Karla

Mein Puls ist gestiegen, unnormal gestiegen. Dabei habe ich nur etwas gesagt. Es war mir aufgefallen, Sven wusste ihren Namen. Dabei wurde er weder auf der Fahrt, noch vorher irgendwann genannt. Sofern meine Erinnerungen stimmen.
Arianna starrt mich an. Vielleicht hat sie sich ja doch schon vorgestellt?
Jetzt hält sie mich sicher für dumm.
Röte schießt mir in die Wangen und ich mustere beschämt den Steinboden.
"Das stimmt. Woher weißt du meinen Namen?"
Ich blicke auf. Arianna hat die Augen zu Schlitzen verengt und funkelt Sven an.
"Ich habe dich doch eben so genannt, Arianna. Oder nicht?"
Hat Oma sie eben gerufen? Meines Wissens nach Nein.
Ich sehe mich um. Die Luft flimmert über der Straße, große Betonhäuser stehen dicht aneinander, ein paar Menschen reden miteinander. Aber nur wenige.
Verständlich, bei dieser Hitze.
"Naja, Ariannas Bild, mit dem Namen, hängt überall. Ihr müsst aufpassen, es gibt viele, die euch für Geld verraten würden. Keine Sorge, ich werde nichts sagen. Bei mir seid ihr sicher."
Sven starrt Arianna eindringlich an. Irgendwie finde ich das gruselig. Wenn er noch sabbern würde, würde er mich an einen dieser Hunde mit den großen Augen erinnern.
"Wers glaubt.", gibt Arianna zischend zurück.
"Habe ich die Regierung hierher geholt?"
"Bis jetzt, nein."
"Siehst du?"
"Der Punkt ist, dass wir erst eine halbe Stunde untewegs sind."
Nein, es sind siebenundvierzig Minuten. Aber irgendwo hat sie mit ihrem Argument schon Recht.
"Hey, ihr könnt mir glauben. Helen, du glaubst mir doch sicher?"
Verwirrt schaue ich Oma an.
Unsere Blicke treffen sich.
"Alles ist gut, Karla Liebes, auf der Fahrt habe ich ihm meinen Namen gesagt. Keine Panik. Und ja, ich denke, wir können ihm trauen. Er ist doch ein netter Kerl."
Wenn Oma das sagt, muss es stimmen.
Ich nicke vorsichtig.
"Seid ihr beiden immer so leichtgläubig? Wir kennen ihn doch kaum!"
"Aber ich sehe, dass er nichts böses tut. Und ich verfüge über eine gute Menschenkenntnis."
"Also, gehen wir dann?"
Sven ist wirklich nett. Ich mag ihn.
"Da keiner was sagt, kommt, ich zeig euch mein Haus."

*

Das Haus ist wunderschön. Von Außen ist es zwar ein hässlicher Klotz, aber von Innen. Es sieht aus wie bei mir Zuhause.
Seufzend richte ich mich von dem Sofa auf. Es ist weich. Und schön.
"Karla?"
Vielleicht ist sie ja noch wach.
Ich möchte sie reden hören.
"Was ist denn?"
Es ist dunkel, aber ich kann trotzdem sehen, wie sie sich aufsetzt.
"Kannst du zu mir kommen?"
"Ja...?"
Es raschelt, als sie mit ihrem Schlafsack zu mir robbt.
"Was ist denn?"
"Kannst du mir etwas erzählen?"
"Warum?"
Meine Stimme stirbt.
"Einfach so."
Es klingt, als hätte ich eine schwere Erkältung.
"Ok."
Ich ziehe die Flauschedecke zu mir runter und wickele mich darin ein.
"Früher habe ich mit meiner Oma und meiner Mutter immer Spiele gespielt. Ganz alte, UNO oder DOS oder so. Manchmal auch größere, wie Siedler oder Cluedo."
Sie atmet tief durch, bevor sie weiterredet.
Das wird emotional. Ich könnte etwas sagen wie Oh, das ist ja nicht schön oder so. Irgendetwas einfühlsames. Das wird schwer. Am besten redet sie einfach durchgehend und ich muss gar nichts sagen. Das wäre die einfachste Lösung.
"Meine Mutter hat dann immer Alkohol getrunken und sich über alles und jeden totgelacht. Und sie hat viel geredet. Es war sehr lustig, ihre Sätze schienen zusammenhangslos zu sein."
"Warum schienen?"
"Später, nach ihrem Tod, wurde mir das klar. Also, dass es nur so schien. Einige Zeit wusste ich nicht mal, warum die Regierung sie regelrecht abgeschlachtet hatte. Mit Foltern und so."
Ein stechender Schmerz fährt durch mein Handgelenk, ich presse meine Hand auf die pochende Stelle.
Ich glaube, ein Oh je, das ist ja unschön reicht nicht. Panik steigt in mir auf.
Was soll ich bloß sagen?
"Das, was sie gesagt hatte, waren Erinnerungen. Ich dachte immer, sie hätte sich eine Traumwelt zusammengesponnen, aus ihrer Betrunkenheit heraus. Aber eigentlich hat sie sich nur erinnert. An ihre Vergangenheit. Und so musste sie sterben. Alles, was sie sagte, klang lustig und fröhlich. Deshalb verwechselte ich es mit Träumen. Es klang nicht nach der Realität. Ich lachte immer mit ihr. Ich lachte darüber wie über einen Witz. Oh Gott, das klingt gerade so komisch."
Sie lacht hohl.
Etwas glitzert im fahlen Licht, das durch das Fenster fällt. Eine Träne. Hilfe.
Irgendwie muss ich das Thema wechseln.
"Wann soll ich dir den Text übersetzen?"
Schweigen.
Ich höre etwas am Haus vorbeifahren, rauschend. Licht wabert über die Wände, bis das Rauschen auch verstummt.
Ein Auto musste vorbeigefahren sein.
Ich greife in die Dunkelheit und ziehe mich wieder das Sofa hoch.
"Was ist eigentlich falsch mit dir?"
Etwas sticht in meiner Brust.
Es tut weh.
"Du bist so... so komisch. Hasst du mich? Soll ich dich in Ruhe lassen?"
"Nein, bitte nicht, ich hasse dich nicht..."
"Warum? Warum dann? Dir ist es ja völlig egal, wie ich mich fühle!"
Sollte ich es ihr sagen?
Es wäre ein Wort.
Aber was, wenn ich ihr nicht trauen kann? Ich würde sterben.
Ich bin ersetzbar.
Ich bin wie ein Roboter.
Das wars.
"Gute Nacht."
"Karla... Ich verstehe dich nicht."
Nichts sagen.
Ich würde es schlimmer machen.
Einfach schlafen.
"Könntest du morgen mit dem Übersetzen anfangen?"
"Ja."


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