- dreißig -

Mein Herz trommelt wie verrückt gegen meine Brust. Eine Sekunde verharre ich. Dann laufe ich weiter, schneller und schneller. Meine Füße fliegen fast über den Boden.

Ich habe mich bestimmt nur verhört. Vielleicht ist es einfach ein Nachbar, der mich zufällig auf der Straße entdeckt hat.

Mir ist klar, dass ich mich nur selbst belüge. Diese Stimme würde ich unter tausenden erkennen, Verwechslung ausgeschlossen. Jedes Mal lässt sie mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

Da ist die Tür. Ich sehe sie. Nur noch ein paar hundert Meter. Gleich ist es geschafft. Gleich..

In dem Moment packt mich eine Hand am Handgelenk und zieht mich zurück. Ich erstarre. Ich bewege mich nicht und halte die Luft an. Bitte nicht. Bitte. 

Tränen füllen meine Augen. Nein, ich darf jetzt nicht heulen, ich darf jetzt nicht schwach sein. Ich ziehe trotzig die Nase hoch und blinzele die Tränen weg.

Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und fahre zu ihm herum.

Ich sehe geradeswegs in Colins eisblaue Augen, die mich wütend anfunkeln. "Ariana, was soll der Scheiß? Was lässt du mich dir nachlaufen wie ein Hund?" 

Ich funkele ihn wütend an. Ich versuche, meine Stimme zu kontrollieren, so gut es geht und mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. "Ich habe dich nicht darum gebeten." Ich versuche weiterzulaufen, aber Colin reißt mich grob zurück und drückt mich unsanft gegen eine Hauswand.

Mein Herz rast so sehr, dass ich fürchte, gleich einen Herzinfarkt zu bekommen.

Colin baut sich vor mir auf und versperrt mir den Weg. "Hiergeblieben", knurrt er durch seine zusammengebissenen Zähne. Ich ziehe eine Augenbraue hoch und frage: "Was willst du von mir, Colin? Ich dachte, wir hätten alles miteinander geklärt?"

Der Mann mit den stechend blauen Augen und den markanten Gesichtszügen zieht scharf die Luft ein. Dann kommt er mir näher, sein Gesicht ist nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre und das widert mich an. Ich will ihm nicht so nah sein, nie wieder.

Langsam streicht Colin mit seinem Daumen über meine Wange. "Ariana", sagt er bedrohlich. Dann streicht er langsam über meine Lippen und flüstert: "Meine hübsche Ariana."

Ich ekele mich vor seinen Berührungen, traue mich aber auch nicht, meinen Kopf wegzudrehen. Quälend langsam berührt er immer wieder mein Gesicht und fragt dann leise: "Weißt du, was ich überhaupt nicht mag?"

Ich schüttele den Kopf. Ich erwidere seinen starren Blick, obwohl ich am liebsten wegschauen würde. Seine Augen strahlen eine solche Kälte aus, dass ich mich zusammenreißen muss, nicht zu zittern.

In dem Moment holt Colin aus und gibt mir eine schallende Ohrfeige. Ich stoße einen spitzen Schrei aus und starre ihn erschrocken an. "Ich mag es wirklich überhaupt nicht, wenn man mich anlügt und Spielchen mit mir spielt", knurrt er.

Ich atme tief ein und aus und konzentriere mich darauf, nicht zu heulen. Eine Sekunde lang schließe ich meine Augen und öffne sie wieder. Dann nehme ich all meine Kraft zusammen und stoße den kräftigen Mann von mir weg. Ich richte mich auf, mache mich groß und sehe ihm tief in die Augen.

Auch wenn ich in diesem Moment alles andere als selbstbewusst bin, will ich zumindest Selbstbewusstein und keine Angst ausstrahlen. Diesen Triumph will ich diesem Bastard nicht gönnen.

"Und ich mag es wirklich überhaupt nicht, wenn man mich schlägt! Womit habe ich dich angelogen? Du bist derjenige der mich belogen und zum Dank verprügelt hat und ich habe weder deiner Frau noch der Polizei davon erzählt, also solltest du dich lieber zurückhalten, bevor ich das nachhole!", erkläre ich, strengstens bemüht, das Zittern in meiner Stimme nicht durchdringen zu lassen.

Colins Augen weiten sich und funkeln entsetzt. Es scheint ihn wirklich zu erschrecken, dass ich ihm Widerworte gebe.

Kurz erscheint vor meinem inneren Auge die Frau von Colins Profilbild. Sie ist dünn und ein wenig älter als ich, ihre blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden und ihre blauen Augen strahlen. Ob er sie auch schlägt? Oder hat sie keinen blassen Schimmer davon, was für ein Hurensohn ihr Mann in Wirklichkeit ist?

Colins aufgebrachte Stimme holt mich aus meinen Gedanken zurück. "Dieser Phil, dein angeblich bester Freund, mit dem du gerade auf der Tanzfläche rumgemacht hast. Du bist wirklich mit Abstand die größte Schlampe, die ich je kennengelernt habe."

Dann schlägt er mir erneut ins Gesicht, diese Ohrfeige ist noch fester als die erste. Meine Wange brennt wie Feuer.

Colin schubst mich erneut gegen die Hauswand, sodass ich wieder eingekeilt bin und weder vor noch zurück kann. Drohend hebt er den Zeigefinger. "Droh mir nie wieder, du kleine Nutte! Hast du das verstanden? Ich mache dir dein Leben zur Hölle, wenn.."

In dem Moment kommt eine Hand von der Seite und packt Colin am Hals. Die Person drückt ihn mit einer solchen Kraft an die Wand, dass sein Kopf heftig gegen die Backsteine knallt.

Es dauert einen Moment, bis ich Phil in der Dunkelheit erkenne. Er hält seine rechte Hand an Colins Hals und drückt zu. Er ist ein ganzes Stück größer als Colin und deutlich kräftiger, sodass Colin nach oben schauen muss, um Phil in die Augen zu sehen.

Phil beugt seinen Kopf über ihn, sieht ihm tief in die Augen und sagt ziemlich langsam: "Hör mir ganz genau zu, ich wiederhole mich nicht gerne. Ich will dich nie wieder in Arianas Nähe sehen. Droh ihr nicht, lauer ihr nicht auf, lauf ihr nicht nach und vor allem.." Er verfestigt den Griff um Colins Hals, bevor er weiter spricht. "Vor allem fasst du sie nie wieder an, du elender Hurensohn!"

Ich habe noch nie erlebt, dass Phil laut, beleidigend oder handgreiflich wurde. Er ist einer der ruhigsten und kontrolliertesten Menschen, die ich kenne, was ich sehr an ihm schätze, doch diese andere Seite, die er gerade von sich präsentiert, gefällt mir überraschend gut.

Colins Gesicht läuft rot an. Er japst nach Luft und versucht verzweifelt, Phils Hände von seinem Hals zu lösen, was ihm nicht gelingt - sie liegen wie Schraubzwingen um seinen Hals und bewegen sich keinen Millimeter. Colin sieht ihn flehend an, in seinen Augen spiegeln sich Angst und Verzweiflung.

Auch ich kriege langsam Panik. Colin sieht nicht so aus, als würde er das noch lange durchstehen. Nicht, dass mir sein Wohlergehen am Herzen liegen würde, aber ich bin nicht scharf darauf, Phil wegen Mordes für den Rest seines Lebens im Gefängnis besuchen zu müssen.

"Es reicht", dringt Alex' energische Stimme in mein Ohr. Ihn habe ich bis jetzt noch gar nicht bemerkt. Er steht etwas seitlich von der ganzen Szenerie, neben ihm Elijah, doch sie halten sich aus der ganzen Sache raus. Phil kann sich problemlos alleine wehren, erstrecht gegen den kleineren und schmaleren Colin. Die zwei sind eher das Backup, falls die Sache zu eskalieren droht - so wie jetzt.

Phil wirft Alex einen kurzen Blick zu, nickt und löst dann seine Hände von Colins Hals. Dieser lässt sich an der rauen Steinwand runter auf den Boden gleiten und ringt hechelnd nach Luft. Sein Blick ist zu Boden gerichtet, trotzdem sieht man ihm den Schock deutlich an.

Phil kommt auf mich zu. "Alles okay, Ari?", fragt er mit besorgtem Blick. Hass flackert noch immer in seinen Augen, doch dieser gilt nicht mir, das weiß ich. Seine Finger zittern, Schweißperlen stehen auf seiner Stirn.

Ich nicke kurz, doch merke selbst, wie wenig überzeugend das ist. Nichts ist okay mir geht es hundeelend.

Dann kann ich nicht mehr an mich halten. Der Alkohol vermischt sich mit der Panik zu einem bösen Cocktail, der in meinem Magen reagiert.

Ich gehe drei Schritte vorkwärts, drehe mich würgend um und entleere meinen kompletten Mageninhalt auf die Straße.

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