Sterne

Blasse Sterne auf Haut.

Wenn Aragorn die Augen schloss, konnte er sie sehen, konnte spüren, wie ihre matten Konturen über seine Wangen und nackten Arme wanderten.

Über seine Wangen und Arme, und über die des Elben, der an seiner Seite gestanden hatte.

"Woher kommt das Licht?", fragte er, leise, aus Angst, er könnte den Moment stören.

Legolas lächelte sein trauriges Lächeln. "Vom selben Ort wie die Musik"

Es war in Gesprächen wie diesem, dass Aragorn sich daran erinnerte, dass auch der Elbenprinz, obwohl er jünger war als die meisten Elben, doch viel gesehen und erlebt hatte.

"Ich weiß, dass du sie auch hörst", sagte Legolas.

Aragorn nickte. "Nur, wenn es still ist"

"Es ist das Echo der Ainur" Er griff nach Aragorns Hand. "Mein Kindermädchen behauptete, man könne sie nur hören, wenn man verliebt ist. Aber das glaube ich nicht"

"Nicht?"

"Ich glaube, man kann sie hören, wenn man die Welt in sein Herz hinein gelassen hat" Er malte mit dem Finger Linien in den Sand. "Wenn man entschieden hat, dass man die Welt fühlen möchte, dass man lachen und weinen und lieben und verzweifeln möchte. Wenn man sich geöffnet hat für die Wunder, die die Ainur vor Anbeginn der Zeit ersungen haben"

"Das ist eine schöne Erklärung" Aragorn wandte sich Legolas zu. "Wobei ich denke, dass die Verliebtheitstheorie ebenfalls Sinn ergibt"

"Ach ja?"

"Ja" Aragorn zögerte, einen Moment lang glaubte er selbst, er würde weitersprechen.

Da stand Legolas auf, leichtfüßig, und strich seine Tunika glatt.

"Wollen wir zurück gehen? Die anderen warten sicher"

Aragorn nickte, und versuchte den Dorn der Enttäuschung zu ignorieren, der sich in sein Bewusstsein bohrte.

Er hätte weitersprechen sollen.

----

Aragorn mochte die Nachtwache. Er mochte die Ruhe, die sich mit der Dunkelheit zusammen über das Land legte, genoss die Luft, die des nachts so kühl und frisch war wie zu keiner anderen Zeit.

Er hing gerne seinen Gedanken nach, wanderte durch die Geschichten und Lieder, die Elrond ihm als Kind beigebracht hatte, oder plante im Kopf bereits die Weiterreise. In den letzten Wochen plagten ihn Sorgen, die zu schwer schienen, als dass er sie tragen könnte.

Es war seltsam, Seite an Seite mit Frodo zu wandern, der den Einen Ring trug, den Aragorns Vorfahr nicht zu zerstören vermocht hatte. Es war seltsam, wie er, das Überbleibsel eines alten Königsgeschlechts mit alten Geschichten, nun inmitten einer eigenen Geschichte steckte, von der er nur hoffte, dass sie eines Tages eine alte Geschichte sein würde.

Er war froh, dass auch Legolas zu den neun Gefährten gehörte. Auch, wenn Aragorn viele Meilen mit Gandalf gewandert war und er ihm ein treuer Freund geworden war, gab es etwas an dem Zauberer, das ihn immer wieder irritierte. Aragorn war erfahren mit allerhand Wesen, die langsam alterten - er selbst gehörte zu ihnen, ebenso Legolas, und alle, die er in seiner Kindheit in Bruchtal hatte treffen dürfen. Aber Gandalf alterte nicht nur langsam, je länger er mit ihm wanderte, desto mehr nährte sich der Verdacht, dass der Zauberer niemals jung gewesen war.

Und da war noch etwas, was seltsam war: Aragorn hatte keine Ahnung, wie mächtig Gandalf wirklich war.

Legolas hingegen war ihm vertraut. Er kannte ihn länger als Gandalf, und vermutlich auch gründlicher. Sie vertrauten einander auf eine Weise, auf die Aragorn niemals jemandem sonst vertrauen würde.

Legolas schlief nicht (natürlich nicht, er war ein Elb).

Wenn Aragorn Nachtwache hielt, saßen sie oft schweigend nebeneinander und starrten ins Dunkle.

"Aragorn", sagte Legolas plötzlich.

"Was ist?"

"Ich...", setzte er an. "Ich wollte mich bei dir bedanken, dass ich auf der Sternenlichtung bei dir sein durfte. Es bedeutet mir viel, diesen Moment mit dir geteilt zu haben"

Aragorn wusste sofort, wovon er sprach. Es war keine besondere Lichtung gewesen, kein besonderer Ort, aber aus irgendeinem Grund waren die Sterne dort besonders hell und klar gewesen.

"Das ist lange her", sagte er leise.

Legolas nickte. "Ich habe oft daran gedacht, als ich wieder im Waldlandreich war. Erst glaubte ich, dass ich die Sterne und die Ruhe vermisste, aber auch im Wald gibt es Sterne und Ruhe" Der Elb neigte leicht den Kopf. "In Wahrheit habe ich dich vermisst, Aragorn"

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

"Ich bin froh, dass unsere Wege sich wieder getroffen haben", fuhr Legolas fort. "Ich wollte dich fragen...wenn das alles hier vorbei ist, möchtest du dann mit mir zu der Sternenlichtung zurückkehren?"

Aragorn nickte. "Wenn das alles hier vorbei ist, können wir wandern, wohin wir wollen", sagte er.

"Ich würde gerne nach Osten gehen, und sehen, was hinter dem Meer von Rhûn liegt"

"Dann werden wir das tun" Aragorn tastete nach der Hand des Elben, und als dieser sie nicht zurückzog, griff er nach ihr. "Hörst du immer noch die Musik, wenn es leise ist?", fragte er.

Legolas nickte.

"Gut", sagte Aragorn.

Sie sprachen nichts weiter in dieser Nacht, sondern sahen schweigend in die Dunkelheit.

Doch eines Tages würden sie zur Sternenlichtung zurückkehren. Und dann würde Aragorn weitersprechen. Das wusste er. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top