- siebenundsechzig -

Vor mir steht Vivian in ihrer knallblauen, knappen Cheerleader-Uniform, bestehend aus einem viel zu kurzen Röckchen und einem blauen Bustier, auf dem das Logo der Giants prangt. Ihre Haare sind zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und mit einer gigantischen, farblich passenden Schleife versehen. In ihren Händen hält sie ihre blau-weißen Pompoms und strahlt Phils Eltern affektiert an.

Richard gibt ihr höflich die Hand, während Olivia sie gleich umarmt. Ich beiße mir auf die Zungenspitze.

"Ich wusste gar nicht, dass ihr heute auch hier seid. Wollt ihr Phil endlich mal wieder spielen sehen?", fragt sie mit ihrer hellen Stimme, die mir in den Ohren weh tut.

"Ja, wir waren gerade dabei", antwortet Phils Vater trocken und wendet sich wieder dem Spielfeld zu.

"Trittst du heute auch auf?", fragt Olivia Vivian hingegen interessiert. "Ja, wir tanzen nach jedem Quarter", erklärt sie freudestrahlend und sichtlich stolz.

"Aber die wahren Stars sind natürlich die Jungs, allen voran Phil", schwärmt sie.

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte. Ihr unaufhörliches, bereits Jahre andauerndes Rumgebagger an Phil ist mir seit jeher ein Dorn im Auge.

Vivian dreht sich nun für den Bruchteil einer Sekunde zu mir und schenkt mir ein scheinheiliges Lächeln. Ich bemühe mich nicht mal, meinen Missmut zu verbergen sondern blitze sie böse an.

Was zur Hölle hat diese arrogante Zicke mit Phils Eltern zu tun? Woher kennt sie die beiden? War sie etwa auch schon bei Phil zuhause und wurde ihnen vorgestellt?

Während Vivian Olivia gerade angeregt über ihr liebstes Gesprächsthema erzählt - sich selbst und ihre herausragenden Leistungen - betrachte ich die zwei stillschweigend.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass die beiden nicht so aussehen, als würden sie zusammen gehören.

Vivian ist aus einem guten Elternhaus und somit quasi mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Man sieht ihr zehn Kilometer gegen den Wind an, dass sie zu den oberen Zehntausend gehört.

Ganz im Gegenteil zu mir. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe: gegen Vivian wirke ich wie ein Bauertrampel. Ein bisschen zu arm, ein bisschen zu ungebildet, ein bisschen zu unbeholfen. Nicht kurvig genug, nicht geschminkt genug, nicht blond genug.

Vivian und Phil sehen nebeneinander aus wie Prom King und Queen. Reich, beliebt, wunderschön.

Der Anblick von den Eltern meines Freundes neben der "perfekten Schwiegertochter", die fast auf ihrer eigenen Schleimspur auszurutschen droht, versetzt mir einen schmerzhaften Stich.

Kurz entschlossen springe ich auf. "Ich bin gleich wieder da", teile ich den anderen mit. "Bevor ich kotzen muss", nuschele ich leise hinterher.

Schnurstracks laufe ich zu der kleinen Raucherlounge. Ich lasse mich auf einen der Stühle sinken, zünde mir eine Zigarette an und genieße, wie der Qualm meine Lunge füllt.

Als ich meine Zigarette gerade in einem der silbernen Aschenbecher ausgedrückt habe, humpelt Aiden auf seinen zwei Krücken herein.

"Sie nervt, oder?", fragt er und grinst mich schief an. "Und wie", stöhne ich leidend. "Ich hasse dieses arrogante Miststück."

Aiden lässt sich auf einen der Stühle neben mich fallen und zündet sich eine Zigarette an. Er bietet mir auch eine an und obwohl ich meine erst vor wenigen Sekunden ausgedrückt habe, nehme ich dankend an.

"Wieso hasst du sie eigentlich so?", fragt Aiden ruhig.

"Sie hat damals mit John gebumst, als ich noch mit ihm zusammen war", erzähle ich und Aiden fallen beinah die Augen aus dem Kopf.

"Du verarschst mich?", fragt er entsetzt. "Leider nicht. Und seit Monaten versucht sie dasselbe bei Phil", teile ich ihm meine Bedenken mit.

"Was für ein Idiot John ist. Wie kann er dich mit Vivian betrügen? Andersherum könnte ich es ja noch verstehen", sagt er kopfschüttelnd und lacht. Seine Stimme klingt abwertend und seine blauen Augen fixieren mich.

Ich boxe ihm gegen die Schulter, aber kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Aiden legt sanft seine raue Hand auf meine Schulter. "Phil wird nicht so dumm sein, glaub mir. Selbst als du ihm keinen Funken Aufmerksamkeit geschenkt hast, hatte er nur Augen für dich", sagt er sanft.

Seine Worte beruhigen mich. Ich nehme seine Hand zwischen meine, drücke sie einmal fest und sage ehrlich: "Danke Aiden. Ich habe einfach nur Angst. John hätte ich das auch nie zugetraut, er war meine erste große Liebe, weißt du."

Ich spüre, dass meine Augen wieder feucht werden und ein dicker Kloß sich in meinem Hals breit macht.

Aiden zieht mich an sich und umarmt mich fest. "Mach dir keine Sorge, Ari. Und wenn Phil doch so dumm ist, dann kommst du zu mir. Ich würde dich nie betrügen", fügt er grinsend hinzu und zwinkert frech.

Ich löse mich von ihm und kneife ihm in die Wange. "Träum weiter, Aiden", sage ich lachend und strecke ihm die Zunge raus.

Ich stehe auf und will zurück gehen, als ich Vivian sehe, die vor der Glasfront steht, welche Flur und Raucherbereich voneinander trennt, und ihr Smartphone auf uns gerichtet hält.

"Das ist jetzt nicht ihr verdammter Ernst", stoße ich wütend hervor und drehe mich hastig zu Aiden, der irritiert zur Tür starrt.

Ich ahne Böses. Wenn Phil diese Bilder sieht, wird's richtig knallen. Vor allem nachdem ich ihn gerade erst wegen Elijah belogen habe. Er hat mich noch gewarnt, dass ich ihn nie mehr belügen oder hintergehen soll. Verdammt, das gibt richtig Theater.

Ich drehe mich wutentbrannt zurück, doch Vivian ist nicht mehr da. Ich rase zur Tür und reiße sie auf, starre auf den Gang, doch Vivian ist wie vom Erdboden verschluckt.

"Verdammte Scheiße!", schreie ich und stoße die Tür mit einem heftigen Ruck wieder zu, sodass sie knallend ins Schloss fällt.

"Das kann doch nicht wahr sein! Dieses kleine Flittchen! Sie wird diese Bilder hundertprozentig Phil schicken. Sie würde alles tun, um mich schlecht darzustellen, damit sie Phil für sich hat. Gott, ich hasse sie!", fluche ich lautstark und raufe mir die Haare.

Mein Atem wird schneller und mein Hals schnürt sich zu. Mein Mund wird trocken, meine Hände feucht und mein Herz beginnt zu rasen. Ich merke wie sich langsam die Panik in mir ausbreitet. Fuck, nicht schon wieder.

Aiden steht auf und humpelt zu mir. Er fasst mich fest an den Schultern und schüttelt mich einmal kräftig.

Erschrocken starre ich ihn an. Aiden sieht mir tief die Augen.

"Ari, komm mal zu dir!", fährt er mich an. "Ich weiß wirklich nicht, was du erlebt hast, oder was du dir gerade ausmalst, aber du übertreibst völlig. Selbst wenn Vivian Fotos gemacht hat und die Phil zuspielt, na und? Wir haben nichts verbotenes getan. Wir haben uns lediglich unterhalten und umarmt", weist Aiden mich zurecht.

"Nein, du verstehst das nicht. Das wird auf den Bildern ganz anders aussehen. Phil wird das falsch verstehen, weil wir mal was miteinander hatten, und dann..", gebe ich hysterisch von mir, doch Aiden unterbricht mich, indem er mich erneut schüttelt, diesmal deutlich gröber.

"Ariana", ruft er. "Dann erklären wir es ihm. Was ist denn los mit dir? Wir reden mit Phil und gut ist. Jetzt steiger dich mal nicht so da rein."

Ich zwinge mich, meinen Atem zu regulieren. Ich balle meine Hände zu Fäusten und kralle meine langen Nägel in die Handinnenflächen. Ich schließe meine Augen und kaue nervös auf meiner Unterlippe herum, während ich immer gleichmäßiger durch die Nase ein- und ausatme.

Als ich mich einigermaßen wieder gefangen habe, öffne ich vorsichtig die Augen und sehe Aiden entschuldigend an, der die ganze Zeit beruhigend meinen Rücken gestreichelt hat.

"Wir haben uns gestritten. Ich habe auf einmal ständig Panikattacken bekommen und es ihm verheimlicht. Ich habe mich mit Elijah getroffen und habe mit ihm gekifft. Vor einigen Wochen haben wir gekokst und ich habe einen Kreislaufzusammenbruch bekommen. Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, war Phil da. Ich habe ihm versprochen, ihn nie mehr anzulügen. Dann stand Elijah vor meiner Tür und wollte mit mir reden und ich hab es Phil wieder bis zur letzten Sekunde verheimlicht. Er wird mir nicht glauben, Aiden, verstehst du? Nach all dem  was war, wird er mir nicht mehr glauben", schluchze ich aufgebracht. All die Worte sprudeln einfach aus mir heraus.

Aiden starrt mich schockiert an. Scheinbar hat er das alles gar nicht mitbekommen. Langsam hebt er mein Kinn mit seinem Zeigefinger an und sieht mir tief in die Augen. "Ariana, dann wird er mir glauben, okay? Wir reden gleich direkt nach dem Spiel mit ihm, kommen Vivian zuvor und nehmen ihr den Wind aus den Segeln."

Ich nicke zögerlich. Aiden zieht ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reicht es mir.

"Nun wisch dir deine Tränen weg, setz ein strahlendstes Lächeln auf und lass uns zurück in die Lounge gehen, bevor wirklich noch jemand was falsches denkt."

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