Karla

"Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen."
Verwirrt lege ich den Stift neben das Papier.
"Ein großer Mann. Das kann ja mal interessant werden."
"Süße, es geht hier nicht um einen großen Mann.", mit zusammengekniffenen Augen sieht Oma mich an, "Es geht um den Gott."
"Um was?"
"Ich kann es ja erzählen, die Regierung will mich so oder so tot sehen."
Seufzend rückt sie näher und räuspert sich.
"Zu meiner Jugend haben viele an einen Gott geglaubt, nicht die meisten, aber trotzdem viele. Es wurden sich mehrere Geschichten über ihn erzählt, er hatte viele Namen. Meine Familie aber nannte ihn Gott und glaubte daran, dass er in sechs Tagen unsere Welt erschaffen hat. Naja, ich habe es nicht geglaubt, aber... Ja. Auf jeden Fall; am siebten Tag hat er sich ausgeruht. Daher ist Sonntag ein Ruhetag."
"Ein Mann soll die Welt erschaffen haben? Was ist das denn für ein Quatsch?!"
Genervt schließe ich die Augen. Ich werde einen Text übersetzten. Über einen großen Mann, der in ein paar Tagen einen Planeten zusammengebastelt hat.
"Nein, Süße, er war mächtig. Er war... Gott. Er hat auch die Tiere und die Menschen erschaffen und Pflanzen und Natur."
Von den Pflanzen ist ja noch viel übrig. Jetzt schon habe ich keine Lust mehr. Aber ich muss den Text übersetzen. Für Oma. Alleine könnte ich mich nie um sie kümmern.
"Ist jetzt egal, ich übersetze einfach weiter, okay? Vielleicht kapiere ich ja noch irgendwas."

*

Nach ein paar Stunden, glaube ich, mein Zeitgefühl hat sich hier verabschiedet, habe ich endlich einen Teil des Textes übersetzt. Am Verstehen hapert es aber leider noch.
Müde lege ich meinen Kopf auf den Tisch und starre die Wand an. Es ist einfach nur anstrengend. Ich zucke zusammen, als die Tür leise knarrt. Vorsichtig sehe ich auf, Arianna steht in der Tür und sieht mich durchdringend an. Beschämt senke ich den Blick, kurz bevor mir auffällt, dass Oma nicht mehr da ist. Sie muss sich rausgeschlichen haben.
"Wie weit bist du?"
"Ähm, ich denke, ich bin fast durch.", bringe ich hervor und spüre, wie mir Röte in die Wangen schießt. Warum auch immer.
Sie schiebt einen Stuhl zur Seite und setzt sich neben mich. Zitternd drehe ich den Saum meines Pullis ein. Arianna hasst mich, glaube ich. Irgendetwas habe ich falsch gemacht. Nur weiß ich nicht was. Wenn ich den Fehler noch mal mache, verabscheut sie mich dann? Hilft sie mir dann nicht mehr?
Emotionslos, also, bei mir wäre das ein neutraler Gesichtsausdruck, nimmt sie den Zettel, auf dem meine Übersetzung steht, und beginnt, laut zu lesen.
"Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen. Gelobet seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, zumal dem Herrn Bruder Sonne, welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest. Und schön ist er und strahlend, mit großem Glanz: von dir, Höchster, ein Sinnbild. Gelobet seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne; am Himmel hast du sie gebildet, klar und kostbar und schön."
Etwas verändert sich langsam auf ihrem Gesicht, und zum ersten Mal bin ich mir ganz sicher; es ist Enttäuschung.
"Und das hast du übersetzt?"
"...Ja."
"Oha. Tut mir leid, aber das ist doch totaler Mist. Sofern ich das hier verstehe, geht es bisher um einen allmächtigen Typen, der durch die Sonne strahlt und den Himmel zusammen mit den Sternen und dem Mond erschaffen hat."
"Genau."
Erschrocken wirbele ich herum, aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass Arianna es mir gleichtut. Oma steht mit verschränkten Armen im Raum und grinst.
"Wie ich vorhin schon versucht habe, es Karla zu erklären; es geht um den Gott, der die Welt erschaffen hat und wie die Sonne auf uns aufpasst. Früher haben viele daran geglaubt. Aber ließ weiter, Arianna. Ließ weiter."
"Pah. Ihr habt ja mal tolle Märchen geglaubt."
Augenverdrehend wendet Arianna sich wieder dem Blatt zu.
"Gelobet seist du, mein Herr- ach, nochmal ein wichtiges Detail. Der Typ, der das geschrieben hat, nennt diesen Gott... den Herren. Als ob er der Besitzer der Menschen wäre. Ach, und er himmelt ihn dafür an, die Welt erschaffen zu haben. Ist das richtig, Helen?"
"So ziemlich. Ich gehe davon aus, dass dieser Text von Franziskus von Assisi stammt. Er hat viele Texte geschrieben, in denen er dem Gott gedankt hat, aber auch welche, in denen er Menschen dazu aufgefordert hat, sich mehr um die Welt zu kümmern, die Gott uns gegeben hat."
Arianna schweigt. Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl herum.
"Dieser Franziskus hat aber Recht, wenn das alles stimmt. Uns wurde die Natur geschenkt, der Himmel, die Welt, und wir zerstören einfach alles."
Arianna flüstert fast.
"Ist das nicht auch der Grund, warum wir hier sind?"
Sie wird lauter.
"Sind wir nicht letzendlich hier, weil die Menschen sich dachten, Scheiß auf unsere Erde, und dann vergessen haben, wie wertvoll unsere Welt ist? Wie viel Arbeit in so einem Planeten steckt? Wir haben sie zerstört, können vor Hitze kaum raus. Vielleicht können wir sie reparieren. Wenn wir Menschen zeigen, wie es früher war... Vielleicht können wir die Erde wieder lebenswert machen."
"Arianna, Kleines, süßer Vortrag, aber den Gott gibt es nicht, das ist ein Märchen."
"Wie kannst du dir da so sicher sein, Helen? In jedem Märchen steckt ein wahrer Kern. Also, weiter. Gelobet seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst. Gelobet seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch. Gelobet seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch das du die Nacht erleuchtest; und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark."
Ich beisse mir auf die Lippe und sehe sie an. Versteht sie den Text?
"Das war es also erstmal."
"Ja. Ich... ich kann noch mehr übersetzen, wenn du willst."
"Nein, ich denke das reicht. Aber Danke, dafür... dass du das übersetzt hast und alles."
Und alles? Was habe ich denn noch gemacht?
"Ihr Süßen, ihr braucht etwas mehr Infos über diesen Franziskus, um zu kapieren, was für ein Quatsch das ist. Also, ich laber euch dann mal voll, ja?"
Arianna verdeht die Augen, während ich nicke.
"Na gut. Er war ein Irrer. Es ist unklar, wann er jetzt geboren wurde, zwischen 1181 und 1182, also, das sind die Jahre."
"So früh?! Als ob sein Text dann erst 2020 im Internet stand!"
"Naja, doch, kann sein. Es gab damals noch kein Internet, keine Computer. Auf jeden Fall hieß er damals noch Francesco Bernardone, und er wurde in Assisi geboren, eine Art Stadt, denke ich. Er hatte einen reichen Vater, einen Textilienverkäufer. Und Francesco war ein ziemlicher Draufgänger. Mädchen, Feste, Essen- halt alles was er wollte. Bis er dann gefangen genommen wurde, während einem Krieg zwischen... ich glaube, Perugia und Assisi, und dann wurde er auch krank. Als er dann irgendwann wieder frei war, begann er, irre zu werden. Also, nicht wirklich, aber ich weiß nicht, was ich sonst davon halten soll. Erst hat er nur Stoffe an die Armen verschenkt,  aber dann, im Jahr 1206, sofern ich mich richtig erinnere, ging er zu seinem Vater und dem Bischof, zog sich verdammt noch mal nackt aus und gab seinem Vater die Klamotten wieder! Er behielt nur so eine Kutte, mit der er sich in eine Höhle zurückgezog und hat dort monatelang meditierte. In den Bergen von Umbrien. Ohne Geld. Mager. Abgehungert. Und das Unglaublichste ist, irgendwelche Idioten haben sich ihm angeschlossen! Er eröffnete eine Bruderschaft, die ohne Gewalt und in Armut leben sollte. 1226 ist er dann krepiert."
"Ähm, ok..."
Sven steht im Raum und betracht uns lächelnd.
"Ich wechsele dann mal ungefragt das Thema, ja? Wisst ihr, ihr seid solche Idioten."
"Halt die Klappe, du Arsch.", faucht Arianna ihn an. Er lacht nur auf und haucht ihr einen Kuss zu.
"Wusste ich doch, dass du auf mich stehst."
"Was? Zum? Teufel?"
"Ok, ich halte es kurz. Wie könnt ihr bitte so unvorsichtig sein? Wohnt tagelang bei einem Fremden und fühlt euch sicher. Sie sind schon da. Ihr seid so dumm."
Ich springe auf. Der Raum ist hell, aber wenn ich durch das kleine Fenster sehe, kann ich dunkle Schatten erkennen, die näher kommen.
"Nein, Oma..."
Arianna hechtet zu Sven und schüttelt ihn an den Schultern.
"Warum? Was fällt dir ein?! Ich... ich... du bist so ein Arsch! Wir werden sterben, ist dir das klar?!"
"Arianna, auch ich brauche Geld-"
"Du hast uns getötet! Wir werden sterben!"
Sie schluchzt laut auf und ich spüre, wie auch mir ein Tropfen die Wange hinunterläuft. Wie konnte das passieren? Wahrscheinlich hat Sven Recht und wir waren dumm, ihm zu vertrauen. Überhaupt jemandem zu vertrauen. Die Tür knallt gegen die Wand und fliegt fast aus den Angeln, als sie aufgestoßen wird. Mehrere uniformierte Männer stürmen herein, mit Schusswaffen, auf Oma gerichtet. Schreiend renne ich zu ihr, alles verschwimmt, ein Knall ertönt, pochender Schmerz fährt durch meine Schulter, als etwas sie streift. Jemand landet plump am Boden, ich breche unter Schmerzen zusammen, alles tut weh, tut weh, tut weh. Ich verliere den Überblick. Die Orientierung. Ich sehe nur noch das Gesicht von Oma, mit aufgerissen, geröteten Augen.

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