Kapitel 49

Langsam näherten sich Myron und seine kleine Gruppe den hohen Mauern. Sie wussten, dass es schwer werden würde, in die Stadt zu kommen. Da es jedoch keinen anderen Weg als der Haupteingang gab, blieb ihnen keine andere Wahl, als direkt hereinzureiten.

Plötzlich ertönte ein Signal von einem der Wachleute, der sie entdeckt hatte. Erschrocken zuckten sie zusammen und wollten gerade umkehren, als das schwere Eisentor geöffnet wurde. Misstrauisch sahen sich die drei an und wussten nicht, was sie von der Situation halten sollten. Warum würde Bryden sie einfach so in die Stadt lassen? Außer die Wachleute erkannten sie nicht und glaubten, sie wären jemand anderes.

Quietschend und langsam öffnete sich das Eisentor und offenbarte das, was hinter den Toren und Mauern von Virtanen lag: Graue Häuser und dunkle Straßen, die selbst bei Tageslicht nicht gerade einladend wirkten. Menschen beeilten sich von einem Ort zum anderen zu gehen und auf den ersten Blick konnte man erkennen, wie schlecht es ihnen hier ging.

Magere Personen mit sehr wenig Kleidung an ihren Körpern sollten hier überleben können? Bei der Eiseskälte, die sie nur vom Winter her kannten? Myron konnte das nicht glauben.

Schmutzig sahen die Straßen aus, als wären sie mit Fäkalien beschmiert, was durch die Dunkelheit jedoch nicht einfach zu erkennen war. Einer der Wachleute kam an das Eisentor und musterte sie kurz.

„Ein seltener Besuch. Was für eine Ehre. Wer seid Ihr und was führt Euch hierher?", wollte der Mann mit rauer Stimme wissen. Sein Gesicht war hinter einer Eisenmaske versteckt, sodass nur noch die Lippen und die Augen zu erkennen waren. Zudem trug er eine Rüstung, die nicht gerade leicht aussah. Wahrscheinlich ging er deshalb nur sehr langsam und leicht gebückt. Aria lief bei dem Anblick ein Schauer über den Rücken.

Die drei wunderten sich über die Freundlichkeit, die ihnen entgegenkam. Hatten sie doch geglaubt, Schwierigkeiten zu haben hinter die Mauern der Stadt zu gelangen. Obwohl Myron noch nie in Virtanen gewesen war, machte ihn diese Freundlichkeit stutzig.

„Wir möchten zu Lord Bryden und ihm unser Einverständnis zum Bund geben", erklärte Myron laut und deutlich. Dass er log, konnten sie ja nicht ahnen.

Währenddessen beobachtete Bryden diese Szene im Spiegel und lachte laut los. Was für ein armseliger Versuch, hinter die Mauern von Virtanen zu kommen. Absolut niemand kam hier hinein, wenn es nicht ausdrücklich vom Lord gewünscht wurde.

„Kommt herein, Lord Myron. Ich bin mir sicher, dass er Euch bereits erwartet", sagte der Wachmann und trat einen Schritt zur Seite, um sie eintreten zu lassen.

Am liebsten wären sie jedoch gleich wieder umgekehrt. Sobald sie das Tor, welches sich genauso quietschend wieder schloss, hinter sich ließen, erkannten sie das ganze Elend, welches hier herrschte.

Myron hatte nicht geglaubt, dass es noch schlimmer kommen konnte. Leider wurde er enttäuscht und die drei mussten mitansehen, wie die kleinen Kinder schmutzige und zerrissene Kleidung trugen und beinahe am Verhungern waren. Wohin man auch sah, konnte man Fesseln und schwere Eisenkugeln an den Fußgelenken der Menschen erkennen. Sogar die Kinder trugen sie, was Aria durchaus schockte. Wie konnte man das nur den Menschen antun?

Müde wirkten die Stadtbewohner, während sie ihre schweren Waren trugen. Und vor allem ängstlich. So, als würden sie jeden Moment ausgepeitscht werden. Aria hielt nur mit Mühe ihre Tränen zurück. Es tat ihr so leid, wie die Menschen hier ausharren mussten. Sicherlich war Bryden kein Lord, der sich um das Wohlergehen seiner Leute kümmerte.

Die Reisenden wurden von zwei Wachleuten durch die Stadt begleitet. Sobald sie an den Menschen vorbeikamen, wichen diese ängstlich zurück und versuchten, sich zu verstecken. Das Klapper der Pferdehufen wirkte unwirklich und viel zu laut auf dem harten Steinboden der Stadt. Ein ungutes Gefühl wuchs in Aria heran. Waren sie wirklich in eine Falle gelaufen?

Wohin sie auch blickten, sie konnten nur grausame Dinge erkennen. Sogar einen Platz, auf dem Menschen hingerichtet oder gefoltert wurden. Am liebsten hätten sie den Menschen sofort geholfen, aber der Grund, warum sie hier waren, ging ihnen vor. Jede Minute zählte, um ihre Kinder zu retten.

Lord Bryden wartete bereits vor seinem kleinen Palast, der überhaupt nicht einladend wirkte. Mit zusammengefalteten Händen vor seinem Bauch und einem widerlich, schleimigen Lächeln auf den Lippen stand er auf den Stufen und blickte ihnen entgegen.

Sobald sie bei ihm angekommen waren, ließen die Wachleute sie allein zurück und rannten so schnell sie konnten zurück auf ihre Posten. Sollte Bryden denken, sie würden ihre Zeit hier vergeuden, konnten sie mit einer nicht gerade angenehmen Strafe rechnen. Das hatten sie in der Zeit lernen müssen.

Vorsichtig stiegen die drei von ihren Pferden ab und ließen sie stehen, bevor sie die Stufen zu Bryden hinaufgingen. Die Pferde würden nicht wegrennen, das wussten sie. Zu stark war die Verbindung zu ihren Besitzern. Bevor sie Bryden jedoch erreichten, verschwand dieser ohne ein Wort im Inneren des Gebäudes.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sahen sie sich gegenseitig an und verstanden gar nicht, was hier wirklich passierte. Dennoch folgten sie den Stufen und gelangten so zum Tor, welches hineinführte. Sein Palast sah verfallen und alt aus. Es besaß nichts Anziehendes und Aria wollte sich nicht vorstellen, hier zu leben.

Gerade wollten sie die Tür öffnen, die plötzlich von allein aufging und den Blick in die dunklen Gänge des Gebäudes offenbarte. Ein muffiger, schwarzer Wind kam ihnen entgegen und raubte ihnen für einen Augenblick den Atem. Hustend hielten sie sich die Hand vor den Mund und warteten, bis das vorbei war.

„Ich habe auf euch gewartet", erklang Brydens kalte und herablassende Stimme. Sehen konnten sie ihn nicht, aber dafür hören. Seine Stimme hallte durch die Gänge und es war schwer auszumachen, wo er sich befand.

Mit einem unguten Gefühl betraten sie den Palast und folgten dem schwarzen Windhauch, der sie vermutlich zu Bryden führen sollte. Dieser brachte sie in einen Thronsaal, der nicht trostloser hätte sein können. Ein vergoldeter Thron stand am Ende des Saals auf einem kleinen Podest, der durch kleine Treppenstufen erreichbar waren. Alles wirkte trostlos und leer in diesem Raum. Grau, wie so alles in Virtanen war es und verstärkten das ungute Gefühl nur noch mehr.

Ihre Schritte hallten auf dem Boden, als sie sich langsam Bryden näherten, der auf seinem Thron saß. Kalt und spöttisch lächelte er ihnen entgegen. Seine Hände waren auf den Lehnen abgelegt und es wirkte, als wäre er wirklich der Herrscher der Welt. Nicht einmal Myron hatte so einen Thronsaal, geschweige denn Thron.

„Habt ihr es nun endlich verstanden, dass ihr keine Möglichkeit zu gewinnen habt? Niemand legt sich mit Lord Bryden an", begann er zu sprechen, während sie sich ihm näherten. „Kommt her, ich will meine zukünftigen Sklaven näher betrachten", forderte er sie auf.

Aria blieb mit den anderen einige Meter weit von ihm entfernt. Wütend sah sie zu ihm nach oben. „Wo sind unsere Kinder?", fragte Myron kalt. Lust zu einem freundlichen Plausch hatte er nicht. Vor allem nicht mit Bryden.

Der dunkle Lord lachte laut auf. „Meinst du etwa diese mickrigen Geschöpfe?", wollte er amüsiert wissen. Das führte dazu, dass Myron so stark mit den Zähnen knirschte, dass sogar Sarin und Aria es deutlich hören konnten.

„Wie nennst du meine Kinder?", fragte Myron beherrscht ruhig, doch sein Tonfall verriet, wie sehr ihm die Bezeichnung missfiel. Auch Aria wurde dabei noch wütender, als sie ohnehin schon war. Sie war nahe daran, auf den dunklen Lord zuzugehen, aber Myron hielt sie zurück. Es würde nichts bringen, ihre Wut ihm gegenüber zu entladen. Zumindest noch nicht.

Dass der Magier sie nur reizen wollte, war klar. So hinterhältig wie er war, würde alles andere merkwürdig wirken. „Noch sind die Kinder schwach. Sobald sie jedoch die dunkle Magie in sich fühlen, werden sie stark genug sein, mit mir die Welt zu regieren", lachte Bryden höhnisch auf. Gelassen setzte er sich auf seinem Thron besser zurecht und blickte kaltschnäuzig auf die drei hinunter. Spott, Hohn und Niederträchtigkeit lag in seinen roten Augen.

„Ich will sofort meine Kinder sehen", herrschte Myron ihn an. Langsam verlor er die Geduld, das war deutlich spürbar. Zwar versuchte er, sich unter Kontrolle zu halten, aber je mehr Bryden sprach, desto weniger konnte er es.

Mit einem Fingerschnippen ließ der dunkle Lord die Kinder neben sich erscheinen. Aria war nahe dran, sich auf sie zu stürzen. Nackt und mit aufgerissenen Augen und Mündern lagen sie auf dem kalten Steinboden. Man konnte erahnen, dass sie vor Angst, aber auch vor Hunger und Kälte schrien.

Sarin schluckte bei diesem Anblick schwer. Hoffentlich war es noch nicht zu spät, Arias Kinder zu retten. Doch er hatte gesehen, dass sie in den ersten Tagen nach der Geburt ein kleines Stück gewachsen waren. Dabei hatten sie noch gar keine Muttermilch bekommen. Der Heiler vermutete, dass die Macht, die in den Kindern steckte, viel mächtiger war, als jeder vermutete. Was eigentlich kein Wunder war, wenn man bedachte, dass zwei Seelenverwandte sie gezeugt hatten.

„Gib mir meine Kinder zurück, Bryden", verlangte Aria mit kalter Stimme. Sie zitterte am ganzen Körper. Ob vor Erschöpfung oder Wut war nicht zu sagen. Ihre Augen blitzten gefährlich und böse. „Dein widerlicher Samen konnte seinen nicht verdrängen! Also sind es nicht deine Kinder!"

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