- zweiundfünfzig -

"Ariana? Ariana!", höre ich eine aufgeregte Stimme. Ich kenne sie, aber kann sie nicht zuordnen.

Ich spüre wie jemand meine Wange tätschelt und immer wieder laut und hektisch meinen Namen ruft.

Mein Kopf dröhnt und mein ganzer Körper tut weh. Meine Lippen fühlen sich verklebt an, in meinem Mund ein ekelhafter Geschmack. Habe ich mich übergeben? Was ist überhaupt passiert? Mein Herz rast wie verrückt.

Die Person, die bei mir ist, nimmt meine Hand und streichelt sie sanft. Ich öffne krampfhaft die Augen. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment platzen und die Helligkeit verschlimmert das nur.

Ich brauche einen Moment um zu realisieren, dass Finn die Person über mir ist. Was zur Hölle ist hier los? Wieso habe ich solche Schmerzen? Und was macht Finn hier?

Ich will ihn fragen, bekomme aber keinen Ton heraus. Ich kriege nicht mal meinen Mund richtig auf.

Ich werde panisch und merke, dass meine Augenlider flattern. Meine Atmung wird schneller, mein Herz rast wieder.

"Hey, Ariana! Ariana! Hör mir zu, okay? Bleib ganz ruhig. Alles ist gut. Ich bin bei dir. Ich habe die 911 angerufen. Hilfe kommt, okay? Alles wird gut, Ariana!", versucht er mich zu beruhigen, doch seine Stimme zittert.

Dann wird mir wieder schwarz vor Augen.

...

Das Nächste, was ich mitbekomme, ist, dass ich vermutlich in einem Rettungswagen liege. Das grelle Licht blendet mich schon mit geschlossenen Augen, deshalb versuche ich erst gar nicht, sie zu öffnen.

"Wir kommen jetzt ins New York Presbyterian mit einem Notfall. Ein junges Mädchen, laut Ausweis 22 Jahre alt. Vermutlich Überdosis BTM bei Mischkonsum. Untergewichtig, hat sich bereits mehrfach übergeben. Sie ist nicht ansprechbar und bewusstlos. Außerdem Kopfverletzung und vermutlich Gehirnerschütterung durch Sturz, eventuell auch Frakturen der Rippen. Bitte Schockraum frei machen zur Erstversorgung und den Notfallkontakt ausfindig machen und benachrichtigen", gibt eine sanfte Frauenstimme durch, immer wieder unterbrochen durch das schrille Heulen des Martinshorns.

...

Als ich das nächste Mal zu mir komme, ist es deutlich später. Langsam versuche ich, die Augen zu öffnen, doch es gelingt mir erst nach mehreren Anläufen.

Mein Blick fällt auf das Fenster, durch das ich die beginnende Dämmerung erkennen kann. Es muss also schon Nachmittag sein.

Um mich herum piepsen mehrere Geräte. In meinen Händen stecken mehrere Schläuche, die mit Infusionsbeuteln verbunden sind. Auch an meinem Kopf und meiner Brust befinden sich zahlreiche Schläuche und Kabel.

Mein Mund und mein Hals sind trocken und kratzen. Ich versuche zu schlucken, was mir nicht gelingt, deshalb probiere ich, es durch Räuspern zu beseitigen.

Abrupt schnellen zwei Köpfe hoch. Phil und John. In ihren Gesichtern mischen sich Erleichterung und Sorge.

Phil steht auf und beugt sich über mich. Sanft streichelt er meine Wange. "Hey Ariana, ganz ruhig, ja? Erschreck dich nicht. Du bist im Krankenhaus."

Ich lächele ihn müde an. Dass ich im Krankenhaus bin ist unmissverständlich. Wieder muss ich mich heiser räuspern.

Phil greift nach einem Wasserglas, das neben mir auf dem weißen Nachttisch steht, und hält es mir an den Mund. Dankbar nehme ich einen Schluck. Als das Wasser meinen Mund befeuchtet und meine Kehle herunterfließt, ist das eine einzige Wohltat.

Ich lasse meinen Blick zu John gleiten, der mich aufmerksam beobachtet. Auch in seinen blauen Augen liegt Sorge. "Ich bin immer noch dein Notfallkontakt, Ari. Du hast es nie geändert. Sie haben mich gestern Nacht benachrichtigt, als du ins Krankenhaus gebracht wurdest. Phil und ich waren nach dem Chelsea noch zusammen was essen, als der Anruf kam, und sind direkt hierhin gekommen", beantwortet er alle meine ungestellten Fragen.

Natürlich habe ich meinen Notfallkontakt nie geändert, ich habe ja sonst auch niemanden.

"Seid", beginne ich, aber meine Stimme ist so heiser, dass das Wort fast tonlos aus meinem Mund kommt. Phil hilft mir wieder etwas zu trinken.

Mit krächzender Stimme formuliere ich erneut: "Seid ihr seit gestern Nacht hier?"

Phil nickt nur. Ich frage leise: "Aber wieso? Ich war doch so scheiße zu euch.."

"Ariana, darüber reden wir die Tage in Ruhe, wenn es dir besser geht. Wir sind hier und wir bleiben hier. Du bist nicht alleine", antwortet John mit einfühlsamer Stimme.

Ich bin so gerührt, dass mir die Tränen kommen. "Ich gebe den Schwestern Bescheid, dass du aufgewacht bist", sagt John und verlässt den Raum.

"Was machst du nur für Sachen?", fragt Phil mit einem traurigen Lächeln und umschließt meine Finger sanft mit seinem.  "Es tut mir alles so leid", krächze ich mit Tränen in den Augen. "Mir auch, Ari, mir auch. Mach sowas nie wieder, hörst du?"

Ich nicke leicht und sofort zieht ein stechender Schmerz durch meine Schläfen. Phil beugt sich vor und drückt mir sanft einen Kuss auf die Wange. Oh Gott, das hat mir so gefehlt. In dem Moment brechen alle Dämme und es kullern dicke Tränen über mein Gesicht.

"Alles ist gut, Liebes, ich bin da. Hör bitte auf zu weinen", beruhigt Phil mich wieder.

Die Tür geht auf und John betritt das Zimmer, gefolgt von einem hageren Mann mittleren Alters im weißen Kittel.

"Guten Tag", sagt er mit freundlicher Stimme. Dann tritt er an mein Bett und schüttelt leicht meine Hand. "Miss Nolan, mein Name ist Doktor Smith, ich bin der leitende Stationsarzt. Schön, dass sie wach sind. Wie geht es ihnen?"

"Ging schon mal besser", antworte ich heiser. Er nickt verständnisvoll.

"Miss Nolan, sie hatten einen Kreislaufkollaps mit einem daraus resultierenden Sturz. Wir mussten ihnen den Magen auspumpen und ihnen mehrere Infusionen verabreichen. Sie haben eine Platzwunde am Kopf, eine leichte Gehirnerschütterung und eine leichte Prellungen der Rippen.

In ihrem Blut haben wir sowohl einen Blutalkoholwert von 1,8 Promille, als auch Spuren von Marihuana und Kokain in höheren Dosen feststellen können. Das in Kombination mit Unterernährung und ihrem massiven Untergewicht hat ihr Körper einfach nicht mitgemacht.

Was sie da getan haben nennt man Mischkonsum und der ist ganz besonders gefährlich. Je nach Substanz potenzieren oder verstärken sich die jeweiligen Effekte mitunter erheblich und machen den Mischkonsum damit grundsätzlich lebensgefährlich.

Bei der Kombination von Kokain mit Alkohol, wie in ihrem Fall, wird die Austrocknung des Körpers zusätzlich beschleunigt und dies kann zu einer gefährlichen Überhitzung führen, wie es auch bei ihnen geschehen ist.

Sie können von Glück reden, dass der junge Herr sie so schnell gefunden, den Notruf gewählt und ihnen dadurch wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Ich appelliere an ihren Verstand. Sie müssen dringend etwas an ihrem Lebensstil ändern, sonst wird das nächstes Mal mit Sicherheit nicht so glimpflich für sie ausgehen. Sehen sie es als Warnschuss. Sie müssen einen großartigen Schutzengel haben."

Ich muss schlucken. Mein Herz rast und mein Kopf rattert. Immer und immer wieder hallen die Worte des Arztes durch meinen Kopf. "Lebensgefährlich, Glück gehabt, Warnschuss." "Sie müssen dringend etwas an ihrem Lebensstil ändern."

Mein Blick wandert zu Phil, der den Arzt schockiert ansieht und dann mir einen besorgten Blick zu wirft. Unsere Augen treffen sich. Phil sieht müde aus. Seine Haut ist fahl und unter seinen Augen schimmern dunkle Augenringe. Kurz verliere mich im warmen Braun seiner Augen mit den atemberaubenden kupferfarbenen Sprenkeln.

Dann lächele ich ihn an. Ich habe ihn so vermisst. Ich werde mein Leben wieder ändern, auch für ihn. Ich will ihn nie mehr so vermissen müssen.

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