- siebzehn -
Der Tag vergeht quälend langsam und ich schaue ständig auf die Uhr, um zu sehen, wie lange ich noch aushalten muss. Eigentlich hätten Phil und ich auch bei ihm bleiben können, da ich dem Lamemtieren des Profs eh nicht folgen kann.
Die letzte Vorlesung des Tages habe zu allem Übel auch noch ohne Phil. Ich setze mich alleine in die letzte Reihe und spiele desinteressiert an meinem Handy herum. Colin hat mir heute Nacht mehrere Nachrichten geschrieben, bis ich irgendwann genervt seine Nummer blockiert habe.
In dem Moment ploppt eine Facebook-Benachrichtigung auf meinem Handy auf.
"Phil West hat dich auf einem Bild markiert."

Phil scheint zu wissen, dass mein Gedankenkarussell in diesem Moment Extrarunden dreht.
Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz. Ich tippe in die Suchleiste "Colin M" ein. Ich habe keine Ahnung, wie er mit Nachnamen heißt, aber sein Kennzeichen ist CM, deshalb wird er wohl mit M beginnen.
Der erste Vorschlag ist ein Colin Mathewson. Ich öffne das Profil und schließe es gleich wieder. Das Profilbild zeigt einen etwa fünfzigjährigen Mann aus Manchester ist England. Das ist definitiv der falsche Colin.
Der zweite Vorschlag ist ein Colin Mason. Ich öffne dieses Profil und kann meinen Augen nicht trauen.
Das Profilbild zeigt Colin mit einer hübschen, blonden Frau und einem dunkelhaarigen Jungen im Kindergartenalter, der fröhlich in die Kamera grinst. Die Caption des Bildes lautet: "You are everything. Family first."
Ich kann meinen Augen kaum trauen. Colin hat Frau und Kind?
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und mir fällt es wie Schuppen von den Augen.
Deshalb hat er so verbissen versucht, dem Verlangen nach mir zu widerstehen. Nicht, weil ich eine Schlampe bin, wie er immer behauptet hat, sondern weil er sich erst überwinden musste, seiner Frau fremdzugehen.
Mein Hals schnürt sich zu und ich schüttele ungläubig den Kopf. Das kann alles nicht wahr sein.
Ich greife nach meiner Tasche, die unter dem Tisch steht und stehe so abrupt auf, dass mein Stuhl umkippt und mit einem lauten Knall auf den Boden fällt.
Dutzende Köpfe fahren erschrocken zu mir herum, alle Aufmerksamkeit liegt auf mir und mir schießt die Schamesröte ins Gesicht. "Ich.. mir ist total schlecht. Ich muss an die frische Luft", stottere ich entschuldigend und stürme Hals über Kopf aus dem Raum.
Mit schnellen Schritten laufe ich zur Toilette, lasse mir kaltes Wasser über meine Pulsadern laufen und befeuchte auch meine Wangen.
In was für einen Alptraum bin ich eigentlich geraten?
Ich halte es keine Minute länger hier aus, mit all den fremden Menschen, ich will mich nur noch in mein Bett verkriechen und mir die Seele aus dem Leib heulen.
Spontan entscheide ich, dass es besser ist, nachhause zu laufen, als hier noch zu bleiben.
Auf dem Weg schreibe ich Phil eine Nachricht, damit er sich keine Sorgen macht. Nach dem Vorfall mit Colin gestern Abend ist er verständlicherweise ziemlich angespannt.
Zu Hause angekommen, werfe ich mich in voller Montur auf die Couch, nicht mal die Schuhe ziehe ich aus. Stundenlang liege ich regungslos da und ergebe mich dem Selbstmitleid, bis es nachmittags überraschend an meiner Wohnungstür klopft.
Ich zögere kurz, schließlich erwarte ich niemanden, öffne dann aber doch die Tür. Als ich in zwei eisblaue Augen schaue, die mich wütend anfunkeln, setzt mein Herz einen Schlag aus.
Sein Besuch bedeutet definitiv nichts Gutes.
Ich will die Tür schnell wieder zu drücken, doch Colin ist mir einen Schritt voraus und hat seinen Fuß zwischen Türblatt und Rahmen gestellt. In seiner Hand hält er einen Strauß roter Rosen. Er mustert mich kurz abfällig, dann schmeißt er mir die Blumen wütend entgegen.
"Du hast bei ihm geschlafen, richtig? Bei diesem Phil, der dich gestern mitgenommen hat?", knurrt er und stößt mich an der Schulter in meine Wohnung.
Ich antworte nicht, meine Kehle ist wie zugeschnürt. Angst steigt in mir auf, als er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss wirft und sich vor mir aufbaut.
"Eigentlich bin ich gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, doch jetzt stehe ich hier und du lieferst mir einfach nur den nächsten Beweis dafür, dass du eine verdammte Schlampe bist." Er kommt immer näher auf mich zu.
Ich weiche ängstlich zurück, aber zwinge mich, ruhig zu atmen. Ich will keine Schwäche zeigen. Colin ist einschüchternd und unglaublich aggressiv. Ich will, dass er geht - je schneller, desto besser.
Trotzig recke ich ihm mein Kinn entgegen und täusche Selbstsicherheit vor. "Und ich dachte, du willst es mit mir versuchen. Scheint, als hätten wir beide gelogen. Von deiner Frau und deinem Sohn war nämlich nie die Rede."
Colin stockt kurz und starrt mich fassungslos an. Dann holt er aus und schlägt mir mit der Faust ins Gesicht. Es scheint eine Übersprungshandlung zu sein, um mich zum Schweigen zu bringen. Mein Kiefer knackt, ein dumpfer Schmerz erfüllt meine Wange.
Schockiert starre ich ihn an und fasse mir instinktiv mit der Hand ins Gesicht, dahin, wo es so unendlich weh tut. Du Haut ist heiß und pocht.
Doch er scheint noch nicht fertig zu sein. Er entlädt all seinen Hass an mir, schlägt wieder und wieder mit Fäusten auf mich ein. Er trifft mein Auge und meinen Hinterkopf. Ich versuche mich mit meinen Armen und Händen zu schützen, lege sie verzweifelt vor mein Gesicht. Er boxt gegen meine Oberarme, dann setzt er einen kräftigen Schlag in meine Rippen
Ich stöhne schmerzerfüllt auf und sinke zu Boden. Er hebt sein Bein und tritt mir in den Bauch. Einmal, zweimal, dreimal, viermal.
"Rede nie wieder über Dinge, die dich nichts angehen, du dumme Hure!" Wieder tritt er zu.
Die Zeit, in der er mich malträtiert, fühlt sich an wie eine Ewigkeit, bis er endlich von mir ablässt.
Er steht über mir und sieht auf mich herab.
"Ariana, ein Wort zu irgendjemandem und ich komme wieder und dann geht es nicht so gut für dich aus", droht er mir.
Ein letztes Mal tritt er mir in den Rücken, bevor er meine Wohnung verlässt und die Tür hinter sich ins Schloss schmeißt.
Ich schlage mit aller Kraft meine Augen auf, die ich irgendwann geschlossen habe, während Colin wie ein Besessener auf mich eingeprügelt hat.
Von meinem schmalen Körper fließt hellrotes Blut zu dem Strauß Rosen. Sie liegen genauso am Boden, wie ich: zusammengetreten, zerquetscht und zerstört.
Mein ganzer Körper tut so weh, dass ich den Schmerz nicht mal lokalisieren kann.
Der metallische Geschmack von Blut liegt mir auf der Zunge und mein linkes Auge ist bereits so zugeschwollen, dass ich es kaum öffnen kann. Mein Kiefer schmerzt unfassbar und meine Unterlippe fühlt sich geschwollen und aufgeplatzt an. Vorsichtig betaste ich sie mit den Fingern.
Mit jedem Atemzug spüre ich einen stechenden Schmerz in den Rippen und der vorsichtige Versuch, vom Boden aufzustehen, scheitert kläglich. Mein Kopf dröhnt, mir wird erst kotzübel und dann schwarz vor Augen.
Irgendwann werde ich wach und liege immer noch auf dem Boden. Ich muss das Bewusstsein verloren haben, keine Ahnung, wie lange.
Das ist der schlimmste Tag meines Lebens.
Mühsam und vor Schmerzen wimmernd setze ich mich auf. Ich muss mich an der Wand anlehnen, da mir noch immer furchtbar übel ist. Mit zitternden Fingerm fasse ich in meine Hosentasche und ziehe umständlich mein Handy heraus.
Es kostet mich riesige Überwindung, aber ich muss mir eingestehen, dass ich Hilfe brauche und es gibt nur einen Menschen, dem ich das hier zumuten kann.
"Em, ich brauche deine Hilfe. Kannst du zu mir kommen? Du hast doch noch einen Schlüssel, oder?"
"Was ist passiert?", kommt sofort zurück, ihr Stimme klingt alarmiert. Als ich nicht antworte, setzt sie hinterher: "Ich bin in zehn Minuten da."
Ich lasse mich an der Wand wieder nach unten sinken und schließe meine Augen.
Die pure Erleichterung durchströmt mich, als ich einen Schlüssel im Schloss höre und Emily hektisch die Wohnung betritt.
Als sie mich im Flur auf dem Boden liegen sieht, stößt sie einen erschrockenen Schrei aus. Ich weiß nicht, wie ich aussehe, aber ihren aufgerissenen, mit Tränen gefüllten Augen nach zu urteilen, muss es schrecklich sein.
Sie kniet sich auf den Boden und streichelt panisch über meinen Kopf. "Ariana, was ist passiert?"
Tränen laufen über meine Wangen, aber ich bin nicht in der Lage zu antworten.
"Komm, ich fahre dich ins Krankenhaus, oder soll ich dir einen Krankenwagen rufen? Was ist dir lieber?" Ich schüttele energisch den Kopf, was sofort mit einem stechenden Schmerz bestraft wird. "Hilf mir einfach ins Bett, Em. Ich kann nicht aufstehen", flüstere ich kaum hörbar.
Emily greift mir vorsichtig unter die Arme und hilft mir hoch. Sie stützt mich und läuft in Zeitlupe mit mir ins Schlafzimmer. Sie schläft die Decke zurück und hilft mir, mich hinzulegen. Dann deckt sie mich zu und geht.
Als sie wieder kommt, hat sie mehrere Eisbeutel, eine Schmerztablette und ein Glas Wasser in den Händen. Sie steckt mir ungefragt die Tablette in den Mund und kippt vorsichtig etwas Wasser nach. Vorsichtig verteilt sie die Eisbeutel auf mir, zwei in meinem Gesicht, einen auf meinen Rippen.
Sie legt sich neben mich, streichelt liebevoll über meine Stirn und schweigt. Mir ist schrecklich kalt wegen all der Kühlkissen, trotzdem schlafe ich kurz darauf ein.
Als ich wieder wach werde, liegt Emily immer noch neben mir und schaut fast tonlos fernsehen. Auch wenn jeder Zentimeter meines Körper schmerzt, sind immerhin die dröhnenden Kopfschmerzen erträglicher.
Ich versuche mich aufzurichten, werde von Emily jedoch sanft zurück in die Kissen gedrückt.
"Bleib liegen, Ari. Sag mir, was du brauchst und ich hole es dir. Du musst dich ausruhen. Du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung", erklärt sie fürsorglich und schenkt mir einen mitleidigen Blick.
Ich nicke vorsichtig.
"Bitte sag mir, was passiert ist."
Ich weiche ihrem Blick aus und starre ziellos in die Ferne. "Colin. Er hat mich zusammengeschlagen. Er kam hierhin und hat wegen meines Pullis geschlussfolgert, dass ich bei Phil geschlafen habe. Er war sauer, ich habe dagegen gehalten und ihn auf seine Frau und sein Kind angesprochen. Daraufhin ist er ausgerastet und hat mich zusammengeschlagen."
Schockiert schüttelt Emily den Kopf. "Du musst ihn anzeigen, Ari", bittet meine beste Freundin verzweifelt und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
"Das geht nicht. Colin hat mir gedroht, und ich habe wirklich Angst vor ihm. Emily, ich flehe dich an. Kein Wort zu niemandem, nicht zu Alex und schon gar nicht zu Phil, versprochen?"
Ihre Augen flackern, als sie mit sich hadert.
"Versprochen", antwortet sie schließlich leise.
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