Kapitel 6

Er hätte das verdammt nochmal nicht tun dürfen! Warum hatte er sich nur so gehen lassen? Beinahe hätte er Celeste markiert. Zum Glück war er in dem Augenblick zur Besinnung gekommen, als seine Zähne ihre Haut berührt hatten, und er konnte das Unglück im wahrlich letzten Moment abwenden. Niemals wird er seine Erasthai gegen ihren Willen an sich binden, das hatte er sich schon als kleiner Junge geschworen. Er hatte genug unfreiwillig verbundene Paare gesehen, um es besser zu wissen. Für beide Seiten der Verbindung war es eine Höllenqual. Unfähig die Finger voneinander zu lassen und sich deswegen hassend, bis der Tode sie nach Jahrhunderten oder -tausenden trennt. Nein, solch ein Schicksal würde er sich und Celeste unbedingt ersparen. Wenn er diese Schönheit endlich unter sich haben würde und mit ihr den Akt der Bindung einging, dann wäre es von ihr gewollt. Sie würde ihn anbetteln, sie zu markieren und zu der seinen zu machen, selbst wenn ihm vorher drohten, die Eier abzufallen und er mit einem Dauerständer herumlief.

Über diesen Gedanken seufzend, ließ er seinen wachsamen Blick durch das Tal unter ihm schweifen. Er saß in einem dicht belaubten Baum, unsichtbar vor den Werwölfen und Menschen in der Senke, welche der Treffpunkt diese Bande war. Bisher hatte er keine Person ausgemacht, auf die Celestes Beschreibung gepasst hätte. In früheren Überwachungen hatte er in Erfahrung gebracht, dass auf der einen Seite des kleinen Tals Eingänge zu einem Höhlensystem waren. Unbeobachtet konnte er dort nicht eindringen, ohne Alarm auszulösen, daher hatte er beschlossen, erst einmal nur zu observieren und zu warten, ob er einen Zugang fand. Vermutlich wurde Annabeth in diesen Höhlen gefangen gehalten. Hoffentlich war sie am Leben. Seiner Erasthai mitzuteilen, dass ihre Freundin tot war, wollte er sich und seiner Gefährtin gerne ersparen. Seine Schönheit würde sich von dieser Nachricht nur schwer erholen, selbst in seinen Armen, dessen war er sich sicher. Und er wollte sie unbedingt wieder in seinen Armen spüren, allerdings auf gänzlich andere Weise.

Es hatte sich so gut angefühlt, sie nach dem Bangen und Hoffen um seine wahre Gestalt, zu küssen. Sogar so gut, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte und beinahe zu weit gegangen wäre. Bei der Mondgöttin, ihr Stöhnen und das Gefühl, sie zum Orgasmus gebracht zu haben, hatten all das wettgemacht. Oh er würde sie noch öfter zum Stöhnen bringen und nicht nur das. Sie sollte seinen Namen schreien, wenn er in ihr kam. Und allein bei dem Gedanken wurde er wieder hart und musste seine Sitzposition auf dem Ast ändern. Vorsichtig um sich nicht vorzeitig zu verraten, kletterte er etwas höher, als er plötzlich ein neues Geräusch vernahm. Ein rhythmisches Brummen und Flattern wurde im lauter und ein dunkles Objekt erschien am Horizont. Nach wenigen Augenblicken erkannte Aris einen schwarzen Hubschrauber, der sich aus dem Nachthimmel schälte und zur Landung auf einer Wiese ein ganzes Stück gegenüber seiner Position ansetzte. Kaum berührten die Kufen des Fluggerätes den Boden, da öffnete sich die Tür und eine Person stieg aus. Alarmiert versuchte Aris mehr zu erkennen. Es handelte sich um einen Mann, so wie er mit langen kraftvollen Schritten in Richtung Talmulde lief.

Aufregung kam in die Bewohner und eine Handvoll Werwölfe machte sich auf den Weg den Besucher zu empfangen. Auf halbem Weg begegneten sich beide Parteien und Aris war jetzt in der Lage Einzelheiten ausmachen. Der Mann unten trug einen maßgeschneiderten Anzug in Schwarz mit weißem Hemd, seine hellbraun gelockten Haare fielen ihm bis zum Kinn. Seine Augen waren auf die Entfernung nicht erkennen. Zwischen der Gruppe verwahrlost gekleideter Werwölfe und dem Mann wurden einige Worte gewechselt, dann lösten sich zwei Wölfe aus der Gruppierung und liefen gemächlich in Richtung der Höhlen.

Der Neuankömmling wirkte ungeduldig und ungehalten, die Rogues unterwürfig und nervös. Aris runzelte die Stirn. Was ging da unten nur vor? War dieser Typ etwa der Anführer der Gruppe? Sollte er das Glück haben, den Drahtzieher endlich gefunden zu haben? Gespannt versuchte er mehr zu sehen und ein paar Worte zu hören, doch hier war er zu weit weg, weil er auf Nummer sichergegangen war nicht entdeckt zu werden.

Einige Minuten später kamen die beiden Rouges aus der Höhle zurück und zogen etwas hinter sich her. Im ersten Moment erkannte Aris nichts, doch dann sah er zerfetzte, blutige Kleidung und blonde lange Haare, die über die Arme fielen und welche mit groben Stricken zusammen gebunden waren. Die Enden der Seile hatte eine der Gehilfen in Händen und zog daran eine scheinbar bewusstlose Frau hinter sich her. Konnte das sein? War das etwa Annabeth? Die Beschreibung würde passen. Wenn ja, war sie in einem schrecklichen Zustand: Die ehemals beige Kleidung hing in Fetzen und war dreckig und blutig, die Haut der Frau an vielen Stellen blutüberströmt. Sie ist misshandelt worden.

Aris befürchtete das schlimmste Annabeth betreffend, als sich das Gebaren des unbekannten Besuchers schlagartig änderte, sobald er sie zu sehen bekam. Seine Haltung wurde steif und still, er sagte etwas, ohne den Blick von der verletzten Person abzuwenden. Die Rouges luden ihre Fracht vor den Füssen des Anzugträgers ab. Dann hörte Aris ein lautes Brüllen. Ein Klauen bewehrte Hand schlang sich um die Kehle des Typen der geblieben war. Dieser wurde in die Luft gehoben und weggeschleudert. Dann brach das totale Chaos im Tal aus. Menschen starrten entsetzt auf die Geschehnisse, Rouges rannten dem Angegriffenen zu Hilfe und wieder andere stürzten sich auf den geheimnisvollen Besucher und dieser schickte ein weites Brüllen durch das Tal.

Und dann spritzte nur noch Blut. Körperteile wurden abgerissen und flogen umher, und ein Monster bahnte sich jetzt reißend und mordend durch die Menge, wo zuvor ein Mann im Anzug gestanden hätte. Der Besucher war ein Lykaner, ein Lykaner im Blutrausch!

„Bei der Göttin!", fluchte Aris innerlich. In diesem Zustand war seinesgleichen schier unbesiegbar. Es brauchte schon ein Dutzend kampferprobter lykanischer Soldaten, um einen solchen im Stadium des Wahnsinns aufzuhalten. Nur eine Erasthai konnte den Rausch beenden und ihren Gefährten wieder zu Sinnen kommen lassen.

Was hatte diese Reaktion des Anzugträgers ausgelöst? Mit angehaltenem Atem und völlig regungslos wartete Aris, bis der Unbekannte im Tal sein grausiges Werk vollendet hatte. Dieser hörte erst auf, als Bewegung und Geräusche von der verletzten Person, die Annabeth sein musste, kamen. Schlagartig kam der wahnsinnige Lykaner zum Stillstand, verwandelte sich im nächsten Wimpernschlag zurück und sprang mit einem Satz zu der blonden Frau. Behutsam, als wäre sie das Kostbarste auf Erden, nahm der Mann sie auf die Arme und trug sie eilig zum Hubschrauber. Im Lauf öffnete sich die Tür und der Lykaner verschwand mit seiner Fracht darin. Kurz darauf erhob sich das Gefährt in die Luft und Aris konnte nur ein goldenes Wappen auf der Seite des Fluggerätes ausmachen, bevor dieser schon außer Reichweite war.

Verwirrt starrte er zurück ins Tal und versuchte, zu verstehen, was er gerade beobachtet hatte. Das gesamte Leben in der Senke war in wenigen Sekunden ausgelöscht worden. Der Fremde war in dem Moment ausgerastet, als er Annabeth wahrgenommen hatte und ihren Zustand erkannte. Sollte es möglich sein? Oh Göttin! War Annabeth die Erasthai eines Lykaner? Ausgerechnet der Person, dessen Spur Aris schon seit Monaten hinterher forschte? Ungläubig fuhr er sich mit der Hand durch die Haare.

Zumindest musste er sich jetzt keine Gedanken mehr um den körperlichen Gesundheitszustand von Celestes Freundin machen. Der Anzugträger wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sicherzustellen, dass seine Erasthai lebte und wieder gesund wurde.

Wie sollte er das Celeste erklären? Das verkomplizierte die ganze Sache. Seufzend sprang er aus seinem Beobachtungsposten herab und beschloss, eine Runde durchs Tal zu drehen. Vielleicht fand er ja doch einen Überlebenden, großen Hoffnungen gab er sich nicht hin. Der Fremde hatte im Rausch nichts ausgelassen.

Erfolglos beendete er die Runde und er machte sich auf den Weg nach Hause. Jetzt hatte er einen Grund, warum er Caspian unbedingt aufsuchen musste. Bestimmt kannte sein König das Wappen, welches er auf dem Hubschrauber gesehen hatte. Ab da war es nur eine Frage der Zeit, bis er herausgefunden hatte, um wen es sich handelte. Blieb nur zu hoffen, dass Annabeth die Existenz von Werwölfen und Lykanern genauso mühelos aufnehmen würde, wie ihre Freundin ...

All diese Gedanken und mehr beschäftigten ihn auf dem Weg zurück zum Blockhaus. Mittlerweile war es weit nach Mitternacht und der Halbmond stand hoch am Sterne-übersäten Himmel. Er öffnete die Holztür und betrat die Hütte leise. Das Holz im Ofen war schon vor Stunden heruntergebrannt, weswegen es jetzt Dunkelheit im Inneren herrschte und die Luft war ausgekühlt ohne die Wärme der brennenden Holzscheite. Dank seiner Lykaner-Gene hatte er keine Schwierigkeiten, seine Gefährtin in der Düsternis auszumachen. Sie hatte offensichtlich auf ihn gewartet und war dabei eingeschlafen. Er fand Celeste schlafend auf dem alten Sessel vor dem Holzofen, eingekuschelt in die graue Armeedecke. Wärme durchflutete ihn bei dem Anblick und er beugte sich zu ihr hinunter, um eine verirrte Locke aus ihrem Antlitz zu streichen. Sie bewegte ihr Gesicht und murmelte undeutlich, wachte aber nicht auf. Ein zartes Lächeln schlich sie auf seine Lippen. Er beschloss, sich die Klamotten auszuziehen, welche etwas von dem Blut der Toten aufgenommen hatten und den Geruch vom Körper zu waschen. Er wollte nicht, dass die schlafende Schönheit damit in Berührung kam, wenn er sich mit ihr in sein schmales Bett zu kuscheln würde.

Wenige Minuten später hob er sie auf seine Arme mitsamt der Decke und legte sie sanft auf die Pritsche und rutschte nackt vom Duschen mit unter den Überwurf. Er rückte Celeste so zurecht, dass sie eng an ihm lag und er sein Gesicht in ihren Haaren versenkte. Oh Göttin, sie roch so verdammt himmlisch! Allein ihr Geruch ließ ihn sich Sachen vorstellen, die seinen Schwanz alles andere als einschläferten. Doch das würde warten. Er war jetzt knappe 48 Stunden wach und selbst Lykaner benötigten nach solch einer Zeit einmal Schlaf. Und wenn sie morgen in Richtung Sankt Petersburg aufbrachen, wollte er ausgeruht sein. Zumal er Celeste auf den neuesten Stand bringen musste, über das, was in dem Tal geschehen war. Also machte er es sich mit Celeste im Arm bequem und schloss mit ihrem Duft in der Nase und dem Gefühl seiner Erasthai in den Armen die Augen und schlief ein. 



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