Beauty is only skin-deep
Unter den Straßen des Freak Warren
Unterwaagen, Aschland
08.11.2158, 23:33 Uhr, Shatterlands (Ehemaliges Deutschland)
Leonoras Augen flatterten auf und sie erlebte einen Moment absoluter Desorientierung, als sie sich selbst erblickte. Es dauerte einen Moment, bis ihrem trägen Verstand dämmerte, dass sie lediglich in einen großen Spiegel schaute – einen Spiegel, der über einem riesigen, mit roter Bettwäsche bezogenen Baldachinbett hing.
Was zum...?
Sie konnte spüren, dass sie unter dem dünnen und geradezu unverschämt sanften Laken vollkommen nackt war. War das ... Seide? Man konnte jede Wölbung ihres schlanken, athletischen Körpers unter dem hauchdünnen Material sehen, welches sich so weich und warm anfühlte wie der Hauch des Sommerwindes. Die robusten Lederfesseln, die ihre Knöchel und Handgelenke umschlossen und an die vier Pfosten des Bettes banden, waren jedoch eine ganz andere Angelegenheit. Sie waren von der Art, wie man sie einst genutzt hatte um gefährliche Patienten ruhig zu stellen. Weich gepolstert, jedoch absolut unnachgiebig und mit minimalem Spielraum. Angst und Panik rangen tief in ihrer Brust darum, sich mittels eines Schreis Luft zu machen. Ihr Atem beschleunigte sich und ihr Herzschlag schien die Welt auszufüllen. Sie zwang sich nur mit Mühe zur Ruhe. Wenigstens fühlte sie sich nicht, als hätte sich jemand an ihr vergangen. Doch was nicht war, konnte immer noch werden ...
Denk nach, denk nach! Wie zur Hölle bis du hierher gekommen?
Sie hob den Kopf, konnte jedoch Dank der zugezogenen Schleiervorhänge des Bettes nur verschwommene Schemen erkennen. Ein großes Feuer flackerte in einem massiven Wandkamin und rang mit der allgemeinen Dunkelheit, die hier und da von Säulen aus Licht unterbrochen wurde. Säulen, die ein dezentes grünliches Licht verströmten. Der große Raum hatte eine gewisse Präsenz, die sie mit ihrem unterirdischen Leben in Walhalla 23 in Verbindung brachte, was hauptsächlich an der abgestandenen Luft lag. Die Luft eines Mausoleums – oder eben eines Bunkers. Ihr Kopf sank erschöpft auf das weiche Kissen zurück, als die Welt sich mit einem Mal um sie zu drehen begann. Warum zum Teufel war sie nur so verdammt groggy? Wie durch den Gedanken heraufbeschworen fielen die Erinnerungen über sie her. Alle zusammen. Alle auf einmal.
Der Hinterhalt, der Kampf mit den Aspiranten, der Mord an den Zwillingen, das widerliche Gefühl von Benedikts Zunge an ihrem Hals, der Ausdruck auf seinen Zügen, als sie ihm seinen verfluchten Schwanz ins Gesicht schleuderte. Und natürlich der befriedigende Rückstoß der Magnum, als sie abdrückte – wieder und wieder und wieder. Sie erinnerte sich, wie sie in eine tiefe Dunkelheit gefallen war und an Anskars Stimme in ihrem Kopf, voll von unterdrückten Emotionen. Sie runzelte die Stirn. Blut. Sie hatte es an ihren Lippen geschmeckt. Sein Blut. Etwas war nicht damit in Ordnung gewesen. Es war zu bitter, verseucht von ... von irgendetwas. Dennoch hatte sie getrunken, konnte nicht anders, wollte nicht anders.
Und dann ...
Leonora schluckte schwer. „Denny ..."
„Hat da jemand meinen Namen gerufen?"
Gänsehaut zog sich über ihren Körper. Dennys Stimme – ohne Zweifel. Doch wie in aller Welt...? Er war doch tot. Sie hatte ihn sterben sehen.
Oder hatte sie?
Eine schemenhafte Gestalt erhob sich geschmeidig von etwas, das wie ein altertümliches Divan aussah und schlenderte auf das Bett zu. Leonora reckte ihren Hals um besser sehen zu können, doch bevor die Figur sie erreichen konnte, drang erneut Dunkelheit auf sie ein. Sie fiel zurück ins Bett und kämpfte gegen die drohende Ohnmacht an. Langsam, schrecklich langsam, blutete Farbe in die Welt zurück.
Sie öffnete die Augen und sah ...
„Denny?"
Der grinsende Junk-Hunter saß neben ihr im Bett und grinste sie an. Er war in einen flauschigen weißen Bademantel gekleidet und so sauber – und dadurch blass – wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er wirkte wie ein frisch gebadetes Frettchen, das man in ein großes Frotteehandtuch gewickelt hatte. Unweigerlich wanderte ihr Blick zu seiner Brust. Der Bademantel verdeckte die Wunde, die Benedikt ihm zugefügt hatte, doch sie konnte hier und da Hitzeblasen auf der Haut erkennen. An einer Stelle war das Fleisch fast schwarzgebacken.
Wie hat er das nur überleben können?
Selbst unter den Veränderten fiel ihr auf Anhieb keine Gattung ein, die die Zerstörung von Herz und Wirbelsäule überleben würde. Finsternis, der Laser hatte ihm ein Loch durch die Brust gebrannt, durch das man einen Arm schieben konnte!
Denny folgte ihrem ungläubigen Blick und legte den Mantel sichtlich befangen enger um die schmale Brust. „Entschuldige die Aufmachung – ich wollte eigentlich in etwas Bequemeres schlüpfen, dachte aber, dass es dir gut tun würde ein bekanntes Gesicht zu sehen. Fühlst du dich schon besser? Ich fürchtete schon, du würdest heute Nacht gar nicht mehr aufwachen."
Leonora blinzelte ein paar Mal eulenhaft und kämpfte gegen die bleierne Schwere an, die an jedem ihrer Gedanken zu hängen schien. „Denny ... Du ... Du solltest doch tot sein. Ich hab gesehen, wie Benedikt dich ... dich erschossen hat."
Der Junk-Hunter grinste sie breit an. „Awww. Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Das ist so süß. Denny hat sich letztendlich doch als gute Wahl herausgestellt. Er hat dich ebenfalls geliebt, musst du wissen. Nicht so sehr wie ich, aber auf einer Skala von 1 bis 10 war er bestimmt auf einer 8. Hat mir die Zeit mit ihm versüßt. Ist nämlich nicht die Art Partner, mit der ich mich normalerweise einlasse. Er hat sich nach unserer Vereinigung auch Recht schnell aus dem Staub gemacht." Denny schnaubte. „Männer, nicht wahr?"
„Ich ... Ich verstehe nicht ... Was meinst du mit—"
„Oh, ich bin sicher, du hast viele Fragen", unterbrach Denny, „und ich werde sie dir auch bald beantworten, doch zuerst will ich mir mal deine Wunden ansehen."
Er zog das Seidenlaken von ihr und das Grinsen, das sich auf seine Züge stahl, gefiel ihr überhaupt nicht. Sein schmachtvoller Seufzer und der fieberhafte Glanz in seinen Augen gefielen ihr noch viel weniger. Um die Sache noch schlimmer zu machen, schien ihr eigener Körper sich gegen sie verschworen zu haben, da sich ihre Nippel mit einem Mal versteiften. Denny schien dies wohl als Einladung zu verstehen und seine schwieligen Finger strichen liebevoll über ihre Brüste. Es bedurfte all ihrer Beherrschung ruhig zu bleiben.
„Hmmm. Makellos", hauchte Denny, einen zunehmend hungrigen Ausdruck in den Augen. „Einfach makellos ..."
Leonoras Gedanken bewegten sich zwar mit der Trägheit tektonischer Platten, doch selbst in diesem Zustand dämmerte ihr allmählich, dass das da vor ihr nicht Denny war. Es sah aus wie Denny, sprach wie Denny, roch sogar wie Denny, war es jedoch nicht.
Sie schluckte schwer. „Wer ... Was bist du?"
Ihr Gegenüber lächelte sie enigmatisch an und breitete die Decke wieder über ihr aus. „Deine Wunden sind bereits verheilt. Ausgezeichnet! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, sie hätten dich verstümmelt. Du hast wahres Glück, dass du eine Veränderte bist – als Mensch wärst du nun ruiniert. So jedoch bleibst du ein Kunstwerk der Schönheit in einer Welt des Hässlichen. Oh, wir werden so glücklich miteinander sein!"
Irgendetwas an der Art, in der er sprach rief eine Erinnerung in Leonora wach. „Wer bist du?"
Denny legte den Kopf schief und grinste spitzbübisch. „Wir sind uns schon Mal begegnet. Erinnerst du dich noch? Ich mich schon – ich werde den Moment nie vergessen. Ich dachte wirklich, der Himmel hätte einen seiner Engel verloren, als du durch die Türen des Atomic geschritten bist. Ein Strahl Sonne in einer Welt der Dunkelheit. Damals trug ich jemand anderen, jemand weit attraktiveren als den guten Denny." Das Ding, das aussah wie der Junk-Hunter lehnte sich vor und hauchte in einer rauchigen, unverkennbar weiblichen Stimme. „Mein Name ist Smoke. Erinnerst du dich noch?"
Leonoras Mund wurde trocken. „Die ... die Elfe mit der Tätowierung?"
Das Denny-Ding grinste. „Genau! Oh ich wusste, dass du dich an mich erinnern würdest. Ich hab es in dieser Nacht deutlich zwischen uns knistern gespürt. Liebe auf den ersten Blick!"
„Aber ... aber wie ...?"
Denny – oder Smoke – stieß ein leises Lachen aus. „Wieso ich mich mit dem gemeinen Volk vermischt habe? Natürlich für dich, Dummerchen. Alles um dir näher zu sein. Zuerst war ich doch sehr versucht, mich doch noch mit dem lieben Theo einzulassen – dummerweise kam mir jedoch diese Zwergin von der Stadtwache zuvor."
Smoke zuckte in perfekter und schrecklich vertrauter Imitation Dennys Schulter. „Der kleine Junk-Hunter hier war so etwas wie ein Glückstreffer. Er tanzte brav am ersten Morgen nach dem Unwetter im Atomic an, ganz so, wie du ihn gebeten hattest, erinnerst du dich noch? So ein lieber kleiner und ach so verliebter Junge. Hat den ganzen Tag brav an der Bar gewartet – nur auf dich! Genauso wie ich. Ich bin extra in die Rolle einer der Bedienungen geschlüpft, musst du wissen. Alles für dich. Allerdings haben du und dieser", das Gesicht des Denny-Dings verzog sich missbilligend, „dieser hässliche vernarbte Bastard euch tagelang nicht sehen lassen. Zu beschäftigt, euch das Hirn raus zu ficken, eh?"
Die Wut und Anschuldigung in der rauchigen Frauenstimme war nicht zu überhören und Leonoras Eingeweide krampften sich zusammen.
„Dein Geschmack bezüglich Männern lässt wirklich zu wünschen übrig", sprach das Denny-Ding weiter, seufzte und lächelte kurz darauf nonchalant, „doch das gehört ja jetzt der Vergangenheit an. Wo waren wir? Ach ja, Denny. Es war gar nicht so schwer ihn zu verführen. Dein Stöhnen und Schreien, als er an eure Tür klopfen wollte, hat stark dazu beigetragen würde ich sagen. Es ist eine Sache verliebt zu sein – eine ganz andere, diese Liebe wie eine Straßenhure Stöhnen und Schreinen zu hören. Danach hatte ich leichtes Spiel. Denny war zwar nicht gerade mein Typ, doch was tut man nicht alles für die Liebe."
Smoke lachte und deutete mit einem Finger auf das gestohlene Gesicht. „Ich meine, sieh ihn dir doch nur mal an: ein hässlicher, kleiner Krüppel. Widerlich! Ich hoffe du weißt mein Opfer zu schätzen. Insbesondere da Denny sogar die Dreistigkeit besaß, nach unserer Vereinigung zu fliehen." Smoke schnaubte wieder. „Du jedoch wirst anders sein." Das Denny-Ding lehnte sich vor, Irrsinn und ein Ausdruck fieberhaften Verlangens in den Augen. „Du und ich – unsere Liebe ist für die Ewigkeit."
Leonora schluckte schwer, hatte das Bedürfnis zu schreien. Sie wusste nicht, wie sie mit all dem hier umgehen sollte. Das kranke Funkeln in den Augen und der unterschwellige Zorn, der sich immer wieder in die Stimme ihres Entführers schlich, jagten ihr gehörig Angst ein. Schreckliche Angst. Sie schaffte es gerade so, ein Zittern aus ihrer Stimme zu halten. „Du ... Du hast Denny also umgebracht nur um ... um mit mir zusammen zu sein?"
Der Mund des Körperdiebs verzog sich zu einem Schmollen. „Umgebracht ist so ein hässliches – nein, fast schon ein verletzendes Wort. Ich bin ein Romantiker, kein Mörder! Er wollte sich mit mir vereinigen – ich habe ihn sogar gefragt und er war schließlich auch mehr als willig seinen Schwanz in mich zu stecken. Nicht meine Schuld, dass er mit der neuen Situation nicht umgehen konnte als ich in ihn drang."
Das Denny-Ding schnaubte und wirkte für einen Moment aufrichtig verletzt. „Ist immer dasselbe: Man öffnet jemanden sein Herz und was hat man davon? Rumgetrampelt wird darauf! Und schwuppdiwupp ist man wieder alleine. Naja, so halb." Der Körperdieb tippte sich gegen die Stirn. „Ein Echo von ihm ist noch immer hier mit mir. Ich habe alle seine Erinnerungen. Alles, was ihn ausmachte. Nur sein Bewusstsein ist weg – oder falls dir dieser Begriff lieber ist, seine Seele." Smoke seufzte und schüttelte den Kopf. „Männer, nicht wahr?"
Leonora konnte nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken und zwang sich zu einem solidarischen Lächeln. „Wa ... Was bist du? Ein ... Veränderter?"
Das Ding legte den Kopf schief, kaute einen Moment unentschlossen auf der Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Ich bin einzigartig." Die Worte wurden ohne Stolz vorgetragen und Leonora glaubte einen Hauch echten Kummers darin zu hören. „Ich wurde an diesem Ort geschaffen um der perfekte Spion zu sein. Dazu in der Lage, jedes Ziel auszuschalten, dessen Erinnerungen zu absorbieren und seinen Platz einzunehmen. Die Weißkittel tauften mich ‚Skinwalker' – warum, kannst du dir ja denken. Ich kann jeden perfekt kopieren, bis auf seine Haut. Haut ist ... ist für mich heilig."
Der Skinwalker lächelte sie verliebt an und als sie das irre Verlangen in seinen Augen sah, musste Leonora all ihre Kontrolle aufbringen, um nicht lauthals loszuschreien. Hier war eine Kreatur, die sich nicht nur nach ihr verzehrte sondern sie buchstäblich verzehren wollte: mit Haut und Haar. Insbesondere Haut. Ohne sich dazu entschlossen zu haben oder sich zurückhalten zu können, trat Angstschweiß auf Leonoras Stirn.
Und mit dem Schweiß, kamen Pheromone ...
„Was ... Was hast du nun mit mir vor?", fragte Leonora, ihre Stimme irgendwo zwischen einem Wimmern und einer Anklage. „Sag es mir. Und sag mir, was du mit meinen Freunden gemacht hast! Wo sind Anskar und—"
Die Ohrfeige traf sie wie ein Blitz und riss ihren Kopf zur Seite. Sie schmeckte Blut – heiß und salzig – dann legte sich eine Hand auf ihre Kehle und drückte ihr die Luft ab.
„Ich hab dich gewarnt! Ich hab dich gewarnt nie wieder von diesem vernarbten Bastard zu sprechen, du Schlampe!", kreischte der Skinwalker mit einem Chorus an Stimmen, dutzende, vielleicht hunderte, die von Denny und der Elfe lauter als alle anderen. Dennys so vertrautes Gesicht war eine Maske wahnsinniger Wut. „Er ist tot! Hörst du? Sie sind alle tot! Tot! Tot! Tot! Dieses widerliche, vernarbte Monster ist verfickt nochmal tot! Wie konntest du dich nur so einem solchen Scheusal hingeben und mich verschmähen! Hure! Schlampe! Hast du denn keinen Stolz? Keine Achtung?"
Das Denny-Ding hatte zwar nur eine Hand mit vierGliedern, doch darin lag eine mörderische Kraft. Leonora, geschwächt undgefesselt wie sie war, wehrte sich so gut sie es vermochte, doch letztendlichwar es sinnlos. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust im Versuch Blut zu ihremGehirn zu befördern, ihre Augenlider flatterten, der Atem in ihren Lungen einbrennender Gefangener, der versuchte sich zu befreien. Finsternis senkte sichüber ihr Blickfeld wie schwarze Hauer und ihr letzter Gedanke, ihr letzterTrost war, dass Anskar vielleicht in der Dunkelheit auf sie wartete.
*******************************************
😨
Erst Anskar und jetzt Nora...
Hat wohl nicht nur Vorteile, wenn man gut aussieht und sexy ist.
Hoffen wir mal, dass es Theo gut geht.
M.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top