Arianna

Ich sitze da. Verstört, schweigend. Karla sitzt neben mir, ihre schlanke Gestalt wirkt eingefallen. Es ist schwer, nicht zu verzweifeln. Verdammt schwer. Aber es ist das Beste, was ich tun kann. Ich will es Karla nicht noch schwerer machen. Es ist kalt, wirklich eisekalt hier drinnen, nur Karla strahlt eine Wärme aus, wie sie oben normal wäre. Diese Zelle ist unter der Erde. Den Fluchtplan haben wir abgesprochen, da die Wachen nichts tun werden, ist es sogar ziemlich leicht, hier raus zu kommen. Aber der Preis dafür muss hoch gewesen sein. Mit Geld nicht aufzuwiegen. Aber da Karla zu den Reichen gehört, hoffe ich einfach, dass sie nur Geld geboten hat. Eine irrsinnige Hoffnung, aber manchmal sind solche die einzigen, an denen man festhalten kann.
Meine Handgelenke tun immer noch weh, von den Ketten, die diese Arschlöcher mir auf der Fahrt hierher umgelegt hatten. Es ist verkrustet. Inzwischen ist das ein Tag her. Die Nacht war hart. Die Albträume waren wieder gekommen, Oma, wie sie starb, nur diesmal stand Karla, starr ins nirgendwo blickend, daneben, übersät mit Wunden und Blut. Ich bringe es nicht über das Herz, mit ihr zu reden. In ihren letzten Stunden. Daher schweigen wir, warten auf den Moment. Die beiden Zettel stecken in meiner Hosentasche.
"Arianna?"
Ich drehe mich zu ihr hin und sehe wie gebannt in ihre wunderschönen Augen.
"Ich wollte... mich verabschieden. Und solltest du jemals Maria begegnen, grüß sie von mir."
Mein Herz zieht sich zusammen, Tränen kämpfen sich in mir hoch. Aber nicht vor Karla. Ich muss stark bleiben. Für sie. Aus irgend einem Grund bin ich mir sicher, dass sie genau so denkt. Vielleicht kann ich daher die Tränen so standhaft zurückhalten.
"Und, ich wollte Fragen, ob du..."
Sie sieht mich an. Ich schenke ihr den selben Blick, ich hoffe zumindest, dass er auch so ermutigend wirkt.
"Darf ich eine letzte Umarmung haben?"
Sie läuft rot an und senkt verlegen den Blick, aber ich bin sofort bei ihr. Sie liegt in meinen Armen, warm und lebendig. Das letzte Mal.
Ich verabscheue dieses Wort. Es sollte nie ein letztes Mal geben. Verdammt noch mal, nie! Der Schluchzer kommt unerwartet. Karla weint.
"Karla, du kannst mit mir kommen."
"Nein. Es kann nur einer von uns gehen, dass haben die Wachen gefordert. Sonst hätten sie dich auch noch gewollt."
Mit einem Schlag wird mir klar, dass ich sogar alles getan hätte, um Karla zu retten. Und dass Karla wahrscheinlich deshalb allein zu den Wachen gegangen ist. Nur damit ich Nichts tue, was ich hinterher bereue.
"Was hast du getan?"
"Es war schlimm. Für mich ist es ein Grund, zu sterben. Diese Erinnerung würde ich nie wieder loswerden."
Ich drücke sie fester an mich, verfluche die Wachen. Eine Entwicklungsstörung. Und diese grausamen... ich denke den Gedanken nicht zu Ende, sondern küsse Karla intuitiv auf die seidigen Haare. In dem Moment kommt sie mir vor wie ein kleines Kind, dass von jemandem geschlagen wurde, und ich bin die große Schwester. Und dieser Vergleich; in meinem Herzen weiß ich, dass auch in diesem Gefühl Warheit steckte. Ich muss sie beschützen, vor der großen, bösen Welt. Nur ist es dazu zu spät. Es klickt. Das Gitter wird zur Seite geschoben. Ich zucke zur Seite, Karla schaut verängstigt hoch. Der Wärter greift sie. Ich renne. Durch die Gänge, an den Zellen vorbei, hoch, hoch, hoch. Als mir frische Luft entgegenschlägt, höre ich die Wächter schreien. Sie rufen, dass ich geflüchtet bin. Zitternd halte ich mich an die Außenwand des Betongebäudes, bis ich zu einem Fenster gelange und sehen kann, wie Karla betäubt wird und in einem Rollstuhl weitergeschoben wird. Wohin, weiß ich nicht. Auf jeden Fall in einen anliegenden Raum ohne Fenster. Luftanhaltend stehe ich da. Lausche dem Geräusch von Elektrizität, dieses irre machende Surren. Schreie ertönen. Es ist vorbei. Ich verliere die Beherrschung. Weine. Ich versuche, zu rennen, über die Straße. Meine Beine gehorchen nicht. Bis ich höre, wie die Wächter kommen, um mich zu suchen. Ich laufe die karge Landschaft entlang, mit schmerzenden Gliedmaßen, verheult, verschwende keinen Gedanken an meine Umgebung. Eine einzige Erkenntnis erfüllt meinen Kopf. Es ist vorbei. Karla ist tot.

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