Arianna
Gähnend lasse ich den Laptop von meinem Schoß rutschen. Er surrt und ist schon ganz heiß geworden. Die ganze Nacht sitze ich in meinem Bett, mich ängstlich versteckend vor der Realität. Mit dem Internet. Es verschafft mir ein Gefühl von Sicherheit, auch wenn ich weiß, dass es nur ein Gefühl ist. Das Internet wird überwacht, wie alles andere auch. Wenn nicht sogar stärker. Ich kann mich hinter einem Nutzernamen verstecken, aber die Regierung kann mich mit der ID identifizieren.
Jeder bekommt einen Laptop. Von Geburt an gehört er zum Grundbesitz. Die ID steht in der Geburtsurkunde.
Warum, weiß ich nicht.
Wir brauchen Laptops zur Kommunikation, heißt es. Aber das macht keinen Sinn.
Ich schließe die Augen.
Einen kurzen Moment kann ich entspannen, aber dann kommen mir die alptraumhaften Bilder wieder in meinen Kopf.
Vor zwei Tagen wurde meine Oma neunzig. Ich hatte versucht, sie noch zu sehen, bevor... es... geschah. Um kurz nach Mitternacht stand ich vor ihrer Tür. Schreiende Laute kamen aus dem Haus und ich schlich mich zum Fenster.
Was ich sah, weckte in mir Fluchtinstinkte, aber mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Ich sah alles mit an. Wie sie meine Oma auf den Tisch legten, wie sie sich unter Tränen wehrte, wie sie ihr die Spritze in den Oberarm schlugen und ihr Körper erschlaffte.
Natürlich wusste ich, dass die Regierung jeden einschläferte, der neunzig wurde.
Die Menschen sollten nicht zu alt werden und eine Rentenkrise verursachen.
Das lernte man schon in der Vorschule.
Aber beim Zuschauen kriegt man es mit der Angst zu tun. Man sieht dem Tod direkt ins Gesicht. Man weiß, dass dieses Schicksal einen auch erwartet.
Ich öffne die Augen wieder und blinzele die salzigen Tropfen aus meinen Augen.
Das Gesicht meiner Oma krallt sich in meinen Gedanken fest, wie ein Virus.
Ein Stechen fährt durch mein Herz, meine Lunge zieht sich zusammen.
Ich verabscheue die Regierung.
Ich verabscheue mein Leben.
Sofern ich es noch Leben nennen kann.
Mein Magen beginnt, laut zu knurren.
Das kann ich ihm nicht verübeln.
Es ist fast drei Tage her, dass ich etwas richtiges gegessen habe.
Demnächst werde ich arbeiten gehen müssen. Wahrscheinlich wird dann meine Selbsthilfe keinen Platz mehr in meinem Leben finden und auch das mit der Schule wird schwierig. Aber ich muss meine Geschwister unterstützen.
Ich habe einen vierundzwanzig jährigen Bruder. Er sorgt sich um mich und meistens auch um Theo, meinen Zwilling.
Schwere Müdigkeit zieht an meinen Lidern, ich drohe, wieder dem Schlaf zu verfallen.
Und den Träumen.
Eigentlich sind meine Träume schön.
Aber sobald ich aufwache, schlägt die Realität wieder zu und etwas zerbricht in mir. Ich bin kaputt, zerstört.
Ich kann es zu nichts mehr bringen.
Aber dieser Schock, aus einem Traum zu erwachen, macht mich noch kaputter als ich es ohnehin schon bin.
Ein leises Pling reißt mich aus meinen Gedanken und richtet meine Aufmerksamkeit wieder auf den Laptop.
Eine Nachricht.
Karla.
Sie ist in meiner digitalen Klasse, oder eher Lerngruppe, und auch in meiner Selbsthilfegruppe.
Könnten wir morgen wieder einen Videochat machen?
Die Nachricht ist an alle aus der Selbsthilfegruppe gerichtet.
Seufzend betrete ich wieder das Internet.
"Willkommen, Nutzer104. Du warst 10 Minuten nicht online. Wir haben deine Suchergebnisse gespeichert und auf Abruf gelagert.", begrüßt es mich.
Mein Blick schweift über die eintönige Vorschlagsliste.
Werbetexte von der Regierung.
Ein paar wenige Studien, die verschriftlicht wurden und sogar zugelassen wurden.
Eine elfenbeinfarbene Seite springt mir ins Auge.
Latinum 2020.
Mein Herzschlag steigt beunruhigend.
Diese Seite ist... neunundfünfzig Jahre alt?
Das kann doch nicht wahr sein.
Ich klicke auf die Seite und ein Text erscheint.
Altissimu omnipotente bon signore,
tue so le laide la gloria e l'honore et onne benedictione.
Ad te solo, altissimo, se konfano
et nullu homk ene dignu te mentovare.
Laudato si, mi signore, cun tutte le tue creature, spetialmente messor lo frate sole,
lo qual' e iorno, et allumini noi per lui.
Et ellu e bellu e radiante cun grande splendore,
de te, altissimo, porta significatione.
Laudato si, mi signore, per sora luna e le stelle,
in celu l'ai formate clarite et pretiose et belle.
Laudato si, mi signore, per frate vento,
et per aere et nubilo et sereno et onne tempo,
per lo quale a le tue creature dai sustentamento.
Laudato si, mi signore, per sor' aqua,
la quale e multo utile et humile et pretiosa et casta.
Laudato si, mi signore, per frate focu,
per lo quale enn'allumini la notte,
ed ello e bello et iocundo et robustoso et forte.
Laudato si, mi signore, per sora nostra matre terra,
la quale ne sustenta et governa,
et produce diversi fructi con coloriti flori et herba.
Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore,
et sostengo infirmitate et tribulatione.
Beati quelli ke'l sosterrano in pace,
ka da te, altissimo, sirano incoronati.
Laudato si, mi signore, per sora nostra morte corporale,
da la quale nullu homo vivente po skampare.
Guai a quelli, ke morrano ne le peccata mortali:
beati quelli ketrovara ne le tue sanctissime voluntati,
kaa morte secunda no'l farra male.
Laudate et benedicete mi signore,
et rengratiate et serviateli cun grande humilitae.
Ich verstehe kein Wort.
Verwirrt überprüfe ich die Views.
Sieben Menschen haben diese Seite gesehen. Von mehreren Milliarden Nutzern.
Vielleicht ist das eine Codesprache.
Oder die Leute haben zweitausendzwanzig so gesprochen.
Zur Sicherheit kopiere ich den Text in meine Ablage und exportiere ihn.
Mal schauen, was meine Selbsthilfegruppe dazu sagt.
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