Kapitel 76

Donnerstag, 31. August

Can ist ein Arschloch! Ein riesiges, egoistisches, arrogantes Arschloch. Seine Arschigkeit ist so groß, dass sie sich seiner Größe angepasst hat. Vielleicht ist er auch deswegen so groß. Das kann es sein. Sein beschissenes Verhalten hat zu viel Platz eingenommen und da es stets wächst, ist Can gewachsen und ist jetzt so groß. Gorilla. Pff! Wie kann er nur so etwas behaupten? Als ob er sich mit dem Thema jetzt besser auskennt, nur weil er Beziehungen mit zig tausend Mädchen geführt hat. Arschloch! Er will nur nicht einsehen, dass ich recht habe. Obwohl die Diskussion am Dienstag war, regt es mich immer noch auf. Wieso sollte ich falsch liegen? Er liegt falsch, da er ein Narzisst ist. Gorilla! Ich bin schon aufgebracht und das Badezimmerboden-Wischen hilft mir nicht viel weiter, da ich es verabscheue, diesen scheiß Boden mit seinen scheiß kleinen Kacheln zu wischen. Wieso sind hier so viele beschissene Haare und wieso wollen die nicht weggehen?! Das ist alles Cans Schuld! Er regt mich auf und deswegen bin ich noch wütender auf den beschissenen Badezimmerboden, sodass ich den nutzlosen Wischmopp auf den Boden schmeiße, was ein lautes Geräusch ertönen lässt. "Mam! Ich kann diesen Boden nicht wischen!", meckere ich total wütend. Ich höre wie meine Mutter den Deckel auf den Topf legt und mit ihren Latschen, die beim Laufen auf den Boden scheppern, zu mir in das Badezimmer kommt. "Mama, wenn ich eine eigene Wohnung habe, will ich Marmor!" Mir egal wie teuer so ein Stein ist, diese Böden wische ich ganz sicherlich nicht! "Ach, wenn du nur wüsstest wie oft ich deinem Vater gesagt habe, dass wir wo anders hinziehen sollen, aber er hört ja nicht", sagt sie und nimmt mir den Mopp ab. "Aber es gibt doch so viele schöne Wohnungen oder gar Häuser!" Ich sehe zu, wie sie mit Leichtigkeit die ganzen Haare vom Boden wischt und am Ende nichts mehr zu sehen ist. Wie kriegt sie das hin? "Sag das deinem Vater." Ich schnalze genervt mit der Zunge und brauche jetzt unbedingt jemanden, bei dem ich meinen Frust ablassen kann, sonst platze ich noch. Bei meiner Mutter kann ich das nicht, da es nicht so gut enden würde, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich und ein Junge etwas gemacht haben. Bei uns Kurden oder generell bei den Südländern ist es ein Tabuthema. Ich darf erst mit einundzwanzig Jahren anfangen über so etwas nach zu denken. Typisch Ausländer halt. "Was ich dir noch sagen wollte: Cihans Familie hat uns am Samstag zum Essen eingeladen." Na toll! Das hat mir noch gefehlt! "Muss ich mit?", frage ich leidend. "Natürlich! Habt ihr Streit?" Jetzt bin ich einer Art Sackgasse, denn ich kann ihr nicht erzählen, warum wir uns gestritten haben, beziehungsweise warum wir zerstritten sind. "Nein, ich schäme mich nur." Ausrede des Jahrtausends, aber sie müsste eigentlich funktionieren. "Sherem neka, ihr kennt euch seit der Geburt." War wohl nichts und mit Schämen hat es nichts zu tun - aber das weiß sie ja nicht. "Aber ich muss lernen!", quengle ich, was sie misstrauisch schauen lässt. Sie wäscht und legt den Wischmopp-Bezug zum Trocknen auf den Wäscheständer, bevor sie mich taxiert. "Du lügst. Ihr habt Streit." Sie wackelt mit ihrem Kopf und schaut mich mit einem verschmitzten Lächeln an. "Nein!", streite ich ab, im der Hoffnung, meine Mutter würde mir irgendwie glauben, doch sie ist meine Mama und weiß somit alles. "Ach ja? Und wieso meintest du einmal, dass, falls mir Cihan etwas erzählt, ich ihm nicht glauben soll?" Weil ich sonst am Arsch wäre. Dieser Hund würde herausposaunen, dass ich angeblich etwas mit Can hätte. Und das vor meiner Familie! Ich hoffe einfach, dass er sich durch meine und Cans Drohung zurückhält, denn für mich gibt es anscheinend keinen anderen Weg. Und Can darf nichts davon erfahren. Aber ich glaube nicht, dass es ihn jetzt noch - nach unserem Streit - interessiert. Mir ist aufgefallen, dass bei Can und mir aus kleinen Sachen immer große Diskussionen entstehen. "Shana?" Meine Mutter schaut mich abwartend an. Ich schaue neutral und rede auch so. "Weil es Meinungsverschiedenheiten gab. Hör bitte nicht auf ihn", sage ich und gehe in mein Zimmer. "Ich finde noch heraus, was nicht stimmt." Als ob du es nicht weißt. Eine Mutter weiß und fühlt irgendwie alles, was mich sehr fasziniert. Irgendwann weiß auch ich, wie sich dieses Gefühl, diese Gabe anfühlt. Bei meiner Mutter ist es sogar so krass, dass ihre Träume - falls es schlechte Träume sind - in Erfüllung gehen. Zum Beispiel hatte sie geträumt, dass die Küche von Viyans Mutter in Flammen steht und am nächsten Tag ist es dann auch wirklich passiert. Ich brauche jetzt wirklich jemanden, bei dem ich mich ausreden kann, also schnappe ich mir mein Handy und rufe Viyan an, um mich dann mit ihr an unserem Ort zu treffen.

"Ja?"

"Viyan?" Irgendetwas im Hintergrund raschelt. Zudem höre ich ihren kleinen Bruder kreischen.

"Halt die Fresse, Loran!", schreit sie und schließt danach - wenn ich es richtig höre - ihre Tür.

"Sorry, meine Familie nervt wieder", stöhnt sie genervt.

"Hast du Zeit?", frage ich.

"Bitte hol mich ab! Ich hab keine Lust mehr auf diese Familie!", fleht sie schon fast, was mich schmunzeln lässt.

"Gut, ich bin so in zehn Minuten da. Wir treffen uns am Bahnhof und gehen an unseren Platz."

"Ok. Yallah, bis gleich." Ich lege auf und gehe um exakt 16:50 Uhr aus dem Haus.

"Mam! Ich bin mit Viyan weg!", rufe ich. "Komm nicht zu spät."

Am Bahnhof warte ich auf Viyan, die das Wort Pünktlichkeit nicht kennt, aber nach zehn Minuten ebenfalls erscheint. "Wohin geht's?", fragt sie mich und bindet sich ihren Dutt neu. "Aufs Dach." Nostalgie schwebt in ihr und auch in mir auf. Wir haben irgendwann im Frühling letzten Jahres unseren Ort entdeckt und haben auch dort meinen Geburtstag gefeiert, weswegen fast die Polizei gerufen wurde. Wir laufen zum Casino und steigen die Metalltreppe hoch, woraufhin wir über das Treppengeländer klettern und auf einer Art Wand stehen. Okay, was heißt hier Wand? Wir sind schon auf dem Dach, aber da ist trotzdem eine kleine Wand - die ich eher als Stufe sehe -, die mit Teer beschichtet ist. Nun müssen wir ungefähr einen Meter runterspringen, um auf den mit Steinen bedeckten Boden zu landen. Da ich leider eine Höhenangst habe, erklettere ich mir den Weg nach unten, als wie Viyan runter zuspringen und auf dem Hintern zu landen. "Ich glaub mein Arsch ist gebrochen", stöhnt sie. "Ich heile ihn", schmunzle ich und erreiche den Boden. Ich ziehe Viyan hoch und laufe dann mit ihr zu den kleinen Wänden, um uns dann dort hinzusetzen. Es ist still, und ich spüre wie die Wut wieder in mir aufsteigt und sich mein Brustkorb schon wieder aufplustert. "Can ist ein so verdammtes Arschloch! Was denkt er, wer er ist? Als ob er alles besser weiß! Mein Gott, ich könnte diesen Jungen umbringen, wäre er nicht so groß!", rufe ich und atme dann tief ein, als ich einige Dinger runtergerattert habe. "Was ist passiert?" , fragt sie schmunzelnd. "Ich habe mich wieder mit ihm in der Schule gestritten, wegen der Wette mit Elif und dann - keine Ahnung wie -, wegen irgendeiner Kleinigkeit. Auf jeden Fall haben wir uns wieder gestritten." Ich seufze und schmeiße einen Stein vom Dach auf die Straße. "Und dann soll ich noch mit meinen Eltern bei Cihan essen. Ich habe null bock drauf!" Als sie den Namen Cihan hört, verdreht sie ihre Augen. "Das ist so ein Pisser! Wie ich diesen Jungen hasse! Am liebsten würde ich ihn totschlagen!", sagt sie und spuckt imaginär. "Ich hoffe einfach, er sagt nichts Falsches vor unseren Eltern." Viyan schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. "Wird er nicht. Sonst kriegt er von deinen Brüdern und mir Schläge!" Nach ihrem Satz grinst sie pervers, sodass ihr Doppelkinn heraussticht. "Und Can." Nun wackelt sie mit ihren Augenbrauen, was mich zum Schmunzeln bringt. Wir reden und albern noch herum, bis wir dann beide nach Hause müssen. Als mein Bus kommt und ich mich somit endgültig von Viyan verabschieden muss, schlage ich ihr noch einmal auf den Hinterkopf und renne in den Bus, wo ich Ramazan ganz hinten sehe. Mit einem Lächeln im Gesicht laufe ich auf ihn zu und setze mich neben ihn hin.

"Stalkst du mich etwa?", fragt er gespielt ängstlich. "Ich doch nicht", antworte ich und muss anfangen zu lachen, als er eine Grimasse schneidet. "Warst du im Fitnessstudio?" Ich deute auf seine dunkelblaue Trainingstasche. "Ja, dieser Körper muss doch fit bleiben für die Ladys", sagt er pompös und posiert mitten in Bus. "Was hast du überhaupt am Bahnhof gesucht? Du darfst da nicht hin." Ramazan schaut gespielt ernst. "Ich war mit Viyan draußen. Wir haben etwas geredet", antworte ich und lehne mich an ihn. "Du hast dort geduscht, nicht wahr?" Er riecht nach einem herben Duschgel. "Natürlich! Ich muss doch gut riechen für die Ladys." "Ach ja? Triffst du dich heute noch mit einer?", frage ich und tue so, als ob ich eifersüchtig wäre. "Da muss ich in meinen Kalender erst gucken. Erzähl mir mal lieber über wen du und Viyan so gelästert habt." Ich schaue ihn empört an, während er verschmitzt grinst. "Wir haben nicht gelästert!" Ich schlage gegen seinen Oberarm und bin mir ziemlich sicher, dass er nichts gespürt hat. "Ach! Ihr Mädchen doch nicht! Erzähl mir über was ihr so geredet habt." Er betont das Wort geredet sarkastisch und setzt Gänsefüßchen dran. Da Ramazan mein bester Freund ist und ich mich immer noch darüber freue, kann ich es ihm erzählen. Er ist irgendwie auch involviert. "Meine Familie ist bei Cihans Familie eingeladen." Seine Haltung verspannt sich etwas. "Gehst du dahin?" Er drückt auf den Stop-Knopf. "Lass uns einfach weiterfahren. Jedenfalls muss ich mit. Meine Mutter weiß, dass wir Streit haben, da sie Gedanken lesen kann. Ich habe das Gefühl, dass er nichts sagen wird, aber natürlich bin ich mir nicht sicher." Ramazan schaut nachdenklich zu Boden und dann zu mir. Aufmunternd lächle ich für eine Sekunde und seufze. "Kannst du deine Eltern wirklich nicht überreden?" "Ich tu, was ich kann, aber am Ende werde ich bestimmt mitgehen müssen." Er seufzt und spielt mit meinen Nägeln herum. "Schreib mir, wenn was ist und benutz deine Nägel als Verteidigung. Man könnte mit denen Fleisch schneiden." Fasziniert inspiziert er meine Nägel und hält sie gegen das Licht der Buslampe. "Und über was habt ihr noch geredet?" Es ist nicht gerade günstig mit seinem besten Freund über seinen besten Freund zu reden. "Ich weiß, dass du und Can euch gestritten habt." Ach ja, sie erzählen sich ja auch alles. "Okay, er kam auch vor, aber was reagiert er denn auch so?!" Mürrisch verschränke ich meine Arme vor meiner Brust und schaue die beiden Mädchen, die gerade eingestiegen sind und Ramazan auffällig mustern, grimmig an. "Ihr seid gleich." Er lacht. Die Mädchen haben sich zu uns nach hinten gesellt. Wenn die jetzt denken, ich lasse zu, dass die so gaffen: Falsch gedacht! "Habe ich ihm auch gesagt, aber er ist zu stur, Arschloch." Ich lehne meinen Kopf wieder an seine Schulter und schaue die Mädchen giftig an, was sie auch sehen und aus dem Fenster gucken. "Du bist doch auch stur, Shana." Er kneift mir in die Wange und lacht kurz. "Gar nicht wahr", kommt es mürrisch von mir, während ich dezent schmolle. "Jetzt schmoll bloß nicht, du Sture." "Und du-, du bist viel zu-, du bist viel zu sympathisch. So da hast du es!" Mir fiel nichts Besseres ein. Ramazan bedankt sich lachend, während die Mädchen komisch gucken. "Problem, wie ich mit meinem Freund rede?", keife ich und kriege keine Antwort. Stattdessen drehen sie sich zum Fenster und flüstern ganz leise. "Lästern braucht ihr nicht", informiere ich sie genervt und kriege von Ramazan eine Umarmung. "Meine Habibti beschützt mich." Er schaut mich schmunzelnd an, was ich erwidere. Seine Haare sind wieder im lockigem Zustand, da er sie nicht glatt geföhnt hat. Das nutze ich aus und fahre mit meiner Hand durch seine Haare, woraufhin ich an ihnen ziehe. Ich liebe es, an den Haaren von Jungs zu ziehen. "Kann es doch sein, dass ich etwas seit meinem Aufenthalt im Krankenhaus vergessen habe und wir doch verheiratet sind?" Er schaut mich schalkhaft an und formt einen Kussmund. "Allein, dass du dich noch an den Unfall erinnern kannst sagt, dass du nichts vergessen hast. Und? Irgendetwas bei dir passiert?", mache ich mich schlau. "Ich hab heute paar Gewichte gestemmt, paar Mädchen angeschaut und war duschen", erzählt er mir aufgeregt. "Sowas Interessantes kann nur dir passieren!" Er nickt bekräftigend und dreht sich dann mit seinem Körper zu mir. "Wirst du deinen Eltern nichts davon erzählen?" Ich weiß, dass er damit Cihan meint. "Nein. Ist auch besser so, sonst tauchen noch mehr Probleme auf", seufze ich. "Sag Can bitte nichts davon." Er schaut mich etwas grimmig. "Ramazan, bitte. Was soll Can schon machen?"

Der Busfahrer bittet uns auszusteigen, da wir die Endhaltestelle erreicht haben. "Ich weiß, er kann nichts machen, aber, wenn er es später herauskriegt, dann wird er noch wütender", sagt Ramazan, als wir aus dem Bus steigen und uns an der Haltestelle hinsetzen. Das kann ihm doch egal sein, wenn er sich so benimmt! "Bitte, Ramazan. Du trägst doch keine Schuld daran. Außerdem kommt er am Ende sowieso zu mir und fragt mich aus." Ich verdrehe genervt die Augen, bevor sein Handy klingelt. "Wenn man vom Teufel spricht", murmele ich, als ich Cans Namen auf Ramazans Handy lese. "Ja, Schatz?", sagt Ramazan, als er abhebt. "War grad beim Training, bin grad an der Haltestelle." Er schaut mich an und schickt mir einen Luftkuss, was mich lächeln lässt. Der nächste Bus kommt, sodass wir einsteigen können. "Ja, okay. Ich bin so in fünfzehn Minuten da. Ciao." Offensichtlich hat Can ihm gesagt, dass er zu ihm kommen soll, also brauche ich nicht nachzufragen. Hätte ich auch so nicht getan. "Mein Schwarm will mit mir schlafen!", sagt Ramazan und verstellt seine Stimme so, dass sie sich weiblich anhört. "Du hast wen besseres verdient", sage ich extra trotzig. Er schaut mich schmunzelnd an. "Eifersüchtig?" Empört schaue ich ihn an. "Ich? Eifersüchtig? Ich wünsche dir etwas Besseres und du kommst mir so an? Dann lass dich doch verarschen, pff!" Ich fühle mich wie in einem Gespräch mit Elif, da sie zu dumm ist, um zu erkennen, dass sie verarscht wird. Ramazan legt einem Arm um mich und drückt mich. "Dankeschön, Habibti." Ich brumme und schaue auf mein Handy. Wir haben 20:28 Uhr. Das heißt, meine Mutter müsste gleich anrufen. "Wartest du auf den Anruf deines Mannes?", fragt Ramazan und grinst. "Ja, meine Mutter heißt er", schmunzele ich. Wie das Schicksal es so wollte, ruft sie mich jetzt an. Ich zeige Ramazan mit meinem Zeigefinger, dass er leise sein soll.

"Ja?"

"Komm nach Hause, es ist schon dunkel", sagt sie, während sie anscheinend Körner isst und ihre Serie schaut. Einer ihrer fünfzehn Serien.

"Ja, bin im Bus."

"Okay, bis gleich." Unser Gespräch ist hiermit beendet.

Während der Fahrt albern wir noch etwas herum, bis wir beide dann aussteigen müssen. "Soll ich dich noch begleiten?" Ich finde das so süß von ihm. "Nein, brauchst du nicht." Ich umarme ihn lächelnd, bevor ich mich auf den Weg nach Hause mache.

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