Schaum auf den Wellen
"Have I ever been wrong? I mean, when it’s important!"
-Scuttle
„Jamil, geh' bitte!“
Die Worte verliesen Azuls Mund, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er wollte diesen Dolch nicht gegen den einzigen Menschen richten, den er je zu schätzen wusste, doch von dem einen auf den anderen Moment überkam ihn eine Wut, von der er sich sicher war, dass es nicht seine Eigene war - Das Blot in ihm wollte Jamil tot sehen.
„Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mich gerettet hast, aber ich wäre gerne ein wenig allein, um zu verarbeiten was genau da eigentlich schief gelaufen ist...“
Der Schwarzhaarige drehte sich überrascht zu ihm um, zwang sich dann aber zu einem zweifelnden Lächeln. „Tut mir leid. Ich wollte dir keine Vorwürfe machen... Du bist ja nicht freiwillig in den Overblot Modus gegangen. Vielleicht hatte ich da ja sogar eine Mitschuld dran.“
"Wenigstens ist er einsichtig. Nun schneid ihm schon endlich die Kehle durch!“, schrie die Stimme in seinem Kopf. Azul aber verscheuchte sie und sah zu Jamil auf. Selbst ohne Brille und mit einer leicht verschwommenen Sicht war er immer noch das Schönste, was er am Land finden konnte.
„Ich hatte in meinem ganzen Leben nie so viel Spaß wie an den Tagen die wir zusammen verbrachten und dein Geständnis hat mich in Panik versetzt. Dennoch, ich würde gerne in deiner Welt bleiben.“
„Vergiss Mal bitte für einen Augenblick meine Welt! Ich möchte viel lieber ein Teil deiner Welt sein“, protestierte Azul sofort, was seinem Freund ein beinahe spöttisches Lachen entlockte. „MEINE Welt ist ein Vogelkäfig, Azul. Und das ist auch der Grund, weshalb ich dich immer wieder abweisen muss, egal wie sehr ich deine Gefühle auch teile.“
Sie waren jetzt nur noch Schritte voneinander entfernt, als Jamil sich auf die Knie fallen lies, das Märchenbuch griff und es Azul in den Schoß legte. „Das Märchen auf Seite 63 hat mich an dich erinnert. Vielleicht möchtest du es ja mal lesen... Wir sehen uns in Alchemie morgen früh!“
Dann küsste er den Grauhaarigen schnell und verschwand, bevor Azul überhaupt reagieren konnte.
"Tja, so wie es aussieht stirbt heute niemand mehr", meldete die Stimme in seinem Kopf sich zu Wort, woraufhin Azul allerdings laut auflachte. „Oh bitte, dachtest du ich würde deinen hübschen Dolch so verschwenden? Keine Sorge, diese Klinge kriegt heute schon noch Blut zu schmecken.“
Als Gott den Menschen schuf, gab er ihren sterblichen Hüllen eine unsterbliche Füllung, eine Seele, etwas das nach dem Tod die Chance hätte entweder ewig zu leiden oder in den Himmel aufzusteigen.
Bei Tieren war es das Selbe, nicht wahr? Alles was auf Erden lebte und atmete war im Besitz einer Seele, also wieso sah das bei Meermenschen anders aus? Hatte Gott vergessen ihnen Seelen zu geben?
Nun, andererseits war die Behauptung, dass Meermenschen keine Seele hatten eine reine Glaubenssache, genau wie der Glaube, dass es überhaupt ein Leben nach dem Tod gab und Azul war sicherlich kein gläubiger Mensch.
Jamil, der war gläubig, vielleicht hätte Azul ja ihn fragen können wie Allah mit toten Meermenschen verfuhr, doch dann hätte Jamil vielleicht Verdacht geschöpft und versucht ihn aufzuhalten.
Das Wasser peitschte in Wellen gegen den Felsen auf den Azul stand, der Dolch in seiner Hand pulsierte, als wäre er lebendig. Langsam lies er die Decke von sich gleiten, wobei es ihm völlig egal war, dass er nun völlig emblößt war. War je eh niemand in der Nähe.
„Ich habe es mein Leben lang versucht“, erzählte er dem rauen Abendwind, „habe versucht perfekt zu werden, mächtig, verehrt. Ich habe immer und immer wieder versucht den Schmerz der Vergangenheit mit physischen Schmerz zu besiegen, ich habe versucht Menschen zu verletzten, wie ich einst verletzt wurde. Ich habe ihnen ihre Stimmen genommen, einen Menschen getötet... Und wohin hat es mich gebracht? Ich denke als Schaum auf den Wellen lebt es sich deutlich besser.“
Bevor er es sich anders überlegen konnte, stellte Azul sich mit dem Rücken zum Abgrund und stieß sich den Dolch in die Brust. Er keuchte, stolperte nachhinten und stürzte den Wellen entgegen. Bevor sein bereits sterbender Körper Kontakt mit dem Wasser machte, umspielte ein Grinsen seine dünnen Lippen und er stellte sich vor wie die Dinge verlaufen wären, wenn er nicht so schwach zur Welt gekommen wäre.
Jamils Märchenbuch blieb auf den Felsen liegen, doch der Wind erfasste es und blätterte zu einer Seite, auf der die Illustration einer kleinen Meerjungfrau zu sehen war, die versuchte in eine Welt zu kommen in die sie nicht gehörte und dabei kläglich scheiterte.
Das Leben ist kein Märchen, schon gar nicht in Twisted Wonderland.
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