TEIL 1 - Finsteres erwachen

Hallo liebe Leber... ähm... Leser – ich meinte Leser!

Verdammt, jetzt ist mir das schon wieder passiert. (/▽\)

Bevor wir richtig loslegen, noch eine kleine aber wichtige Info. Als s̶c̶h̶r̶e̶c̶k̶l̶i̶c̶h̶e̶r̶ ̶O̶v̶e̶r̶l̶o̶r̶d̶ ̶  pathologischer Overachiever, habe ich beschlossen die Cinematic UND Extended Edition von ARCHETYPE zu veröffentlichen. Was heißt das? Wenn ihr ARCHTYPE in der Version erleben wollt, die 2018 einen Watty gewonnen hat, dann lest einfach weiter! Viel Spaß! =D

Wenn ihr aber etwas mehr zur Welt von ARCHETYPE erfahren wollt, könnt ihr euch auch zuerst die (kostenlosen) P̶r̶o̶l̶o̶g̶-̶K̶a̶p̶i̶t̶e̶l̶  Bonus-Kapitel „Die Sünden der Väter" ganz am Ende durchlesen. Diese spielen chronologisch direkt vor ARCHETYPE, sind aber mit anderen Charakteren und etwas ... düsterer. 

Ursprünglich war dies übrigens das erste Kapitel des Buches und viele Leser haben ihre Kommentare, manchmal sogar Reviews an dem folgenden Text hinterlassen ... darum wollte ich sie nicht löschen. Kommentare sind nämlich cool

ARCHETYPE ist eine mitunter humorvolle action- und abenteuerreiche Romanze, die im postapokalyptischen Deutschland spielt. Neben Liebe, steckt jedoch auch viel Blut in dieser Geschichte – vor allem blut! – und als Genre-Mashup aus Science-Fiction, Dark Fantasy und Horror kann es daher auch oft mal etwas düster zugehen... 

Und nun viel Spaß!

M.

PS: Stimmen und Kommentare sind für Autoren was Gehirne für Zombies und Blut für Vampire ist. Von dem her bin ich für jeden Happen dankbar. φ(^ω^*)ノ

PPS: Falls ihr euch wie ich auch gerne mal von Audio-Büchern berieseln lasst, lauscht doch mal Jessica Oldach's Hörprobe der ersten beiden Kapitel von Archetype. (Sind als YouTube Video verlinkt.) Sie ist wirklich eine ausgesprochen talentierte Sprecherin, mit Liebe an der Arbeit und zum Detail. Zudem ist sie auch noch ein begabter Schreiberling und ebenfalls eine Watty Gewinnerin. Wenn euch gefällt, was ihr hört, schaut auch mal auf ihrem YouTube Channel vorbei, welcher Hörproben von diversen Wattpad Büchern bietet. Ihre Wattpad Seite ist: @JessicaOldach

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Hagen Residenz

Walhalla 23

27.10.2158, 23:38 Uhr, Ehemaliges Deutschland


Der Geruch von Blut weckte Leonora: süß und warm, wie der Geruch frisch gebackenen Brotes, der einem in die Nase stieg, wenn man besonders hungrig war.

Und Leonora war sehr hungrig.

Sie öffnete ihre Augen und fragte sich, ob sie den Geruch nur geträumt hatte, wie so oft in den letzten Jahren. Es dauerte einen Moment, bis ihr schlaftrunkener Verstand realisierte, dass er so real war wie die stahlträgerverstärkten Betonwände ihres Zimmers.

Mit der Erkenntnis kam die Angst.

Sie richtete sich langsam auf, warf die alte Wolldecke beiseite und rutschte an den Rand ihres Bettes, so dass ihre Zehen den Boden berührten. Hatte man ihre Pläne herausgefunden? Ihre grünen Augen, denen die Dunkelheit nichts verheimlichen konnte, suchten nach dem Ursprung des Geruchs. Warteten Walhallas Sicherheitskräfte im nächsten Zimmer auf sie? Mit Betäubungsgewehren und Tasern im Anschlag? Ihr geistiges Auge beschwor Bilder von schwarz gekleideten Thorianern in Körperpanzern herauf, die nur darauf warteten, dass sie aus ihrem Zimmer kam.

„Ruhig, Nora ...", flüsterte sie sich zu und atmete tief ein und aus, wobei das Aroma des Blutes bewirkte, dass sich ihr Magen in einem Hungerkrampf zusammenzog.

Sie schlang die Arme um sich, um dem Schmerz Herr zu werden, zwang sich so gut sie konnte zur Ruhe. So oder so würde ihr eine Panik nur Schaden zufügen, auch wenn ihr immer klarer wurde, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war - nicht in Ordnung sein konnte. Widerwillig atmete sie tief ein, roch jedoch nichts Ungewöhnliches von jenseits der Tür - außer natürlich dem Blut. Sie strich sich den Schopf rotbrauner Haare hinter die Ohren und lauschte angespannt, hörte aber nichts, nicht einmal das Husten ihres Vaters, an das sie sich schon so gewöhnt hatte.

Ihr Vater ...

Leonoras Hände begannen zu zittern und sie presste sie zwischen ihre Oberschenkel, um sich zu beruhigen. Es gelang ihr nicht. Die junge Frau fixierte nervös den schlanken Lichtschein, der durch die leicht geöffnete Tür in ihr Zimmer fiel. Hatte sie sie nicht geschlossen?

„Papa?", fragte sie zögerlich. Keine Antwort. Sie sprach erneut, lauter diesmal: „Papa?" Ihre Stimme versagte ihr fast.

Keine Antwort.

Sie schluckte schwer. Ihr Vater war seit Wochen krank, schlief kaum noch dank des aggressiven Hustens, den er sich zugezogen hatte. War er hingefallen und hatte sich verletzt? Was, wenn er ihre Hilfe brauchte? Würde sie sich im Angesicht des Blutes zurückhalten können? Sie leckte sich ungewollt über die Lippen und begann, nervös an ihrem Daumennagel zu kauen, der viel zu gut aussah für eine Frau, die ihre Tage damit verbrachte, alte Maschinen und verschmorte Elektronik zu reparieren; der so hart war, dass nur eine Stahlfeile ihn stutzen konnte.

„Beruhige dich, Nora", flüsterte sie, ihre Stimme verloren in der Dunkelheit.

Sie atmete mehrmals tief ein und aus, sog die Luft in ihren Bauch und hielt sie einige Sekunden dort, so wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte. Langsam ebbten die Panik und der Hunger ab, welche in ihren Eingeweiden zog und zerrte wie ein angeketteter Hund. Sie erhob sich geschmeidig, als sie sicher war, dass sie die Kontrolle hatte, und schlich zur Tür, öffnete sie etwas mehr.

Der Geruch, der ihr entgegenschlug war genug, um die Bestie in ihrem Inneren mit einem Knurren hervorschnellen zu lassen. Leonora krümmte sich. Wimmerte vor Schmerz. Aus Angst vor dem, was kommen möge, schloss sie die Augen, schaffte es aber, dem Hunger Einhalt zu gebieten und sie selbst zu bleiben.

Als sie ihre Augen wieder öffnete und in den Gemeinschaftsraum blickte, der zwischen ihrem und dem Zimmer ihres Vaters lag, bemerkte sie nichts Ungewöhnliches. Das Licht einer klaren Winternacht fiel von dem Panoramafenster zu ihrer Rechten und tauchte die mehr als hundert Jahre alte, vielfach geflickte Ledercouch und den niedrigen Metalltisch mit seinen unzähligen Kratzern in ein - für ihre Augen - helles Licht.

Die metallene Eingangsschotttür zur Wohneinheit ihrer Familie war fest verschlossen und es war ruhig und still. Alles stand an seinem angestammten Platz. Nur die Tür zum Zimmer ihres Vaters, zu dieser Stunde normalerweise geschlossen, stand halb geöffnet und ein goldener Streifen Licht streckte sich ihr über den braun gefliesten Boden entgegen.

„Papa? Ist alles okay?", fragte sie.

Niemand antwortete ihr.

Sie drückte die Tür auf, stahl sich an der kleinen Küchenecke zu ihrer Linken vorbei und auf das Zimmer ihres Vaters zu, zuckte jedoch erschrocken, als die in Sternen- und Mondlicht gebadete Berglandschaft jenseits des Panoramafensters flackerte. Einen Sekunde später sprang das Video-Bild in seine Ursprungsgröße zurück. Es gab Zeiten, da hätte sie das nicht bemerkt, Zeiten, in denen ihr Auge und Geist nicht schnell genug waren, um diese Schwächen in der elektronischen Illusion zu erkennen.

Sie wünschte sich diese Zeiten zurück.

Behutsam drückte sie die Tür zum Zimmer ihres Vaters auf. Wie der Rest ihrer Wohnung war der Raum mit 4x4 Metern geradezu verschwenderisch geräumig, wirkte jedoch sehr viel kleiner wegen der unzähligen Bücher und Datenmodule, die in den Wandregalen ruhten und so gut wie jede freie Fläche einnahmen. Ein Doppelbett, ein in die Wand eingelassener Schreibtisch samt Computer und ein alter Chefsessel auf Rollfüßen, der drei Generationen ihrer Familie überdauert hatte, waren das einzige Mobiliar.

Ein Kloß bildete sich in Leonoras Hals.

Das Bett war gemacht und das Zimmer aufgeräumt. Ihr Vater hatte seit dem Tod ihrer Mutter weder das eine noch das andere getan. Der Blutgeruch war hier sehr stark, war wie ein Feuer, das sie zu versengen drohte, und ein Gefühl namenlosen Grauens umklammerte ihr Herz, als sie auf die angelehnte Badezimmertür starrte. Leonora wusste plötzlich mit Gewissheit, was sie dort finden würde.

„Papa?", fragte sie verzweifelt, erwartete jedoch keine Antwort mehr.

Sie stieß die Tür zum Badezimmer auf und sah zuerst nur sich selbst in dem übergroßen Spiegel, der die gegenüberliegende Wand des Badezimmers einnahm: eine abgemagerte Schönheit von 25 Jahren, die verloren wirkte in dem übergroßen T-Shirt mit Einhörnern, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.

Zögerlich drehte sie sich der Badewanne zu ihrer Rechten zu und dort fand sie ... ihren Vater. Die Beine angezogen, damit seine fast zwei Meter große, hagere Gestalt in die Wanne passte. Er war gekleidet in seinen besten Anzug, den Frack, den er auf seiner Hochzeit getragen hatte - und zur Beerdigung ihrer Mutter. Eine große Edelstahlschüssel stand auf dem Boden neben der Wanne, fast randvoll mit seinem Blut. Leonora taumelte und fühlte, wie sich ein bodenloser Abgrund unter ihr auftat, der sie zu Verschlingen drohte. Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie ihn anblickte.

Ihr Vater, Heinrich Hagen, war tot, seine blauen Augen starr und blicklos.

Er wirkte müde, selbst jetzt, und weit älter als seine 55 Jahre. Gezeichnet von einem Leben voll harter Arbeit, Verlusten und Entbehrungen. Und doch lächelte er. Ihre Hand schoss zu ihrem Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken, als sie seinem starren Blick folgte und sah, dass er auf ein am Wannenrand aufgestelltes Bild gerichtet war. Eines der wenigen Fotos, die es von ihr, ihrer Mutter und ihrem Vater gab.

Das Bildnis einer glücklichen Familie.

Ein blutiges Rasiermesser lag daneben.

Leonora fiel auf die Knie und ließ ihren Tränen freien Lauf, wobei sie die mit Blut gefüllte Edelstahlschüssel beinahe umstieß. Die Bestie in Leonoras Innerem heulte wütend und gierig auf, doch in diesem Moment kümmerte es sie nicht. Trauer und Schmerz gaben Leonora Kontrolle.

Der rechte Arm ihres Vaters hing über den Rand der Wanne, der Ärmel hochgekrempelt. Zwei tiefe Schnitte, wie ein umgekehrtes Kreuz, zogen sich quer über die Pulsadern und die Länge des Arms hinauf. Das Blut war fast gänzlich von der Schüssel aufgefangen worden, nur ein paar Spritzer waren daneben gegangen, blendend rot auf den weißen Kacheln. Ihr Vater hatte ganze Arbeit geleistet. Seinen Selbstmord, so effizient und sauber ausgeführt wie sein Leben. In seiner Linken hielt er sein altes Diktiergerät. Ein Zettel mit „Nora" war daran befestigt.

Leonora schluchzte und griff danach. Sie zitterte so stark, dass es vier Anläufe brauchte, bis sie es schaffte, das Diktiergerät aus seinen noch immer warmen Händen zu lösen. Sie drückte den Abspiel-Knopf und erstarrte, als die Stimme ihres Vaters durch das kleine Bad hallte. Die Welt schwieg, sodass er ein letztes Mal zu ihr sprechen konnte.

„Nora ...", sagte Heinrich Hagen, zögerte und holte Luft, was ihm einen Hustenanfall entlockte, der fast eine Minute anhielt. Als er sich beruhigt hatte, war seine Stimme schwach und müde. „Liebchen, es tut mir so leid. So unendlich Leid. Aber ich kann nicht mit dir kommen und wusste, du würdest ohne mich nicht gehen."

Leonora schüttelte trotzig den Kopf.

„Ich habe Lungenkrebs, Nora. Ich wollte es dir schon lange sagen ... Ich bin zu müde, dagegen zu kämpfen. Dort draußen hätte ich keine Woche lang überlebt und wäre dir bei dem, was getan werden muss, nur eine Last gewesen. Du weißt es und ich weiß es, also mach dir bitte nichts vor. Dies ist der beste Weg, der einzige Weg, auch wenn du es jetzt nicht so siehst. Vergiss bitte nie: Nichts von alledem ist deine Schuld. Nichts. Mein Tod war meine Entscheidung; ein Segen, wenn ich dich damit retten kann. Hab keine Angst, Liebchen, Gott wird verstehen. Wird mich an seine Seite holen, wie einst auch deine Mutter. Eines Tages werden wir alle wieder vereint sein."

Ihr Ausdruck verfinsterte sich und sie setzte zu einem Widerspruch an, biss sich jedoch im letzten Moment auf die Lippen. Heute würde ihr Vater das letzte Wort haben.

„Du musst jetzt stark sein, mein Sonnenschein", sagte er. „Du kennst den Plan und die Zeit könnte nicht besser sein: Finde die Stadt Waagen und beginne dort ein Leben ohne Angst, ohne dich verstecken zu müssen. Ich weiß, es wird nicht einfach werden, doch schon morgen wirst du zum ersten Mal den Himmel sehen. Wirst frei sein."

Leonora schüttelte ungläubig den Kopf und flüsterte: „Morgen?"

„Ja, morgen", sagte ihr Vater, so als hätte er sie gehört. „Nichts hat sich an unserem Plan geändert, außer deinen Chancen. Mein Tod wird dir Stärke bringen - nutze sie, um Walhalla zu entkommen und das Archetype-Projekt zu vernichten. Verzeih mir, dass ich die Sünden unserer Väter auf deinen Schultern abladen muss, aber—"

Ein Hustenanfall brachte ihn zum Verstummen und die Aufnahme brach für einen Moment ab. Als ihr Vater wieder sprach, war seine Stimme wenig mehr als ein Flüstern. „Sie dürfen Archetype nicht zum Abschluss bringen. Meine Arbeit und die unserer Familie darf nicht vollendet werden. Niemals!"

Der Nachdruck in der Stimme ihres Vaters ließ sie nicken. Ihr Vater seufzte. „Ich habe meinem Labor eine Nachricht geschickt und sie erwarten dich dort, um einige Unterlagen abzuholen. Du weißt, was du zu tun hast. Es bricht mir das Herz, dass ich diese große Verantwortung auf dich übertragen muss, mein Liebchen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen ..."

Leonora schluckte schwer.

„Ich werde immer über dich wachen, mein Sonnenschein. Immer. Und nun ... trink. Du wirst die Kraft brauchen. Und vergiss niemals. Ich liebe dich. Deine Mutter und ich werden immer bei dir sein."

Die Nachricht endete mit einem Klicken.

Es war nicht fair.

Erst ihre Mutter und nun ihr Vater. Was für einen Sinn hatte es, noch weiter zu machen? Versprechen und Erwartungen hin und her, warum sollte sie weiter leiden, wo sie doch schon so viel erdulden musste? Sie wischte sich trotzig die Tränen aus den Augen und sah die Rasierklinge sehnsüchtig an, fragte sich, ob der Stahl genug sein würde, um ihre Existenz zu beenden. Sie griff danach, nahm dann jedoch das Bild, das daneben stand, und betrachtete es. Eine glückliche Familie. Einst.

Tränen fielen auf das Glas.

„Gottverdammt nochmal", fluchte sie, nahm das Foto aus dem verkratzten Rahmen und faltete es behutsam zusammen.

Ein Schluchzen, das ihrem Vater das Herz gebrochen hätte, entrang sich ihrer Kehle. Minutenlang ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Dann nahm sie die erkaltende Hand ihres Vaters in die ihre und küsste sie behutsam.

„Ich verspreche es, Papa." Leonora wandte sich ab, nahm die Schüssel in beide Hände und verließ das Bad. Er sollte sie so nicht sehen. Nicht einmal im Tod. Blut, noch immer warm, schwappte über den Rand der Schüssel auf den Boden und floss über ihre Hände. Die Bestie in ihr heulte in ohnmächtiger Gier.

Hungrig, mit einer Mischung aus Ekel und Verlangen, hob sie die Schüssel und setzte sie an ihre Lippen. Sie spürte, wie sich ihre zwei schlangenartigen Reißzähne in Erwartung des Mahls aus den Fleischtaschen über ihren Eckzähnen schoben.

Was für ein Monster war sie nur geworden ... Und warum hatte ihr Vater alles gegeben, um sie und ihresgleichen zu retten?

Bittere Tränen mischten sich mit dem Blut, als sie trank.

Und die Bestie in ihrem Innern labte sich.

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