- einunddreißig -

Phil streichelt mir beruhigend über den Rücken. "Sollen wir nicht lieber ins Krankenhaus fahren und dich durchchecken lassen?"

Ich werfe einen flüchtigen Blick auf Colin, der wie ein Häufchen Elend zusammengekauert auf dem Bordstein hockt, sein schmerzverzerrtes Gesicht von uns abgewandt. Hätte ich ihm mal lieber vor die Füße gekotzt.

Ich suche erneut Phils sorgenvollen Blick und schüttele bestimmt den Kopf. "Mir geht's gut. Lass uns einfach nach oben gehen. Ich will diesen Wichser keine Sekunde länger sehen müssen."

Elijah will sich mit einer Umarmung von mir verabschieden, doch ich halte ihn sanft davon ab. "Ihr kommt doch noch mit hoch, Alex und du, oder nicht?", frage ich mit einem Dackelblick, sodass den beiden kräftigen Männern keine andere Wahl bleibt, als meinem Wunsch nachzukommen.

Ich krame in meiner Handtasche nach meinem Schlüsselbund und schließe die schwere Haustür auf. Meine drei Begleiter folgen mir wortlos durch das Treppenhaus zu meiner Wohnung, als fremde Stimmen heiter durch den Flur hallen. 

Es ist mein Nachbar Finn, der mit einem weiteren jungen Mann im Schlepptau die Treppen runtersteigt und grinsend an uns vorbei läuft. "Oh, läuft bei dir Ariana. Viel Spaß euch", ruft er mir eindeutig zweideutig zu und zwinkert.

Kommentarlos und die irritierten Blicke meiner Freunde ignorierend schließe ich die Wohnungstür auf, streife im Flur meine Schuhe von den Füßen und laufe direkt in die Küche.

In diesem Moment macht es sich bezahlt, dass ich meine Wohnung immer aufgeräumt und sauber halte, denn so muss ich mich bei ungeplantem Besuch weder schämen noch entschuldigen.

Phil führt Alex und Elijah wie selbstverständlich in mein Wohnzimmer und ich hole drei Bierflaschen, ein Glas Cola, vier Schnapsgläser und eine Flasche Vodka aus dem Kühlschrank. Die Jungs haben sich schon auf meiner Couch verteilt, ich setze mich zwischen Phil und Alex. Ein bisschen Nähe und Sicherheit kann ich jetzt gut gebrauchen.

Ich verteile die bereits geöffneten Bierflaschen und nehme einen großen Schluck Cola. Dann schütte ich in die vier kleinen Gläschen Vodka und verteile die Shots an die Jungs. Das vierte und letzte Glas nehme ich selbst und hebe es kurz in die Luft. "Cheers", rufe ich und kippe den Shot in einem runter. Die Jungs tun es mir gleich. Der klare Schnaps brennt in meiner Kehle, bevor er meinen Magen wärmt.

Ich koppele mein Smartphone mit den Boxen im Wohnzimmer und spiele Musik ab, um die betretene Stille zu überspielen. Elijah wirft mir einen dankbaren Blick zu und entspannt sich merklich, als sanfte HipHop-Beats den Raum erfüllen. Er kennt uns noch nicht so gut wie wir uns untereinander und kommt sich wahrscheinlich fehl am Platz vor, schließlich ist er ganz überraschend in diese Situation geraten.

Ich fülle die vier Gläser erneut mit Vodka und trinke meinen Shot ohne auf die anderen zu warten. Ich will diese Bilder aus meinem Kopf kriegen und die Panik aus meinen Knochen vertreiben, aber die flüssige Medizin hilft noch nicht.

Unruhig rutsche ich auf dem Sofa herum, bis ich aufstehe, die Tür zu meinem kleinen Balkon öffne und den silbernen Aschenbecher reinhole. Normalerweise rauche ich nicht in der Wohnung, gerade ist mir das jedoch scheißegal.

Gedankenverloren und mit leicht zitternden Fingern wühle ich in meiner kleinen Handtasche nach dem weißen Marlboropäckchen, finde es jedoch nicht. Phil stupst mich sanft an und hält mir wortlos seine offene Zigarettenschachtel hin. Dankbar nehme ich eine der Zigaretten heraus und lasse mir Feuer geben. Er zündet sich selbst auch eine Zigarette an und hält Elijah und Alex ebenfalls die Schachtel hin, woraufhin beide zugreifen.

Ich lasse mich wieder neben Phil auf die Couch fallen und inhaliere den blauen Qualm in meine Lungen. Am liebsten würde ich heulen und mich in seine Arme verkriechen, doch vor Alex und Elijah ist mir das unangenehm, weshalb ich mich mit aller Kraft zusammenreiße. 

Es ist Phil, der die Stille und das leise Musikgeplärre monton durchbricht: "Ich würde jetzt lieber was anderes rauchen. Ich komme von meinem Adrenalin und meiner Wut gar nicht mehr runter." Ein sanftes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Kein Außenstehender würde darauf kommen, dass Phil, der gerade seelenruhig auf der Couch sitzt, voller Wut und Adrenalin ist. Es sind die zarten Details, die ihn verraten, wenn man ihn gut kennt: der angespannte Kieferknochen, die Fingerknöchel, die weiß hervortreten, der leere Blick aus seinen braunen Augen.

Elijah zuckt mit den Schultern, zieht ein kleines durchsichtiges Tütchen aus seiner Hosentasche, in dem einige dunkelgrüne Grasknollen aufbewahrt sind und wirft es Phil zielsicher in den Schoß.

"Dann müssen wir aber auf dem Balkon rauchen", kommentiert er das Weed mit einem unsicheren Blick. Ich verdrehe die Augen. "Bin ich so ein Spießer für dich?", frage ich mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen in der Stimme. Als ob es einen Unterschied machen würde, ob wir meine Bude mit Nikotin oder mit THC zuqualmen.

Phil tut so, als würde er nachdenken, legt den Kopf schief und schaut in die Ferne. Entrüstet stoße ich ihm meinen Ellenbogen in die Rippen und schnalze kopfschüttelnd mit der Zunge. Phil legt seinen Daumen an meine eine, die anderen Finger an meine andere Wange und drückt meinen Mund wie einen Fischmund zusammen. "Sei nicht so, ich will dich doch nur beschützen", entgegnet er liebevoll.

Ich grinse ihn an, während mein Herz ein bisschen schneller schlägt und verliere ich mich in seinem Blick. Das warme Braun seiner Augen hüllt mich ein und es ist, als würden all meine Sorgen von mir abfallen. Phil hilft besser als Schnaps.

Wie in Zeitlupe lasse ich meinen Blick zu seinen vollen Lippen wandern. 

Ich will sie spüren. 

Ich will ihn küssen.

Ich will es so sehr.

In dem Moment weht ein kräftiger Windstoß die Balkontür zu, die mit einem lauten Knall ins Schloss kracht. Ich zucke erschrocken zusammen und wende meinen Blick von Phil ab, der mindestens genauso ertappt aussehen muss wie ich.

Getriggert davon bricht Alex in lautes Gelächter aus. "Ihr müsstet euch mal sehen! Ihr guckt wie kleine Schulkinder, die man bei 'was Verbotenem erwischt hat!" Elijah stimmt in Alex Lachen ein: "Alex hat Recht. Was ist denn los mit euch? Das hier ist nicht das Weiße Haus oder irgendein buddhistischer Tempel. Wir sind weder eure Väter noch irgendwelche Hohepriester. Küsst euch doch einfach verdammt, ihr wollt es doch beide!"

Ich schüttele unsicher den Kopf und ziehe. Alex zieht eine Augenbraue hoch und bedenkt mich mit einem strengen Blick, wie es nur ein Vater tun würde. Mahnend sagt er: "Ariana, ich bitte dich. Wir haben euch doch vorhin im Club schon knutschen sehen. Für was schämt ihr euch? Wir sind eure Freunde."

Elijah grinst und erhebt sich schwerfällig von der Couch. "Komm, Bro, lass uns in der Küche einen Joint bauen." Das lässt Alex sich nicht zweimal sagen und folgt unserem Freund.

Kaum, dass die zwei den Raum verlassen haben, zieht Phil mich an sich. Er legt seine Arme um meine Schultern und blickt mir tief in die Augen. Liebevoll presst er seine Lippen auf meine, drückt mich noch enger an sich. Ich öffne meine Lippen und gewähre Phils Zunge Einlass, die meine zärtlich liebkost.

Eine wohlige Wärme breitet sich in mir aus und ich klettere schutzsuchend auf seinen Schoß. Phil legt seine Hände an meine Taille und küsst mich weiter. Ich vergrabe meine Finger in seinen dichten, braunen Haaren. Dann löse ich meinen Mund von seinem, lege meinen Kopf an seine Schulter und inhaliere seinen vertrauten Geruch.

Alex und Elijah betreten wieder das Wohnzimmer und Elijah hält grinsend den fertig gebauten Joint in die Luft. "Na dann mach die Lunte mal an", fordert Phil ihn amüsiert auf. 

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