- siebzig -

Ich atme tief durch und schaue Phil nun direkt ins Gesicht. Er wirkt überrumpelt von meinem deutlichen Statement und wieder einmal bin ich selbst von mir überrascht.

In letzter Zeit bin ich oft über mich hinausgewachsen. Auch wenn ich viel Scheiße erlebt habe, so hat mich jeder Tiefschlag, jede Enttäuschung und all der Schmerz auch einiges gelehrt und wachsen lassen.

"Du hast Recht", ertönt Phils raue Stimme kleinlaut. Überrascht schaue ich auf. Er blickt mir selbstsicher in die Augen, sein Blick wirkt kalt und distanziert.

"Vielleicht haben wir uns beide ineinander getäuscht", sagt er und seine Worte sind schneidend wie Glasscherben. Es fühlt sich an, als hätte er mir genau so eine scharfe Glasscherbe in die Brust gerammt und auf direktem Weg in mein Herz gebohrt.

"Ich denke es ist besser, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen und unsere Gedanken sortieren", setzt er nach und zieht mir damit endgültig den Boden unter den Füßen weg.

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Wieder und wieder hallen seine Worte durch meinen Kopf wie in Dauerschleife, doch so richtig scheinen sie nicht in meinem Gehirn anzukommen.

Heiße Tränen schießen mir in die Augen, doch ich blinzele sie wütend weg. Ganz bestimmt werde ich nicht auch noch anfangen zu heulen.

Ruckartig stehe ich auf, kneife meine Augen wütend zusammen und fauche: "Dann wünsche ich dir ein paar schöne Tage! Ach, was rede ich da? Ich wünsche dir ein schönes Leben!"

Ich stürme aus dem Raum und schlage Phils Wohnungstür mit einem ohrenbetäubenden Knall zu.

Ich haste die Treppen herunter und ziehe zügig die schwere Eingangstür hinter mir zu, nur um dann festzustellen, dass mein Auto zuhause steht.

"Fuck!", fluche ich laut. Ich ziehe mein Handy aus meiner Tasche, um mir ein Taxi zu rufen, doch halte kurz inne, als ich einen Namen auf meinem Display aufleuchten sehe.

Aiden

Neugierig öffne ich die Nachricht. "Hey Ari, ich wollte nur hören, ob Phil noch was gesagt hat?" Direkt danach hat er noch eine zweite Nachricht geschickt: "& ich wollte dir noch sagen, dass du dich immer melden kannst, wenn was ist. Ich bin immer für dich da."

In dem Moment ändert sich Aidens WhatsApp Status in "Online" und kurz darauf in "Schreibt.."

Mein Handy vibriert kurz. "Ari? Alles okay?" Seine Nachrichten sind knapp eine Stunde her und er hat wohl gesehen, dass ich sie zwar gelesen, aber noch nicht geantwortet habe.

Ich laufe durch das große Eingangstor und dann die Straße entlang, in der Phil lebt. "Kannst du hellsehen?", antworte ich ihm. Es ist schon kurios, dass er mir genau dann schreibt, wenn ich wirklich Hilfe gebrauchen könnte.

"??", kommt nur von Aiden als Antwort.

Ich bleibe kurz stehen und krame in meiner Handtasche nach dem kleinen weißen Zigarettenpäckchen und einem Feuerzeug. Ich nehme mir eine Zigarette heraus, zünde sie an und atme den blauen Qualm tief in meine Lungen.

Nach einigen Zügen fühle ich mich deutlich ruhiger und nicht mehr ganz so aufgebracht.

"Phil ist der Meinung, dass wir uns ineinander getäuscht haben und erstmal auf Abstand gehen sollten", schreibe ich schnell zurück, bevor ich es mir anders überlege.

Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, es ist die Wahrheit. Eine schmerzhafte, beschissene, unfaire Wahrheit. Eine erdrückende, herzzerreißende, harte Wahrheit. Aber es ist, was es ist - die Wahrheit.

Je schneller ich mir das eingestehe, desto besser, denn es ist doch allseits bekannt: eine Beziehungspause, "etwas auf Abstand gehen" ist nur die softe, verlangsamte Variante des Schlussmachens.

Man lebt sich noch weiter auseinander, merkt wie frei man ohne den Partner ist, wie gut es einem ohne all die Streitereien und Probleme geht und ehe man sich versieht ist man endgültig getrennt.

Aber darauf habe ich keine Lust. Ich bin keine Option. Kein vielleicht, kein bald, kein irgendwann.

Trennungen mag ich lieber wie Pflaster abreißen - kurz und schmerzlos. Ohne Rumgeeier, ohne nächtelanges wach liegen, Kopf zerbrechen, Herzschmerz. Ich will nicht warten und hoffen auf etwas, was nie passieren wird.

Das penetrante Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Mein Display blinkt hektisch und symbolisiert mir so einen eigehenden Anruf.

Aiden

Ich zögere einen Moment, bevor ich den Anruf annehme. Ich ziehe ein letztes Mal an meiner fast verglühten Zigarette und schnipse sie in einen Gulli.

"Ja?", spreche ich mit brüchiger Stimme in den Hörer. "Ist das jetzt ein Scherz?", fragt Aiden irritiert. Keine Begrüßung, er kommt direkt zur Sache.

"Ich wünschte, es wäre einer", seufze ich. Dann herrscht kurz Stille.

"Wo bist du denn jetzt? Zuhause?",

"Nein, ich bin gerade von Phils Hof gelaufen und laufe die Straße herunter."

"Bist du nicht mit dem Auto?", hakt er nach. "Nein, das steht zuhause."

"Na da steht es gut", erwidert er und ich höre sein Grinsen durch das Telefon. "Ich hole dich ab."

Aiden legt auf, bevor ich seinem Vorschlag etwas entgegenbringen kann. Da es mir zu blöd ist, einen Steinschlag entfernt von Phils Haus rumzulungern, laufe ich mit langsamen Schritten weiter.

Aiden wohnt im selben Viertel wie Phil, nur ein paar Straßen weiter und so dauert es nicht lange, bis sein dunkler BMW am Straßenrand neben mir hält.

Ich bin gerade in mein Handy vertieft und zucke zusammen, als er mit quietschenden Reifen neben mir zum Stehen kommt. Ich umrunde sein Coupé und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen.

Er betrachtet mich kurz und kneift mir dann freundschaftlich in die Wange.

"Ich nehme dich erstmal mit zu mir. Ich glaube, es ist nicht so gut, wenn du jetzt alleine bist", sagt Aiden in einem Tonfall, der keine Widerworte zulässt.

Ich stimme zu und schaue gedankenverloren aus dem Fenster, während Aiden den Motor startet.

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