Kapitel 10

Schon nach einer Weile war die behagliche Wärme im Zimmer zu spüren, nachdem das Feuer vor sich hin gelodert hatte. Aria saß in einem der Sessel und ließ sich von Lea die Haare kämmen, so wie sie es schon am Tag zuvorgetan hatte. Irgendwie hatte Aria das Gefühl, dass das zu einer Routine für Lea wurde. Sie schwiegen, sodass die Blonde ihren Gedanken nachhing.

Als die rundliche Frau fertig war, lächelte sie Aria an. „Ihr seid ein sehr schönes Mädchen, Mylady. Mit viel Nahrung werdet Ihr bald wieder zu Eurer alten Stärke zurückkehren. Wenn Ihr wollt, werde ich Euch jeden Tag die Haare bürsten", bot Lea ihr an und daraufhin klopfte es an der Tür.

Myron kam, ohne abzuwarten herein und legte mit einem verlegenen Lächeln einige Kleidungen und Stiefel auf den Tisch. Dann kratzte er sich am Kopf. „Es war eine Herausforderung, einige Dinge für deine Größe zu finden. Kannst du sie anprobieren?", fragte er und Aria nickte. „Die Hemden sind von mir, genau wie die Stiefel. Sie werden dir bestimmt zu groß sein, obwohl es die kleinsten sind, die ich je getragen habe. Die Hosen habe ich von Sarin ausgeliehen. Sag mir Bescheid, wenn du dich fertig angezogen hast. Ich werde es veranlassen, dass du Kleidung bekommst, die dir passt. Allerdings dauert das ein paar Tage", meinte er nachdenklich und verließ mit einem kurzen Nicken den Raum, damit sie sich ungestört umziehen konnte.

Lea blieb mit Aria in dem Zimmer zurück und unschlüssig sah das Mädchen auf die Kleidung. „Wollt Ihr, dass ich Euch helfe, Mylady? Die Stiefel können ziemlich anstrengend sein, wenn man sie anziehen oder ausziehen will." Ohne die Antwort abzuwarten, nahm Lea einige Hosen, wobei sie Aria abschätzend ansah, als wolle sie prüfen, welche wohl am ehesten passen würde.

„Hier, die dürfte wohl am allerbesten passen", sagte die rundliche Kammerzofe und reichte Aria schwarze Leinenhosen, die sehr warm aussahen. Schnell zog sich Aria die Hosen an und seufzte erleichtert auf. Es war so ein gutes Gefühl, keine Röcke zu tragen. Dennoch betrachtete sich das Mädchen kritisch. Die Hose war ihr viel zu lang und an den Beinen zu weit.

Doch Lea krempelte geschickt die Hosenbeine um, sodass sie wenigstens kürzer waren. Dann überprüfte sie erneut abschätzend Aria und die Hemden. Es war nicht leicht, etwas für sie zu finden, da sie einen sehr zierlichen Körper besaß. Die Kammerzofe reichte ihr ein blaues Hemd, das noch ziemlich neu aussah.

Vielleicht lag es daran, dass die Leute sehr gut auf ihre Dinge aufpassten. Als sich Aria das Hemd zuknöpfte, stopfte es Lea ihr in die Hose, sodass es nicht fast bis zu den Knien hing. Dabei schüttelte sie den Kopf. „Es wird Zeit, dass Ihr eure eigenen Sachen bekommt. Himmel, alles ist viel zu groß, dabei sind das die ältesten Dinge, die Myron besitzt", seufzte sie. Da es jedoch nichts anderes gab, was Aria gepasst hätte, beließen sie es dabei und machten sich daran, der Blonden die Stiefel anzusehen. Das war wenigstens etwas, das ihr einigermaßen passte, da sie mit ihren dünnen Beinen leicht hineinkam. Verzweifelt hob Lea die Hände in den Himmel. Die Schuhe waren viel zu groß, sodass es aussah, als trug die Blonde die eines Harlekin.

Zweifelnd sah Aria die Frau an, aber sie verstand, dass es im Moment das Einzige war, was sie anziehen konnte. Wie auf Kommando kam plötzlich Myron zurück. Als hätte er nur gewartet, bis sie fertig war. Er hielt in den Händen einen dicken Umhang, der die gleiche Farbe besaß, die sie bei den Männern gesehen hatte. Daran konnte sie sich sehr gut erinnern. Der Umhang war dunkelblau und sehr dick, dafür würde er sie wahrscheinlich gut wärmen.

Dazu hatte Myron noch Handschuhe gebracht. Als er jedoch Aria in der neuen Kleidung sah, fing er an zu lachen. So laut und herzhaft, dass sie sogar leicht mitlachen musste. Sein Lachen war sehr ansteckend. Myron konnte sich am Anfang gar nicht beruhigen, sodass er sich in einen Sessel setzen musste, um überhaupt wieder zu Atem zu kommen.

„Nun ist es aber gut, Myron. Ihr seht doch, dass ihr alles zu groß ist. Es gab nichts, was wirklich gepasst hätte.", tadelte Lea den König leicht. Dabei sah sie missbilligend zu ihm, konnte aber ihr eigenes Lächeln nicht verstecken.

„Tut mir leid, aber das sieht wirklich so komisch aus. Ich werde es veranlassen, dass du bereits morgen deine neue Kleidung bekommst, Aria. Aber da ich heute mit dir raus gehen möchte, muss das ausreichen", sagte er schließlich, nachdem er sich einigermaßen wieder erholt hatte. Myron stand auf und reichte dem Mädchen die Kleidung, die sie vorsichtig annahm.

Als Aria den Umhang umlegte, hatte sie das Gefühl, von ihm erdrückt zu werden. Er fühlte sich sehr schwer an, aber auf der anderen Seite wusste sie, dass sie noch nicht ihre alte Kraft wiedererlangt hatte. Also sagte sie nichts, sondern sah stumm an sich herunter.

Wenigstens bedeckte der Mantel sie so weit, dass man die Kleiderkatastrophe nicht mehr wirklich sehen konnte. Damit gab sie sich schon zufrieden. Zwar waren auch die Handschuhe zu groß, aber mittlerweile machte es Aria nichts mehr aus. Das ist viel besser als alles, was ich in den letzten Jahren gehabt habe.

Noch nie hatte sie so gute Kleidung tragen dürfen. Deshalb war sie sehr dankbar, dass sie eine Möglichkeit dazu bekam. „Ich danke dir Myron. Es macht nichts, wenn es nicht passt. Zumindest bin ich aus dem Kleid raus", sagte sie lächelnd zu dem jungen Mann. Das allein machte sie schon froh.

Myron nickte und stand auf. „Lass uns raus gehen. Ich möchte dir heute einiges zeigen. Aber pass auf, dass du nicht über den Mantel fällst. Erinnere dich an das Kleid", neckte er sie und sie spielte empört, lachte aber und folgte ihm nach draußen.

Bevor sie aus der großen Eingangstür traten, gab Myron dem Mädchen noch eine Mütze, die ihr immer wieder in die Augen rutschte. Wirklich alles war ihr zu groß. Als sie aus dem Palast traten, fing sie an zu strahlen.

Es war wunderschön anzusehen, wie das Eis und der Schnee in der Sonne wie eine Million Diamanten glitzerten. Aria war sprachlos und stand mit offenem Mund da. Es war sehr kalt an diesem Tag, aber das trübte ihr die Freude nicht.

Amüsiert beobachtete Myron sie und ging einen Schritt auf sie zu. „Pass wegen der Sonne auf, deine Haut hat lange keine Sonne mehr gesehen, du könntest dir sehr schnell die Haut verbrennen." Er hatte seinen Finger auf ihre Nase gelegt und sah ihr lächelnd in die Augen.

Mit einem Schlag wurde Aria wieder bewusst, dass es wirklich so war. Auf der einen Seite wurde sie traurig und wütend über die Vergangenheit. Jedoch fühlte sie sich in dem Moment so befreit. Deswegen nickte sie nur und schob Myron sanft beiseite.

Was dann kam, amüsierte Myron noch mehr und sein Herz machte einen Sprung, als er das kleine blonde Mädchen so ausgelassen im Schnee rumtanzen sah. Aria drehte sich um sich selbst, hielt immer wieder kurz den Kopf mit geschlossenen Augen in den Himmel und genoss die Luft und Sonne. Sie fing an zu lachen und drehte sich immer mehr im Kreis.

Ohne ein Wort zu sagen, hatte Myron sie gelassen, doch als er sah, dass sie den Treppenstufen, die hinunterführten, zu nahe kam, hechtete er mit schnellen Schritten zu ihr und packte ihren Arm. Da sich Aria zu viel gedreht hatte, war ihr schwindelig geworden. Obwohl Myron ihren Arm packte, konnte sie das Gleichgewicht nicht mehr halten.

Sie hatte die Stufen nicht gesehen und fiel mit Myron, der ausgerutscht war, die Treppen hinunter. Trotzdem versuchte er sie so gut es ging zu beschützen, damit sie sich nicht weh tat. Als sie unten ankamen, lag Myron halb auf Aria und hielt sie in seinen Armen.

Völlig außer Atem und hektisch versuchte die Blonde, dass das Schwindelgefühl aufhörte. Myron brauchte einen Moment, um zu verstehen, was gerade eben geschehen war. Er sah auf das unter ihm liegende Mädchen und lächelte. Sie war so ein Wirbelwind. Er hätte ihr nicht zugetraut, dass sie so ausgelassen sein konnte.

„Hast du dir weh getan, Aria?", fragte er. Damit holte er sie in die Realität zurück. „Nein, und du?", fragte sie atemlos zurück und merkte erst jetzt, wie sie im Schnee lagen. Sofort wurde sie rot im Gesicht und hoffte in dem Moment, Myron würde annehmen, das die Sonne schuld daran gewesen wäre.

Doch als er sie so mit seinen blauen Augen ansah, konnte sie sich dem nicht widersetzen und starrte ihn an. Vorsichtig hob Myron eine Hand und fuhr Aria über die Haare. „Du kannst ja ziemlich wild sein, meine Kleine. Pass das nächste Mal lieber auf, ob Stufen in der Nähe sind", grinste er sie an. Myron wuschelte mit seiner Hand durch ihre Haare, denn sie hatte die Mütze bei dem Sturz verloren. Erst dann stand er auf.

Es war sehr schwer für ihn gewesen, ihr in diesem Moment zu widerstehen. Die ganze Zeit hatte sein Herz wie wild geklopft und er war ihr sogar um einige Zentimeter nähergekommen. Dennoch hatte er sich zusammengerissen und keine Versuche gewagt, da Myron sie nicht verunsichern wollte.

Aber auch in Aria hatte sich etwas geregt, etwas, was sie nicht erklären konnte. Er war ihr wieder so nahe gewesen, sodass sie seinen warmen Atem gespürt und seinen guten Geruch hatte riechen können. Es hatte sich sogar so angefühlt, als hätten seine Haare sie im Gesicht gekitzelt. Und wieder hatten seine Augen sie in ihren Bann gezogen. War das Teil einer Magie? Sie konnte es sich nicht erklären, doch in dem Moment hatte sie nicht gewollt, dass er aufhörte, ihr Haar zu streicheln.

Myron klopfte sich den Schnee von der Kleidung ab und hielt Aria schließlich seine Hand hin, die sie nach kurzem Zögern nahm. Nachdem sie auf ihren Beinen stand, fing auch sie an, den Schnee abzuklopfen. Der König half ihr dabei und drehte sie um, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand und klopfte behutsam den weichen Schnee ab. Es sah wirklich niedlich aus, als ob er einem kleinen Kind helfen würde. Aria stand zuerst brav da, doch dann wurde sie von der dunklen Vergangenheit eingeholt, in der sie mit dem Rücken zu jemand stand, der sie ausgepeitscht hatte.

Ruckartig lief sie ein paar Schritte von ihm weg und ließ den verdutzten Myron stehen. Zuerst verstand er nicht, was passiert war. Doch als er sie mit gesenktem Kopf stehen sah, dämmerte es ihm bereits, was der Auslöser gewesen war. Langsam ging er auf sie zu und legte die Hand auf ihre Schulter. „Es tut mir leid. Ich habe daran nicht gedacht", sagte er leise, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. „Es ist nicht deine Schuld", flüsterte sie mit fester Stimme und versuchte zu lächeln.

„Lass uns spazieren gehen. Möchtest du die Pferde sehen? Wenn du willst, kann ich dir zeigen, wie man reitet", meinte er aufmunternd und versuchte sie vergessen zu lassen, was passiert war. Gespannt sah er sie an, wie sie einen Moment lang nachdachte.

„Um auf deine Fragen zu antworten: Ja, ja und ich habe reiten gelernt als ich klein war", grinste sie und duckte sich reflexartig, als er den empörten Mann spielte. Die Erinnerungen kamen in diesem Moment hoch, doch da er sich nicht bewegte, stufte sie es als ungefährlich ein.

„Und du hast mir noch nie was davon gesagt?", fragte er leicht vorwurfsvoll. An seiner Stimme erkannte sie, dass er nicht verärgert war, sondern amüsiert.

„Du hast mich nie gefragt, Myron", lachte Aria leise.

Das Lachen gefiel Myron sehr gut. Es machte sie noch hübscher, als sie sowieso ohnehin schon war. „Und später weise ich dich ein wenig in Magie ein. Je früher wir anfangen, desto besser", beschloss er und ging mit ihr in Richtung Pferdestall.

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