- fünfundfünfzig -
Während Phil im Schwesternzimmer nach meinen Papieren fragt, packe ich meine wenigen Sachen in die Reisetasche. Emily ist mit meinem Zweitschlüssel zu mir gefahren und hat mir eine Tasche mit Kleidung und Hygieneartikeln gepackt und ins Krankenhaus gebracht.
"Ari, er war wirklich fertig nach eurem Gespräch im Chelsea. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er war die ganzen letzten Tage so voller Sorge, dass er zu wenig geschlafen und zu wenig gegessen hat.
Was ich gesagt habe, als ich bei dir war, war die Wahrheit. Ich bereue, was ich damals getan habe und ich würde es gerne wieder gut machen. Aber in den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass Phil und du füreinander bestimmt seid. Er brennt für dich, auch wenn er dir das noch nie gesagt hat. Versau es nicht, Ari", sagt John plötzlich zu mir.
Ich gucke ihn mit großen Augen an. Diese Worte aus seinem Mund überraschen mich.
"Ich versuche es, okay?", verspreche ich leise. John nickt. Er nimmt mir die schwere Tasche ab und hält mir die Zimmertür auf.
Zehn Minuten später sitze ich neben Phil im Auto. Wir fahren zu meiner Wohnung, um eine Tasche zu packen. Die Stimmung ist angespannt, Phil ist reserviert und in Gedanken versunken.
Irgendwann halte ich die drückende Stille nicht mehr aus und breche sie: "Phil, ist alles okay?" Er wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. "Ja, ich muss das nur alles sacken lassen."
Sein Blick ist starr auf die Straße gerichtet, seine Hände liegen ruhig auf dem Lenkrad. Phil ist ein guter Autofahrer, er fährt ruhig und sicher und lässt sich von nichts ablenken. Neben ihm fühle ich mich sicher - nicht nur im Auto.
"Verrätst du mir, worüber du nachdenkst?", frage ich sanft und beobachte ihn genau. Seine Finger verkrampfen sich, er drückt seine Kiefer aufeinander und atmet tief durch.
"Willst du die Wahrheit wissen?", hakt er nach. "Ja." "Auch wenn es unangenehm ist?" "Ja! Keine Lügen mehr, keine Geheimnisse."
Phil lenkt seinen Wagen an den Straßenrand und zieht schwungvoll die Handbremse. Er sieht mich zerknirscht an. In meinem Magen macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Ich habe Angst davor, was kommt.
"Es hat mich verletzt zu erfahren, dass du John fast geküsst hast und dass Elijah dich angefasst hat, während ich zuhause saß und nur an dich gedacht habe. Du weißt, dass ich dir immer die Freiheit gelassen habe, mit anderen Typen zu machen, was du willst, ohne mich einzumischen – wir waren ja 'nur' Freunde. Aber ich dachte, wir wären mittlerweile mehr als nur Freunde", sagt Phil, sichtlich verunsichert.
""Natürlich sind wir mehr als nur Freunde, Phil. Auch wenn ich nicht genau weiß, was wir jetzt sind. Als alles noch in Ordnung war, haben wir gesagt, dass wir es langsam angehen und schauen, wohin das führt", antworte ich.
"Das war Scheiße, die ich da geredet hab", entgegnet er scharf und fährt sich mit der Hand durch die Haare. Fragend sehe ich ihn an. Will er mit mir Schluss machen?
"Ich bin niemand, der wahllos mit Mädchen rummacht und mal guckt, was passiert und wo das hinführen könnte. Du bedeutest mir viel, Ari und das schon lange und wenn ich mich dir öffne und mit dir intensiv Zeit verbringe, dann mache ich das mit dem Ziel, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben."
"Okay, aber das ist doch was Gutes, oder nicht?", frage ich ihn. Ich bin nun vollends verwirrt und verstehe nicht, worauf er hinaus will.
"Das ist nur gut, wenn du das gleiche willst und daran zweifel ich ein wenig. Weißt du, wenn ich sowas anfange, dann ganz oder gar nicht. Dann gibt es für mich nur dich, wir sind exklusiv. Ich treffe mich nicht mit anderen Mädchen, ich schlafe nicht mit anderen und ich lasse mich nicht fast küssen. Du hast in den letzten Monaten jeden Typen klargemacht, der dir über den Weg gelaufen ist und um ehrlich zu sein habe ich Angst, dass du nicht aus deiner Haut kannst und so weiter machen wirst - ob ich da bin oder nicht."
Phils Worte treffen mich wie eine Ohrfeige - unerwartet, hart und schmerzhaft. Ich wende meinen Blick enttäuscht von ihm ab. All die Hoffnung, die ich vorhin hatte, zerschellt in diesem Moment wie die Titanic an dem Eisberg.
"Es tut mir leid, Ari, aber das ist die Wahrheit. Wenn das mit uns beiden klappen soll, müssen wir Vertrauen aufbauen. Wir müssen viel und offen miteinander kommunizieren und ich muss mich darauf verlassen können, dass ich der Einzige für dich bin, denn was das angeht habe ich null Toleranz für Ausrutscher. Ich will nicht, dass du beim ersten Streit abhaust und dich in die Arme von dem nächsten Vollidioten flüchtest. Ich habe keinen Bock mit offenen Armen in mein Unglück zu rennen, verstehst du das?"
Phils Stimme durchschneidet die Stille und gleichzeitig mein Herz. Es tut mir weh, dass er so von mir denkt.
"Ich finde das unfair, was du gerade sagst", nehme ich all meinen Mut zusammen. "Ich habe mit zu vielen Männern geschlafen und ich hätte das lieber lassen sollen, aber ich habe niemanden damit verletzt, außer vielleicht mich selbst. Ich war ehrlich zu den Männern und habe gesagt, dass ich nur Sex will. Ich bin niemandem was schuldig. Und was Elijah und John angeht: ich bereue es, aber defacto waren wir nicht zusammen und es ist trotzdem nichts gelaufen. Wie ich mich als Single verhalte, hat doch nichts mit meiner Treue in einer Beziehung zu tun. Oder hast du doch Angst, was die Leute von dir denken, wenn du mit einer Schlampe zusammen bist?"
Phil schüttelt empört den Kopf. Er schiebt die Ärmel seines blauen Strickpullovers ein wenig nach oben und fixiert mich mit seinen braunen Augen.
"Nein, was andere Leute von mir denken, ist mir scheißegal. Ich weiß nur noch nicht, wie ich damit klarkomme zu wissen, dass der Typ mit dem ich Football spiele, der Typ den ich im Club sehe, der Typ der mein Auto repariert und noch zahlreiche andere Typen als Gemeinsamkeit haben, dass sie alle schon mal meine Freundin gefickt haben."
"Ist das dein Ernst? Das wusstest du doch wohl vorher", zische ich wütend. "Ja, aber vorher war vorher und jetzt ist alles anders. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich denken soll. Das alles war nicht nur für dich hart, okay?", raunzt er mich an.
Ich nehme seine Hand zwischen meine. Sie ist warm und weich und passt perfekt in meine.
Phil sieht müde und erschöpft aus. Seine kurzen Haaren scheinen noch zerzauster als sonst und in dem königsblauen Pullover wirkt sein Teint ziemlich blass. Seine schönen, braunen Augen glänzen nicht wie sonst, in ihnen spiegeln sich all der Schmerz, all die Enttäuschung und die Zerrissenheit wieder, von denen er redet.
"Wenn ich mich nicht kontrollieren könnte, hätte ich sowohl mit John als auch mit Elijah gevögelt. Aber obwohl ich total down war, betrunken und high, habe ich nur an dich gedacht. Ich will nur dich Phil, auch wenn ich das auf die harte Tour lernen musste. Du hast mir so sehr gefehlt, dass es jeden Tag wehgetan hat. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu beweisen wie ernst es mir ist, denn ich will nie wieder ohne dich sein müssen. Ich werde dir beweisen, dass du mir vertrauen kannst. Ich werde alles für uns tun, für unsere gemeinsame Zukunft. Ich hab mich in dich verliebt, Phil."
Der letzte Satz verlässt ganz leise meinen Mund. Nie hätte ich gedacht, dass ich das mal sagen würde. Phil wirkt genauso überrascht und fragt unsicher: "Wirklich?" Ich nicke: "Ja, Phil, wirklich."
Er löst seine Hand aus meiner und zieht mich an sich. Er streicht mir eine lockere Haarsträhne aus dem Gesicht und schiebt sie hinter mein Ohr. Er ist mir jetzt so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre.
Der Geruch von seinem minzigen Kaugummi gemischt mit seinem Parfum und dem Weichspülerduft, der von seinem Pulli ausgeht, steigt mir in die Nase.
Ich blinzele ihn schüchtern an. Wie in Zeitlupe legt er seine Finger sanft an meine Wange und dirigiert mein Gesicht noch ein kleines Stück näher zu sich. Dann überwindet er den letzten Zentimeter Distanz und legt seine weichen Lippen auf meine.
Ich fühle mich, als würde ein Feuerwerk der Gefühle in mir explodieren. Dieser Kuss ist, als würde ich nach einer langen Reise endlich nach Hause kommen – voller Sehnsucht und Erleichterung, endlich angekommen zu sein. Unsere Lippen verschmelzen, und unsere Münder bewegen sich im perfekten Einklang. Als er seinen Mund einen Spalt öffnet und seine Zunge sanft über meine Lippen streicht, kann ich nicht anders, als in den Kuss hinein zu lächeln.
Das ist der schönste Moment seit langem. Voller Liebe und Hoffnung. Jetzt kann nur alles gut werden.. Oder?
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