern hoch. "In Köln. Wir waren noch nie in Köln und du fährst mit ihm nach Köln?!", ruft sie durch die Wohnung und springt auf mein Bett um mich zu schlagen. Zum Glück ist keiner zu Hause, der uns zu hört. "Woher sollte ich wissen, dass er mich dort hinbringt?", rufe ich belustigt und schlage zurück. Sie hebt ihre Hand und will damit zeigen, dass sie diese Information erst einmal verdauen muss. "Okay und was habt ihr da gemacht?", fragt sie entspannter und kommt zu mir unter die Decke. "Wir waren bei seinem Vater essen." Sie hält sich sofort die Hand an ihr Herz. "Bei seinem Vater?!" "Sein Vater mag mich und sein Essen ist himmlisch", informiere ich sie schüchtern. "Der Vater hat dich gesehen?!" "Er wusste von mir Bescheid", rutscht es mir aus versehen aus, weswegen ich mir auf die Lippe beiße. Viyan setzt sich sofort mit aufgerissenen Augen auf. "Wie, er wusste Bescheid?" Ich bin am Arsch. "Can und ich haben doch an dieser Hausarbeit gearbeitet", fange ich an. "Jaaa", zieht sie das Wort in die Länge. "Wir waren bei ihm." Das war der ausschlaggebende Moment, in dem Viyan anfängt zu kreischen und mich zu schlagen. "Schlag mich nicht!" Ich schlage zurück und schubse sie aus dem Bett, sodass sie lachend auf dem Boden liegt. Wegen dieser misslichen Lage muss ich ebenfalls lachen und ziehe sie hoch. Sie zieht sofort die Decke nach unten und will an meine Hose. "Was wird das?", frage ich verstört und schlage ihre Hände weg. "Ich muss gucken, ob du noch Jungfrau bist." Ich schlage ihr gegen den Kopf, was sie schmerzlich aufstöhnen lässt. "Erzähl das niemandem", sage ich ihr, was sie schmunzeln lässt. "Dein dreckiges Geheimnis ist bei mir sicher, du Bitch." Danach fängt sie an krank zu lachen und schaut mich mit einem pervers grinsenden Blick an. "Ich wusste doch, dass da etwas zwischen dir und Can läuft." "Da läuft nichts", versichere ich ihr grinsend. Wieso kann ich jetzt nicht aufhören zu grinsen? Ich höre, wie ein Schlüssel ins Schloss fällt und wie im nächsten die Tür aufgemacht wird. Meine Mutter ist zu Hause. "Shana, ich hab dir Chips mitgebracht", sagt sie und kommt in mein Zimmer. "Hallo, Viyan", begrüßt meine Mutter sie lächelnd. "Hallo, Xaltike", grüßt Viyan sie zurück. "Mam? Ich brauch Geld, wir wollen Essen gehen." Sie schmeißt mir augenverdrehend einen Fünfeuroschein und die Chipstüte zu, bevor sie das Zimmer verlässt. Schnell ziehen Viyan und ich unsere Jacken und Schuhe an und laufen raus. Bei unserer Stammdönerbude angekommen, begrüßen wir den Ladenbesitzer, der uns kennt und setzen uns hin, da er weiß, was wir haben wollen. "Also habe ich das richtig verstanden: Can und du wart zusammen Essen, du warst bei ihm und seine Eltern kennen dich." Ich nicke. "Und noch was?" Sie weiß, dass da mehr ist. Das mit dem gefälschten Liebesgeständnis und dem Kuss kann und will ich einfach nicht sagen. "Es waren dreimal, dass ich mit ihm dort Essen war." Sie nickt schmunzelnd, schüttelt den Kopf und fängt an zu essen, als unsere Döner gebracht werden. Während des Essens reden wir über Kleidung und lästern über die Menschen aus der Stadt und machen uns danach auf dem Weg zu Viyan.

"Doch!", widerspricht mir Viyan. "Mädchen, nein! Wie soll man an so einer kleinen Wunde verbluten?" Viyan ist mit ihrer Hand gegen meinen Fingernagel gekommen und heult seitdem den ganzen Weg herum, dass es nicht aufhört zu bluten und dass sie deswegen stirbt. "Bring mich ins Krankenhaus", fleht sie und lehnt sich an mir an, doch ich schubse sie weg. "Das ist nur ein kleiner Schnitt, mehr ni-," Viyan hält mir den Mund zu und zieht mich hinter den Baum. "Was ist los?", flüstere ich. "Da sind Can und Aleyna", zischt sie. Sofort gilt mein Blick zu den beiden, die auf dem Schulhof eines Gymnasiums herumlaufen und dann schließlich bei den Tischtennisplatten stehen bleiben. "Lass uns an diesen Baum", flüstere ich und ziehe Viyan nach einigen Zögerungen zu den von mir gewünschten Baum. "Ich empfinde aber immer noch etwas für dich", höre ich Aleyna sagen. "Mach Fotos!", flüstere ich zu Viyan, die sofort ihr Handy raus holt. Sie schießt ein Foto, doch leider erblinde ich kurzzeitig, da Viyan vergessen hat ihr Blitzlicht auszuschalten. "Scheiße! Du Esel!", zische ich und schlage sie. "Was kann ich dafür?", zischt sie und schlägt zurück. Sofort entsteht eine kleine Kloppe, die ich schnell beende, da ich mich auf Can und Aleyna konzentrieren will. "Du hast doch Cihan", sagt Can und verschränkt seine Arme vor seiner Brust. "Ich weiß, aber, wenn du mich wieder haben willst, dann komme ich zurück." Was eine Schlampe! Aleyna geht auf Can zu, während ich Viyan befehle mit ihrem Handy ran zu zoomen und Fotos zu schießen. "Wechsel auf Video!", flüstere ich, da ich die Befürchtung habe, dass sie sich Küssen werden. Sie sind sich nahe, doch küssen sich nicht. Aleyna fährt mit ihren Händen über Cans Brust und beugt sich zu ihm rüber, um ihn zu küssen. "Ich nehme auf", informiert mich Viyan. Ich nicke abwesend und beäuge weiter das Szenario. Er erwidert den Kuss, entschränkt seine Arme und zieht sie an ihrem Hintern näher zu sich, bevor er den Kuss intensiviert. Mit offenem Mund schaue ich zu Viyan, die mich geschockt ansieht. Schnell drehe ich mich wieder zu den beiden Ekelhaften und sehe, wie Can sie schon auf die Tischtennisplatte gehievt hat und sie dort weiter rummachen. Wow, wenn Elif das wüsste. Mir wird flau im Magen. Er löst sich von ihr und führt sie irgendwo hin. Vielleicht in ein Gebüsch oder er bricht in das Gebäude ein, um sie ungestört zu ficken. Hoffentlich hat er keine Kondome dabei. Hoffentlich hat Aleyna ihre Tage und blamiert sich. Etwas schockiert verlassen Viyan und ich den Ort und laufen an der Sporthalle des Gymnasiums vorbei, um schneller bei Viyan anzukommen. "Das war krass", kommentiert Viyan. Ich sage nichts, schaue mir einfach die Autos an, die an uns vorbeifahren. "Was ist los?", fragt mich Viyan. "Nichts." Ich weiß ja selber nicht, was ich habe. "Ich glaube, ich bin einfach zu geschockt." Lüg nicht, dich bedrückt es. Langsam wandelt sich diese Bedrücktheit in Wut um. Wieso küsst er sie?! "Was erwartet man von so einem Player, wie Can?", frage ich kalt, aber dennoch wütend. Viyan schaut mich an. "Es ist für ihn selbstverständlich. Sowas macht er jeden Tag und jede Nacht!", fahre ich fort und sage Viyan, dass wir nicht in den Garten gehen, da uns wahrscheinlich die Nachbarn hören könnten. Stattdessen setzt sich Viyan auf einen der drei Bushaltestellenplätze hin und hört mir aufmerksam zu. "Wir sollten uns von solchen Aktionen nicht schockieren lassen, denn für die meisten Jungs ist das zum Standard geworden. Wie soll man diesen Menschen vertrauen und sich an sie binden, wenn sie höchstwahrscheinlich so sind?" Das ist der Grund, wieso ich mich auf keine Beziehungen einlasse, wieso ich mich nicht generell schnell sondern selten auf Menschen einlasse. "Wieso kann man sich nicht für eine Person entscheiden und bei ihr bleiben? Can hatte doch so viele! Wieso hat er sich noch nie für eine entschieden?" Ich schaue fragend zu Viyan, die die Antwort nicht kennt, auch wenn sie in diesem Bereich Erfahrung im Gegensatz zu mir hat. "Weil er noch nie verliebt war", gebe ich mit einem spöttischen Lachen ab. "Was ich nicht verstehe ist, wieso er die ganzen Mädchen verarscht. Macht er es, damit ihre Hoffnungen kaputtgehen und sie niemals lieben werden?" Ich seufze kopfschüttelnd und fahre mir durch meine Haare. "Beruhig dich, Shana", sagt Viyan in einem ruhigen Ton. "Ich musste es einfach los werden", sage ich seufzend und mache eine wegwerfende Bewegung. "Jetzt bin ich es los und muss es nicht auf meinen Schultern tragen." Es kehrt stille ein. Man hört nur die Autos, die hin und her fahren. "Lass uns bitte über etwas anderes reden", bitte ich und ziehe Viyan hoch, damit wir zu ihr nach Hause laufen können. Ich werde Can einfach ignorieren. Ich werde ihn weder provozieren, noch irgendwie angreifen. Das, was er da vorhin gemacht hat, hat mich wieder daran erinnern lassen, mit wem ich es zu tun habe und mit wem ich es niemals zu tun haben wollte. Einigen mag es jetzt lächerlich erscheinen, da es nicht meine Sache ist und mich in keinerlei Weise betrifft, doch das genau tut es. Man muss sich vor vorstellen, man ist eine selbstbewusste Person, die sich immer von solchen Jungs ferngehalten hat und gleich drei solcher Player kennengelernt hat. Zwei davon sind einem wirklich ans Herz gewachsen und der eine andere ist jemand, den man mal versteht und mal hasst. Man hat vieles Erlebt, man war sogar bei ihm zu Hause. Er hat dich beschützt und sich für dich eingesetzt, dich mit seinem eigenem Körper verteidigt, dich in seinen Armen gehalten und so vieles getan, was er noch nie bei irgendeinem Mädchen zuvor getan hat. Würde man sich nicht auch besonders fühlen? Besonderer als jedes andere Mädchen zuvor? Und dann kommt genau sowas, wo man sich denkt: Weiß er eigentlich, was er da tut? Er behandelt dich gut und im anderem Moment ist er mit einem anderem Mädchen und tut Sachen, die man niemals zulassen würde.

Man fühlt sich regelrecht verarscht.

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