Arianna
Die Heizung drückt mir rote Streifen in den Rücken, dafür ist es warm.
Die Temperaturgeräte im Keller haben mal wieder gestreikt. Aber hier passiert das öfters. Wir können froh sein, dass es wenigstens nie ganz aufhört zu arbeiten. Dann würden wir verbrennen.
Ich kaue nervös an meinen Fingern. Morgen werde ich Karla sehen.
Noch nie zu vor habe ich einen Menschen aus meiner Klasse in der Realität gesehen.
Allein bei dem Gedanken daran, ihre wunderschönen, rotbraunen Haare zu sehen, rast mein Herz.
Sie wird ihre Oma mitbringen.
Auf meinem Boden steht immer noch aufgeklappt der Laptop, vorne auf die Seite, auf der ich geschaut habe, wie wir schnellstmöglich das nächste Dorf erreichen.
Zu Fuß gehend.
Fast sieben Kilometer.
Und von da in die nächste Schnellbahn.
Ich will es mir selber nicht eingestehen, aber ich habe Angst.
Ja, ich will diesen bescheuerten Text übersetzen, schließlich kann ich durch ihn etwas von der Vergangenheit erfahren, ohne dass jemand stirbt.
Aber diese Flucht könnte einen schmerzvollen Tod bedeuten.
Einen sehr schmerzvollen.
Meine Gedanken schweifen wieder zu Karla. Sie braucht meine Hilfe.
Ich zucke zusammen, als es ein wenig dunkler wird.
Verwirrt krieche ich in den Schein der Lampe und sehe mich um.
Der Laptop hat sich heruntergefahren.
Plötzlich beginnt das Display zu flackern.
Kleine Buchstaben bilden sich.
Wir können deine Reiseroute sehen, Arianna.
Ich schnelle nach vorne und klappe den Laptop zu.
Ich höre Blut in meinen Ohren rauschen, mein Kopf pocht.
Mit verkrampften Händen ziehe ich die dünne Decke über meinen Körper und rolle mich zusammen.
In meinem Hirn herrscht Leere.
Keine Alternative.
Keine Idee, wohin wir sonst noch flüchten könnten.
Etwas kaltes klebt an meiner Stirn, die verschwitzte Decke liegt schwer auf mir.
Erinnerungen an den Alptraum huschen durch meine Gedanken.
Zitternd setze ich mich auf und blicke zur Uhr. Es ist fast elf. Müde stolpere ich zu dem halb erblindeten Spiegel.
Meine Haare stehen ab, wie helles Stroh.
Seufzend kämme ich mir durch die Knoten.
Es beruhigt mich, lenkt mich ab von der Angst, die nach mir greift und sich in mir festkrallt.
Ich werde flüchten.
Ich weiß nicht, wohin.
Ich werde sterben. Wahrscheinlich.
Und das für einen dummen, alten Text.
Was ist eigentlich falsch mit mir?
Ich wirbele herum, als etwas eindringlich klingelt.
Ein Telefon.
Nur schwer kann ich mich davon abhalten, aufzulachen.
Dieses plumpe, schwarze Ding ist so ziemlich das älteste Gerät hier im Zimmer.
Ich könnte es verkaufen, als Sammlerstück wäre es sehr viel wert.
Es könnte mich aus meinem Status als Arme herausholen.
Ich dürfte eine Meinung haben, mir selber aussuchen, was ich esse und vorallem wann, ich könnte mir Klamotten kaufen.
Vielleicht würde es sogar für sauberes Wasser reichen.
Aber ich brauche es.
Um mit Karla zu telefonieren, ohne abgehört zu werden.
Mein Herz macht einen Sprung, als ich ihre sanfte, schüchterne Stimme höre.
"Hallo, Arianna."
"Hi."
"Ich... wollte... ähm... ich wollte fragen, wann wir uns treffen wollen. Und wo? Tut mir leid, wenn das jetzt dumm klingt..."
"Nein, ist schon okay. Das klingt nicht dumm. Möglichst bald wäre gut."
"An sich hätte ich Zeit. Warum bald? Wenn du nicht antworten willst, ist auch gut..."
"Tja, also, es könnte sein, dass die Regierung mitbekommen hat, dass ich flüchten will. Kurz; ich habe im Internet eine Route rausgesucht. Natürlich werden wir jetzt einen anderen Weg nehmen, aber bald, weil... ich bin zu jung um zu sterben."
Es klingt so hohl, dass ich kichern muss.
"Oh... ja, das ist nicht gut. Dann kannst du gleich bis vor mein Haus kommen? Ich möchte nicht unbedingt raus."
"Fällt das nicht auf? Ich meine, wenn ich dann da rum stehe, wie eine Bekloppte? Wenn die Regierung mich sieht, habe ich richtig Probleme."
Schweigen. Habe ich was Falsches gesagt?
"Es ist nur...", sie flüstert fast, "ich war noch nie draußen und... ich verlaufe mich schnell. Ich möchte nicht alleine gehen."
"Ok, ich komme rüber. Bis gleich."
"Tschüss."
Sie legt nicht auf.
Ihr Atem geht schnell, als wäre ihr dieser Anruf unangenehm.
"Ich freue mich.", nuschele ich verwirrt, bevor ich das Telefon zur Seite lege.
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