Kapitel 8
Zur gleichen Zeit sprachen Kathleena und Aria, während sie in der Nähe des gemütlichen Kaminfeuers saßen. Kathleena hatte sie zuerst belanglose Dinge gefragt um zu sehen, ob sie überhaupt bereit war, zu sprechen. Mit einem Becher Tee in der Hand saß sie Aria gegenüber und hörte zu. Dabei musterte sie das Mädchen von Zeit zu Zeit und bemerkte, dass sie vielleicht nur unsicher war und nicht wusste, wie sie mit anderen umgehen musste.
Sie ließ Aria Fragen stellen, die sich hauptsächlich um Magie drehten und beantwortete bereitwillig diese ausführlich. Dabei stellte sie fest, dass das Mädchen erstaunlich schnell Zusammenhänge erkannte, vor allem wenn es darum ging, was Kathleena mit ihrer Magie tat.
Myrons Mutter gab ihr eine Decke, da Aria anscheinend begann, ein wenig zu frieren. Diese legte sie dem Mädchen über ihren Schoß und bot ihr erneut eine Tasse mit heißem Tee an. Dankbar nahm Aria beides von ihr an und schwieg. Kathleena gab ihr die Zeit, aus sich herauszukommen, deswegen erzählte sie ihr auch ein paar Dinge über sich und sogar Myron.
Dabei konnte Kathleena sehen, wie Aria bei den Worten über Myron aufhorchte. Ein kleiner Glanz erschien in ihren Augen, der vom Feuerschein angeleuchtet wurde.
Irgendwann fragte Myrons Mutter sie behutsam, was damals passiert sei. Aber auch, wie sie den Fängen des anderen Herrschers entkommen sei. Aria verstummte und brauchte Zeit, sie war sich nicht sicher, ob sie darüber reden konnte und auch wollte. Auch wenn Kathleena sehr nett war, hatte Aria ein wenig Angst, darüber zu sprechen.
Kathleena stand auf und ging zu ihr hinüber. Sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels und strich sanft eine Strähne aus Arias Gesicht. Liebevoll betrachtete sie das Mädchen, welches mit ihren blauen Augen zu ihr hinaufsah.
„Kleines, du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du nicht reden möchtest, werde ich dich nicht drängen. Lass dir Zeit. Niemand hier wird dir etwas tun", versicherte Kathleena ihr. „Ich hoffe, dass du mir eines Tages vertraust und mit mir darüber sprechen kannst. Und auch mein Sohn möchte, dass du ihm vertraust", sprach sie weiter und sah in Arias Gesicht, das plötzlich dunkel wirkte. Als hätte sich ein Schleier darüber gelegt.
Längere Zeit sagte sie nichts und Kathleena hatte begonnen, ihren Kopf leicht zu streicheln. Genauso hatte sie es mit Myron gemacht, als er noch klein gewesen war. Aber auch heute tat sie es noch immer, wenn sie spürte, dass sich jemand unwohl fühlte. Aufmerksam beobachtete sie Aria und sah auf einmal Tränen über ihr Gesicht laufen. „Kleines, was ist denn los?", fragte sie erschrocken.
Mit einer trotzigen Bewegung wischte sich Aria die Tränen weg. Weinen galt als Schwäche und die wollte sie niemanden zeigen. Sie war wütend auf sich selbst, dass sie Tränen vergoss. Aria war in einem Zwiespalt gefangen. Zwischen der Vergangenheit und Gegenwart. Sie fühlte unsägliche Traurigkeit über die Vergangenheit und zugleich die Wärme, die Myrons Mutter ausstrahlte. Diese wartete einfach ab, ob sich Aria ihr öffnen würde oder nicht. Es dauerte einige Zeit, bis sich Aria gefangen hatte und anfing, mit leiser Stimme zu erzählen.
„Als ich klein war, hatte ich eine kleine Schwester, mit der ich aufgewachsen bin. Wir haben uns alle gut verstanden. Meine Mutter war fast genau wie Ihr. Sehr warm, verständnisvoll, gutmütig und liebevoll. Mein Vater ein hart arbeitender Mann. Beide waren Magier und sie wussten, dass auch ich Magie in mir trug", begann sie zu erzählen. Dabei drehte Aria ihre Tasse in den Händen und sah auf die Flüssigkeit, die sich bewegte.
„Doch eines Tages kamen einfach Männer in das Dorf und schlachteten alle ab, die sich dort befanden. Sie töteten meine Schwester vor unseren Augen und trieben meine Mutter und meinen Vater, sowie auch mich zu einem Abgrund. Wir wollten fliehen, doch die Männer haben uns bewusst dorthin getrieben. Dabei sagten sie, dass Magier böse Teufel seien und nichts in dieser Welt verloren haben", fuhr sie fort und Tränen rollten ihre Wangen hinab. Es war ein leises Weinen, sodass es fast nicht auffiel.
„Auf dem Weg dorthin versuchte mein Vater diese Männer zu töten, dabei wurde er selbst getötet. Als meine Mutter und ich an dem Abgrund standen, sah sie mich an und bevor ich etwas sagen konnte, schubste sie mich von dem Felsen mit ihren letzten Worten, dass sie mich liebt. Dann hörte ich nur noch ein Zischen und ihre Schreie", erzählte Aria und hielt bei den Erinnerungen inne. Sie zitterte am ganzen Körper, sodass Kathleena sie in den Arm nahm und sanft drückte.
„Als ich wieder aufwachte, war ich irgendwo. Aber ich wusste nicht, wo es war. Meine Arme und Beine waren in Ketten gelegt und es war sehr dunkel und kalt in dem Raum. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Als ich Schritte hörte, wurde mir klar, dass ich von ihnen gefangen wurde. Es waren dieselben stimmen, die meine Familie getötet hatte. Fortan wurde ich jeden Tag ausgepeitscht und misshandelt. Brandwunden wurden mir zugefügt, aber ich wurde auch vergewaltigt und für nichts bestraft." Aria hielt erneut inne, da die Erinnerungen sie in einen Abgrund zogen.
Ihr Körper wollte nicht mehr gehorchen, deshalb brach sie in Tränen aus und begann zu schluchzen. Kathleena streichelte wortlos ihren Rücken, sagte jedoch nichts. Es war besser, wenn Aria zuerst alles erzählte, bevor sie etwas dazu sagte. Myrons Mutter wollte dem Mädchen das Gefühl geben, dass sie ihr zuhörte. Es dauerte einige Zeit, bis Aria wieder begann zu sprechen.
„Sie hatten gehofft, ich könnte ihnen mit meiner Magie helfen, aber da ich nicht wusste, wie ich es einsetzen musste, konnte ich es nicht. Nur geglaubt haben die Männer es mir nicht. Meine Eltern haben mir das nicht beigebracht, weil sie warten wollten, bis ich ein wenig älter war. Jeden Tag kamen diese Männer, stellten mir immer wieder die gleichen Fragen und jedes Mal wurde ich geschlagen, wenn ich ihnen nicht helfen konnte und die Antworten nicht wusste. Jeden Tag hatte ich Angst, ich würde den Tag nicht überleben, da sie immer brutaler wurden. Ihr Anführer fing nach einer Weile an, mich jeden Abend in sein Bett zu holen. Dort wurde ich gefesselt, er hat mich und mehrere andere Mädchen genommen, wir mussten zusehen wie jede vor Schmerzen schrie. So war es auch mit den Wachen. Sie nahmen, was sie wollten und wir wurden geschlagen, wenn man nicht tat, was sie sagten", sprach sie leise weiter. Ihr Gesicht hatte sie an Kathleenas Schulter gelehnt.
„Ich weiß nicht, wie lange ich bei ihm war. Ich weiß noch, dass ich neun Winter zu der Zeit hinter mir hatte. Da ich kein Tageslicht sehen konnte, weiß ich nicht, wie lange ich dort gefangen war", sagte Aria leise entschuldigend. Es hörte sich seltsam an, dass sie nicht wusste, wie alt sie war.
„Doch eines Abends, als man mich aus dem Gefängnis holte, um mich wieder zu ihm zu bringen, war es anders. Ein neuer Wachmann war dabei, den ich noch nie gesehen hatte. Der passte nicht wirklich auf mich auf. Diese Möglichkeit nutzte ich, um so schnell wie möglich wegzurennen, da er mich nicht festhielt. Viele rannten mir hinterher, als sie bemerkten, dass ich fliehen wollte. Oft genug bin ich gestolpert und wäre beinahe vor Erschöpfung zusammengebrochen, da ich selten etwas zu essen und zu trinken bekommen habe. Doch irgendwie hat mich etwas immer wieder angetrieben, weiter zu rennen. Vielleicht die Angst, was passiert wäre, wenn sie mich bekommen hätten. Die dumpfen Schläge in meinem Kopf ließen mich weiter rennen. Ich ...", sagte Aria und plötzlich wurde die Tür so heftig aufgerissen, sodass Aria erschrak und sich vor Angst klein machte.
Myron rannte wutentbrannt in die Stube seiner Mutter. Sogar seine Mutter zuckte zusammen, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass ihr Sohn vor der Tür gestanden war.
Der König war vor einiger Zeit zurückgekommen und hatte sie abholen wollen. Doch als er hörte, wie Aria begann zu erzählen, hatte er sich entschlossen, zu warten. Dabei konnte er ihre Stimme klar und deutlich verstehen, auch wenn sie schluchzte. Jedes Wort, das sie sagte, machte ihn noch wütender und fast ohnmächtig vor Zorn. Es schmerzte Myron sehr, was ihr widerfahren war.
Nach einer Weile konnte er es nicht mehr aushalten und war in die Stube seiner Mutter gestürmt. Sein hübsches Gesicht war vor Zorn verzerrt und seine Stimme klang richtig böse. „Wenn ich diejenigen, die dir das angetan haben, in die Finger kriege, werde ich sie einzeln mit meinen eigenen Händen zerfetzen und ihnen alle Organe am lebendigen Leibe ausreißen!", schrie er zornig und seine Augen funkelten wütend. „Wo hat man so etwas schon gehört, das Menschen wie ein Stück Vieh behandelt werden?"
Seine Stimme war erbost und Aria sah, wie er zitterte. Aber auch sie zitterte, allerdings vor Angst über seinen Ausbruch. Seine Mutter stand auf und ging auf ihn zu. Kathleena legte beide Hände auf seine Schultern und sah ihm tief in die Augen.
„Myron, beruhige dich bitte. Nicht nur dich hat das schockiert, was Aria gerade gesagt hat. Auch ich kann mir so viel Grausamkeit nur schwer vorstellen. Aber sieh das Mädchen doch an! Ihre Verletzungen sprechen Bände", stellte sie fest und warf der Blonden einen kurzen Blick zu. Sie bemerkte, wie klein sich Aria gemacht hatte und versuchte, sich in dem Sessel und unter der Decke zu verstecken.
„Hast du übrigens gelauscht, wenn du ihre Worte gehört hast?" In ihrem Tonfall konnte Aria die mütterliche Stimme hören, die ihren Sohn leicht tadelte, denn lauschen war nicht in Ordnung. Doch sie konnte auch hören, dass Kathleena ihm nicht einmal böse war. Vielleicht hätte er es sowieso früher oder später erfahren. Nur langsam kam Myron zur Ruhe. Seine Mutter ließ ihn los und er fing an, unruhig auf und ab zu wandern. Dabei redete er leise mit sich selbst und schließlich setzte er sich erschöpft in einen der Sessel.
„Myron, beruhige dich endlich. Aria ist jetzt hier in Sicherheit, aber ich glaube, sie muss Vertrauen in uns erlangen. Das wird eine Weile dauern, aber bitte gebe ihr Zeit", bat seine Mutter ihn. Myron knetete seine Hände und versuchte, ihren Worten zu gehorchen.
„Wie alt ist Aria dann, wenn sie erst neun Winter überlebt hatte, bevor sie in die Fänge dieses Monsters kam?", fragte er seine Mutter. Abschätzend sah diese Aria an, der es unangenehm war, wenn man sie so betrachtete. Das führte dazu, dass sie versuchte, sich noch kleiner zu machen.
„Ich würde sagen, vielleicht achtzehn oder neunzehn Winter", schätzte Kathleena schließlich. Das erschreckte Aria so sehr, dass sie ihre Tasse mit dem inzwischen kalt gewordenen Tee verschüttete. War sie tatsächlich so lange gefangen gewesen? Sie konnte es nicht glauben. Der Schock darüber saß tief, sodass erneute Tränen in ihr aufstiegen.
Myron murmelte etwas, das sich wie ein Fluchen anhörte, doch Aria verstand es nicht. „So jung und schon so viel Bosheit erlebt", knurrte Myron wütend. Kathleena schüttelte traurig den Kopf und wischte den Tee vom Fußboden auf.
„Aria, wenn du mit mir reden willst, komme so oft du möchtest. Du bist immer herzlich willkommen", bat sie Aria und richtete sich schließlich auf. Und ...", flüsterte sie und kam nahe an Arias Ohr, sodass sie sehr leise sprechen konnte. „Habe keine Angst vor Myron. Er ist sehr lieb und sensibel und darauf bedacht, dass es jedem gut geht. Er hat sehr starke Gefühle für dich, sonst würde er nicht so reagieren."
Dabei lächelte sie in das erschrockene Gesicht von Aria und warf einen letzten Blick auf ihren Sohn. „Wenn du willst, kannst du sie jetzt mitnehmen, Myron. Und denke daran, was ich gesagt habe", warnte sie ihn liebevoll. Sie hatte ihren Sohn schon durchschaut, als er ihr das erste Mal von Aria erzählt hatte.
„Danke Mutter, für deinen Rat. Aria, lass uns gehen", wandte er sich an das Mädchen, das schnell aufstand und beinahe stolperte, da sie sich in der Decke über ihrem Schoß verfing. Sie hastete dem jungen König hinterher und warf Kathleena noch einen kurzen Blick zu.
Erst als sie die Stube verlassen hatten, seufzte er auf und blieb stehen. Doch Aria beschäftigte das, was Kathleena gesagt hatte, so sehr, dass sie das nicht mitbekam. Prompt lief sie in Myron hinein, der sich gerade zu ihr umgedreht hatte. Sie wurde rot im Gesicht und ging hastig einen Schritt zurück, um auf den Boden zu blicken und sich von ihm zu entfernen. Das war ihr so peinlich und unangenehm gewesen.
Doch Myron sagte nichts, sondern ging schnell auf sie zu und nahm sie in seine kräftigen Arme. Das hatte Aria nicht erwartet und trat mehrere Schritte zurück, um sich seinen Armen zu entwenden. Dabei fiel sie über den langen Rock, den Lea ihr am Morgen gegeben hatte und fiel, wobei sie Myron mit sich zog, da er sie nicht losgelassen hatte.
Als sie beide auf dem Boden lagen und sie ihn über sich sah, geriet sie in Panik. Aria stieß ihn mit aller Kraft von sich weg, sodass Myron auf die Seite fiel und sie sich schnell an die Wand zurückziehen konnte. Das hatte in ihr unangenehme Erinnerungen geweckt. Sie verschloss ihre Arme vor ihrem Kopf als ob sie jeden Moment Schläge des Königs befürchtete.
Myron war so überrascht von ihrer Kraft, welche von ihrem zierlichen Körper ausging, gewesen. Sie tat ihm sehr leid, als er sie so klein und verängstigt an der Wand sitzen sah. Nur langsam kam er auf sie zu und ging vor ihr auf die Knie. Er berührte sie zuerst nicht, sondern wartete ab, ob sie sich beruhigte. Erst dann wagte er es und legte seine Hand auf ihren Kopf. Ein lauter Schluchzer kam aus ihrem Mund und ohne etwas zu sagen, nahm Myron sie wieder in den Arm. Dieses Mal behutsamer, jederzeit darauf gefasst, dass sie sich wieder wehren würde, aber es geschah nichts.
Noch immer war er auf seinen Knien, hielt das Mädchen in den Armen und rührte sich nicht. Nach einer Weile, in der sie leise in sein Hemd geweint hatte, hob er sie vorsichtig hoch und trug sie auf ihr Zimmer.
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