Arianna

Ich kann sie nicht verstehen. Sie ist wunderschön, ich verliere mich in ihren dunklen Augen, aber jetzt erst ist mir klar, dass sie emotionslos ist. Kalt und abweisendend. Still isst sie ein Brot. Ohne Aufstriche. Sven hat ihr was angeboten, sie hat aber Nein gesagt. Sven labert Mist und ich bin zu faul, um zuzuhören.
Helen labert mit.
Ein trostloses Frühstück.
Aber wenigstens wird Karla heute mit dem Übersetzen beginnen.
"Arianna?"
Genervt wende ich den Blick von Karla ab und strafe Sven mit hoffentlich tödlichen Blicken.
"Ich stalke gerade Karla, du störst."
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Karla errötet. Wohl doch nicht ganz emotionslos.
"Pfh. Na und? Ich habe eine Frage an dich."
"H-m?"
"Darf ich dich Aphrodite nennen?"
"Wer ist das? Und Nein."
"Och, wird Aphrodite wütend?"
Augenverdrehend lehne ich mich zurück und schnappe mir ein Steinchen vom grob gehauenen Boden. Unauffällig schmeiße ich es in seine Richtung.
"Au!"
"Was ist denn passiert, Svenny?", säusele ich.
"Mir ist was auf den Kopf gefallen."
"Wahrscheinlich dein Niveau."
"Fühlst dich jetzt wohl extra lustig?"
"Genau. Du hast es erfasst. Und jetzt lass mich essen, Svenny."
Karla kichert leise.
"Warum sind hier alle gegen mich?"
Wow. Sven ist echt ein Idiot.
Ich seufze theatralisch und beuge mich zu ihm hin.
"Wir sind auf einer geheimen Mission unterwegs. Wir sind Superhelden und du bist, verglichen mit uns, dumm.", flüstere ich.
Eine Gänsehaut breitet sich auf seinen Armen aus. Wie gerne würde ich ihn schlagen.
"Bis jetzt wirkt ihr nicht wie Superhelden, beweis mir, dass ihr welche seid."
Auch er flüstert und wieder habe ich das Gefühl, dass er denkt, attraktiv zu sein.
Das Bedürfnis, ihn zu verprügeln, wird immer dringender.
"Hey, ihr Turteltauben. Ihr seid zwar süß anzuschauen, aber sollten wir nicht eingentlich darüber nachdenken, wo wir uns verstecken wollen? Wir können Sven ja nicht ewig belästigen."
"Ich würde es gar nicht so schlecht finden, wenn eine gewisse Dame mich hier belästigen würde."
Kotz. Wie widerlich kann man bitte sein?
"Du hast Recht, Helen. Obwohl ich eher glaube, dass er uns belästigt und nicht wir ihn."
"Sollte ich dir nicht auch noch einen Text übersetzen?"
"Stimmt, das geht vor."
"Heißt das, ihr wollt doch hierbleiben?"
"Ich denke, dass wäre sinnvoll. Könnte ich Karla entführen?"
"Hä?"
"Von dem Tisch abhauen und im Zimmer übersetzen gehen?"
"Oh, ja, klar."
"Ich komme mit. Ich muss ja aufpassen, dass Arianna meiner lieben Karla nichts antut."
Es ist schwer, das Lachen zu unterdrücken.
Ich meine, Karla ist wunderschön und süß und anhimmelnswert und, von ihrem merkwürdigen Charakter abgesehen, perfekt, aber was sollte ich ihr bitte antun? Ich bin doch keine Massenmörderin oder so!
Aber bevor ich mich beschweren kann, hat Karla schon genickt.
Hat die denn auch Angst vor mir?!
Was habe ich getan?
Genervt stehe ich auf.
"Gut, dann bittet euch jetzt eine vermeintlich Gewalttätige, mitzukommen."
Karlas Augen weiten sich erschrocken, aber sie schweigt.
Schön. Dann bin ich wohl wirklich in deren Augen eine Gewalttätige, warum auch immer. Nicht jeder von den Armen hat eine aggressive Veranlagung.
Wütend stürme ich in das Zimmer, in dem wir übernachtet haben.
Nach einiger Zeit kommen auch Karla und Helen herein, erstere mit geröteten, wässrigen Augen, Helen grinsend.
"So. Hier der Text."
Ich ziehe den Zettel aus meiner Hosentasche, den ich mit meinem letzten Geld ausgedruckt habe, und schmeiße ihn vor den beiden auf den Boden.
"Ich wäre euch verbunden, wenn ihr das für mich übersetzt, obwohl ich... ich bin."
"Jetzt mecker mal nicht so, Kleine. Wenn du uns vergraulst, wird das meine Karla nicht machen.", schnauzt Helen und kommt mir ein Stück näher.
Wenn ich nicht größer als sie gewesen wäre, hätte sie vielleicht sogar bedrohlich gewirkt.
"Ich mach das schon, Oma. Bitte.", haucht Karla, nachdem sie den Zettel aufgehoben hat und uns unter Tränen anschaut.
Ich hatte mich wohl völlig in ihr geirrt.
Abgesehen von all den anderen Dingen; jetzt ist sie auch noch eine Heulsuse.
"Aber, Schatz, das braucht doch ein bisschen. Schickst du diese Arianna raus, oder soll ich das machen?"
Noch während die alte Zicke das sagt, wandert Karlas bittender Blick zu mir.
"Jaja, ich gehe schon wieder. Hat ja richtig viel gebracht, hier überhaupt reinzukommen."
Mit zusammengebissenen Zähnen knalle ich die Tür hinter mir zu.
Ehrlich, ich bereue es, Helen gerettet zu haben. Scheiß Text. Scheiß Latein.
"Ähm, geht es dir gut?"
Kacke, der ist ja auch noch da.
Ich hebe den Blick und könnte ihn für diesen Gesichtsausdruck schlagen.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass er sich Sorgen um mich macht.
Obwohl, eigentlich weiß ich es gar nicht besser. Aber ich hoffe, dass das, was ich mir einbilde zu wissen, richtig ist.
Ich kann keinen sabbernden Arsch gebrauchen, der sich Sorgen um mich macht.
"Halt die Fresse. Wir haben jetzt Zeit zu zweit, bis die beiden den Text übersetzt haben. Oder einen Teil. Und wenn du nicht ein braver Junge bist, weiß ich nicht, ob es dir  nach dieser Zeit noch gut geht."
"Achja? Wollen wir ein Spiel spielen?"
Schweigend setze ich mich vor ihn an den Tisch.
"Wir spielen es hier relativ oft. Ich stelle dir eine Frage, und du gibst drei Antworten. Ich muss sagen, welche wahr ist. Rate ich richtig, bin ich nochmal dran. Sonst du."
"Bist du in der Grundschule, dass du solche Spiele spielst?"
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und starre ihm provozierend in die Augen.
"Weiß ich nicht, lerne ich in der zweiten Klasse schon, was eine Grundschule ist?"
Der fühlt sich doch tatsächlich lustig.
"Ok, dir zuliebe spielen wir den Mist."
"Wenn du willst."
"Hä? Du wolltest das. Wir können es auch gerne lassen."
"Nein, nein. Also. Ich stelle ein Frage. Hattest du schon mal einen Freund?"
"War es irgendwie klar, dass so was kommt?"
"Keine Gegenfragen."
"Ja, wow. Also. Meine drei Antworten..."

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