Kapitel 50

Can

Als sie mir sagte, dass sie mir nicht vertraut, da hatte ich ein komisches Gefühl im Magen. Es hat mich aufgeregt, dass sie mir nicht vertraut und es tut es immer noch. Wieso vertraut mir dieses Mädchen nicht? Vielleicht, weil du ein Junge bist, der jedes Mädchen verarscht und sie das durchschaut? Das muss ja nicht heißen, dass ich es auch bei ihr mache. Ich kann auch anders sein. Sie kennt mich doch gar nicht. Doch jetzt, wo sie mir in die Arme fällt, ist es mir egal. Ich vergesse alles, was uns davor passiert ist und genieße einfach diesen Moment der Ruhe. Ich weiß, dass der nächste Streit nicht weit weg ist. Ich spüre ihr schnell schlagendes Herz gegen meine Brust schlagen. "Keine Sorge, du hast es geschafft. Es ist doch alles gut", flüstere ich. "Danke", flüstert sie in meine Halsbeuge. Sie liegt ängstlich, aber auch irgendwie beruhigt in meinen Armen, umklammert meine Hüfte mit ihren Beinen und schlingt ihre Arme noch fester um mich. Ich ziehe unauffällig ihren Duft ein. Süß, aber dennoch fruchtig. Ihren zierlichen Körper drücke ich fester an meinen. Das gibt mir das Gefühl, sie niemals fallen zu lassen. Das habe ich ihr auch geschworen. Das werde ich auch tun. Sie niemals loslassen. Das ist verrückt. Ich mache sowas sonst nie. Das kenne ich nicht von mir. Sie drückt sich weg von mir. Für einen Augenblick dachte ich, dass sie sich losreißen will, doch die hat es nur gemacht, um mich anschauen zu können. Wir schauen uns an und sagen nichts. Das ist auch komisch. Sonst schreien wir uns immer an.

"Siehst du? Du konntest mir vertrauen", sage ich leise. "Wie oft werden wir uns streiten?", fragt Shana mich. Ihre Frage überrascht mich. Wie kommt sie darauf? "Wie meinst du das?", möchte ich wissen. "Can, wir streiten uns sooft. Dann kommen diese Momente, wo wir beide das Gefühl haben, dass wir auch mal friedlich miteinander umgehen können und dann entsteht wieder Streit. Das wird immer so sein." Sie hat recht. Ich schaue sie wieder stumm an. Sie denkt immer so negativ. Aber das muss nicht sein. Ich weiß, dass ich auch anders sein kann. Ich kann gut sein. Es muss nicht immer ein Dämon sein. "Bald wird es nicht mehr so sein." Da bin ich mir sicher. Wenn ich will, dann kann ich es ändern. Es braucht nur seine Zeit. Sie schaut mich mit einem fragenden Blick an. Da ich ihr nicht sagen will, was ich genau damit meine, schüttele ich nur den Kopf. Sie fängt an mein Gesicht zu mustern, was ich ihr nachtue. Ihr Gesicht ist so klein. Ihre mandelförmigen, braunen Augen und die feinen Wimpern, die so schön geschwungen sind, wenn man sie richtig betrachtet. Unter ihrem linken Augenlid in ein kleines Muttermal, was durch ihre Wimpern etwas verdeckt wird. Ihre leicht rosa Wangen, die man am liebsten abbeißen will und ihre feinen blassen Lippen, die jetzt - wie so oft geöffnet sind - machen sie einzigartig. Als sie fertig mit dem Mustern ist, schaut sie mich an. Sie ist nicht verlegen, weil ich gemerkt habe, dass sie mein Gesicht analysiert hat.

Ihre Augen sind wie festgebunden an meinen. Ich weiß, dass sie meine Augen bewundert und sie faszinierend findet. Das habe ich oft mitbekommen, da dieses Mädchen nicht gerade eine leise Stimme hat. Sie liebt deine Augen. Dich aber nicht. Wieso denke ich an Liebe? Sinnlos. Das macht keinen Sinn. Ich schlucke und schaue sie intensiv an. Mein Mund öffnet sich wie von Geisterhand und kommt ihr näher. Ich weiß nicht, was los ist, aber ich muss es irgendwie tun. Ihre Augen weiten sich etwas und sie springt etwas panisch aus meinen Armen. Fuck, was war das? Shana fährt sich einmal durch ihre dunklen Locken und atmet leise aus. "Lass uns zurück." Ihre Stimme klingt plötzlich wieder so distanziert. Wieso? Was habe ich getan? Ihr Blick ist nachdenklich, als wir zurücklaufen. An was sie wohl denkt? Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Wieso ist sie aus meinen Armen gesprungen? Andere Mädchen wären vor Freude umgefallen und sie? Sie macht mich aggressiv. Warum, kann ich mir aber nicht erklären. Der Test. Genau! Ich habe sie nur getestet. Was sonst? Und ich bin sauer, dass sie mir widerstanden hat. Anders kann ich es mir nicht erklären. Verarsch dich doch nicht selber. Es war nur um sie zu testen. Punkt, aus!

Wir laufen den Weg zurück und wechseln kein Wort miteinander. Vom weiten kann man schon die anderen sehen. "Was hat solange gedauert?", fragt Viyan. Was interessiert sie das? "Es hat gedauert, bis Shana mir vertraut hat", antworte ich kalt. "Ich vertraue dir immer noch nicht", kommt es im selben Ton zurück. Sie macht mich wieder so wütend. Wieso sagt sie so etwas? Unsere Freunde ziehen leicht überrascht die Augenbrauen hoch. Gemeinsam begeben wir uns zurück zum Hotel. Dabei wird nicht viel geredet. Wir wählen aus, wohin wir essen gehen. Am Ende entscheiden uns für eine Pizzeria, die ich vorgeschlagen habe, während wir weiterlaufen. "Shana, kannst du das überhaupt essen?", fragt Ramazan. Shana schaut ihn lächelnd an. "Ich komme schon klar damit." Danach geht sie mit ihren Freundinnen auf ihr Zimmer. Ich schließe die Tür und seufze einmal. "Was ist los?", fragt Malik. "Nichts.", sage ich nachdenklich. "Ist irgendwas zwischen euch beiden passiert?", fragt er nun. "Wen meinst du?" Ich suche im Koffer nach einem weißen T-Shirt und werde schnell fündig. "Wen denn wohl? Dich und Shana!", mischt sich Ramazan ein, der sich auf der Toilette befindet. "Was soll sein?", frage ich, während ich das T-Shirt anziehe. Aus dem Badezimmer höre ich ein genervtes Schnalzen. "Warte", sagt Ramazan. Ich höre das Spülen der Toilette und dann das Laufen des Wasserhahnes. Fragend schaue ich zu Malik, der mich mit dem selben Blick beäugt. Irgendwann öffnet sich die Badezimmertür und Ramazan kommt mit nassen Händen raus. "Also ehrlich! Muss ich immer alles erklären?" Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.

"Ihr beide seid süß! Nur seid ihr beide ziemlich stur und streitsüchtig." Er schlägt mir mit seiner nassen Hand auf die Brust. "Ihr passt zusammen. Malik und ich haben sogar ein Cana-Fanclub errichtet", erzählt mir Ramazan. "Ich bin Vizepräsident", fügt Malik hinzu und lächelt verschmitzt. Wir beide? Shana und ich in einer Beziehung? Im Leben nicht! Wegen ihr würde ich noch einen Anfall kriegen. Sie ist zu stur. "Ihr liegt falsch", gebe ich lachend von mir und packe Geld in meine hellblaue Hose. Beide gucken sich verschwörerisch an. "Nein", sagen sie auf Kommando und lächeln mich verstörend an. "Komm schon, Can. Du willst es nur nicht zugeben.", grinst Ramazan und wackelt mit den Augenbrauen. Als Antwort kriegt er meinen Mittelfinger. Wir gehen raus aus unserem Zimmer und warten auf die Mädchen. Aus ihrem Zimmer hört man Geschreie und Gelächter. Seitdem wir hier sind, hören wir ihr Getratsche, meistens aber unverständlich. "Ich boxe euch alle gleich weg!" Das kann nur Shana sein. Die Jungs lachen leise und hören weiter aufmerksam Shana zu. Eine Freundin von ihr sagt etwas, was wir nicht so gut hören, doch Shanas laute Stimme kann ganz Berlin hören. "Oh Gott! Wer hängt die ganze Zeit an Maliks Eiern? Ich oder du?" Ramazan und ich lachen und schauen zu Malik. Er schmunzelt mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Das Mädchen nimmt kein Blatt vor den Mund", kommentiert er. Eine Tür geht auf, sodass mein Kopf automatisch zu der Richtung zeigt, aus der das Geräusch kommt. Aleyna und ihre Freundinnen kommen zu uns.

"Hey, Can", begrüßt sie mich und zwinkert. Von mir bekommt sie nur ein desinteressiertes Nicken. "Wohin geht's?", fragt sie nach und legt leicht ihren Kopf schräg. Sie hat wohl Hoffnungen, dass es süß aussieht. Bei Shana sieht es süß aus. Ich ziehe bei diesem plötzlichen Gedanken die Augenbrauen zusammen. "Pizza essen", antwortet Malik und starrt auf die Wand. "Ehrlich? Mit wem den alles?" Auf einmal geht eine weitere Tür auf. "Mit mir", sagt Shana im perfekten Augenblick. "Und uns", fügt Saliha angeberisch hinzu, was Shana zum Grinsen bringt. Ihr Grübchen steht dann immer heraus. Aleyna guckt Shana angewidert an und schaut dann zu mir. "Können wir mitkommen?", fragt sie und stellt sich extra etwas... attraktiver hin? Also sie versucht es zumindest und dreht einer ihrer Haarsträhnen um ihren Finger. "Ähm, nein?", mischt sich Shana ein. "Doch, kommt ruhig mit", widerspreche ich. "Nein!", sagt Shana etwas lauter. Aleyna dreht sich arrogant zu ihr. "Er hat Ja gesagt. Du hast nichts zu sagen", sagt sie herablassend, was Shana umso wütender macht. "Er hat das Sagen? Weißt du was ich kann, was er nicht kann?", fragt Shana in einem gespielt freundlichen Ton und geht etwas auf Aleyna zu. Sie wird sie doch nicht wieder angreifen? "Shana, bleib ruhig", sagt Ramazan, der einen finsteren Blick von ihr kassiert. Jetzt wird es spannend. "Was denn?", fragt sie. Shana lacht kurz auf. "Dich schlagen." Jetzt grinst sie.

Aleyna verliert ihre desinteressierte Maske. "Ouuuh!", kommentiert Ramazan und kriegt einen Schlag von Malik gegen seine Schulter. Aleyna schluckt kurz. "Du kannst mir gar nichts." "Ach wirklich?" Jetzt tut Shana so, als ob sie überrascht wäre. Ihr Temperament ist nicht zu stoppen. "Ich sag es mal so", setzt Shana ruhig an und räuspert sich kurz. "Keiner mag dich! Hau ab!", ruft sie plötzlich. Aleyna zieht erschrocken die Luft ein. "Can! Sag was!", fordert sie von mir. Denkt sie ernsthaft, ich helfe ihr? "Weißt du was? Nimm deinen gottverdammten Can, geh mit ihm rummachen oder sonst was, aber verpiss dich einfach. Deine Anwesenheit macht einen aggressiv und ich habe keine Lust, wegen dir nach Hause geschickt zu werden", faucht Shana. Aleyna ist wie erstarrt, was sehr lustig ist. "Kommt, wir gehen. Du kannst ja hierbleiben." Shana guckt mich angeekelt an. Danach gibt sie ihren Freundinnen ein Zeichen, dass sie ihr folgen sollen und zieht Ramazan und Malik an den Oberarmen mit. Ich laufe gelassen hinterher, werde aber am Arm festgehalten. "Wohin?", fragt Aleyna zickig. Ich reiße mich los. Scheiße, ist das Weib nervig. "Pizza essen, wie gesagt", antworte ich und ziehe provokativ die Augenbraue hoch. Ohne eine Antwort von ihr zu kriegen, laufe ich den anderen hinterher.

Im Aufzug ist ruhig, bis Shana anfängt zu platzen. "Was ist das für ein Stück Scheiße? Hat sie kein Leben? Wie konnte so ein Mädchen überhaupt ihre Qualifikation bekommen haben? Wie kann sie überhaupt einen Freund gehabt haben? Schaut sie doch mal an! Sie ist der indirekte Begriff der Hässlichkeit! Sie soll abwarten, bis der Tag kommt, an dem ich ihr ihre Primark-Extensions rausreiße!" Danach seufzt sie genervt. "Shana, hör einfach nicht hin", versucht Malik sie zu besänftigen. "Sie hat eh Angst vor dir. Das haben wir alle", lächelt Saliha und geht einen Schritt zur Seite, als Shana sie ansieht. "Ich will einfach nur noch essen", murrt Shana und verknotet die Arme vor der Brust. "Gleich kriegst du so viel essen, wie du nur willst", muntert Ramazan sie auf. Mir fällt erst jetzt auf, dass wir dasselbe anhaben. Wir beide tragen ein weißes, lockeres T-Shirt, eine hellblaue Hose und weiße Schuhe. Aber bei ihr geht das T-Shirt bis zur Mitte der Oberschenkel, bei mir eben nur bis zur Hüfte. Schade, dass sie das T-Shirt nicht in die enge, hellblaue Hose gesteckt hat. Denn die Hose betont ihren Ar-, Moment! Hatte sie heute kein schwarzes, enges T-Shirt an? Das T-Shirt, das sie trägt sieht genauso aus, wie meins. Von wem hat sie das T-Shirt? Ihrem Freund? Cihan! Obwohl, nein. Sie hasst Cihan. Wessen gottverdammtes T-Shirt trägt sie da?! Wir steigen aus dem Aufzug aus. Shana und ihre Freundinnen laufen vor uns. "Gehört das T-Shirt einem von euch?", flüstere ich gereizt.

Beide fangen an zu grinsen. "Sagt doch!", zische ich. Was antworten mir die beiden nicht? "Nein", sagen beide. Wem gehört es dann? Während des Weges zur Pizzeria, frage ich mich, wem das T-Shirt gehören könnte. Als meine Pizza vor mir liegt, werde ich aus meinen Grübeleien gerissen und fange an zu essen. Es wird geredet und es werden viele Fotos geschossen. Vor allem Shanas nervige und hohle Freundin, Viyan. Ihr ständiges Posieren fuckt mich so sehr ab, dass ich ihr das Handy gegen die Schnauze hauen will. Auch Shana nervt es, denn als sie das Schleckgeräusch des Hundefilters von Snapchat hört, nimmt sie ihrer Freundin das Handy weg. "Iss deine Pizza", faucht sie und sperrt das Handy. Als wir zu Ende gegessen haben, reden wir noch etwas. Nur Shana ist still. Sie sieht irgendwie blass aus und atmet schneller als sonst. Auch Saliha kriegt das mit. "Shana, alles okay?", fragt sie besorgt und kriegt somit die Aufmerksamkeit aller anderen. "Ja, geht schon", antwortet Shana immer noch schwer atmend. Sie sieht nicht gut aus. "Sicher?", hakt sie nach. Als Antwort erhält sie ein Kopfnicken von Shana. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ihr geht es nicht gut. Ich will etwas machen, halte mich aber nur fest. "Shana, sollen wir an die frische Luft?", fragt Ramazan besorgt und will aufstehen. "Nein", lehnt Shana ab und versucht zu Lächeln. Sie soll an die frische Luft. Nicht, dass sie einen anaphylaktischen Schock erleidet. "Doch, Shana. Komm", sagt Saliha wieder, doch Shana streitet immer wieder ab.

"Es geht gleich wieder", versichert sie und stützt ihren Kopf auf ihren Händen ab. Nach weiteren fünf Minuten, in denen versucht wurde Shana an die frische Luft zu bringen, haben Saliha und Viyan es endlich geschafft, sie rauszubringen. Zum Glück. Probleme mit der Atmung zu haben, ist nicht gut. "Ich dachte, dass es bei ihr nicht so schlimm wäre", murmelt Malik nachdenklich. "Zu mir meinte sie, dass sie nur starke Bauchschmerzen kriegt." Ramazan schaut zum Ausgang. Die eine Freundin, ist noch geblieben. Katrin heißt sie, glaube ich. Sie atmet genervt aus. "Das macht sie nur, um Aufmerksamkeit zu kriegen!", meckert sie. Was ist jetzt los? Ich gucke sie schief an. "Was redest du da?", fragt Malik stirnrunzelnd. "Ist doch nur die Wahrheit! Sie isst das, obwohl sie dagegen allergisch reagiert. Dann hat sie halt Pech!", lästert sie. Langsam werde ich wütend. "Was redest du da? Das Mädchen kann doch nichts dafür!", verteidigt Ramazan sie. "Von was soll sich Shana den ernähren? Dann hat sie halt viele Lebensmittelallergien und jetzt? Was bist du für eine Freundin? Dich sollte man wegklatschen!", knurre ich wütend und halte mich an Tisch fest. Wie redet sie über Shana? So darf man nicht über... so redet man nicht über Freunde. Als Shana wieder reinkommt, stehe ich sofort auf und gehe raus, um zu rauchen. Ich muss mich entspannen.

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