- dreiunddreißig -
Am nächsten Morgen spüre ich hämmernde Schmerzen in meinem Kopf, noch bevor ich meine Augen öffne. Regungslos liege ich da, die Decke bis zum Kinn gezogen, die Atmung flach und bemüht, der aufkeimenden Übelkeit in meinem Magen keinen Platz einzuräumen.
Je wacher ich werde, desto mehr Bilder des gestrigen Abends drängen in mein Bewusstsein und fügen sich vor meinem inneren Auge zu einem Film zusammen.
Bilder von gestern Abend, von der Party im Club. Ausgelassenes Tanzen und viel Alkohol. Dann Colin, seine eiskalten blauen Augen. Das Herzrasen, als ich realisiere, dass er es wirklich ist. Wie ich flüchte, hektisch und voller Angst in den Knochen. Wie ich immer schneller laufe, als ich realisiere dass Colin mir folgt und wie er mich trotzdem einholt, obwohl ich schon fast den rettenden Hauseingang erreicht habe. Meine Angst, meine blanke Panik und der Ekel, als er mich berührt hat. Und dann plötzlich Phil, Alex und Elijah, wie sie mich retten, wie in einem kitschigen Liebesfilm. Colin, wie er auf dem Boden kauert, mit blutender Nase und gesenktem Kopf und ich, wie ich neben ihn auf den Asphalt kotze. Und dann der Plottwist: Die Nacht in meiner Wohnung, noch eine Flasche Vodka und Weed.
Phil und ich. Küssend. Seine warme nackte Haut auf meiner. Sein Kopf zwischen meinen Beinen, allein die Erinnerung daran erregt mich erneut. Und dann Phils nackter, Adonisgleicher Körper, keuchend über mir.
Scheiße. Was habe ich getan?
Vorsichtig taste ich mit geschlossenen Augen das Bett ab. Es dauert nur wenige Sekunden bis meine Fingerspitzen auf warme, nackte Haut treffen. Ich halte die Luft an und blinzele gegen die Helligkeit an, nur um Phil auszumachen, der sanft neben mir schlummert.
Bemüht ihn nicht zu wecken stehe ich auf und tapse verschlafen ins Bad. Der Blick in den Spiegel zeigt eine junge Frau, die mit meiner Idealvorstellung von mir so gar nichts gemein hat: verwuschelte Haare, verschmierte Schminke vom Vorabend und mein schlanker, nackter Körper, die Arme schamhaft um meine kleinen, festen Brüste gelegt. Ich kann mir selbst kaum in die Augen sehen, so peinlich ist mir das alles.
Entschlossen wende ich mich vom Spiegel ab und steige unter die heiße Dusche. Ich muss irgendwie versuchen, die Relikte letzter Nacht von mir abzuwaschen. Einige Minuten später wickele ich mich in ein Handtuch, putze meine Zähne und schlüpfe in meine gemütliche graue Leggings und den pinken Hoodie, die ich mir bereits auf dem Wannenrand bereitgelegt habe.
Ich schlurfe ich in die Küche und schlucke eine Kopfschmerztablette mit einem Glas Wasser herunter, in der Hoffnung, dass diese meine dröhnenden Kopfschmerzen schnellstens verschwinden lässt. Kurz überlege ich, mir einen Kaffee zu machen, doch schon beim Gedanken an das heiße, braune Gold dreht sich mir der Magen um.
Außerdem will ich nicht riskieren, dass das laute Brummen der Kapselmaschine Phil aus seinen Träumen reißt.
Stattdessen kuschele ich mich im Wohnzimmer auf die Couch, wickele mich wie einen Burrito in eine riesige, graue Kuscheldecke und lehne mich gegen die Rückenlehne. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meinen Atem. Ich will einfach nur, dass diese ekelhaften Kopfschmerzen und das schlechte Gewissen endlich nachlassen.
Eine ganze Zeit später spüre ich eine Hand, die sanft mein Gesicht streichelt. Ich muss auf der Couch nochmal eingeschlafen sein. Zaghaft öffne ich die Augen und schaue direkt in Phils zerknautschtes, lächelndes Gesicht.
Ob er noch von letzter Nacht weiß?
Er war gestern nicht annähernd so betrunken wie ich, deshalb stehen die Chancen auf ein stundenlanges Blackout seinerseits eher schlecht.
Langsam richte ich mich auf. Meine Kopfschmerzen sind fast verschwunden und auch die Übelkeit hat deutlich nachgelassen. Phil lässt sich neben mich auf die Couch gleiten und fragt grinsend: "Was ist los, Vodkahontas? Hast du einen Kater?" Ich nicke und verziehe qualvoll mein Gesicht.
"Leg dich wieder hin, ich mache uns Frühstück", schlägt Phil vor. "Hast du keinen Kater?", frage ich mit einem Schmollmund. Er schüttelt den Kopf und läuft wortlos in meine offene Küche. Ich höre Geschirr klappern und Besteck klirren und schon nach kurzer Zeit liegt der Geruch von gebratenem Speck und Eiern in der Luft.
Phil stellt nach und nach mehrere Schüsseln, Teller und Tassen auf meinen kleinen Wohnzimmertisch. Sein Frühstück lässt wirklich keine Wünsche offen: Rührei, Bacon, Brötchen, Müsli, Orangensaft, frisch geschnittenes Obst, Schafskäse. Dankbar bediene ich mich und merke mit jedem Bissen, wie gut mir das warme Essen tut. Nachdem wir gemeinsam in aller Ruhe gefrühstückt haben, helfe ich Phil alles abzuräumen, auch wenn er vehement dagegen protestiert. Wir stellen die Reste in den Kühlschrank und das dreckige Geschirr in die Spülmaschine.
Ich wasche mir gerade noch die Hände, da schaut Phil auf seine teure, silberne Uhr mit prägnantem, blauem Ziffernblatt und dann unsicher zu mir. "Musst du weg?", frage ich und lege den Kopf schief. Phil nickt unsicher und rauft sich durch sein längeres Deckhaar. "Ich habe jetzt eigentlich Training, aber ich kann auch absagen, wenn du mich brauchst. Ich meine nur, weil es dir ja nicht so gut ging, heute morgen", druckst er herum.
"Auf keinen Fall", gebe ich entschieden zurück. "Mach dir um mich keine Sorgen, ich komme schon klar. Vielleicht können wir ja heute Abend noch was unternehmen?"
"Gerne", antwortet er mit einem strahlenden Lächeln. "Ich wollte mit Alex und John in eine Shishabar. Alex hat sowieso überlegt Emily mitzunehmen, also kannst du ruhig mitkommen."
Ich beobachte Phil vom Flur aus dabei, wie er aus dem Schlafzimmer seine Jeans, seine Collegejacke und seine Turnschuhe zusammensammelt und anzieht. Er kommt auf mich zu und zieht mich in eine liebevolle Umarmung. Einen Moment verharren wir so, bis er beginnt, meine meine Haare, dann meine Stirn und meine Wangen mit kleinen Küssen zu bedecken. Ich schließe die Augen, genieße seine Berührungen und inhaliere seinen Duft, bis ich mich aus meiner Starre löse, ihm kurz aber intensiv in die Augen sehe und ihn dann liebevoll auf den Mund küsse.
Als hätte er nur darauf gewartet, erwidert er meinen Kuss so leidenschaftlich, dass meine Knie weich werden.
Immer noch und immer wieder haut mich die Intensität seiner Küsse um. Jeder neue Kuss ist besser als der beste Kuss davor.
Als wir uns nach Minuten endlich voneinander lösen, schenkt er mir ein umwerfendes Lächeln und sagt mir rauer Stimme: "Leg dich noch ein bisschen hin, ich hole dich um 19.30 Uhr ab." Er drückt mir einen schnellen Kuss auf den Mund. "Und tut mir leid, dass ich jetzt schon gehen muss", nuschelt er.
"Phil, du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Du tust mehr für mich, als ich jemals verlangen könnte", antworte ich schuldbewusst. "Hör auf damit, Ariana. Ich mache das gerne, weil du mir wichtig bist, okay? Ich mag dich. Wenn irgendwas ist, ruf mich an. Bis später." Er drückt mir einen letzten schnellen Kuss auf und verschwindet durch die Wohnungstür.
Als er die Tür hinter sich geschlossen hat, fühlt sich meine eigene Wohnung plötzlich viel zu leer an. Es ist als hätte Phil all die Wärme mitgenommen und mich allein in der Kälte zurückgelassen.
Ich entschließe mich, mich wieder auf die Couch zu legen und Emily anzurufen. Als ich mein Handy entsperre sehe ich, dass Phil mir eine Nachricht geschickt hat. "Danke für die schöne Nacht. Hab keinen Filmriss, war nur zu schüchtern, was zu sagen."
Er weiß es also noch. Und er bereut es nicht. Das heißt, auch ich muss nichts bereuen. Es war wunderschön Phil so nah zu sein und ich werde jetzt genau das tun was er mir letztens im Auto geraten hat: alles auf mich zukommen lassen und nichts zerdenken. Ich bin glücklich, wenn Phil in meiner Nähe ist und will darauf nicht mehr verzichten. Es ist das erste Mal seit der Trennung von John, dass sich etwas ernsthaftes entwickelt und ich romantische Gefühle für jemanden habe.
Ich antworte ihm mit kribbelndem Bauch: "Ich danke dir! Freue mich auf heute Abend." Dann wähle ich Emilys Nummer. Es klingelt lange bis sie endlich dran geht.
"Emilyyyyy", begrüße ich meine Freundin laut. "Hey Ari", erwidert sie weniger überschwänglich. "Wie geht's dir?" Sie stöhnt laut auf. "Ich quäle mich durch diese Dreckshausarbeit und mein Kopf platzt bald. Wie geht's dir? Wie war's gestern Abend? Alex meinte, du warst mit den Jungs im Club. Ich habe heute noch gar nichts von ihm gehört.."
Ich bringe sie auf den neuesten Stand, erzähle ihr von Colin und dass die Jungs mich schon wieder gerettet haben. Auch von dem Treffen danach bei mir und von Alex' Liebeserklärung berichte ich ihr.
"Als ob.. Das hat er nicht wirklich gesagt?", fragt sie ungläubig. "Doch, ehrlich, und ich bin mir sicher, dass er das auch genauso gemeint hat!"
"Aber wieso sagt er das dir und nicht mir?", protestiert sie enttäuscht.
"Wird er noch", beruhige ich sie. Dann erzähle ich ihr von der gemeinsamen Nacht mit Phil und sie quietscht laut. "Ich wusste es!", ruft sie begeistert, "Ich hab dir doch gesagt, dass ihr perfekt füreinander seid!"
Irgendwas sagt mir jedoch, dass sie damit ganz falsch liegt..
Nach einer guten Stunde legen wir auf und verabreden uns für später, gemeinsam mit den Jungs, in der Shisha-Bar.
Ich verbringe den Tag mit faulenzen, TrashTV gucken und Essen vom Lieferdienst.
Um Punkt 19.30 Uhr klingelt es an der Tür. Ich werfe noch einen letzten zufriedenen Blick in den Spiegel, aus dem ich mir selbst in einer Leopardenjacke aus Fake Fur und mörderisch hohen Stiefeletten entgegen blicke, und laufe nach unten zu Phils grauem Sportwagen, der vor der Tür auf mich wartet.
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