- vierzig -

Im Bad wasche ich mir das Gesicht mit Waschgel und kaltem Wasser. Meine Schminke ist verschmiert, und meine Augen sind rot und angeschwollen vom vielen Weinen. Sorgfältig trockne ich mein Gesicht mit einem flauschigen Handtuch ab, creme mich ein, sprühe Deo unter die Arme und Parfum auf den Hals. Ich kämme meine Haare und binde sie zu einem strengen Pferdeschwanz.

Im Schlafzimmer ziehe ich eine schwarze Leggings und einen grauen, oversized Strickpullover an. Als ich die Leggings hochziehe, fällt mir auf, dass sie am Bund lockerer sitzt. Vor dem Spiegel betrachte ich meinen nackten Oberkörper kritisch.

Ich war schon immer schlank, doch jetzt ist mein Körper sichtlich abgemagert. Meine Hüftknochen, die Rippen und die Schlüsselbeine stehen deutlich hervor. Ich bin viel dürrer, als mir lieb ist.

Kein Wunder: die ganze Sache mit Colin und die daraus resultierenden Panikattacken sind mir ziemlich auf den Magen geschlagen. Appetit habe ich selten, dafür füllt Übelkeit immer häufiger meinen Magen.

Sanft streichele ich über die blasse Haut an meinem Bauch. Was passiert nur mit mir? Die Panikattacke, die immer häufiger auftreten. Der Streit mit Phil, der sogar dazu führen könnte, dass ich ihn verliere. Der Streit mit John. Wie ich Vivian in der Uni angegangen bin. Und zur Krönung wird mein körperlicher Zustand auch immer schlechter. John hat Recht, ich sollte mir dringend Hilfe suchen. Wenn das doch nur so einfach wäre..

Meine Gedanken werden jäh von der Türklingel unterbrochen. Ich schlüpfe in meine kuscheligen Hausschuhe, ziehe meinen Pullover wieder runter und laufe in den Flur, um Elijah die Tür zu öffnen.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis Elijah die Treppen hochkommt, seine Sportlichkeit deutlich an dem Tempo erkennbar. Mit einem breiten Grinsen hebt er eine Flasche SKY Vodka in die Höhe, in der anderen Hand eine Coca Cola Vanille. Ich lächele zurück und bitte ihn mit einer einladenden Geste herein.

Nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen habe, begrüße ich ihn mit einer Umarmung und einem Kuss auf beide Wangen. Elijah streift sich lässig seine weißen Sneakers im Flur ab und folgt mir ins Wohnzimmer. Er lässt sich auf die Couch fallen, während ich in die Küche gehe, um zwei Gläser zu holen.

Als ich die Gläser auf dem Wohnzimmertisch abstelle, mustere ich ihn kurz. Elijah trägt eine rote Cap mit einem weißen NY-Logo, passend zu seiner dicken, roten Winterjacke, die er im Flur aufgehängt hat. Dazu kombiniert er eine dunkelblaue Jeans und einen bunt gemusterten Strickpullover, ähnlich dem von seinem Instagram-Post. Sein Stil ist wirklich cool, stark inspiriert vom Oldschool-HipHop.

Elijah kippt uns beiden zur Hälfte Cola und zur anderen Hälfte Vodka in unsere Gläser. Er reicht mir eins und stößt mir mir an. Nachdem wir beide einen Schluck getrunken haben, fragt er mich: "Also, was ist los? Was ist so schlimm, dass du dich nachmittags alleine in deiner Wohnung voll laufen lässt? Ich habe schon erkannt, dass du eine leidenschaftliche Partymaus bist, aber von einem Alkoholproblem hat mir bisher niemand erzählt. Deshalb frage ich mich, was der Auslöser für dieses Trinkgelage ist?"

"Gut kombiniert, Sherlock. Hast du schon mal darüber nachgedacht, was du beruflich machen willst? Ich denke, du wärst eine Bereicherung für das FBI."

Elijah kneift mir in die Wange. "Sei nicht so frech, Fräulein!" Dann legt er den Kopf schief. "Du willst also nicht darüber reden, Message angekommen."

Ich zeige ihm einen Daumen hoch. "Und was ist bei dir vorgefallen?" Er nimmt noch einen Schluck von der starken Mischung, so als wolle er sich Mut antrinken. "Ich habe mich mit meinem Bruder gestritten und einen Anpfiff von unserem Coach kassiert. Scheinbar ist sich mein gesamtes Umfeld darüber einig, dass ich zu viel Alkohol konsumiere."

"Und darauf trinkst du dir jetzt einen?"

"Wenn du das so sagst, klingt es richtig bescheuert", räumt er ein. "Ich weiß, dass ich dringend einen Gang runterschalten muss, bevor ich meinen Platz im Team gleich wieder verliere. Und meinen Bruder und den Laden will ich mit meinem egoistischen Verhalten auch nicht in die Scheiße reiten."

Ich nicke verständnisvoll und denke über seine Worte nach. Strenggenommen ist mein Verhalten Phil und John gegenüber auch ziemlich egoistisch ist.

Nein, nein, nein. Das wollte ich doch vergessen.

In einem Zug leere ich mein halbvolles Glas und reiche es Elijah. "Ich brauche mehr Alkohol."

Er füllt mein Glas wieder auf und ich trinke davon. Langsam füllt sich mein Magen mit der vermeintlichen Wärme des Alkohols und ich merke, dass meine Hemmungen sinken. Hochprozentiger Alkohol in großen Mengen, zügig getrunken auf fast nüchternen Magen ist definitiv keine empfehlenswerte Kombination.

"Ich habe mich mit Phil und John zerstritten", kläre ich Elijah nach dem dritten Glas auf.

"Wieso das denn?", hakt er nach und betrachtet mich aufmerksam aus seinen dunklen Knopfaugen.

"Ich kann dir den genauen Grund nicht sagen, aber ich wollte, dass du weißt, wieso ich mich betrinke. Mein Kopf ist voller Probleme und ich will einfach nur meine Ruhe. Ich will nichts mehr fühlen und wenigstens eine Nacht mal durchschlafen. Ich weiß, dass Alkohol keine langfristige Lösung ist, aber..", beginne ich völlig ungeplant Elijah mein Herz auszuschütten, bis er mich plötzlich unterbricht.

"Nein, Alkohol ist wirklich nicht das Richtige, bei sowas hilft Gras viel besser. Was meinst du, wieso ich so viel kiffe", sagt er lachend. Er tarnt es als Witz, aber ich merke sofort, dass es eigentlich keiner ist, sondern die blanke Wahrheit unter humoristischem Deckmantel.

"Wieso ist Gras besser?", frage ich interessiert und wundere mich selbst über mein neues Interesse an der bunten  Bandbreite von Betäubungsmitteln.

"Alkohol sorgt dafür, dass du total depri wirst und erstrecht anfängst, über alles nachzudenken, sodass du am Ende noch mehr leidest. Weed hingegen macht dich total gelassen und euphorisiert dich gleichzeitig. Du bist happy und dir ist alles egal. Deine üblichen Denkmuster verschwinden. Du fühlst dich leicht wie eine Feder, wie in einer riesigen Wolke aus Zuckerwatte. Ich würde kiffen immer dem Alkohol vorziehen, die Benefits sind viel größer."

In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Gelassenheit, Euphorie, Glücksgefühle, Leichtigkeit, Entschleunigung, Gedankenlosigkeit - diese Worte ziehen mich an wie Magneten. Genau das ist es, was ich will. Schief grinse ich Elijah an.

"Hast du denn Gras dabei?"

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