[Kapitel 1] -- Part 2
Es war ein sonderbares Gefühl für Keth, sich wieder in der Gestalt eines Menschen zu bewegen. Seit sie vor fünf Sommern Yarf Ethen den Rücken gekehrt hatte, war sie bevorzugt als Wolf durch die Wälder der weiten Welt gestreift.
Eigentlich hatte sie nie wieder in dieses Land zurückkehren wollen, aber ihre Neugier trieb sie hier hin. Zunächst nur nach Mergund, um zu sehen, was aus dem Wirt und der gemeinsamen Pferdezucht geworden war.
Das einst kleine Dorf war gewachsen und Keth hatte Mühe, sich zu orientieren und die Taverne zu finden, in der sie den Wirt anzutreffen erhoffte. Ihr ausgeprägter Geruchssinn half ihr aber dabei, diese ausfindig zu machen.
Wenn auch vieles anders aussah, aber manche Gerüche änderten sich nie.
Auch die Taverne hatte sich verändert. Offensichtlich war die Anzahl der Reisenden gestiegen, so dass der Wirt hatte anbauen müssen.
Das Gelächter aus dem Wirtsraum drang bis nach draußen zu ihr. Sie versuchte, Stimmen zu erkennen, die sie vielleicht kannte. Auf alte Freunde wollte sie nur ungerne treffen. Sie hatte nicht vor, hier lange zu verweilen und erst recht wollte sie sich niemanden gegenüber rechtfertigen, wo sie all die Jahre gewesen war und wieso sie nicht zurückkehrte.
Schließlich betrat sie den gut gefüllten Wirtsraum und ließ ihren Blick umherwandern. Sie erkannte einige Bedienstete, die ihr fremd waren. Damals bediente nur die Tochter des Wirtes diese Taverne, während er selbst stets hinterm Tresen stand und Getränke ausschenkte. Sein Sohn kümmerte sich mit einer Köchin um das leibliche Wohl.
Zweifelsohne war Reichtum in Mergund einkehrt und hatte besonders die einzige Taverne im Dorf begünstigt.
Keth setzte sich in Bewegung und schritt zügig auf den Tresen zu, hinter dem wie zu altbekannten Tagen der Wirt stand und seiner Arbeit nachging.
Augenblicklich erstarrte er, als er in das Gesicht der Kriegerin sah.
"Ein Zimmer und-", begann sie, wurde aber abrupt unterbrochen, weil sie beinahe von den Beinen gerissen wurde. Reflexartig schaffte sie einen festen Stand, um ihr Gleichgewicht zu halten.
"Du lebst!", jauchzte Orette und festigte die Umarmung.
Keth war mit der Situation ein wenig überfordert, weil sie nicht mit der Reaktion der Wirtstochter gerechnet hatte; überhaupt hatte sie nicht mal damit gerechnet, nach alle den Jahren wieder auf sie zu treffen. Sie war sich sicher gewesen, der Wirt hätte sie mittlerweile an jemand anderen vermählt.
"Orette", erwiderte Keth vorsichtig und drückte die Frau von sich.
Die grünen Augen der rothaarigen Frau funkelten freudig und verliebt zugleich.
Das laute und knurrige Räuspern vom Wirt war für Keth deutlich genug und sie lenkte ihren Blick auf den Mann zurück.
"Ich halte meine Versprechen, Edgar", sprach sie kühl, distanzierte sich von dessen Tochter und drehte sich, um den Wirtsraum wieder zu verlassen und Buraq zum Stall zu bringen.
Orette aber ließ sich weder von den Drohgebärden ihres Vaters einschüchtern, noch von der abweisenden Art der Kriegerin beirren und folgte dieser nach draußen.
"Du warst lange weg", plauderte Orette. "Mir wurde gesagt, du hast unser Land verlassen."
Keth schwieg und ignorierte ihre Begleitung, während sie nach Buraqs Zügeln griff und ihn hintersichherführte.
"Was führt dich zurück?", fragte die Wirtstochter weiter und hielt der Kriegerin die Stalltür auf. "Es war sicherlich nicht leicht für dich, wieder zurückzukommen, nach alledem, was passiert ist."
Diese Aussage zuckte Keth mit der Schulter weg. Natürlich war niemanden verborgen geblieben, was damals in Armargon vorgefallen war. Der Verrat vom Königsbruder, dem Wahn von Borgeus und den Kampf, den sie gegen ihn geführt hatte.
"Der Verlust eines Menschen, den man liebt ...", fuhr Orette fort.
"Wovon redest du?", zischte Keth und unterbrach den Redefluss ihrer Begleitung. Erst jetzt richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Wirtstochter und sah sie an.
Irritiert blinzelte Orette. "Von deiner Geliebten. Der Prinzessin."
"Sie ist nicht meine ...", begann sie, stockte aber und schob wütend ihre Augenbrauen zusammen. War dies etwa nicht bekannt geworden, dass sie, die Kriegerin von Armargon, die Schwester der Prinzessin war und somit nicht ihre Geliebte sein durfte?
Erneut reagierte Orette irritiert. "War das denn nicht der Grund, wieso du dieses Land verlassen hast?"
"Was?", fragte Keth ahnungslos, weil sie nicht wusste, wovon die Rothaarige da sprach. Die Schwester der Prinzessin zu sein war schließlich nicht der Grund für die Entscheidung gewesen, das Land zu verlassen, sondern all die Lügen, die man ihr ein Leben lang erzählt hatte. Sie war angewidert und wütend gewesen, weil es nicht nur Erwyne gewesen war, der sie immer wieder belogen hatte, sondern auch Alma, Cerlic, Denius und Cyril. Und auch die Könige aus Varith und Selivhenz hatten die Wahrheit gekannt; ja, sogar Alaric, der Krieger aus Varith.
"Ihr Tod", antwortete Orette und schien überrascht, weil Keth davon nichts zu wissen schien.
Deren Herz zog sich sofort schmerzhaft zusammen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
"Du wusstest das nicht?", fragte die Wirtstochter ungläubig.
"Sie ist nicht tot", wies Keth knurrend ab.
"Auf dem Thron sitzt sie aber auch nicht", entgegnete Orette zynisch. "Weshalb hast du das Land denn dann verlassen, wenn ihr Tod nicht der Grund war?"
Keth wollte nicht daran glauben. Die Krieger Armargons hätten nie zugelassen, dass die Prinzessin starb.
Und doch keimte in ihr das schlechte Gewissen auf, weil sie nicht geblieben war. Sie hätte an Varias Seite bleiben müssen, egal was es für sie bedeutet hätte. Aber sie hätte die Prinzessin beschützen müssen. Das war ihre Aufgabe gewesen und sie hatte der Königin ihr Versprechen gegeben, bei Varia zu bleiben, wenn diese ihr verbot zu gehen. Und Varia hätte ihr sicherlich nicht erlaubt zu gehen.
"Wer tötete sie?", fragte sie mit dunkler und wütender Stimme.
"Die Seuche."
"Die Seuche?" Mit großen Augen sah sie die Wirtstochter ungläubig an.
"Vor einer Seuche ist niemand sicher. Nichtmal Könige, Königinnen und deren Abkömmlinge. Auch Krieger können niemanden davor beschützen, so sehr sie von den Göttern auch gesegnet sind."
Keth verharrte still und presste ihre Zähne aufeinander. Zu sehr in Gedanken und Selbstvorwürfen versunken.
"Der König, die Königin und die Prinzessin ... sie starben daran", erzählte Orette vorsichtig. "Jetzt regiert der Bruder des Königs Armargon."
Wütend schnaubte Keth, drehte sich um und stieg auf den Rücken ihres Hengstes. Ihre Pläne änderten sich mit dieser Information.
"Was hast du vor?", fragte Orette geschockt.
"Nach Armargon reisen", antwortete Keth und gab Buraq einen Tritt in die Seite.
"Das darfst du nicht! Armargon ist ..." Sie hielt kurz inne, weil Keth ihr kein Gehör schenkte und im gestreckten Galopp davon eilte, "nicht sicher", fügte sie leise seufzend hinzu und blickte der Kriegerin hinterher, bis sie aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
***
Buraqs Atmung war ein lautes Schnauben und seine Hufe donnerten auf dem erdigen Boden, während sie sich dem Königreich Armargon nach drei Tagen näherten.
Schon aus der Ferne erkannte Keth ein sonderbares Schauspiel der Natur. Die bekannten vier Türme versanken unter einem dichten Nebel, und nur noch die Spitzen waren zu erkennen.
"Was zum Henker ...?", raunte sie, als sie das sah.
Doch bevor sie ihr Ziel erreichten, wurden sie von Wachen gestoppt, die sich ihnen in den Weg stellten und Buraq dazu zwangen, abrupt zu bremsen.
"Eure Reise endet hier!", rief einer. Bewaffnet mit einem Schild und einer Lanze brachte er sich in eine imponierende Position. Ebenso seine Kameraden. Manche von ihnen waren auch mit Speeren, Schwertern und sogar Pfeil und Bogen bewaffnet. "Macht kehrt!"
"Lasst mich durch", befahl Keth bedrohlich.
"Niemand wird das entweihte Land betreten oder verlassen."
"Ich werde", entgegnete sie selbstsicher.
Sofort rüsteten sich die Wachen und machten sich Kampfbereit.
"Ihr könnt mich nicht aufhalten." Ihre Lippen zuckten zu einem Schmunzeln, und doch ließ sie ihren Blick musternd umherwandern. Entlang der Grenze war ein unüberwindbarer Wall aus gespitzten Baumstämmen errichtet, dahinter eine aus Holz errichtete massive Mauer, um die Einreise ins Königreich Armargon zu verhindern.
Soweit ihr Auge reichte, erkannte sie nicht mal ein Tor, das man durchschreiten konnte. Sie wollten also wirklich sicher gehen, dass niemand diese Grenze überwand.
Aber auch die Rüstungen der Wachen ließen sie skeptisch werden. Sie erkannte sowohl jene vom Königreich Verchell, als auch Varith.
Im naheliegenden Wald konnte sie weitere Bogenschützen ausmachen. Es jetzt also auf einen Kampf anzulegen war selbstmörderisch, weil die Krieger dieser Königreiche gut ausgebildete Kämpfer waren.
Deshalb zog sie doch den Rückzug vor, nickte wissend und machte mit Buraq kehrt.
Trotzdem ließ sie sich von dieser Barriere nicht abschrecken. Sie würde schon einen anderen Weg nach Armargon finden.
Im Wald stieg sie von Buraqs Rücken und entledigte sich ihrer Kleidung, bevor sie sich in ihren geliebten Wolf verwandelte. Ein Tier würden die Wachen wohl nicht davon abhalten, Grenzen zu überschreiten. Vermutlich würden sie sich nicht mal mit einem Wolf ihrer Größe anlegen. Trotzdem versuchte sie eine Stelle zu finden, die unbewacht war. Sie konnten schlecht entlang der gesamten Mauer Wachen aufgestellt haben.
Der Geruch von altem und neuem Schweiß drang in ihre Nase, je näher sie sich dem Wall von westlicher Seite näherte. Die Wachen patrouillierten also in regelmäßigen Abständen an dieser Mauer entlang.
Aber sie nahm auch den Geruch von verbranntem Holz und Feuer wahr. Von Metall und Blut. Hier wurde bereits gekämpft, oder aber gejagt.
Was auch immer in Armargon passiert war, es musste so schlimm sein, dass sich die restlichen Königreiche vereinten, um die Gefahr einzudämmen.
Plötzlich hörte sie ein Knacken im Geäst und ein Zischen. Rechtzeitig wisch sie dem Pfeil aus, der sie im Herzen hätte treffen sollen.
Jetzt hörte sie auch die Stimmen von Männern, die sich auf sie zubewegten. Die Speere zum Wurf bereit. Der erste traute sich, verfehlte den Wolf aber erneut.
Dunkel knurrte er bedrohlich, in der Hoffnung, seine Angreifer davor zu warnen, ihn nicht zu sehr in die Enge zu treiben. Aber sie schienen es zu ignorieren - viel mehr ergötzten sie sich daran, einen solch prächtigen Wolf vor sich zu haben, und sinnierten bereits jetzt, was man alles aus ihm herausholen könnte. Dass er beinahe zu schön war, um zu sterben, und er als Attraktion gewiss mehr Geld bringen würde. Denn noch nie hatte man einen solch großen Wolf gesehen, und erst recht nicht in dieser Farbe. Aber auch sein Fell würde gewiss sehr viel mehr an Reichtum bringen und würde wesentlich Sicherer sein, als ihn lebend halten zu können. Die Gefahr, die von ihm ausging, wäre einfach zu groß.
Die Diskussion der Männer nutzte Keth, um in den Angriff zu gehen. Ohnehin blieb ihr keine andere Wahl.
Mit ihren kräftigen Kiefern packte sie den Kopf eines Mannes, riss ihn mit sich und durchbrach so die Mauer der Soldaten, die nun laut und wütend brüllten, weil sie einen ihrer Freunde verloren.
Immer wieder schossen Pfeile auf sie zu, verfehlten sie aber knapp, oder streiften sie lediglich.
Weil die Bogenschützen die gefährlicheren Gegner waren, fokussierte sich Keth zunächst nur auf diese, und doch waren es einfach zu viele, um sie alle im Auge zu behalten.
Plötzlich spürte sie eine Schlinge um ihren Hals, als sie gerade einen Soldaten verfolgt hatte. Der Seilwerfer allein konnte aber gegen die Kraft des Wolfes nichts ausrichten, weshalb er ungehindert hinter diesem hergerissen wurde.
Erst ein Zweiter Mann, der nach dem Seil griff, schien Wirkung zu zeigen. Für jene leider zu spät, denn der Wolf hatte ihren flüchtenden Kameraden zu packen bekommen und ihm die Kehle durchgebissen.
Mit blutverschmiertem Maul drehte sich der Wolf um, und erwiderte deren Blicke.
Kurz erstarrte die Situation. Nicht nur die Männer schienen außer Atem, auch der Brustkorb des Wolfes hob und senkte sich deutlich.
Als sich die Lefzen des Tieres zuckend hoben, ließen die Männer das Seil fallen und setzten zur Flucht an.
Der Wolf schüttelte sich unter knurrendem Protest und Blut spritzte von seinem Maul davon, ehe er in den Sprint ging.
Doch die Schlinge eines zweiten Seils umfasste seine Hinterläufe und brachte das riesige Tier zu Fall. Sofort wurde das Tau, das um seinen Hals lag, erneut ergriffen und straff gezogen.
Jetzt hatten sie ihn. Und die übrig geblieben Männer zeigten deutlich, dass sie mehr als wütend waren. Immerhin hatte er drei ihrer Kameraden bestialisch getötet.
"Schieß ihm in die Kehle", befahl derjenige, der das Seil um die Hinterläufe geworfen hatte.
Aber noch bevor der Bogenschütze den tödlichen Schuss abgeben konnte, wurde sein Arm von einem Pfeil durchbohrt, und verhinderte so, dass er schießen konnte.
Sofort drehten sich die Männer und ließen ehrfürchtig ihre Waffen sinken, ehe sie die Flucht antraten und in alle Richtungen verschwanden.
Der Wolf hob seinen Kopf und sah sich suchend um, während seine Lefzen wütend zuckten.
Auf der Mauer des Walls erkannte er die Silhouette einer Frau mit einem Bogen in der Hand, die seinen Blick zu erwidern schien.
Die Nase des Wolfes wackelte, als er versuchte, den Duft der Fremden aufzunehmen. Rückenwind, er witterte nichts und knurrte frustriert.
Langsam stand er auf und schüttelte sich in der Hoffnung, so die Seile um seinen Körper loszuwerden. Dann ging er einen Schritt auf den Wall zu. Doch die Fremde hob den Bogen erneut und spannte einen Pfeil.
Viel zu neugierig war Keth, als dass sie sich davon abhalten ließ.
Erst als der Pfeil vor ihr in den Boden einschlug, stoppte sie. Ein weiterer Pfeil schlug vor ihr ein und verfehlte ihre Pfote nur knapp; zwang sie so einen Schritt zurück zu gehen. Noch ein Pfeil und ein weiterer Schritt zurück.
Dunkel knurrte sie und schüttelte ihren Kopf kurz, aber kräftig. Speichel spritzte zwischen ihren Lefzen heraus und zeigte damit ihre Wut. Noch einmal keifte sie, ehe sie wütend in den Wald zurück rannte; in die Richtung, aus der sie ursprünglich gekommen war.
Ein leises Seufzen flog über die zartrosa Lippen der Jägerin, bevor diese von der Mauer sprang und all ihre Pfeile wieder einsammelte und sich anschließend um all die toten Männer kümmerte, die den Angriff des Wolfes nicht überlebt hatten.
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