- fünfzehn -

"Verpiss dich!", knurrt der Angreifer wütend. Ich erkenne seine Stimme sofort, doch als er aus dem Schatten in den Lichtkegel der Straßenlaterne tritt, sehe ich auch Phils Gesicht. "Wenn du sie noch einmal anfasst, tue ich dir richtig weh!"

"Du hast ihn gehört! Hau ab, du Bastard, und lass dich nie wieder blicken!", ertönt Alex' Stimme hinter ihm.

Colin flucht irgendwas unverständliches und verschwindet in den Schutz der Dunkelheit.

Ich hebe langsam meinen Kopf und schaue direkt in Phils besorgtes Gesicht. Tränen rollen über meine Wangen.

Ich sitze da, wo ich mich innerlich befinde – am Boden, völlig zerstört.

Phil geht vor mir in die Knie und nimmt mein Gesicht sanft zwischen seine warmen Hände.

"Ariana, wer war dieses Arschloch? Wieso hat er dir das angetan?" In seiner Stimme liegt tiefe Verzweiflung.

Ich schüttele stumm den Kopf. Ich habe einfach keine Kraft dafür, ihm das alles zu erklären. Nicht jetzt.

Anstatt mich zu bedrängen, nickt er verständnisvoll. Er legt eine Hand in meine Kniekehlen, die andere in meinen Nacken und hebt mich mühelos hoch. Er trägt mich zu seinem Auto, mit einer Leichtigkeit, die verrät, dass seine üblichen Hanteln auch nicht leichter sind.

Behutsam setzt er mich auf den Beifahrersitz seines Bugattis und wirft schwungvoll die Tür hinter mir zu.

Trotz der geschlossenen Autotür, die uns wie eine Schallschutzmauer trennt, dringt Phils leise Stimme zu mir durch, als er sich von Alex verabschiedet. "Ich nehme Ari mit zu mir, ich will sie jetzt nicht alleine lassen. Sag Emily bitte Bescheid, dass Ari in Sicherheit ist und sie sich keine Sorgen um sie machen muss. Und klär das endlich mit ihr, Bro. Sag ihr, was du für sie fühlst. Mach nicht den selben Fehler wie ich, du siehst ja, wo das endet."

Die beiden umarmen sich freundschaftlich zum Abschied, bevor Phil in sein Auto steigt.

Mach nicht den selben Fehler wie ich, du siehst ja wo das endet.

Ich lasse mir die Worte erneut durch den Kopf gehen. Was meint Phil nur damit? Ich verwerfe den Gedanken schnell wieder. Ich bin so durch für heute, es macht keinen Sinn, mir heute noch über irgendwas den Kopf zu zerbrechen - ich werde eh zu keiner Lösung kommen.

Phil lenkt seinen Wagen souverän durch die dunkle Nacht. Das laute Brummen seines Motor verschwimmt schon bald zu einem unregelmäßigen Nebengeräusch, das ich irgendwann vollends ausblende.

"Wo fährst du hin? Hast du vergessen, wo ich wohne?", frage ich nach einer Weile des Schweigens scheinheilig. Phil soll nicht wissen, dass ich ihn belauschen konnte.

Auf sein Gesicht schleicht sich ein sanftes Lächeln. "Nein, ich weiß genau wo du wohnst, aber ich fahre zu mir."

"Wieso?"

"Weil ich nicht will, dass du jetzt alleine bist."

...

"Setz dich schon ins Wohnzimmer, ich komme sofort", ruft Phil mir im Flur seines Appartements zu. Ich streife mir die Schuhe von den Füßen, lasse sie achtlos auf dem Boden stehen und lasse mich erschöpft auf die große, graue Wohnlandschaft fallen. Ich schließe die Augen und lehne meinen schweren Kopf gegen die kühle Wand.

Was für eine Nacht.

Einige Minuten vergehen, bis ich Phils dumpfe Schritte auf dem Fliesenboden höre. Ich öffne die Augen und betrachte ihn kurz. Er sieht abgekämpft aus, auch ihm hat das alles zugesetzt.

"Komm mal mit", fordert er. Als ich aufstehe, schiebt er mich sanft zu seinem luxuriösen Badezimmer.

Das Bad ist modern gestaltet, mit polierten Marmorfliesen an den Wänden und einem breiten Waschbecken aus weißem Stein, das von eleganten Chromarmaturen ergänzt wird. Der Badewannenrand wird von Kerzen erhellt, deren flackerndes Licht eine warme, beruhigende Atmosphäre schafft. Phil hat Badewasser eingelassen, und es ist mit üppigem Schaum bedeckt, der den ganzen Raum mit Lavendelduft erfüllt. Auf einer Kommode liegen ein großes, weiches Handtuch und ein graues T-Shirt von Phil, sorgfältig bereitgelegt.

"Nimm in Ruhe ein Bad und entspann dich. Dort liegen ein Handtuch und ein frisches Shirt von mir, das du zum Schlafen anziehen kannst. Du kannst dir aber auch was anderes aus meinem Schrank nehmen, wenn du magst."

Gerührt blicke ich auf die liebevoll arrangierte Szenerie vor mir und spüre, wie eine warme Welle mein Herz erfasst. Das ist einfach nur zuckersüß von ihm. Einen Moment lang brauche ich, um meine Gefühle zu ordnen.

"Ich lasse dich alleine", sagt Phil leise und wendet sich zum Gehen. Doch bevor er den Raum verlässt, halte ich ihn zurück.

"Phil?" Er dreht sich zu mir um. "Danke." "Nicht dafür", lächelt er und lässt mich alleine.

Ich ziehe mich aus und lege mich in das heiße Wasser. Mein Körper entspannt sich und irgendwann kommt auch mein Geist zur Ruhe. Ich genieße das wohltuende Gefühl lange, bevor ich das Wasser wieder ablaufen lasse und mich abtrockne.

Danach hülle ich mich in Phils T-Shirt, welches himmlisch nach Weichspüler und seinem Parfum riecht und tapse dann auf nackten Füßen ins Wohnzimmer. Als Phil mich bemerkt, hebt er den Kopf von seinem Handy und klopft neben sich auf die Couch.

Ich setze mich und er deckt meine nackten Beine fürsorglich mit einer grauen Wolldecke zu. Dann reicht er mir eine Tasse dampfenden Tee. "Du hast Glück, ich hatte noch ein paar Beutel Kamillentee da", erklärt er zufrieden. Kamillentee ist mein Lieblingstee. Es schmeichelt mir, dass er sich das gemerkt hat.

"Und was trinkst du? Roibos-irgendwas?"

"Roibos-Vanille." Er nickt schmunzelnd und hält mir seine schwarze Tasse hin. "Probier doch mal, vielleicht löst der deinen komischen Blumen-Tee als Favoriten ab."

Ich nippe an seinem Tee und verziehe angeekelt mein Gesicht. "Keine Chance", beschließe ich und zeige mit meinen Fingern ein X.

Phil schmunzelt erst, doch dann wird sein Gesicht ernst. Er legt eine Hand auf meinen Oberarm und fragt mit ruhiger Stimme: "Ari, kannst du mir bitte erzählen, wer der Kerl war und was da zwischen euch läuft?"

Ich hole tief Luft und nehme all meinen Mut zusammen. "Er heißt Colin. Wir haben uns vor einigen Wochen in einer Shisha-Bar kennen gelernt. Ich.." Ich unterbreche mich und mache eine kurze Pause. Es ist mir unangenehm, ausgerechnet Phil davon zu erzählen und ich kann mir nicht mal erklären, wieso. Ermutigend streichelt er mir über den Arm.

"Ich habe ihn angebaggert und er hat mich abblitzen lassen. Er hat mir die ganze Zeit vorgehalten, dass ich eine Schlampe bin und ich wollte ich ihm unbedingt das Gegenteil beweisen. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, aber immer wenn wir uns näher kamen, hat er mich wieder von sich weggestoßen. Heute wollte er sich mit mir treffen, aber ich habe abgesagt, weil ich mit Emily verabredet war. Vorhin im Chelsea, als du zur Toilette wolltest, hat sich mir ein Typ in den Weg gestellt und mich angebaggert. Ich habe ihn abgewiesen, doch er war total hartnäckig und plötzlich stand Colin neben mir. Er dachte, dass ich mit ihm geflirtet habe, ist ausgerastet und hat mir ins Gesicht geschlagen."

Phils markanter Kiefer spannt sich an und in seinen braunen Augen flackert etwas auf, was ich nicht deuten kann.

"Ich habe angefangen zu weinen und bin weggelaufen, bis du am Ausgang meinen Namen gerufen hast. Als wir uns voneinander verabschiedet haben und ich den Club verlassen habe, ist Colin mir gefolgt. Wir haben gestritten, er hat mich beleidigt und geschubst, sodass ich hingefallen bin. Gott sei Dank bist du dann aufgetaucht und hast mich gerettet. Das ist die Kurzfassung."

Phil zieht grimmig die Augenbrauen zusammen, sein muskulöser Körper ist vor Anspannung versteift. "Ist er wirklich dein Freund?", fragt er mich, was ihm auf der Seele zu brennen scheint.

"Nein und außer ein paar Küssen ist zwischen uns auch nichts gelaufen", antworte ich wahrheitsgemäß. Er nickt verstehend.

"Wieso bist du mir eigentlich hinterher gekommen?"

"Ich habe gesehen, dass er dir hinterher gelaufen ist und ich hatte kein gutes Gefühl dabei, deshalb haben Alex, der mir zufällig über den Weg gelaufen ist, und ich entschieden, dich zu suchen."

Phil legt seine Hand auf meine und sieht mir ernst in die Augen. Seine Finger sind warm und vertraut. "Ari, du bringst dich mit deinem leichtfertigem Verhalten in Gefahr, merkst du das denn nicht? Vielleicht solltest du langsam mal einen Gang runterschalten." Seine Stimme ist angenehm tief und ruhig, ich könnte ihm stundenlang zuhören, doch der Inhalt seiner Worte schmerzt. Die Wahrheit tut meistens weh.

"Ich weiß, ich habe mich da in etwas verrannt. Anfangs war das alles 'fun and games', aber mittlerweile schlafe ich mit fremden Männern um mir durch körperliche Nähe zu holen, was mir eigentlich fehlt - Liebe. Doch dass diese Kerle mir Liebe schenken, war ein Trugschluss. Sie interessieren sich ja nicht mal wirklich für mich. Am Ende des Tages bin ich immer alleine."

Phil nimmt mein Gesicht sanft in seine Hände und streicht mit seinem Daumen zärtlich über meine Wange. "Du bist niemals alleine, Ariana, siehst du das denn nicht? Ich bin immer für dich da."

Sein markantes Gesicht ist plötzlich ganz weich und in seinen warmen braunen Augen liegt so viel Liebe, dass ich schon wieder den Drang verspüre, ihn zu küssen.

Ich beiße mir unbemerkt auf die Zunge und ermahne mich selbst. Phil ist neben Emily der Mensch, den ich am meisten brauche. Ich würde nicht darüber hinwegkommen, ihn zu verlieren. Und wenn ich ihn jetzt küssen würde, würde ich ihn verlieren, das weiß ich.

Phil weiß ganz genau, was ich so alles getrieben habe, von daher ist er wahrscheinlich der letzte Mensch auf der Welt, der eine Beziehung mit mir will.

Er löst sich aus seiner Starre, zieht mich sanft zu sich heran und lehnt sich zurück. Ich ziehe die Decke bis zu meinem Kinn und kuschele mich eng an ihn. Behutsam legt er seine Arme um mich und drückt mich liebevoll an sich, während er sein Gesicht an meine Wange schmiegt.

"Alexa, spiele Suits auf dem Fernseher im Wohnzimmer ab", befiehlt er. Der gigantische Flatscreen schaltet sich an und startet eine Folge unserer Lieblingsserie.

Mit der Zeit werden meine Augen immer schwerer. "Ich bringe dich ins Bett", flüstert Phil leise an mein Ohr, hebt mich hoch und trägt mich ins Schlafzimmer. Behutsam legt er mich in sein weiches Boxspringbett, deckt mich zu und drückt mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn.

Dann greift er nach der zweiten Bettdecke und hebt sie hoch. "Was machst du?", frage ich verschlafen. "Ich ziehe auf die Couch, damit du ungestört schlafen kannst", antwortet er wie selbstverständlich.

"Nein, bleib bei mir", fordere ich quengelnd und strecke meine Hand nach ihm aus. Phil hält inne und scheint kurz mit sich zu hadern, bevor er die Bettdecke wieder fallen lässt. Er streift seine Klamotten vom Körper und lässt sie auf den Boden fallen, bevor er sich nur mit einer Boxershorts bekleidet neben mich ins Bett legt.

Im Schutz der Nacht bin ich plötzlich mutiger als vorhin im Wohnzimmer. Ich rutsche an ihn heran und schlinge meine Arme um seinen durchtrainierten Bauch. Phil legt seinen rechten Arm um meine Schultern und streichelt sanft meinen Rücken.

Ganz kurz frage ich mich, was wir hier machen, aber ich unterdrücke den Gedanken. Ich will nichts hinterfragen, was sich so gut anfühlt.

Ich presse meinen Kopf gegen seine Brust, während er mir einen Kuss auf den Scheitel drückt.

Ich dachte wirklich, dass ich mich bei Colin geborgen gefühlt habe, aber das war ein Scheiß gegen das Gefühl, was ich gerade in Phils Armen verspüre. Colin hat mir nie die Ruhe und Sicherheit gegeben, die ich in diesem Moment bei Phil finde. Die Wärme und Vertrautheit zwischen uns überwältigt mich und lässt alles andere verblassen.

Verdammt, was soll das?

Und wieso fühlt es sich so richtig an, wenn es doch so falsch ist?

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