Kapitel 100

Mittwoch, 18. April

Müde sitze ich im Englischunterricht und versuche diesen komischen Text zu analysieren. Hätte er wenigstens etwas mit Medizin zu tun, dann wäre es noch interessant und es würde mir Spaß machen, aber nein, es geht um irgendeine Fußballmannschaft. "Machst du das?", flüstere ich Malik zu, der den Kopf schüttelt und mir seine halbe Seite zeigt. Ich schürze die Lippen und schreibe einfach irgendwelche Sätze dahin, die ich mir später anschaue. Kurz vor der Pause habe ich einfach nie Lust Aufgaben zu erledigen. Ich packe meine Sachen ein und lege meine Arme verknotet auf den Tisch, bevor ich meinen Kopf in sie hineinlege. Seufzend drehe ich mich zu Malik und bewundere seine minzblau-grünen Augen. Er bemerkt mein Starren und lächelt mich an. "Was ist los?", fragt er und nimmt dieselbe Position, wie ich ein. "Nichts, habe einfach keine Lust", gebe ich schulterzuckend von mir. "Du hast gleich und in der Letzten mit deinem Lieblingslehrer", erinnert er mich und fängt an zu schmunzeln, was ich ihm nachtue. Herr Krasniqi, ein Luxuslehrer. Nach einigen Minuten dürfen wir endlich in die Pause, woraufhin ich schon fast aus der Klasse renne. Das Wetter wird immer wärmer und das ist mehr als nur gut. Das kalte und ekelhafte Wetter konnte ich einfach nicht mehr sehen und deswegen sind die kommenden Monate umso schöner. "Ich will Ferien haben", quengelt Saliha und schnalzt mit der Zunge. "Wir hatten doch vor einigen Wochen Ferien", meint Malik, während Ramazan Saliha ärgert. Die Blicke der beiden Jungen richten sich nach links, genauso wie Salihas und meiner. Wir sehen, wie Cihan mit Elif auf uns zu kommen. Was wollen die hier? "Wo ist Can?", fragt Cihan in einem kühlen Ton. "Er kommt zur dritten Stunde", antwortet Malik. Can habe ich ja vollkommen vergessen. Seit Ramazans Geburtstag reden wir überhaupt nicht mehr miteinander. Aber mich mit Blicken zu erdolchen oder sonst was unterlässt er nicht. "Wieso?", fragt Ramazan. "Wir müssen etwas klären", gibt er etwas angespannt von sich, woraufhin ich mich ebenfalls anspanne. Eine Schlägerei ist vorprogrammiert. "Sagt ihm Bescheid. Nach der Schule", gibt Cihan kryptisch von sich, beachtet mich kurz und geht dann mit Elif. "Was will Cihan von Can?", fragt Saliha, der ich dankbar bin, dass sie fragt, da ich nicht fragen will, obwohl ich sehr neugierig bin. Die beiden schauen erst sich an und schauen dann kurz zu mir. Was verheimlichen sie? "Wissen wir selber nicht", gibt Ramazan mit zusammengezogenen Augenbrauen von sich. Sie verheimlichen etwas und zwar sowas von. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und mustere Ramazan. Er hat mir nichts erzählt. Das heißt, es ist was sehr Persönliches. Was hat Can gemacht? Malik schaut an mir vorbei, was nur heißen kann, dass Can da ist. Meine Theorie bestätigt sich, als Can Malik, Ramazan und Saliha mit einem Handschlag grüßt, wäre Viyan da, dann hätte auch sie einen Handschlag bekommen. Natürlich lässt er mich außen vor und beachtet mich nicht, was aber widersprüchlich ist, da er mich beobachtet, wenn er denkt, dass ich es nicht bemerke. "Cihan will etwas mit dir nach der Schule klären. Es ist, glaube ich wegen der Sache", murmelt Ramazan. Welche Sache? Also lügt Ramazan mich an. Can zieht die Augenbrauen zusammen. "Welche Sache?", zischt er und bekommt im nächsten Moment etwas von Ramazan ins Ohr geflüstert. "Wie hat er das erfahren?", keift er und beißt den Kiefer zusammen. Ich beobachte seine Haltung. "Ich weiß es nicht. Möglicherweise-," Wieder fängt Ramazan an zu flüstern, woraufhin Can leise auf knurrt. Can schaut finster durch die Gegend und schnaubt. "Daran ändern kann er nicht", gibt er plötzlich arrogant lächelnd von sich. Was zum Teufel meint er? "Sollen wir dabei sein?", fragt Malik und tritt heran. Ich schaue Saliha fragend an, die nur unwissend die Schultern zuckt. Was geht hier vor? "Nein, nein. Er kann mir nichts", lacht er süffisant, woraufhin ich die Augen verdrehe. Can und seine Überheblichkeit.

Mit einigen Theorien laufe ich mit den anderen zum Chemieraum. Hat es wieder etwas mit mir zu tun? Aber dann würden Ramazan oder Malik es mir doch sagen. Hat es irgendetwas mit den Drogen zu tun? Ja! Das kann es sein! Er kann Can nichts anhaben, da Cihan sonst in den Knast wandert. Will Cihan ihn mit Geld ruhig stellen? Mit seinem Drogengeld? Hat Can Cihan bei der Polizei verpfiffen? "Keine Sorge, es hat nichts mit dir zu tun", flüstert mir Malik zu. "Gut zu wissen", nuschele ich und betrete den Raum. Ich höre nur mit einem Ohr zu, da ich wissen will, was geklärt werden muss. Wird es in einer Schlägerei ausarten? Natürlich, das ist Can. Als ob er Cihan nicht provozieren wird. Can ist aggressiv und launisch. Von seiner Überheblichkeit und seiner Arroganz wollen wir nicht anfangen. In der Klasse wird es plötzlich laut, weswegen ich aufmerksam werde und realisiere, dass wir experimentieren. Jetzt kann ich dank diesem ignoranten und arroganten Jungen nicht einmal mehr aufpassen. "Was hast du?", fragt mich eine gute Kollegin, als sie die Materialien zum Tisch bringt. "Nichts, ich bin nur müde", seufze ich und lese mir das Blatt durch, welches sie mitgebracht hat. Ich will unbedingt wissen, was passiert ist und was passieren wird. Was ist der ausschlaggebende Grund? Was ist die Hintergrundgeschichte? Wer hat angefangen? Ist diese Mira wieder aufgetaucht? Ich komme einfach nicht drauf und gebe jetzt auf, da Chemie wichtiger ist.

"Wir haben uns zu Letzt Seite neunundsechzig durchgelesen. Was ist eure Meinung zum Kapitel?", fragt Herr Markus. Ich muss zugeben, dass ich das Buch mag, da es nicht so stereotypisch ist. Aber irgendwie mögen es die anderen nicht, außer Can glaube ich, aber das ist mir egal. Außerdem ist der Unterricht entspannend und einfach. So bekomme ich sorgenlos meine fünfzehn Punkte. "Es war eine Erleichterung, als sie sich vertragen haben, nach dem Missverständnisses", gebe ich leicht lächelnd von mir, als Herr Markus mich drangenommen hat. "Der nächste Streit ist nicht fern", kommt es von Can. "Hast du das nächste Kapitel schon gelesen?", fragt Herr Markus. "Ein bisschen." Irgendwie finde ich die Vorstellung, wie Can ein Buch über Liebe liest ziemlich... nett? Süß? Attraktiv? "Wenn sie diese Hürde meistern konnten, dann können sie auch die nächsten überwinden", widerlege ich und spiele mit meinen Nägeln herum. "Und was ist, wenn einer von ihnen aufgibt?", fragt Can und setzt sich gerade auf. "Sie sind zu stur und zu stolz, um aufzugeben. Außerdem wissen beide, dass sie etwas verbindet. Sie wollen es nur nicht wirklich wahrhaben, vor allem, wenn die anderen Veronica und Michael einzeln auf ihre Beziehung ansprechen", sage ich fest entschlossen und verschränke die Arme vor meiner Brust. Can lacht kurz auf und schüttelt den Kopf. "Michael hat keine Geduld." Er nervt mich. "Dann soll Michael kein Geheimnis daraus machen und endlich zugeben, was Sache ist", gebe ich etwas zynisch von mir. "Er will kein Risiko eingehen. Wenn Veronica die Liebe nicht erwidert, dann ist sein Stolz eingerissen, wenn nicht sogar zerrissen, seine Arroganz zerstört und seine Ignoranz behoben." Ich bin verblüfft von seiner Aussage und schaue auch dementsprechend. Zu meinem Glück sieht Can dies nicht, da er vor mir sitzt und nach vorne schaut.

"Manchmal muss man Risiken eingehen, um zu gewinnen."

Endlich ist der Unterricht vorbei! Als ich im Pädagogikunterricht saß, musste ich einfach die Minuten zählen, da Can und Cihan gleich darüber reden werden. Diesmal lasse ich mir ganz viel Zeit, beim Einpacken, beim Anziehen und beim Laufen. Ich weiß nicht, wo sie sich treffen, deswegen laufe ich extra langsam runter, um Can oder Cihan zu erwischen und siehe da! Ich erwische Cihan, wie er mit Elif aus dem Unterricht kommt. Beides ekelhafte Wesen. Mit ganz viel Abstand und dem Gefühl, dass ich Kim Possible höchstpersönlich bin, laufe ich den beiden hinterher und sehe aus dem Fenster, dass sie sich schon auf dem Hof befinden. Also treffen sie sich dort. Ich beschließe mich hier zu bleiben und dann zu gehen, wenn sie anfangen zu reden. Als Can ebenfalls zu ihnen tritt, fangen sie nicht an zu reden, sondern warten, bis all die Schüler weg von Schulhof sind. Na toll, das kann lange dauern! Solange beschäftige ich mich mit meinem Handy und versuche wegen des Szenarios nicht nervös oder aufgeregt zu sein. "Wie lange brauchen die denn noch?", frage ich mich selber genervt und schaue aus dem Fenster. Sofort renne ich runter, da die beiden schon längst am reden sind und verstecke mich vor dem Eingang. "Lösch es!", zischt Cihan und geht einen Schritt auf Can zu, der ganz entspannt da steht. "Nein", gibt er grinsend von sich und schaut kurz zu Elif, die beschämt zu Boden schaut. Was soll er löschen? "Übertreib deine Lage nicht, Can. Lösch es sofort!", keift Cihan, was Can lachen lässt. "Du findest es also witzig? Wie wäre es, wenn ich es ebenfalls tue", sagt Cihan und fängt an zu grinsen. Es ist ein dreckiges Grinsen. Was soll Can löschen, verdammt?! Can zieht verwirrt die Augenbrauen zusammen. "Das ist mir egal. Davon will ich nichts wissen", gibt er abwertend von sich. "Das mache ich, aber ich erzähle dir, wie und mit wem. Wer es ist kann ich dir schon mal sagen", gibt Cihan provokant von sich, weswegen Can ihn ungläubig ansieht. "Die süße, kleine Shana." Was? Ich reiße geschockt die Augen auf. Was will er machen? Was habe ich damit zu tun? Sofort richtet sich Can auf und packt ihm am Kragen. "Ich schwöre dir bei Gott, wenn du es auch nur ansatzweise wagst, sie anzufassen, dann Gnade dir Gott!", brüllt er, was mir eine Gänsehaut verpasst. Er beschützt mich, trotz des Kontaktabbruches, trotz der Distanzierung. Aber wieso? Ich will es unbedingt wissen. "L-lösch dann einfach das Video", gibt Elif zitternd von sich, woraufhin Can von Cihan loslasst. Haben sie Beziehungsstress? "Wieso? Damit du wieder das machst, was du machen willst? Oh nein." Can fängt an, ihr etwas zu zuflüstern, weswegen ich nichts verstehe. "Wir hatten doch einen Deal oder hast du ihn vergessen?", fragt Can Elif, woraufhin sie mit niedergeschlagen nickt. Was für ein Deal? Hat Can etwas mit Cihans Drogen zu tun? "Den Deal kannst du dir sonst wohin stecken. Oder nein, das übernehme ich und stecke ihn in Shana", sagt Cihan und fängt gehässig an zu lachen. Was will dieser Hund von mir? Ich will da am liebsten hingehen und ihn anbrüllen, aber ich muss versteckt bleiben. "Du kleiner Bastard!", zischt Can, der sichtlich angespannt ist und seine Beherrschung gleich verliert. "Was ist los? Willst du sie etwa auch ficken und es aufnehmen?", fragt Cihan plötzlich ganz unschuldig. Mir wird kalt. Meine Hand schnellt zu meinem Mund. Nein, das darf nicht sein! Nein, nein, niemals! Er hat mit Elif geschlafen? Er hat es aufgenommen? Vielleicht habe ich das auch falsch verstanden, da ich zu spät gekommen bin. Ja, das ist es bestimmt - ein Missverständnis. Ich muss kräftig schlucken und versuche die Kälte und unangenehme Wärme in meinem Rücken zu ignorieren. Ist Can etwa so dreist? "Du Hundesohn, hör auf so über sie zu reden!", brüllt Can, der seine Hände zu Fäusten geballt hat. "Wieso? Du willst sie ficken und ich will es auch. Wieso dann streiten? Wir können sie uns doch teilen", gibt Cihan - dem ich ins Gesicht spucken will - mit einem dreckigen Lächeln von sich. "HALT DEINE SCHNAUZE!", schreit Can und haut ihm eine rein, weswegen Elif und auch ich erschrocken aufschreien. Zum Glück haben sie nichts gehört, was auch bestimmt daran liegt, dass Can und Cihan sich die Köpfe einschlagen. Ich kriege Panik. Auch, wenn ich weiß, dass Can stärker ist, als Cihan, aber trotzdem einige Schläge abbekommt, kriege ich Panik. Ich kriege bei heftigen Schlägereien immer Panik, da ich immer daran denken muss, dass sie sich töten könnten. Vor allem, da Can die Aura eines Löwen hat und unberechenbare Kräfte besitzt. Can zieht Cihan hoch und boxt ihm in den Bauch, woraufhin Cihan sich krümmt, aber dann Can nach unten auf den Boden reißt. Ich fange an zu zittern und will nach vorne streiten, doch verharre an meinem Ort. Was soll ich schon machen? Sie sollen aufhören! Diesmal ist Cihan der, der Can schlägt und das kann und will ich nicht sehen. Es macht mir Angst und lässt mein Herz schneller klopfen. Ihn darf man nicht verletzen! Can kann sich zum Glück wehren, bleibt aber unter ihm. Mach etwas, Shana! Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich muss Cihan von Can runterholen, aber einerseits will ich Elif schlagen, weil sie nichts tut.

Cihan holt etwas kleines, silbernes aus seiner Hosentasche raus. Nein, es ist doch kein Taschenmesser! Ich habe das Gefühl vollkommen taub zu sein und nichts, außer die beiden zu sehen. Can hält das Messer fest, was Cihan grinsen lässt. Ich verliere all meine Hemmungen, lasse meinen Rucksack fallen und renne los. Ich renne einfach und rempele Cihan um, indem ich mich auf ihn schmeiße und ihn so von Can runterbekomme. Natürlich lasse ich ihn nicht unverletzt und zerkratze, während ich ihn runterschmeiße, sein Gesicht. Wir kommen auf dem harten Boden an, weswegen ich vor Schmerzen aufstöhne und dann etwas panisch zurückweiche, als Cihan sich erhebt. Mein Herz rast wie nie zuvor. Ich richte mich ebenfalls schnell auf und laufe nach hinten, als er mit einer finsteren Miene auf mich zu kommt. "Verpiss dich!", brülle ich und zittere. Er grinst und schaut dann an mir vorbei, bevor er einen Kinnhaken bekommt. Ich halte mir erschrocken die Hand vor den Mund und drehe mich zu Can, der an einigen Stellen im Gesicht blutet. Seine Wut verleiht mir eine Gänsehaut. Ich schaue ihm in seine vor Wut dunkel gewordenen Augen und schlucke. Ich muss nicht einmal zu seinem Hals sehen, um zu erkennen, dass seine Ader sehr stark herausgetreten ist. Ich kriege vom Adrenalinschub nicht einmal ein Wort raus und drehe mich sofort um, als ich höre, wie Cihan stöhnend aufsteht. Can tritt sofort an mich heran und zieht mich an der Taille hinter sich. "Denk nicht, weil du Drogen vertickst, dass du Mächtig bist", gibt Can höhnisch von sich und spuckt vor seine Füße. Ich schiele zu Elif, die leise angefangen hat zu weinen. Wieso weint die jetzt? Ich fühle mich so verdammt anders. Ist das ein Traum? Kann das sein? Habe ich das wirklich gerade getan? Cihan ist so stark und ich habe ihn überwältigt. "Shana, komm doch hier her", gibt Cihan zweideutig von sich und lächelt. Wie kann dieser Hund noch die Kraft besitzen, so etwas zu sagen? Can drückt mich an seinen Rücken und krallt sich in meine Taille, was mir nichts ausmacht. Es fühlt sich sogar gut an, wenn ich ehrlich bin. Ich lege meine Hände auf seinen breiten Rücken und spüre, wie seine Muskeln sich unter meinen Handflächen bewegen. "Ich habe bei Gott geschworen, Cihan. Unterschätze dies nicht. Ein Wort und du bist weg", gibt Can mit einem provokativen Lachen von sich. Cihans Gesicht, welches sofort ernst wird, wird in einigen Stunden mit Blutergüssen geschmückt sein, genau wie sein Bauch. Wenn er Glück hat, kann er die Platzwunden mit Salbe etwas kaschieren, aber unsichtbar werden sie dadurch nicht. Cans Kraft ist enorm und richtet dementsprechend viel Schaden an. "Verpisst euch, beide", keift Can plötzlich kalt. Ich sollte wirklich gehen. Ich dachte, dass er mich meint, als ich gehen will, doch er hält mich immer noch an der Taille fest und tippt zweimal mit seinem Zeigefinger auf meine Haut, was diese Stelle kribbeln lässt. Beide gehen vom Schulhof und lassen uns somit alleine, was mich nervöser macht, als ich sonst schon bin. "Wie viel hast du mitbekommen?", fragt Can trocken und dreht sich zu mir, sodass ich sein verletztes Gesicht sehen kann. Was soll ich sagen? Ich kriege doch keine normalen Sätze mehr raus. "Hast du-, hast du mit Elif geschlafen?", flüstere ich und schlucke. Er nickt, was mir einen Stich versetzt. Sie haben miteinander geschlafen. Wütend ziehe ich die Augenbrauen zusammen und schlucke die angestaute Luft runter. "Du hast es aufgenommen?", frage ich diesmal mit einer festen Stimme. Er zuckt kurz mit seinen Kiefermuskeln, bevor er anfängt zu sprechen. "Ja", wispert er schon fast, was mir den zweiten Stich im Brustkorb verpasst. Wie ekelhaft muss man sein? Wie kann man nur so krank, pervers und asozial handeln?! Ich schaue verletzt zu Boden und nicke. "Bravo! Wieder einmal hast du bewiesen, wie ekelhaft du bist!", zische ich zitternd, was dazu führt, dass seine Gesichtszüge sich verhärten, als ich wieder zu ihm schaue. "Du weißt doch nicht einmal wieso!", rechtfertigt er sich. "Ach, es gab also einen Grund? War der Grund vielleicht, weil keine andere dich wollte? Wollte sie nicht bis zur Ehe warten?" Meine Augen weiten sich. "Du hast sie entjungfert!" Die Tatsache, dass Elif keine Jungfrau mehr ist, interessiert mich nicht, das ist ihre Schuld und ihr Problem. Es stört mich eher, dass Can mit ihr geschlafen hat. "Wolltest du das auch bei mir machen?", frage ich, weswegen er etwas schockiert guckt. "Ich-, Shana, nein!" Ich weiche angewidert zurück. "Wie kam es dazu?", frage ich in einer kalten Stimmlage. Er fährt sich seufzend durch sein Haar und dann über sein verwundetes Gesicht. "Das war der Tag, an dem sie dich geschlagen hat-," "Ach, wo du dachtest, dass ich es mal wieder war?", zische ich, was seine Kiefermuskel zucken lässt. "Ja", gibt er ruhig von sich. "Sie wollte mir an den Tag etwas zeigen und dann meinte sie, dass sie bereit wäre es zu tun-,", sagt er und hört abrupt auf zu reden. Was er da sagt, deprimiert mich. Ich will es am liebsten aus meinem Kopf verbannen, aber es geht nicht. Es hat sich eingebrannt, eingraviert, eintätowiert. Es hat sich verewigt. "Seid ihr überhaupt noch zusammen?", frage ich, woraufhin er zögerlich nickt. "Wieso ist sie bei Cihan?", frage ich wütend und traurig zugleich. Ich werde wegen diesem Jungen nicht weinen! "Ich liebe sie ja nicht. Sie kann machen, was sie will, solange ich noch bis Mai mit ihr zusammen bin." Ich schlucke und versuche das Beben in meiner Brust zu mildern. Ich muss weg von hier.

"Demütigst du mich?", frage ich plötzlich. Ich weiß nicht, wie mir diese Frage in den Sinn kam, aber ich muss es wissen. Wieso verteidigt mich dieser Junge, beschützt mich, gibt mir das Gefühl von Geborgenheit, wenn wir uns auf der anderen Seite nicht verstehen und er die ganze Zeit mit anderen Mädchen schläft? "Wie kommst du darauf?", fragt er und zieht die Augenbrauen zusammen, während er einen Schritt näherkommt. "Antworte doch einfach!", zische ich und gehe einen Schritt nach hinten, in der Hoffnung, seinen Duft nicht mehr riechen zu können. "Nein", antwortet er und schaut mir tief in die Augen. "Doch, das tust du!", rufe ich und versuche die Tränen wegzublinzeln, was aber nicht klappt. "Shana, was ist los?", fragt Can besorgt und fasst meine Schulter an, die anfängt zu kribbeln, als er sie berührt. "Entscheide dich endlich, wie du mich behandelst!", zische ich und entferne seine Hand. "Was meinst du?", fragt er in einem tiefen und rauen Ton. "Du und ich-, das, was hier ist, geht nicht. Ich will das nicht", sage ich kopfschüttelnd und wische mir über meine Augen. Cans Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Du willst was nicht? Dass ich dich gut behandele? Dass ich dich beschütze?", fragt er wütend. "Hätte ich dich nicht kennengelernt, wäre das alles niemals passiert! Ich fühle mich verarscht, wenn du so gut zu mir bist und im nächsten Moment rumhurst!", schreie ich schon fast, da ich meine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle habe. Can lacht kurz auf. Das versetzt mir wieder einen Stich. "Wie soll ich dich dann behandeln? Wie einer dieser Huren?" Seine Wörter prägen sich immer tiefer ein, obwohl ich das nicht möchte. "Du bist doch selber eine", flüstere ich und gehe einen Schritt nach vorne, sodass ich vor seiner Brust stehe. Er bückt sich leicht nach vorne und greift nach meinem Kiefer. "Du verdienst mich nicht, Can." Seine Pupillen verkleinern sich und man hört, wie seine Zähne knirschen. "Schwöre mir, dass du mir fern bleibst", gebe ich mit bebender Unterlippe von mir. Er tut mir nicht gut. Falsche Gefühle kommen hoch und genau das wollte ich vermeiden. Ich könnte kurz davor stehen irgendetwas für ihn zu entwickeln und das muss ich vorbeugen. "Du-, du willst was?", fragt er enttäuscht. "Bleibe mir fern, Can. Bitte, bleib mir fern!", flehe ich und halte mich an seiner Hand fest, die meinen Kiefer hält. "Schwöre mir, dass du mir fern bleibst", flüstere ich unter Tränen. Er schüttelt den Kopf, er will es nicht. "Doch. Du verdienst mich nicht", wispere ich und spüre, wie seine Finger sich in meine Haut bohren. "Lass los, Can." Er lässt los, ohne mich eines Blickes zu würdigen und lässt Stille einkehren. Eine unangenehme, angespannte Stille. Ich spüre den Druck auf meiner Brust, es ist ein abscheuliches Gefühl. "Noch nie in meinem Leben habe ich mich so hintergangen gefühlt, Shana." Genau dieser Satz bringt meinen Brustkorb zum Beben. Can dreht sich um, nimmt seine Tasche und verlässt das Schulgelände, ohne mich noch einmal zu betrachten. Ich halte mir die Hand vor den Mund und lasse stumm die Tränen raus. Ich will nicht weinen! "Es ist nur Can, es ist nur Can!", rede ich mir ein und raufe mir meine Haare. "Es ist nur Can, nur ein Junge", flüstere ich mit einem Gesicht voller Tränen und laufe zu meinem Rucksack. Dort wische ich meine Tränen weg und schultere meine Tasche. Mein Herz fühlt sich eingeengt an und auf meinem Nacken herrscht starker Druck. Es fühlt sich so falsch an, obwohl es so richtig ist. Ich muss damit abschließen. Das ist nicht gut. Unsere Beziehung zueinander ist giftig. Kurz schließe ich meine Augen und atme tief durch. Ich muss mich beruhigen, bevor ich nach Hause fahre, sonst merkt es meine Mutter. Keiner soll irgendetwas bemerken. Niemand wird irgendetwas herausfinden, niemand. Ich lasse diesen Frust in mir drinnen, erlaube ihr aber nicht, mich von ihnen zu zerreißen. Sie wird einfach ein Teil von mir und macht mich stärker.

Du verdienst mich nicht, Can.

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Das einzige Buch, das ich kenne, welches hundert Kapitel hat und die Protagonisten immer noch nicht zusammen sind, diese Sturköpfe 🙄

Möglicherweise beginnt schon das dritte Abiturjahr im nächsten Kapitel.

-Helo

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