Das Tor zur Verdammnis
Das Stadttor
Waagen, Harzgebirge
08.11.2158, 17:53 Uhr, Shatterlands (Ehemaliges Deutschland)
Anskars Herz sank, als sie den offenen Platz vor dem Stadttor erreichten. Er war so gut wie leer, mit lediglich ein paar Händlern, die ihre Stände zusammenbauten und dem ein oder anderen herumlungernden Reisenden. Das Tor jedoch war noch offen. Es war verdammt nochmal offen.
Shit!
Trotz der zunehmenden Dunkelheit, die ihren Mantel über das Land ausbreitete, hatte man das Fallgatter noch nicht gesenkt, die Trailer-Zugbrücke noch nicht eingefahren. Mit anderen Worten, seine Hoffnung die Nacht noch irgendwie in Waagen verbringen zu können und diesen Alptraum irgendwie zu seinen Gunsten zu wenden schwand mit jedem Schritt. Anskar knirschte mit den Zähnen, als sein Geist einmal mehr zu Leonora zurückwanderte. Bewusstlos. Hilflos. Alleine in einem der wohl schlimmsten Viertel, die Unterwaagen zu bieten hatte, einem Ort, in dem Veränderte um ihr Leben fürchten mussten. Schlimmer noch, Anskar hatte ein mehr als ungutes Gefühl in der Magengegend, als er an sie dachte. Eine nagende Unruhe, die ihn anschrie, dass etwas nicht in Ordnung war. Es machte ihn fast verrückt. Wenn er nur nicht dieses verdammte Sklavenhalsband um den Hals hätte! Beeindruckende Regenerationsfähigkeiten hin oder her – ohne seinen Kopf würde es vermutlich aus sein. Schlimmer noch, selbst wenn er seinen Schädel mit einem anderen ersetzte, würde er dann immer noch er selbst sein?
Ein Schauer überkam ihn. Vermutlich nicht.
So als hätte Cannibal seine Gedanken erraten ließ er kurz das Sklavenhalsband piepsen und ein Surren von unterhalb seines dreckigen Umhangs verriet Anskar auch, dass der Geschützarm bereit war Hackfleisch aus den Torwächtern zu machen. Es war ein Bitch-Slap damit, ganz klar war wer alle Trümpfe, Detonatoren und 4.7 mm Mini-Kanonen in der Hand hatte.
„Schon gut, schon gut", knurrte Anskar. „Kein Grund die Muskeln spielen zu lassen. Ich werde mich schon benehmen." Er warf den Wachen am Tor einen trostlosen Blick zu. „Diese Jungs sehen ohnehin nicht so aus, als könnten sie dir mit ihren Knarren mehr als den Lack versauen."
„Korrekt", antwortete Cannibal Jones in diesem seltsam summenden Tonfall, der Anskar immer mehr auf die Nerven ging. Irgendwie schaffte die Schrottfresse es mit nur einem Wort selbstzufriedener zu klingen, als andere mit ganzen Reden.
Arroganter Bastard von einem Toaster!
Anskar atmete tief ein und wieder aus, zwang sich zur Ruhe. Ein weiser Mann sagte einst, die Zeit sei das Feuer in dem wir alle verbrennen und er spürte, wie dieses Feuer an ihm nagte, ihn mit der selben Intensität wie sein Hunger aufzehrte. Er sah sich verstohlen nach Gretchen oder irgendjemandem um, der ihm vielleicht zu helfen vermochte, doch da war kein vertrautes oder gar freundliches Gesicht unter den Wachmännern. Nur mehr ein Schatten seiner selbst hätte ihn unter dem Kapuzenumhang und in den lächerlichen Zuhälterklamotten wohl ohnehin niemand erkannt. Verdammte Axt, er erkannte sich ja selbst kaum wieder. Nicht dass sich einer bei dem geballten Gestank an sie heran getraut hätte, den er und Cannibal verströmten. Gemeinsam rochen sie wie eine parfümierte Kloake.
Irgendwie schaffte Anskar es ruhig zu bleiben, als er zusammen mit Cannibal Jones den gähnenden Torbogen durchschritt und auf ein Trio Wachen auf der Brücke zusteuerte. Flutlichter brannten entlang der Wehrmauer, erhellten ein gutes Stück der Todeszone vor den Stadtmauern. Ein trostloser und desolater Anblick, weswegen die Männer sich wohl ihre Zeit damit vertrieben Schneebälle auf die Raben zu werfen, die sich auf den aufgespießten Köpfen am anderen Ufer herumtummelten. Wahrlich, eine Ehre Waagens Besten bei der Arbeit zuzusehen ...
Anskar war so frustriert, er hätte nicht mal soviel fressen können wie er kotzen wollte.
„Bäm!", rief einer der Torwächter, als ein Schneeball einen der Köpfe traf und zerbarst. Der draufsitzende Rabe schwang sich umgehend mit protestierendem Krächzen in die Lüfte und die Wachmänner grölten, lachten und klopften dem Schützen auf die Schulter.
„Echte Profis", knurrte Anskar.
Der Anblick trug ihn zurück zum dem Tag, als er mit Leonora und Theodor die Oberfläche erreicht hatte. Aus schierer Lebensfreude hatte er die zwei Wartungstechniker zu einem Schneeballmatch herausgefordert – und war prompt von den Beiden vernichtet worden. Eine harsche Niederlage, wenn man bedachte, dass es die erste Schneeballschlacht der zwei war. Er konnte nicht umher bei der Erinnerung einen kurzen Moment melancholischer Freude zu verspüren – nur um kurz darauf von der Realität seiner Situation erneut niedergeschmettert zu werden.
Verdammte Axt, reiß dich zusammen! Theodor ist tot weil du Scheiße gebaut hast und wenn dir nicht bald etwas einfällt, geschieht es Leonora vielleicht genauso.
Er schob die Erinnerung beiseite, konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Jenseits des Todesstreifens erhoben sich die Ruinen von Wernigerode wie die unförmigen Körper gewaltiger Bestien aus dem Nebel, die nur darauf warteten unvorsichtige Reisende anzufallen. Der Cyberzombie musste ganz schön von sich überzeugt sein, wenn er es wagte jetzt noch die Stadt zu verlassen. Ein Gedanke, den scheinbar einer der Torwächter teilte, als sie an ihnen vorbeischritten.
„Oi!" rief der Mann. „Sicher, dass ihr zwei noch raus wollt? Wir heben die Zugbrücke in ein paar Minuten." Er nickte den Ruinen zu. „Ihr wollt doch nicht in den Kochtöpfen der Nachtbrut landen, oder?"
Anskar runzelte überrascht die Stirn, als Cannibal Jones in einer normalen Stimme, gänzlich ohne das seltsame, elektronische Summen antwortete. „Wir kommen schon klar."
„Ganz wie ihr meint. Ist euer Begräbnis", rief ein anderer Wächter.
„So wie die stinken, traut sich eh keiner an sie ran", murmelte der Dritte.
Das Trio brach in gackerndes Gelächter aus und Anskar hätte sie erwürgen können. Er spielte kurz mit dem Gedanken herumzufahren und den Cyborg in den Burggraben zu stoßen, verwarf die Idee jedoch schnell. Der Blechmann wog vermutlich eine halbe Tonne und selbst wenn dies den Cyberzombie außer Gefecht setzen würde – er sah nicht gerade wie ein guter Schwimmer aus – war da immer noch das Problem mit dem explosiven Halsband.
„Nur nicht den Kopf verlieren", flüsterte sich Anskar zu und zwang sich zur Ruhe. „Nur nicht—"
Kaw-Kaw-Kaw.
Ein fetter Rabe keifte ihn an, als er und Cannibal von der Zugbrücke auf den hartgetretenen Schnee des Weges wechselten. Anskar schien fast so, als würde der Vogel ihn verspotten. Er gestattete sich daher ein böses Grinsen, als ein geworfener Schneeball den Leichenschänder von seinem Platz fegte.
„Bullseye!", rief einer der Torwächter zum johlen seiner Kameraden.
Federn und Pulverschnee stoben durch die Luft und der versammelte Rabenschwarm stieß ein protestierendes Krähen aus, als ihr Gefährte zu Boden ging. Der getroffene Vogel erholte sich jedoch schnell, flatterte empört mit den Flügeln und hob sich schimpfend in die Lüfte. Anskar schüttelte den Kopf. Dem Vieh war vor Schreck sogar ein Ei herausgeflutscht. Anskar blinzelte. Ein schwarzes Ei – an dem ein kleines LED-Licht hektisch blinkte.
Was zum...?
Bevor er noch wusste wie ihm geschah, fuhr Cannibal Jones herum und riss sich seinen Umhang von der Brust. Sein Geschützarm schnappte auf und richtete sich auf die Wachen am Tor, während sich zeitgleich ein sich verjüngender Metallschlauch aus seinem menschlichen Unterarm schoss – der verdammte Bastard hatte doch tatsächlich eine kybernetische Peitsche im Arm! – und nach dem blinkenden Objekt schlug.
Der Hieb fegte das eiförmige Ding von der Straße und in Richtung des Burggrabens, doch es war bereits zu spät. Es detonierte im Flug, jedoch nicht mit Feuer und Rauch, sondern in einer Schockwelle aus knisternder Energie. Einen Moment später detonierten zwei ebenfalls in Schneebällen verborgen Sprengkörper und Wellen aus prasselnder Energie rollten über Anskar und Jones. Ein Grinsen breitete sich ob der unerwarteten Hilfe auf Anskars Zügen aus – dann weiteten sich seine Augen in Horror.
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Heya.
Ein bisschen spät und heute ein bisschen kurz (ich sage nur: Weihnachtsfeier 🤕), aber dafür gibt es am nächsten Wochenende ein mehr als doppelt so langes Update.
So oder so noch einen schönen 3ten Advent.
Bis bald!
M.
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