The Wanderers

Ich hoffe, ihr hattet mit dem neuen Prolog Spaß. Nun aber viel Spaß mit...

ARCHETYPE 2.0

(Unglaublich kreative Namensgebung, ich weiß, ich weiß. :P)

M.

PS: Stimmen und Kommentare sind nach wie vor für Autoren was Gehirne für Zombies und Blut für Vampire ist. Von dem her bin ich für jeden Happen dankbar. φ(^ω^*)ノ

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Außenbezirke von Waagen

Ruinen von Wernigerode, Harzgebirge

03.11.2158, 15:03 Uhr, Ehemaliges Deutschland


Es war, als würden die Ruinen sie beobachten ...

Diese alten Häuser, mit ihren glaslosen Fenstern, die so sehr wirkten wie leere Augenhöhlen. Nirgends gab es Anzeichen, dass diese Relikte der Alten Welt bewohnt wurden. Ihre gähnenden Eingänge, die sich der Dunkelheit entgegenstreckten wie zahnlose Schlünde, bar jedes Anzeichens von Leben. Selbst die kalte Luft war geisterhaft still, alle Geräusche seltsam gedämpft vom allgegenwärtigen Nebel, der die schief dastehenden Häuserreihen umspielte.

Und dennoch hatten die drei Gefährten das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Es war ersichtlich in der Art, in der sie sich bewegten, mit der ihre Köpfe hin und her pendelten, sie sich immer wieder umdrehten um sicher zu stellen, dass sie niemand verfolgte. Doch da war nichts. Nur der Nebel, das Knirschen ihrer Stiefel im Schnee und das Kratzen des Schlittens, den der Größte der Gruppe, ein aschfahler Hüne mit einer riesigen Streitaxt auf dem Rücken, hinter sich herzog.

„Haben wir uns verlaufen? Wir haben uns verlaufen nicht wahr? Oh, bitte, Nora, sag mir, dass wir uns nicht verlaufen haben", jammerte der Kleinste der drei – einer dieser seltenen jugendhaften Mittvierziger, die man eher halb so alt einschätzte. Der geradezu obszön saubere Gefechts-Mantel wirkte seltsam verloren an seiner schmächtigen Gestalt und man konnte nicht umhin, an ein schlechtgewähltes Kostüm zu denken. Die mausgrauen Augen hinter der vielerorts verbogenen Drahtgestell-Brille flitzten bei jedem seiner Worte nervös hin und her, so als erwarte er jeden Moment, von etwas aus dem Nebel angefallen zu werden.

„Ruhig bleiben, Theo, sonst bekommst du wieder Schnappatmung", flüsterte Leonora und schenkte ihm ein Lächeln, dass die Herzen der meisten Männer schneller hätte schlagen lassen. „Wir haben es fast geschafft."

Sie war geradezu schmerzhaft schön, gesegnet mit der Art klassischer Schönheit, wie man sie nur von den Stars aus den Zeiten des Schwarzweißfilms kannte: groß, athletisch schlank, mit schulterlangem Haar und einem Gesicht, das jeder Künstler glücklich gewesen wäre zu verewigen.

Um Theodor zu beruhigen hob sie ihre rechte Hand, bei der es sich in Wirklichkeit um ein Wunderwerk der Alten Welt handelte. Größtenteils kybernetisch, enthielt sie einen hochleistungsfähigen Mini-Computer, vollgestopft mit nützlichen Informationen. Die Handinnenfläche wurde einen Moment später durchscheinend und gab wie bei einem kleinen Bildschirm die topographischen Daten der Region wieder.

„Siehst du", sagte sie, „noch immer auf dem richtigen Weg. Den Fluss, den wir vom Hügel aus gesehen haben, kann ich auch schon hören. Waagen ist nicht mehr weit."

Theodor blickte die länger werdenden Schatten um sich herum an, als wären sie Schulhofschläger, die es auf sein Pausengeld abgesehen hatten. Er schluckte schwer. „Das sagst du schon die ganze Zeit. Wie lange bis wir da sind?"

Leonora ließ den Bildschirm ihrer Cyberhand erlöschen. „Vielleicht noch eine halbe Stunde, wenn der Weg begehbar bleibt."

„Wir werden es doch wohl noch vor Einbruch der Nacht nach Waagen schaffen, oder? Sag mir bitte, dass wir es – SCHEISSE! – "

Die Gefährten zuckten zusammen, als Theodors Schrei von den Häuserwänden zurückgeworfen und kurz darauf vom Nebel verschluckt wurde.

„Habt ... Habt ihr das auch gehört?", flüsterte Theodor und drehte sich alarmiert in alle Richtungen, die Augen wild und weit.

„Theo...", knurrte der Hüne und drehte sich bedacht langsam um, wobei sich seine großen Hände immer wieder öffneten und schlossen, so als suchten sie etwas zum erwürgen. Sein Gesicht wirkte noch grimmiger als sonst, was auch die Anfänge eines dunklen Bartes nicht zu kaschieren vermochten. Es war lang, breit und kantig, ja fast schon brutal und gezeichnet von Narben, die uneben verheilt waren. Er funkelte den kleineren Mann aus zwei unterschiedlichen Augen an: eines war grünbraun, dass andere von einem so tiefen Bernstein, dass es fast wie Gold wirkte.

„Er kann nichts dafür, Anskar", begann Leonora und trat näher an Theodor heran, so als wollte sie ihn in Schutz nehmen.

„Wofür kann ich nichts?", fragte Theodor, der sich weiter nervös umblickte. „Habt ihr das nun gehört oder nicht? Mir war fast so, als hätte jemand laut geflucht und dabei das S-Wort benutzt."

Der Rotschopf hob eine einzelne Augenbraue, so als wolle sie „Siehst du" sagen.

Anskar schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus und drehte sich wieder um. „Von allen Irren mussten wir uns ausgerechnet einen aussuchen, der Tics hat", murmelte er und zog den schwer beladenen Schlitten schicksalsergeben weiter. „Ich hätte ihn damals einfach in den Fahrstuhlschacht schubsen sollen ..."

Theodor lehnte sich verschwörerisch zu Leonora und flüsterte, „Ich glaube dein großer Freund ist etwas nervös."

„Mmm hmm."

„Vielleicht ... Vielleicht solltest du ihm etwas von deinem Blut geben? Du weißt schon, um ihn zu beruhigen."

Leonora grinste ihn schief an. „Ich denke Anskar kommt schon zurecht, aber wenn du einen Tropfen möchtest ..."

Theodors Augen weiteten sich und er schnappte empört nach Luft. „Untersteh dich, elende Verführerin! Behalte deine Sukkubus-Säfte für dich!"

Die Veränderte lächelte lediglich amüsiert, ein Lächeln, dass ihr auf den Zügen gefror, als sie etwas Ungewöhnliches nicht weit die Straße hinunter sah. Es sah fast aus wie ... wie Fäden aus fein gesponnenem Silber, welche sich kreuz und quer über die Straße spannten.

Die Sinne eines Sukkubus waren weit schärfer als die eines Menschen – Geruch, Sicht, Gehör, Geschmack, ja selbst das Fühlen, waren ausgeprägter. Es dauerte daher einen Moment, bis ihr klar wurde, dass Anskar diese unglaublich feinen Fäden vermutlich nicht einmal sehen konnte. Das er nicht sehen konnte, was sich da auf Kopfhöhe quer vor ihm über die Straße spannte.

„Skar! Stopp!"

Der große Mann kam schlitternd zum stehen, sein Hals nur wenige Zentimeter von dem ersten Faden entfernt. Alarmiert, jedoch ohne die Gefahr vor sich erkannt zu haben, schoss sein rechter Arm hoch, um die mächtige Streitaxt von seinem Rücken zu ziehen – eine Bewegung, deren Pfad direkt durch den Silberfaden führte.

Und der silberne Strang sang ...

Anskar fuhr herum und für einen Herzschlag wunderte er sich, warum Leonora und Theodor mit einem Aufschrei von ihm zurückwichen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich bewusst wurde, dass er das vertraute Gewicht seiner Glasstahl-Streitaxt nicht wie erwartet in den Händen spürte. Er blickte an sich herunter – und erstarrte, als er seinen Arm sah. Ein Arm, der unterhalb des Ellenbogens in einem Stumpf endete. Hinter ihm klatschte etwas zu Boden.

Dann kam der Schmerz. Und das Blut. Und vor allem die Erkenntnis.

Anskar brüllte – und wie er brüllte – ein Schrei voll von Pein, doch mehr noch, von Zorn. Er taumelte auf seine beiden Gefährten zu, während sein Blut aus der Wunde schoss und den Schnee rot färbte.

„Skar!", rief Leonora und eilte ihm entgegen, kam jedoch schlitternd zum stehen, als die Erzeuger der tödlichen Fäden aus ihren Verstecken huschten.

Spinnen, dutzende davon. Ein kaltes Grauen knotete ihre Eingeweide zusammen. Sie hasste Arachniden. Dies waren jedoch keine Spinnen, wie sie die Gefährten jemals gesehen hatten. Die kleinsten waren groß wie Essteller und es gab Exemplare, deren scheinbar von Eis überzogene Körper so dick waren, wie die von Hunden oder gar Kälbern. Der Sukkubus schrie, als die Untiere auf sie zugeschossen kamen und taumelte einen Schritt zurück, die Knie mit einem Mal sehr weich.

Finsternis! Von allen Dingen, warum nur Spinnen?

Ihr Geist kehrte zu dem Moment zurück, als eine gewaltige Mantis-Spinne sie in den lichtlosen Tiefen des Brockenberges angefallen hatte. Nur ein kurzer Blick bestätigte ihr jedoch, dass es sich nicht um dieselbe Gattung handelte. Nein, diese Untiere sahen anders, jedoch nicht weniger abscheulich aus: weiß wie der Schnee und mit von Dornen übersäten Außenpanzern, die aussahen als beständen sie aus zusammengewachsenen Eiszapfen. Ihre seelenlosen Augen glänzten silbern und die scharfen Mundwerkzeuge klackten immer wieder zusammen, so als können sie es kaum erwarten, sich in warmes Fleisch zu senken.

„Spinnen! Oh-Gott-Oh-Gott, warum müssen es ausgerechnet Spinnen sein!", kreischte Theodor im Einklang mit Leonoras Gedanken und fingerte nach dem Tesla-Schock-Schlagstock an seiner Seite.

Leonoras Hand verschwand in ihrem Gefechtsmantel und holte mit Widerwillen eine reich verzierte silberne Automatikpistole hervor. Einst gehörte die modifizierte Luger Leopold Greifenstein: ein berüchtigter Räuberadeliger, dekadenter Sklavenhändler und unterm Strich arrogantes Arschloch von geradezu königlichen Proportionen. Der Mistkerl hatte ihnen zusammen mit seinen Männern im Ödland aufgelauert – was sich letztendlich als letztes Missgeschick in einer langen und düsteren Karriere herausstellte.

Leonora legte über Kimme und Korn auf das erste der Ungetüme an, so wie Anskar es ihr gezeigt hatte und betätigte den Abzug. Die Automatik bockte und sie verfehlte ihr schnell näherkommendes Ziel um einen guten Meter. „Finsternis!"

Sie legte erneut auf den Körper einer achtbeinigen Monstrosität an, feuerte zwei Mal – und verfehlte. „Verdammte Scheiße!"

Der Sukkubus ging auf ein Knie nieder und schoss auf ein kopfgroßes Exemplar, das sich von einem der Fäden auf Anskar katapultierte. Diesmal waren ihr Glück und Geschick hold – hauptsächlich vermutlich Glück – und das kleine Biest explodierte förmlich als das 9 mm Geschoss es durschlug. Ichor, Spinnenbeine, Panzerstücke und weißes Fleisch flogen durch die Luft.

Der Sukkubus stieß ein Siegesheulen aus, dem sie sofort vier weitere Schüsse folgen ließ, diesmal auf ein weit größeres Ungetüm, dass es ebenfalls auf Anskar abgesehen hatte. Eine Kugel wühlte lediglich den Schnee vor dem Arachniden auf, doch drei trafen ihr Ziel und schlugen fleischige Brocken aus dem Körper. Die Riesenspinne wurde von der Wucht der Einschläge auf den Rücken geworfen, wo sie liegen blieb und wie wild begann, mit ihren Beinen den Boden zu hämmern. Das frenetische Trommeln warf Pulverschneewolken in die Luft und sie feuerte erneut auf das niedergestreckte Biest, doch die Luger klickte leer.

Leonora fauchte die Pistole an und fingerte mit zitternden Fingern in ihrer Tasche nach den wenigen Ersatzpatronen, die sie noch hatte. Von allen Waffen die der Räuberadelige hätte haben können, musste es natürlich eine aufgemotzte Antiquität mit 8-Schuss Magazin anstelle etwas praktischeren und weniger pompösen sein. Sie schnaubte mental. Männer und ihre Spielzeuge, es war immer das gleiche ...

Sie blickte wieder auf und vor Schreck ließ sie die Patronen fast fallen, als Anskar plötzlich vor ihr aufragte und dann neben ihr auf die Knie ging. Sie sah an ihm vorbei und hätte um ein Haar aufgeschrien. Die ersten Bestien waren weniger als ein dutzend Schritte von ihnen entfernt und näherten sich schnell. Leonoras Herz hämmerte in ihrer Brust. Wenn es jemals einen guten Zeitpunkt für einen taktischen Rückzug gab, dann wohl diesen hier ...

Anskar knurrte unterdes und starrte seinen Blut pumpenden Arm an, so als hätte dieser ihn verraten und tatsächlich versiegte der Sprühregen fast augenblicklich. Der Mund des Sukkubus klappte auf. Das war neu. Sie schüttelte sich, warf einen Blick über die Schulter. Der Weg den sie gekommen waren war noch frei, zumindest für den Moment. „Anskar, kannst du—"

Sie brach ab und musste einen Schrei unterdrücken, als mehrere Tentakel aus der Wunde ihres Liebhabers schossen. So dunkel war deren Fleisch, so absolut schwarz, dass sie das Licht gänzlich zu absorbieren schienen. Anskar knurrte, als sich die Fangarme zu einem langen muskelstrangartigen Bündel, einer Art Pseudo-Arm formten.

Theodor kreischte und sprang mit einem „Scheiße-Scheiße-Scheiße!" zurück.

Der Vernarbte knurrte unterdes nur, erhob sich und wirbelte herum, wobei die Fleischranken seines neu geformten Armes nach der Streitaxt auf seinem Rücken griffen. Er riss sie mit einem „Friss das!" aus dem Tragegestell und brachte sie mit all seiner beträchtlichen Kraft auf die erste der Spinnen nieder.

Die Glasstahl-Waffe sang, als sie durch die Luft fuhr und das Biest einen Moment später in einen matschigen Krater verwandelte. Ichor und Spinnenbeine wirbelten durch die Luft und Anskar grinste als er dem nächsten achtbeinigen Monstrum entgegensprang. Die Axt schwang er dabei in hohem Bogen über den Kopf und das Bündel Fleischranken streckte sich wie Gummi, so dass seine Reichweite mit einem mal gute zwei Meter maß. Momente später schmetterte die Streitaxt einem gewaltigen Dreschflegel gleich auf einen riesigen Arachniden nieder. Weiße Säfte spritzten durch die Luft, als das Ungetüm der Länge nach gespalten wurde. Anskar hielt jedoch nicht inne, sondern fegte an seinem Gegner vorbei und auf den nächsten zu.

Ok, soviel zum taktischen Rückzug, dachte Leonora und kam wieder hoch.



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