Kapitel 11

Dienstag, 30. August

In der Schule bin ich heute nur mit Saliha, weil Cathleen und Viyan einen Ausflug mit ihrer Geschichts-Klasse ins Museum machen. Ziemlich schnell dafür, dass wir erst zwei Wochen auf dieser Schule sind und dann noch für den ganzen Schultag. Wir beide gehen ins Gebäude rein und laufen zu den Bänken. Diese Schule besitzt sehr viele Bänke, aber so ist es auch gut. Während ich mich auf den Boden fokussiere, weil er mir gerade so interessant erscheint, tippt Saliha mich an. "Schau mal nach links." Ich muss erst auf meine Hände gucken, um zu wissen, wo links und rechts sind - da ich Linkshänderin bin und es mir so merken kann. Ich schaue also, nachdem ich die linke Seite gefunden habe, unauffällig nach links und sehe wie Can mit einem Mädchen rummacht. Schämt sich dieser Junge irgendwie nicht? Ich würde mich total schämen, vor allen so etwas zu tun. Vor allem ist er total in seinem Element, er isst sie fast auf. Das Mädchen ist nicht besser, aber weiß sie denn nicht, dass er vor zwei oder drei Tagen eine andere hatte oder interessiert es die Mädchen nicht, dass sie nach ungefähr zwei Tagen ersetzt werden? Die ihre Bedürfnisse stillen wollen!, erinnert mich mein Gedächtnis wieder an die Konversation oder sollte ich Auseinandersetzung mit Can sagen? Es kann viele Gründe haben, warum sie es tun. Vielleicht ist das Mädchen verliebt in ihn und denkt, es sei die große Liebe. Obwohl, nein. Sowie sie aussieht und sich auf ihm bewegt glaube ich das doch nicht. "Wieso treiben die es gleich nicht hier? Schämen tuen sie sich keinesfalls, wie man sieht", sage ich genervt und schnaube. Saliha schüttelt nur den Kopf und schnalzt dreimal mit der Zunge. "Hast du gelernt?" Sofort schießt mein Kopf in Salihas Richtung. "Wofür?", frage ich panisch. "Wir sollten doch Vokabeln für Englisch lernen. Frau Mikulski wird morgen einige abfragen." "Egal ich krieg das schon irgendwie hin." Englisch war nie wirklich ein Problemfach für mich. Ich beherrsche diese Sprache relativ gut und erweitere meinen Wortschatz mit Texten, die ich auf Instagram lese, Geschichten auf Wattpad oder Serien, die einen deutschen Untertitel haben. Sehr effektiv, muss ich sagen. Außerdem mag mich meine Englischlehrerin, also kann ich nur Glück haben. "Küssen sie sich immer noch?", frage ich Saliha, um nicht selber hinzugucken, denn ich will nicht mit ihm in Blickkontakt geraten. "Nein, aber er schaut hier hin." Was will dieser Junge? Kann, soll oder will er nicht das Mädchen auf seinem Schoß angucken? Ich schaue stirnrunzelnd zu Saliha und will etwas sagen, aber Ramazan und Malik sind mir zuvorgekommen.

"Na, Shana? Saliha, was geht?", sagt Ramazan, wie immer gut gelaunt. Malik schaut uns nur lächelnd an. "Nichts, nichts. Bei euch?", antwortet Saliha. "Auch nichts. Habt ihr für Englisch gelernt?" "Also ich nicht. Saliha schon." "Malik auch. Er ist der Streber unter uns beiden. Can ist auf Platz eins", sagt Ramazan und lächelt wie immer charmant. Wie kann man ihn dann nicht mögen? Die Klingel unterbricht unser Gespräch und wir begeben uns zum Matheunterricht. Nach den zwei Stunden, die für mich langweilig und schwer waren, gehen Saliha und ich in die Pause. "Ich geh kurz zu einer Freundin. Kommst du mit?", fragt mich Saliha, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte und damit alleine am Tisch sitze. Ich hole mein Handy raus und schaue mir meine Bilder an. Dort sind keine schönen Selfies, sondern peinliche Bilder von mir und meinen Freunden, Videos, in denen ich über Geschehnisse rede und dann mich darüber kaputtlache oder einfach nur Screenshots von hübschen Männern. Jemand setzt sich vor mich und ich erkenne den Duft von One Million, weswegen ich nach vorne, zu der Person schaue. "Cihan?", frage ich überrascht. "Ich wusste gar nicht, dass du hier dein Abitur machen willst", sagt der Junge vor mir. Cihan ist der Sohn einer sehr guten Freundin meiner Mutter, weswegen sie früher öfters bei uns waren oder wir bei ihnen. Ich habe ihn seit ungefähr vier Jahren nicht mehr gesehen. "Schicksal, würde ich mal sagen", gebe ich monoton von mir. "Du hast dich ganz schön verändert", gibt Cihan murmelnd von sich, schaut mich dabei sehr intensiv an und leckt sich über die Unterlippe. Ähm, okay? Ich runzele die Stirn. "Du hast dich auch ziemlich verändert." Früher war er pummelig und hatte etwas unreine Haut, zwar nicht so stark, aber jetzt ist seine Haut möglicherweise reiner, als meine. Jetzt sitzt ein gut gebauter und gepflegter Cihan vor mir. Ich habe ihn schon immer wegen seiner grünen Augen beneidet. "Was machst du heute so?", fragt er. Er will doch nicht wirklich etwas mit mir unternehmen oder? Zwar kennen sich unsere Familien sehr gut, aber ich glaube nicht, dass meine Mutter oder meine Brüder es gutheißen würden, wenn ich mit ihm rausgehen würde. Außerdem habe ich sowieso keine Lust, mich mit ihn zu treffen.

"Ähm", setze ich an, werde aber von jemanden hinter mir unterbrochen. "Schatz, da bist du ja!" Schatz? Ich drehe mich um und sehe Malik, der seine Hand auf meine Schulter legt und mich anlächelt. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Was ist hier los? Malik drückt unauffällig seine Hand auf meiner Schulter zusammen, um mir zu signalisieren, dass ich mitspielen soll. Haben alle Jungs so große Hände? "Nichts, Cihan hat sich zu mir gesetzt", sage ich immer noch verwirrt von der Tatsache, dass er so plötzlich hier steht und mich Schatz nennt. Meine Mutter nennt mich nicht einmal Schatz. Nun schaut Malik etwas kaltherzig zu Cihan. "Geh mal. Ich will mit ihr alleine reden." Cihan steht schnaubend auf und geht weg. "Was war das gerade eben, Malik?" Er läuft einmal halb um den Tisch und setzt sich vor mich hin. "Er ist kein guter Junge." Verwirrt frage ich, was er damit meint. "Er klärt sich jedes Mädchen und sucht sich jeden Tag eine Neue, die er benutzen kann, außerdem betrinkt er sich jeden Freitag und Samstag und geht feiern", erzählt er mir. Wow, wie stark Cihan sich verändert hat. Das hätte ich nicht gedacht. "Als ob ihr besser seid. Ihr macht doch auch mit den verschiedensten Mädchen rum", sage ich vorwurfsvoll. "Stimmt, aber wir wollen uns nicht an dir vergreifen. Es ist nur zu deinem besten", entgegnet er und lächelt mich warm an. Ich fange an, ihn zu mögen. Saliha kommt wieder und Malik verabschiedet sich. Ich frage sie mit welcher Freundin sie geredet hat, woraufhin sie mir antwortet, dass sie bei Abresa war. Ich verdrehe die Augen. Ich hasse diese Abresa. Ich hasse generell ihre Freundinnen, schon seit der Grundschule, weil sie so spießig und zickig sind. Ich verstehe nicht, wie man mit so etwas befreundet sein kann. Einmal habe ich sogar einer ihrer Freundinnen geschlagen, aber da war ich in der zweiten oder dritten Klasse und ich war sehr, sehr aggressiv. Warum, wusste niemand, aber bei der kleinsten Provokation habe ich zugeschlagen. Bad-Girl Shana.

Den Rest des Schultages ist nichts Besonderes passiert, nur, dass ich von Cans leuchtenden Blicken buchstäblich durchbohrt worden bin. Wieso guckt dieser Junge? Was geht in seinem Kopf vor? Er sah total sauer aus, laut Salihas Aussage. Was habe ich jetzt wieder getan? Ich habe ihn heute nicht beleidigt, also? Aus diesem Jungen werde ich wohl nie schlau. Na ja, wir haben drei Jahre Zeit, um uns kennenzulernen, aber da kann alles Mögliche passieren. Man weiß ja nie. Nach der Schule gehe ich auf Toilette, weil meine Haare heute platt sind und ich sie mit Wasser voluminöser machen möchte. Nach der Prozedur verlasse ich die Toilette, wo ich direkt aufgehalten werde. Hat der Typ mich ernsthaft verfolgt? "Ist was?", frage ich direkt. "Woher kennst du Cihan?" Woher kennt er ihn? "Warum?", will ich wissen. "Sag einfach!", fordert Can gereizt. Ein bisschen Geduld schadet nicht. "Sag doch einfach warum du es wissen willst?" Wieso will er es nicht sagen? "Ist jemand, den ich kenne." Sag bloß? Darauf wäre ich nie gekommen! "Ist schon offensichtlich, dass du ihn kennst. Jetzt nenn mir den Grund oder lass mich gehen. Wegen dir verpasse ich schon wieder den Bus!", meckere ich. "Mir doch egal. Jetzt sag es endlich!" Dieser Junge will unbedingt einen Streit! "Sag doch einfach, warum du es wissen willst, Mann!" Langsam reicht es auch. "Nein, jetzt sag!" Er bleibt stur. "Ganz ehrlich? Du nervst!" Ich gehe an ihm vorbei, aus dem Gebäude raus und werde wieder aufgehalten. "Du gehst nicht, ohne mir zu antworten!" Oho und wer bist du, dass du mir was zu sagen hast? "Denkst du ehrlich, ich höre auf dich?" Gerade wollte ich wieder weiter gehen, als er mich festhält. Ich verdrehe nur seufzend die Augen. "Wenn du es nicht freiwillig tust, wirst du es lernen müssen", knurrt er bedrohend. Ich schmunzele verachtend. "Das glaubst du doch wohl nicht ernsthaft?" Verächtlich lache ich auf. "Jetzt sag es endlich!", zischt er. "Nein, erst sagst du mir, warum du es wissen willst. Das kann Stunden so weiter gehen, also gib lieber auf." "Vergiss es!" "Dann glaub es halt nicht." Das wird sehr lustig, denn mein Stolz ist zu groß, um ihn gewinnen zulassen. Also warte ich, bis er nachgibt. Nach gefühlten fünf Minuten durchbricht Can die Stille. "Jetzt sag es endlich!" "Nein." "Doch." "Nein." "Sag es doch jetzt, verdammt!", brüllt er plötzlich. Wow. Ich versuche mir mein Lachen zu unterdrücken, pruste aber los. Bei so etwas kann ich nur schwer ernst bleiben. Vor allem bei Lehrern. Es ist einfach herrlich zusehen, wie sie austicken. "Hör auf zu lachen!", schreit Can nun. Mensch, dieser Junge hat ja Aggressionen. Der kann einem sehr die Laune verderben. "Ich lache, wann ich will. Lass mich jetzt los!", brülle ich zurück. Ich lasse mich doch nicht so von ihm behandeln. "Ich hab' dir gesagt, dass du mir erzählen sollst, woher du diesen Jungen kennst!" "Da kannst du lange darauf warten!", gebe ich bissig von mir und verfalle wieder in Stille.

Nach weiteren - gefühlten - fünf Minuten, gibt Can auf. Anders hätte ich es mir nicht denken können und muss wegen meines Erfolges lächeln. "Wir kennen uns von der alten Schule. Ich dachte, er wäre ein guter Kollege, nicht sowie Ramazan und Malik, aber ganz okay. Jedenfalls ist er mir und den anderen in den Rücken gefallen, indem er uns vor anderen schlecht dargestellt hat, um besser rüberzukommen. Vor allem bei Mädchen." Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Cihan war doch immer so nett? Na ja Zeiten ändern sich und damit auch die Person an sich. Erstaunt, über seine Aussage, schaue ich ihn an. Sind seine Augen braun oder gelb? Wieso haben alle so schöne Augen, außer ich? "Jetzt erzähl, woher du ihn kennst", holt mich Can aus meiner Faszination raus. "Seine Mutter und meine Mutter sind sehr lange befreundet. Also waren wir sehr oft bei ihnen und sie bei uns. Wir haben immer miteinander gespielt", sage ich und lächele, wegen den alten Zeiten. "Und was läuft da jetzt?" Wieso will er das wissen? "Warum?" "Ihr habt doch heute geredet und er hat komisch geguckt", erzählt er kleinlaut. Stalker! Na ja, ich habe ihn ja mit einem Fake-Account auf Instagram abonniert. "Wie hat er denn geguckt?" Bei der Frage ziehe ich eine Augenbraue hoch. Worauf will er hinaus? "Beantworte einfach meine Frage." Ich schaue ihn abwartend an, vielleicht sagt er es dann. "Bitte." Wow, Can hat wirklich bitte zu mir gesagt. Überrascht, dass er mich darum bittet, beantworte ich einfach seine Frage. "Da läuft nichts und laufen wird auch nichts." Er nickt nur leicht und schon wieder kehrt Stille ein. Diese Situation ist komisch. "Lässt du mich jetzt endlich los? Ich muss den Bus nehmen." Can schaut auf seine Hand, die mein Handgelenk umschlungen hat. Seine Hände sind ehrlich groß oder meine Handgelenke sind sehr dünn. "Ach so, stimmt." Er lässt es los, und ich will zur Haltestelle laufen. Als ich bemerke, dass Can mir folgt, drehe ich um und schaue ihn verwirrt an. "Ich muss vielleicht auch den Bus nehmen?", blafft er wieder arrogant. Gott, woher sollte ich das wissen? Ich verdrehe meine Augen. Natürlich muss er wieder so verdammt zynisch sein. Wir laufen also gemeinsam zur Haltestelle. Wegen ihm kann ich keine Musik hören, weil ich es als unhöflich empfinde, wenn jemand mit mir läuft und ich Musik höre. Selbst bei solchen Fällen wie Can - glaube ich. Ich hatte noch nie mit sowas, wie ihm, zu tun gehabt. Der ganze Weg verläuft still. Im Bus höre ich Musik. Er sitzt ja nicht neben mir und reden tun wir auch nicht, also mache ich es einfach. An meiner Haltestelle steige ich aus, gefolgt von Can. Nicht, dass er mich jetzt stalkt? Ich lasse mir nichts anmerken und laufe weiter, während ich von Xatar - Dein Herz klopft höre. Ich bin kurz davor am Kiosk vorbeizulaufen und merke immer noch, dass Can hinter mir ist. Was sucht er hier? Ich drehe mich um und ziehe die Augenbrauen zusammen. Er verdreht die Augen. "Ich wohne zufälligerweise hier?" Dabei zeigt er auf den Wohnblock, an dem ich seit ungefähr fünf Jahren vorbeilaufe. "Gut zu wissen", murmele ich und laufe, ohne mich von ihm zu verabschieden nach Hause.

Jetzt wohnen wir noch in der Nähe von einander, Schicksal!

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