[Kapitel 1] -- 3
Der nordische König hob seinen Arm und unterbrach Keth bei ihren Gedanken. Sein Signal war deutlich. Sobald er seinen Arm wieder fallen ließ, würden sich hunderte Soldaten auf sie stürzen.
"Was wollt Ihr von mir?", rief die Prinzessin, um das Unheil hinauszuzögern. "Mein Vater wird ..."
"Schweigt!", unterbrach Borgeus sie und seine Lippen zuckten zu einem überheblichen Grinsen. "Euer Vater interessiert mich nicht, sondern nur Ihr."
Die Prinzessin nahm einen Atemzug um zu antworten, aber die Kriegerin stoppte sie.
"Ich bin beeindruckt", gestand er an Keth gewandt und deutete über das Lager; zu den toten und auch entrüsteten Soldaten, die auf ihren Trick hereingefallen waren, "Eure Leidenschaft könnte ich in meiner Armee gebrauchen." Ein böses Grinsen formte seine Lippen. "Aber ich gehe davon aus, Ihr seid nicht gewillt, das Lager zu wechseln."
"Nein", gab ihm Keth recht.
"Dann steht mir nicht länger im Weg." Er ließ seinen Arm fallen; ein siegessichere Grinsen in seinem Gesicht, als sich all seine Soldaten auf die Kriegerin und die Prinzessins stürzten.
"Keth!", hallte eine männliche Stimme über das Chaos hinweg. "Keth!", wiederholte Cyril, der sich mit seinem Schwert einen Weg durch die Armee bahnte.
Aber ihr Fokus lag ungehindert auf Borgeus. Den Bogen immer noch gespannt, ignorierte sie das Heer, das brüllend auf sie zurannte.
Auch die Prinzessin wurde nervös, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte.
"Keth!", wiederholte er strenger.
Zeitgleich begann der Boden zu Beben und ein großer Riss schlängelte sich zwischen der Kriegerin und dem Heer entlang. Die Erde spaltete sich zu einem Abgrund, der die Angreifer daran hinderte, die Frauen zu erreichen. Aber all das schien Keth zu ignorieren.
Die Prinzessin hingegen schrie auf, krallte sich erneut in deren Oberteil fest und presste sich gegen sie.
"Keth!" Gleich war er bei ihr. Unerbittlich kämpfte Cyril gegen die Angreifer, die sich auf ihn und seine zwei Kameraden stürzten.
Der Boden bebte stärker, der Riss wuchs und begann die Erde tiefer zu spalten. Trotzdem hatten es einige Soldaten geschafft, ihn zu überwinden und stürmten auf die Kriegerin zu, die unverändert dort stand und sich ein Blickduell mit dem König lieferte; auf seinem Gesicht ruhte unbekümmert ein überhebliches Grinsen.
Murmelnde Worte der Königstochter drangen in ihr Ohr und schienen sie im letzten Moment zu besinnen. Sie löste ihre Anspannung, riss sich von der Prinzessin los und wandte sich unerwartet dem Angriff entgegen. Ihren Bogen schwingend durchschnitt sie die Kehlen der ersten Angreifer, als diese sie gerade erreichten.
"Habt ihr euch etwa im Wald verlaufen, oder wieso habt ihr so lange gebraucht?", giftete Keth ihren drei Freunden zu.
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sie sich wieder der Prinzessin zu, umgriff deren Taille mit einem Arm und sah ihr direkt in die Augen. "Vertraut Ihr mir?"
Diese blinzelte ihre Verwunderung über das Szenario beiseite und erwiderte Keths Blick.
"Ja", antwortete sie zögerlich und sah sich wieder um.
Das Beben, der reißende Boden; Soldaten, die soeben ganz sicher getötet worden waren, standen wieder auf und kämpften nun an der Seite der Krieger.
"Was passiert hier?"
"Haltet Euch fest!", befahl Keth und ignorierte die Frage.
"Waru...", begann sie, wurde aber durch den plötzlichen Ruck, der durch ihren Körper ging, unterbrochen.
Es ging alles viel zu schnell. Plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen und ehe sie begriff was das war, befand sich die Prinzessin auf dem Rücken eines braunen Hengstes, der zuvor ungehindert mitten durch den Kampf galoppiert war und dabei etliche Männer zu Boden gerissen hatte. Und auch jetzt tat er dies.
Der Schock und der Aufschrei raubten ihr zu sehr den Atem, um fragen zu können, was gerade passierte. Deshalb umgriff sie mit einer Hand den Knauf des Sattels, mit der anderen krallte sie sich in den Unterarm der Kriegerin, der immer noch um ihr lag und sie festhielt.
Der Boden bebte unaufhörlich und gab den Frauen einen Weg zur Flucht frei, während er sich hinter ihnen spaltet, um die Feinde an der Verfolung zu hindern.
Die Prinzessin versuchte, einen Blick auf das Geschehen zu werfen, aber der Nebel verwehrte ihr eine klare Sicht. Lediglich das Geschrei der Männer konnte sie hören, aber auch diese wurden immer leiser, je weiter sie sich entfernten.
Erst als sie nichts mehr hören konnte, drehte sie sich wieder nach vorne und hielt ihre Augen geschlossen. Versuchte, den starken, kalten Wind zu ignorieren, der es ihr fast unmöglich machte, sich länger festzuhalten. Nur der feste Griff der Kriegerin schützte sie vor einem Sturz aus dem Sattel, und deren warmer Körper an ihrem Rücken sorgte dafür, dass ihr Blut nicht gänzlich gefror.
Der Hengst minderte seine Geschwindigkeit, als Keth sanft an den Zügeln zog, bis er schließlich zum Stehen kam. Sie sprang von seinem Rücken und half der Prinzessin dabei, aus dem Sattel zu gleiten.
"Wir haben vermutlich nicht viel Vorsprung", sagte sie und ging tiefer in den Wald, der noch weniger Sicht zuließ, als die neblige Ebene. "Tut mir leid, mein Freund", sprach sie dann an ihren Hengst gewandt und tätschelte seinen breiten, muskulösen Hals, als sie stehen blieb, "du wirst die Sachen die ganze Nacht tragen müssen. Wir müssen stets bereit sein zu flüchten."
Ein Schnauben und warmer Atem, der weiße Wolken aus den Nüstern blies, war ihre Antwort.
"Wartet hier." Dies war an die Prinzessin gerichtet, der sie Buraqs Zügel entgegen hielt.
"Was habt Ihr vor?", fragte die Königstochter verwirrt, nahm dennoch die Zügel in die Hand.
"Unsere Spuren beseitigen." Und dann war Keth in der Dunkelheit verschwunden.
"Hm." Die Prinzessin sah zu dem Hengst auf und es wirkte, als hätte er seine dunklen Augen auf sie gerichtet. Sanft strich sie ihm erst über den Hals, dann über seine breite Stirn. "Und du beschützt mich, während sie weg ist, ja?", fragte sie leise und sanft. "Ja, das tust du." Sie kicherte, als sie ein leichtes Nicken des Hengstes vernahm und sah sich dann um.
Sie kniff ihre Augen zusammen, um die Silhouetten ihrer Umgebung besser erkennen zu können. Der Schnee ließ sie wenigstens sehen, wo Bäume und Sträucher waren, ansonsten fehlte ihr jegliche Orientierung. Auch wusste sie nicht, wohin ihre Retterin verschwunden war. Nicht mal das Knirschen des Schnees konnte sie hören, um zu bestimmen, wo die Kriegerin herumstiefelte.
Schnaufend richtete die Prinzessin ihren Blick wieder zu Buraq.
"Du bist ein ganz Hübscher", sprach sie lächelnd und streichelte ihn erneut. "Welche Rasse bist du, hm?", fragte sie und musterte ihn so gut es in der Dunkelheit ging. "Bist du ein Cahon?" Cahon nannte man die große und stämmige Rasse, die im Königreich Cahona an der Westküste gezüchtet wurde, um den Bauern beim Ackerbau oder aber den Holzfällern im Wald zu helfen.
"Gangorianischer Drake", hörte sie plötzlich die Stimme der Kriegerin und drehte sich erschrocken um.
"Drake?"
"Ja."
"Gelten Drakener aber nicht als ausgestorben?", skeptisch betrachtete sie die Kriegerin, die die Zügel wieder an sich nahm.
"Tun sie." Keth nickte und führte den Hengst noch einige Schritte tiefer in den Wald.
"Wie kann er dann ein Drakener sein, wenn sie doch ausgestorben sind?"
"Er ist der letzte Reinblüter seiner Rasse."
Musternd betrachtete die Prinzessin das Ross. "In den Schriften steht, dass in den Drakenern das Herz eines Drachen geschlagen haben soll und sie die Pferde der Götter waren, weshalb sie als unsterblich galten. Ich habe mich schon immer gefragt, wie sie aussterben konnten, wenn sie doch aber unsterblich waren."
Keth schwieg und zuckte lediglich mit den Schultern.
"Wenn Euer Pferd wirklich ein Drakener ist, schlägt dann auch das Herz eines Drachen in ihm?", bohrte die Prinzessin weiter.
"Ich habe ihn noch nicht aufgemacht und reingesehen", antwortete die Kriegerin zynisch.
Sie wusste, was man über diese Rasse sagte, aber wirklich viel Beachtung hatte Keth dem nie geschenkt. Für Legenden hatte sie ohnehin nicht viel übrig, weil sie wusste, nicht alles, was eine solche erzählte, stimmte auch. Und selten waren sie bewiesen.
Das Geplapper der Prinzessin nun ausgeblendet, konzentrierte sich Keth auf die Umgebung.
Durch all ihre Reisen wusste sie, dass sich in den Bergen viele Höhlen befanden, die ihnen mehr Schutz vor der Kälte und dem Wetter bieten konnten.
Aber in der Nähe fand sie nur eine kleine Nische in einem Felsen und entschied sich, die Nacht hier zu verbringen. Am liebsten würde sie die Dunkelheit dazu nutzen, weiterzureiten, aber die Prinzessin war gewiss solche Touren nicht gewohnt. Erst recht nicht, wenn es des Nachts um so vieles eisiger war, als am Tage.
Vom hinteren Teil des Sattel band sie zwei Decken und Bärenfelle los, die dort befestigt waren. Eines der Felle legte sie über ihren Hengst, das andere nahm sie mit den Decken und ihrem Reisesack in die Nische mit.
"Ihr wollt hier ein Lager aufschlagen?", fragte die Prinzessin entsetzt. Den Mantel hatte sie bereits eng um sich geschlungen, ebenso ihre Arme. Aber all das half nicht mehr gegen die Kälte.
Wieder nickte Keth stumm und legte die Decken auf den Boden.
"Ich werde ganz sicher nicht hier draußen in der Wildnis übernachten!", protestierte die Königstochter weiter. Als sie aber keine Reaktion erhielt, schnaufte sie frustriert. "Aber Ihr macht ein Feuer, oder?"
"Nein."
"Nein?!"
"Könnt Ihr aus Schnee ein Feuer machen?"
Als Keth auf diese Frage keine Antwort bekam, nickte sie wissend, während sie das Lederband löste, welches das Fell zusammenhielt.
"Aber es ist kalt", murmelte die Prinzessin kleinlaut und setzte sich auf die Decke.
"Habt Ihr Hunger?", fragte Keth, als sie ein lautes Knurren vernahm, während sie das Bärenfell um ihre Gefährtin legte.
"Selbst die Schweine unserer Küche führen ein wohlhabenderes Leben, als ich es bei diesen Männern tat", antwortete diese. "Die kriegen wenigstens die Essensreste."
Keth unterdrückte sich ein Schmunzeln, griff in den Reisesack, holte einen Beutel heraus und hielt ihn der Königstochter hin.
"Dörrfleisch", kommentierte sie deren zögerliche Reaktion.
"Euer ernst?", kam es geschockt.
Wortlos zuckte die Kriegerin mit ihren Schultern und lehnte sich gegen die Wand, als sie sich neben der Prinzessin niedergelassen hatte.
"Müssen wir jetzt den Rest unserer Reise so leben?", fragte diese, als sie sich ihrem Schicksal fügte und auf dem Trockenfleisch heraumkaute.
"Wir können das ein' oder andere Dorf ansteuern. Manche haben Tavernen, in denen wir nächtigen können." Keth hielt inne und hob ihren Blick zur Prinzessin, die sie nur schemenhaft erkennen konnte. "Wenn es Euch nichts ausmacht in einer Taverne zu nächtigen?", fragte sie vorsichtig.
"Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Nacht draußen im Schnee oder einer warmen Taverne, dann ..." Sie stoppte und ein besänftigendes Lächeln umspielte ihre Lippen, auch wenn es vermutlich nicht gesehen wurde - ihre Stimmlage aber war unmissverständlich.
Wieder nickte Keth nur stumm, durchwühlte ihren Reisesack nach dem Schleifstein und Leinentuch, um mit diesem die Klingen ihres Bogens zu säubern und zu schleifen.
In Gedanken ging sie den Weg nach Armargon ab und überlegte, welches Dorf sie ansteuern könnten. Denn jenes sollte unbedingt einen Schmied inne haben, damit sie sich neue Wurfmesser machen lassen konnte. Üblicherweise hatte sie Zeit, diese wieder aus ihren Opfern herauszuziehen. Doch die hastige Flucht aus dem Lager hatte es diesmal verhindert.
Außerdem sollte das Dorf idealerweise ein Markt beherbergen, auf dem sie Kleidung kaufen könnten, denn das Kleid der Prinzessin war bereits in Mitleidenschaft gezogen und ohnehin nicht für winterliche Verhältnisse geeignet.
Schnaufend stoppte sie ihre Handlung und griff sich an die Nasenwurzel. Das nächste Dorf, das beides bot, befand sich auf dem Weg nach Verchell, dem Königreich im Osten. Aber dafür müssten sie auf die Ebene zurück und würden vermutlich geradewegs wieder in die Arme des nidyanischen Heers rennen. Zwar war sie sich sicher, dass Cyril, Denius und Rasmus die meisten getötet hatten, aber eben nicht alle. Außerdem bestand das Heer von Borgeus aus weit mehr als nur dreihundert Mann.
Also blieb nur der Weg über die Berge nach Selivhenz. Ein Verbündetes Königreich von Armargon.
Dort würden sie sicher sein und gewiss Schutz finden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top