- sechsundfünfzig -
Meine Wohnung wieder zu betreten fühlt sich komisch an. Ich verharre kurz an der Tür zum Wohnzimmer und sehe mich um. Es ist ordentlich und sauber, in der Luft der stechende Geruch von Putzmitteln. Irgendjemand - vermutlich Finn oder Emily - muss hier aufgeräumt und geputzt haben. In jedem Fall schulde ich beiden noch ein dickes Dankeschön.
Phil berührt mich sanft an der Schulter, um mich aus meiner Starre zu lösen. "Komm, wir holen deine Sachen und dann machen wir die Biege." Ich nicke und laufe mit schnellen Schritten ins Schlafzimmer. Ich nehme meine Sporttasche und packe wahllos Kleidung ein. Unterwäsche, Socken, ein paar T-Shirts, dann schaue ich ratlos zu Phil.
"Was ist los?", fragt er, als er meinen Blick bemerkt. "Ich passe in nichts mehr rein", antworte ich zerknirscht. "Nimm ein paar Leggings mit, ich päppel dich wieder auf." "Das hört sich an, als sei ich ein kleines verletztes Vogelbaby", grinse ich. "Fühlt sich auch so an", stimmt Phil mir zu, auf seinen Lippen bildet sich ein Lächeln.
Ich schnappe mir ein paar Leggings, einige Pullover und die kleinste Jeanshose, die ich finden kann. Zusätzlich stecke ich meine Hausschuhe in die Tasche und hole aus dem Bad meine Hygieneartikel und ein bisschen Schminke.
Fünf Minuten später habe ich alles zusammen und fahre mit Phil zu seinem Elternhaus.
Als sein grauer Sportwagen den gepflasterten Vorhof passiert, fällt mir plötzlich etwas ein. "Phil?" "Ja?" "Was ist mit deinen Eltern? Du musst denen doch Bescheid geben, dass ich bei dir bleibe, vielleicht sogar länger." "Habe ich schon", antwortet er gelassen.
Mir fällt beinahe die Kinnlade herunter. "Wann?" "Als ich im Krankenhausflur auf deine Papiere gewartet habe, habe ich meine Mum angerufen."
Er parkt seinen Wagen unweit der imposanten Eingangstür auf der Einfahrt. Er zieht die Handbremse an, zieht den Schlüssel raus und dreht sich zu mir. "
"Meine Mum meinte, das wäre kein Problem. Aber das war sowieso nur aus Respekt gefragt. Schließlich ist das schon mein eigenes Appartement, und ich kann machen, was ich will," erklärt er mir grinsend. "Okay, dann ist ja alles in Ordnung," antworte ich und erwidere sein Grinsen.
"Die Sache hat nur einen Haken", eröffnet er mir, während er die Flügeltür seines Wagens aufschiebt. "Welchen?" "Meine Mutter besteht darauf, dass wir zumindest einmal am Tag gemeinsam essen, meistens Abends, und wenn ich nichts anderes geplant habe, tue ich ihr den Gefallen, so lange ich noch zuhause wohne."
"Und wo ist der Haken?", frage ich verständnislos, doch während ich die Worte ausspreche, fällt es mir selbst auf.
"Sie würde sich freuen, wenn du auch mit uns isst, zumindest wenn es dir besser geht."
Ich schüttele ungläubig den Kopf. "Und in diesem Wissen stehst du vor einer Viertelstunde in meinem Schlafzimmer und rätst mir: "Ach, Ari, nimm einfach nur Leggings mit?" Na schönen Dank auch!" Ich steige aus seinem Bugatti und schlage die Tür hinter mir zu.
"Entspann dich, das ist nicht das weiße Haus." Phil schnappt sich meine große Tasche und wirft sie sich lässig über die Schulter. Dann legt er einen Arm um mich und flüstert mir ins Ohr: "Meine Mum ist super neugierig. Ich habe noch nie ein Mädchen mit nachhause gebracht. Würde mich nicht wundern, wenn sie nur darauf wartet, dass wir kommen." Ich muss grinsen. Das ist schon echt ziemlich niedlich.
Er steckt den Schlüssel ins Schloss und wispert amüsiert: "Na dann mal rein in die Höhle der Löwen."
Phils Prophezeiung erfüllt sich. Kaum, dass er die schwere Eingangstür aufgedrückt hat, tritt Phils Mutter in den Flur. Ich habe sie zwar schon das ein oder andere Mal gesehen, aber außer 'Hallo' und 'Tschüss' noch nie wirklich mit ihr geredet.
Sie ist Ende vierzig und eine durchweg elegante Erscheinung. Jede ihrer Bewegungen ist geschmeidig und ihre Ausstrahlungi ist einnehmend. Sie hat blondes, sorgfältig hochgestecktes Haar und anders als Phil strahlend blaue Augen. Sie trägt einen teuren, grauen Kaschmirpullover, unter dem eine weiße Bluse herausschaut und eine feine, helle Stoffhose.
"Da seid ihr ja", lächelt sie und kommt auf uns zu. "Hey Mum", grüßt Phil sie und wirft ihr einen tadelnden Blick zu, während er ihr einen Kuss auf die Wange drückt.
ch reiche ihr höflich die Hand und sage eingeschüchtert von ihrer autoritären Erscheinung: "Hallo Misses West, ich bin Ariana."
Sie schüttelt kurz meine Hand und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. "Das weiß ich doch, Liebes. Deinen Namen habe ich mir in weiser Voraussicht gemerkt." Dabei betont sie besonders das "deinen" und zwinkert mir zu.
"Mum", fährt Phil sie an, doch sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Kommt doch ins Wohnzimmer, ich habe gerade Kaffee gekocht", lädt sie uns ein. "Ganz zufällig", spottet Phil. "Wir können auch direkt hochgehen, Ari. Du weißt doch, Mum, sie muss sich noch schonen", erinnert er sie.
"Sie kann auch einen Tee haben", entgegnet seine Mutter und schiebt mich liebevoll, aber bestimmt an meiner Schulter in Richtung Wohnzimmer.
Das Wohnzimmer der Villa West ist so groß wie meine gesamte Wohnung. Der Boden ist aus hellem Marmor und die hohen, reinweißen Decken sind mit opulentem Stuck verziert. "Setz dich", sagt Phils Mutter und deutet auf eine große Sitzgruppe aus teurem Brokat.
Ich bedanke mich und nehme auf einem der Sofas Platz. Phil lässt sich neben mich fallen. "Also, Tee?", fragt Phils Mutter lächelnd. "Gerne, Misses West", antworte ich höflich. "Bitte nenn mich Olivia", entgegnet sie bestimmt. "Was für einen Tee möchtest du, Liebes?" "Haben Sie.. Hast du Kamillentee?", frage ich vorsichtig. "Natürlich", antwortet die blonde Frau.
Phil verdreht neben mir die Augen. "Du mit deinem ekligen Blümchentee." Phils Mutter verkneift sich ein Grinsen und ruft laut: "Gabriella, kommen Sie bitte?" "Ja Misses West, ich komme", ertönt umgehend eine glockenhelle Frauenstimme und das junge Dienstmädchen mit den dunklen Haaren kommt herbeigeeilt.
Olivia bittet sie, Tee und Kaffee für uns zu servieren, bevor sie sich auf das gegenüberliegende Sofa setzt und mich zufrieden mustert.
"Entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug", beginne ich, doch sie unterbricht mich sofort. "Nein, nein, Ariana, wenn ich krank bin, sehe ich auch nicht besser aus. Außerdem sollst du mich duzen!"
Ich werfe Phil einen hilflosen Blick zu. Ich habe völlig vergessen, ihn zu fragen, was er seiner Mutter als Grund genannt hat, warum ich vorübergehend bei ihm einziehe. Hoffentlich nicht die Wahrheit, dass ich wegen Alkohol und Drogen in meiner Wohnung kollabiert bin. Das wäre mir vor einer gestandenen, vornehmen Frau wie seiner Mutter doch reichlich unangenehm.
Phil scheint mich auch ohne Worte zu verstehen, denn er reagiert prompt. "Genau, Ari, nach so einem heftigen Sturz würde ich noch schlimmer aussehen." Ich schenke ihm ein dankbares Lächeln.
"Hallo miteinander", schallt eine tiefe Männerstimme aus dem Flur, dann kommt Phils Dad ins Wohnzimmer. Er hat die gleichen dunkelblonden Haare wie Phil, nur sind seine bereits mit einigen grauen Strähnen durchzogen. Er ist in etwa so groß wie Phil, ebenfalls von stattlicher Figur und er trägt einen hochwertigen, schwarzen Anzug. Phil ist sein Ebenbild und ich kann mir gut vorstellen, dass er in zwanzig Jahren genauso aussieht, wie sein Vater. Bisher habe ich den erfolgreichen und viel beschäftigten Immobilienmakler nur auf Fotos gesehen, das er seines Berufes wegen häufig verreist.
"Richard, was machst du denn schon hier?", fragt Olivia, die von seinem plötzlichen Erscheinen auch überrascht ist. "Mein Termin war früher beendet, als geplant, deshalb habe ich meinen Flug umgebucht. So können wir abends zusammen essen gehen, ich habe schon einen Tisch reserviert", klärt er sie auf und küsst zärtlich ihre Wange.
"Das ist schön, gerne. Wir haben Besuch", informiert sie ihn überflüssigerweise und wirft ihm einen vielsagenden Blick zu. "Ist das etwa unser Sohn?", fragt er gespielt überrascht. "Ach Richard!", entgegnet sie lachend und schlägt ihm leicht auf den Oberarm.
Ich stehe auf und gehe einen Schritt auf ihn zu. Ich reiche ihm wohlerzogen die Hand und stelle mich vor: "Guten Tag, Mister West, ich bin Ariana."
Er erwidert meinen Händedruck kräftig und hält dann inne, so als hätte er jetzt erst verstanden, was ich gesagt habe. Seine Augen weiten sich leicht, Überraschung flackert in ihnen auf. "Du bist Ariana?"
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