Kapitel 65

Mit verschränken Armen, plus Cans Arm um meine Schulter, den ich gar nicht haben will, führt Can mich zu einem Restaurant. "Ich habe keinen Hunger." Statt mir zu antworten, zieht er an wieder einer meiner Haarsträhnen. "Lässt du das mal?", zische ich. Mal wieder zieht er an derselben Haarsträhne und lacht. Gleich ist die Locke ganz lose wegen ihm. "Arschloch", murmele ich, schlage nachtragend gegen seine Brust. Es ist komisch, so durch die Stadt zu laufen. Wir wirken wie ein Pärchen. "Lässt du mich jetzt los?" "Nein." Stattdessen steuert er auf das Restaurant zu. Es ist sehr gemütlich gestaltet. Die Wände sind aus Glas und der Boden aus dunklem Holze. Sehr einladend und nicht zu edel, außerdem sehr beliebt, wenn man sich die ganzen Menschen hier anschaut. "Can!", ruft eine männliche Stimme. Can nimmt den Arm von mir runter und geht auf den älteren Mann zu, um ihn dann zu umarmen. Ouh, er kennt den Besitzer. Schüchtern trete ich heran und bleibe mit zwei Füßen Abstand hinter Can stehen. "Wer ist denn das hübsche Mädchen?", fragt der Mann, der schätzungsweise um die 40 sein müsste, mit einem warmen Lächeln. "Das ist Shana." Moment! Wieso zieht er mich so nah an sich ran? Ich versuche Platz zu schaffen, aber er legt wieder seinen hässlichen, muskulösen Arm um mich. "Can!", knurre ich leise und versuche seinen Arm wegzudrücken, aber ohne Erfolg. "Shana? Die, von der deine Mutter schwärmt?" WAS?! Ich schaue geschockt zu Can und dann zu dem Mann. Ist das sein Vater? Diese schwarzen Haare und die markanten Gesichtszüge, natürlich!

Sofort entreiße ich mich aus Cans Griff und drehe mich beschämt zur Seite. Beide fangen an zu lachen und schauen mich an. Spinnt er, mich so vor seinem Vater zu berühren? "Schäm dich nicht. Meine Frau liebt dich. Das heißt, dass du ein gutes Mädchen sein musst." Ich erwidere beschämt sein herzliches Lächeln und hoffe, dass ich nicht rot geworden bin. "Und du! Wehe, du treibst irgendwelche Spielchen mit ihr. Ich weiß, wie du tickst!", zischt er bedrohlich zu Can, der nichts anderes tut, als schnell und aufrichtig zu nicken. Es ist lustig, Can eingeschüchtert zu sehen. Es gefällt mir. "Und sonst? Wie geht es euch? Habt ihr schon einen Platz? Can, wieso hast du nicht Bescheid gegeben? Dann hätte ich den besten Platz für das schöne Mädchen reserviert", schimpft der Vater am Ende. "Es war spontan, Baba", murmelt Can. Ich schmunzele, als er sich verlegen am Nacken kratzt. Der Vater mustert Can prüfend, bis er mich wieder erblickt und sanft lächelt. "Geht's dir gut?", fragt er freundlich. "Ja. Wie geht es Ihnen?", stelle ich schüchtern die Gegenfrage. "Alles bestens. Setzt euch. Ich schicke euch gleich einen Kellner." Schon verschwindet er in die Küche. Amüsiert schaue ich zu Can.

"Was?", will Can wissen. "Lustig, dass du so ruhig vor deinem Vater bist." "Setz dich dahin." Can schiebt mich zum Tisch für zwei in der Mitte des großen Restaurants. "Ich wusste gar nicht, dass dein Vater der Chef eines Restaurants ist", murmele ich abgelenkt von der schönen Inneneinrichtung. Die Decke ist wie der Boden mit dunklem Holz verziert. Das Licht Kölns strahlt angenehm durch die glasigen Wände auf die eckigen, schwarzen Holztische. In der Mitte hängt ein bronzefarbener Kronleuchter, der mit dem schwarzen Klavier auf der anderen Seite des Restaurants einen Kontrast zur Decke und Boden bildet. Edel, aber dennoch gemütlich zugleich. Für mich einfach nur gelungen und perfekt. "Hi, Can! Was möchtet ihr bestellen?", fragt uns eine Frau mittleren Alters. Ahnungslos schaue ich zu Can, der gerade die Karte weglegt und ihr zulächelt. Anscheinend kennt er auch die Mitarbeiter. "Wie immer, auch das Dessert und zweimal Cola, bitte." Was er wohl bestellt hat? Grübelnd spiele mich mit meiner Unterlippe herum und schaue gedankenverloren auf Cans T-Shirt. Seine Mama hat von mir geschwärmt. Irgendwie fühle ich mich geehrt, aber ich schäme ich auch. Sowas ist total neu für mich, aber es freut mich.

"An was denkst du?", holt mich Can in die Realität zurück. "Nichts, nichts", murmele ich und hole mein Handy raus, um meiner Mutter Bescheid zugeben, dass ich später nach Hause komme. Als auch das erledigt ist, erwidere ich seinen Blick. "Was?" "Zieh dieses Oberteil nicht mehr an." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. "Was?", pruste ich. Das kann er nicht wirklich ernstmeinen. "Und zieh die Hose nur an, wenn du etwas langes drüberziehst." Was soll das werden? "Wieso sollte ich?" Ich ziehe die rechte Augenbraue hoch und lehne mich vor. "Mach's einfach nicht", brummt er. "Wusstest du, dass genau dieses Oberteil mein Lieblingsoberteil ist? Und dass diese Hose auch meine Lieblingshose ist?", stichele ich ihn an. "Da sind wir einer Meinung", kommt es schalkhaft von Can. Warte, was? Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er schüttelt nur schmunzelnd den Kopf. Findet er etwa mein Oberteil schön oder was? "Willst du es dir mal ausleihen? Ich habe es auch in schwarz." "Nein, danke. Mein Arm würde da gerade mal reinpassen. Außerdem meine ich etwas anderes", summt er vielsagend und deutet auf meine Hose. Moment! Der Arsch hat mir auf den Arsch geschaut?!

"Die Hose wird verbrannt." Ich würde diese Hose niemals verbrennen. Sie passt wie angegossen. "Nicht, wenn ich es verhindere", entgegnet Can herausfordernd, als ein Kellner unsere Getränke auf den Tisch stellt und uns Bescheid gibt, dass das Essen sofort kommt. "Du hältst mich niemals auf", erwidere ich und schaue auf die zwei schön angerichteten Teller, die auf uns zu kommen. Ich revidiere das Essen. Es riecht himmlisch! "Was ist das?", frage ich mit großen Augen. "Das ist frittierte Hähnchenbrust mit Erdnusssoße. Und das hier ist Bruschetta. Glaub mir, es wird dir gefallen." "Das glaube ich dir." Ich bin entzückt vom visuellen Eindruck. Warte, Erdnüsse? Ich werde vor Schmerzen sterben, aber vielleicht habe ich heute Glück. Manchmal reagiere ich gar nicht bei allergischen Stoffen. Mir wird schon nichts passieren. Das schmeckt fantastisch. Scheiß auf die Schmerzen! "Dein Vater kocht überragend." Das ist verdammt gut. "Ich weiß." Ich schaue ihm in die Augen, während ich weiter kaue. Eine passende Ergänzung zum Essen. Gutes Aussehen und gutes Essen. Weil das Essen so verdammt lecker ist, ist mein Teller erschreckend schnell leer. Am liebsten würde ich noch eine Ladung davon verspeisen. Hier komme ich definitiv nicht zum letzten Mal hin.

Jetzt kommt die Nachspeise: Der schönste Schokoladenkuchen der Welt! Die Glasur wirkt wie ein dunkelbrauner Spiegel. Ich will ihn nicht mal essen, da die Oberfläche so schön, rein und so glänzend aussieht, aber ich muss. Einmal streiche ich hauchzart mit meinem Zeigefinger über die ein halb Zentimeter dicke Glasur, nur um zu wissen, wie glatt sie ist - sie ist sehr glatt! Dazu haben wir noch eine kleine Schüssel mit Kirschen bekommen. Ich bin so glücklich! Während der ganzen Prozedur beobachtet Can mich lächelnd. Tief einatmend lasse ich die Gabel durch das saftige Küchenstück gleiten, um ihn dann in meinen Mund zu führen. Ich möchte jetzt und hier in Frieden sterben! Das Essen ist einfach perfekt! Der Teig des Kuchens ist cremig und fluffig zugleich. Er zergeht wie Butter auf der Zunge. Das ist ein Geschmacksorgasmus. "Anscheinend liebst du die Küche meines Vaters." Er lächelt zufrieden. "Ich liebe deinen Vater", summe ich verliebt und trinke einen weiteren Schluck. Erst beim dritten Stück des Kuchens trage ich kein zufriedenes Lächeln, sondern ein schmerzverzerrtes Gesicht. Alles, bloß das nicht. Nicht jetzt. Zuhause, bitte!

Leider ist mein Körper anderer Meinung und fängt an zu rebellieren. Ich kralle meine rechte Hand in meinen Oberschenkel und meine linke Hand in meinen Bauch, versuche alles, damit ich nicht aufwimmere. Scheiße, tut das weh! Ausgerechnet heute kommen die starken und langen Schmerzen. Die ekelhaft kalte und zugleich warme Gänsehaut streift meinen Körper. "Shana, alles in Ordnung?", fragt Can. "Alles bestens", flüstere ich, obwohl das genaue Gegenteil herrscht. Mein ganzer Bauch schmerzt. Mir ist so heiß und kalt zu gleich. So viele Monate hatte ich die kurzen, schwachen allergischen Reaktionen, aber ausgerechnet jetzt möchte mein Immunsystem mit voller Macht gegen all die angeblichen Gefahrenstoffe vorgehen. Und da die Bauchschmerzen anscheinend nicht genügen, fangen mein Hals und meine Lippen an zu jucken. Wie verrückt beiße ich auf meine anschwellende Unterlippe. "Shana, dir geht es nicht gut! Was ist los?" Can kommt zu mir. Ich senke den Blick, halte mir mit beiden Armen gekrümmt den Bauch, in der Hoffnung, dass die Schmerzen gleich vergehen werden. Can hebt mit einer Hand meinen Kopf und erblickt schockierend mein Gesicht. Habe ich schon rote Flecken oder bleiben sie mir dieses Mal erspart?

"Scheiße, Shana! Holt Wasser!", ruft er durch das Restaurant. "Kriegst du Luft? Hast du Medi-, Scheiße! Deine Tasche ist im Auto! Was kann ich für dich tun?", fragt er besorgt. Er schaut unruhig auf meine Unterlippe und dann zu meinem Hals. "Dein Hals ist total fleckig. Juckt dein Hals auch von innen?" Ich nicke, beiße weiter auf meiner Unterlippe herum, während ich die Oberlippe mit meinen Nägeln zerkratze. Dabei drückt sich mein freier Arm immer weiter um meinen Bauch. Die Wasserflasche erreicht Can, wovon er etwas in sein Glas füllt und er mir mit zitternder Hand reicht. Das Gute ist, dass wenigstens meine Bindehaut nicht gereizt ist oder meine Nase anfängt zu laufen. Wenigstens etwas. Schwer schluckend rinnt das Wasser meine gereizte, vor Juckreiz schmerzende Kehle runter. Ich atme fest aus und bekomme direkt die nächste Ladung Wasser eingeschenkt, die ich dankend annehme. Während ich trinke, fährt mir Can über die Haare. Seine mit Besorgnis befüllten Augen schauen entschuldigend in meine. Ich kratze wieder meinen Hals und mein Schlüsselbein entlang. "Sollen wir deinen Hals befeuchten?" Ich verschluckte mich ausgerechnet jetzt. Can schlägt mir sofort sanft auf den Rücken und streicht danach rüber.

"Shana, leidest du an Anaphylaxie?", fragt er vorsichtig. "Nein", antworte ich brüchig und beiße mir wieder auf meine geschwollene Unterlippe. Was esse ich auch so viele Kirschen? Sie haben aber so gut geschmeckt. Ich konnte nicht anders! Warum rebelliert aber ausgerechnet heute mein Körper? "Was ist los?" Cans Vater ist ganz aufgebracht, als er mich sieht. "Nichts, nicht. Alles bestens." "Sie-, sie ist-, also sie reagiert allergisch auf das Essen", flüstert Can ängstlich. Ich habe diese Angst, diese Besorgnis zuletzt in der Küche bei ihm zu Hause gesehen, als ich mich verbrannt habe. Es ist alles gut, Can. "Brauchst du Medikamente? Wir haben einige da", fragt er vorsichtig. "Ja! Hol sie bitte, Baba." Erst jetzt fällt mir auf, dass uns viele aus dem Restaurant anschauen. Die Neugierde steht ihnen ins Gesicht geschrieben, verständlich. So würde ich ebenfalls reagieren, wenn hier einer die Schmerzen seines Lebens hat. "Hier, das hilft." Ich bedanke mich leise. Can reicht mir wieder ein gefülltes Glas Wasser mit der ich die Tablette runterspüle. Ich weiß jetzt schon, dass ich in mehr oder weniger einer Stunde total müde sein werde. Ich bin so gut wie immer von dieser Nebenwirkung der Antiallergika betroffen.

"Lass uns gehen", haucht Can sanft. Seine Hände fahren mir über die Oberarme bis zu meinem Hals, sorgen für eine angenehme, beruhigende Gänsehaut. Can hilft mir auf. "Ich will bezahlen." Ich habe zwar nur fünf Euro, aber das ist mir lieber, als gar nicht zu zahlen. "Du packst das Geld wieder ein!", kommt es von beiden Jamils. "Nein!", protestiere ich und will es auf den Tisch legen, als Can mich am Arm raus aus dem Restaurant zieht. "'Mein Schokokuchen!", schmolle ich. Cans Vater schaut mich entschuldigend an. "Ich komme bald wieder", rufe ich mit kratziger Stimme, ehe wir das Restaurant verlassen. "Ich wollte noch bezahlen." Mein Hals ist so gereizt, dass ich schon anfange zu husten, wenn ich lauter sprechen möchte. "Du hast Hausverbot." Was?! "Nein! Alles, bloß kein Hausverbot!", flehe ich Can an. "Doch. Hätte ich gewusst, wogegen du allergisch bist und wie stark du reagierst, dann hätte ich dich niemals hier hingeschleppt!" "Ich komme aber wieder!", widerspreche ich trotzig. Nichts und niemand hält mich auf, dieses Restaurant noch einmal zu betreten. "Ich bringe dich um, wenn du wieder hier hinkommen solltest!", droht er mir. Ich verdrehe meine Augen. "Mach es, aber erst nachdem ich den Schokokuchen gegessen habe." Zum Glück ist der Parkplatz in der Nähe, denn ich spüre schon die Müdigkeit.

"Du bist gemein." "Wieso?", brummt Can. "Wir konnten den Kuchen wenigstens einpacken lassen. Ich wollte noch weiteressen." Can dreht sich zu mir, sodass mein Oberkörper gegen seinen prallt. "Du wirst. Nie. Wieder. Hier essen!" Er kann so eindringlich sprechen und schauen wie er will, ich werde mich nicht daranhalten. "Doch", hauche ich, beiße leicht auf meine geschwollene Unterlippe. Sein Blick huscht auf meinen Mund und verweilt dort, bis er seinen Daumen drüberfahren lässt und meine untere Lippe von meinen oberen Schneidezähnen befreit. Oh Gott, was wird das? Die Berührungen sind falsch, fühlen sich aber dennoch so gut an. Mit dem Daumen und Zeigefinger hält er von den Seiten meine Unterlippe fest. "Du wirst nie wieder hier essen", haucht er ganz nah an meine Lippen. Zu nah. Oh, oh! Das muss schnell beendet werden. Ich löse mich schüchtern aus dem Griff und laufe schnell zum Auto. Das war komisch, mehr als komisch. Schön und paradox und surreal. Das Auto wird aufgeschlossen, sodass ich mich schnell hineinsetzen kann. Erst jetzt bemerke ich, wie verdammt müde ich bin. "Shana, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du so viele Allergien hast." Cans Blick ist ganz schuldbewusst. "Nicht schlimm", murmele ich. Die Sitze kommen mir plötzlich viel gemütlicher vor ...

Mein Hals ist ganz trocken, als ich aufwache. Auf mir liegt sein grauer Sweater. Ich sitze immer noch in Cans Auto und befinde mich in meiner Straße, vor meinem Wohnblock. "Wie lange habe ich geschlafen?", murmele ich. Mein Hals tut noch verdammt weh. "Vielleicht um die Stunde." Meine Augenbrauen heben sich überrascht. Hat er jetzt wirklich eine Stunde lang so ruhig gewartet, bis ich erwache? Can reicht mir eine Apothekentüte. "Wieso hast du mich nicht geweckt?" Ich falte den Sweater. "In der Tüte sind verschiedene Antiallergika." Hm. "Okay", flüstere ich. Ich greife von hinten nach meinem Rucksack und meiner Lederjacke, mache die Tür auf, um auszusteigen, doch entscheide mich doch kurz für etwas anderes. Can wirkt sichtlich verwirrt von meinem Verhalten. Ohne ein Wort zu sagen, umarme ich ihn. Sofort schlingt er seine Arme fester um mich. Ich spüre sogar, wie er seinen Kopf auf meiner Schulter ablegt. "Danke. Es war ein schöner Tag", murmele ich bevor ich mich von ihm löse. Wir schauen wir stumm uns an. Meine Hände immer noch auf seinen Oberarmen, seine Hände an meinem Rücken. Unsere Gesichter sind nicht weit entfernt voneinander, doch ich mag es. Es ist eine gewisse Spannung ist zu spüren. Jetzt sind wir wieder in unser beider Lieblingssituation. Ruhe und Harmonie. Blicke, hinter denen tausende Bedeutungen liegen, doch nur der Denker sie kennt. Er ist ein Player, ich darf das nicht vergessen! Bin ich blöd? Sofort realisiere ich, was ich da gerade tue, greife schnell nach meinen Sachen und steige aus dem Auto aus. Bevor sich die Autotür schließt, höre ich Can resigniert seufzen. Ich laufe schnell durch die Tür, dann zum Aufzug, der sich sofort öffnet und steige direkt rein.

Als sich die Türen schließen und der Aufzug hochfährt, seufze auch ich resigniert.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top