Kampfgefährten

Der Frühling begann, seine frischgrünen Fühler auszustrecken. Die ersten Blumen reckten ihre Köpfe aus dem locker liegenden Schnee, und die Sonne schien ein wenig wärmer als die Monate zuvor. Aragorn war froh, dass der Winter zuende ging. Er hatte genug von durchgefrorenen Wanderungen und eiskalten Nächten - obwohl er zugeben musste, dass sich diese angenehmer gestalteten, seit Legolas an seiner Seite war. 

Ein paar Mal (nicht zu oft) hatte der Elb sich erbarmt, sich neben ihn auf das Schlaflager zu legen, auch wenn er als Elb nicht schlafen musste. Er war eng an ihn gerückt, hatte ihn im Schlaf warm gehalten und über ihn gewacht.

Aber Legolas würde bald ins Waldlandreich zurückkehren müssen, um seinem Vater Botschaft von Elrond und jenen Menschen zu bringen, die nördlich von den Nebelbergen am Ufer der Eisbucht lebten.

Überrascht stellte Aragorn fest, dass ihn die Aussicht darauf, bald wieder allein zu wandern, betrübte. Legolas war gewiss kein gesprächiger Reisepartner, noch hatte er ihn zu Anfang besonders gemocht. Der Elbenprinz war überheblich, leicht reizbar und wenn sie in ein Gasthaus einkehrten, verbrachte er unendlich viel Zeit damit, die Haare hinter seinen Ohren zu flechten. Als ob sich irgendwer dafür interessieren würde, ob sie mit drei oder vier Strähnen geflochten wurden (es waren vier).

Aragorn betrachtete ihn nachdenklich, während er zu ihm aufholte. Legolas stand auf einem Felsen und blickte in die Ferne. Er hatte auf dem Weg kaum Fußspuren hinterlassen. Schnee hing in seinem wollenen Mantel, sein blondes Haar wehte im Wind. Er war recht klein und zierlich, ohne dabei zerbrechlich zu wirken, und manchmal erinnerte er ihn an einen Kater.

"Was siehst du?", fragte er.

"Die Siedlung ist gleich da unten", sagte Legolas. "Es scheint, als hätte die Orkbande sie fürs erste verschont"

Aragorn nickte erleichtert. Auf dem Weg hierher hatten sie zwei Dörfer gefunden, die es nicht mehr geschafft hatten, die Orks in die Flucht zu schlagen. Der Qualm der brennenden Häuser war noch bis weit über die Ebene zu sehen gewesen, und es gab kaum Überlebende.

Er und Legolas würden sie bald einholen müssen, bevor sie sich weiter gen Süden wandten und die kleine Stadt angriffen, deren Verteidigungsanlagen zu alt waren, um einer Bande umherstreifender Orks standzuhalten. 

Sie folgten dem Weg, der in die kleine Ansammlung strohgedeckter Häuser und mit Jägerzäunen umfriedeter Höfe führte. Einige Menschen arbeiteten in den Gärten, ein Kind zog eine Ziege hinter sich her und eine junge Frau war damit beschäftigt, schwere Fässer auf ein Ochsengespann zu hieven. Es war eine Siedlung wie jede andere - zu klein, um als Dorf zu gelten oder auf einer Karte aufzutauchen, und doch groß genug, um der Lebensmittelpunkt aller hier ansässigen Menschen zu sein. 

Als sie nah genug an die Höfe herangekommen waren, stemmte sich ein alter Mann auf seinem Stock in die Höhe und humpelte in ihren Weg. 

"Wer seid Ihr?", fragte er. Seine Stimme krächzte, und die schrumpeligen Wangen waren eingefallen, sodass sein Gesicht bereits der Form eines Totenschädels glich. 

"Ich bin Legolas, und das ist Streicher. Wir sind Wanderer in diesem Land", sagte Legolas. 

"Ihr seid ein Elb", sagte der Alte langsam. "Auf was für einer Wanderung seid Ihr?"

"Wir verfolgen eine Bande Orks", mischte Aragorn sich ein. "Entweder sie werden in den nächsten zwei Tagen hier durchkommen, oder sie haben sich der Stadt weiter im Süden zugewandt"

Der Alte nickte. "Wir hatten in den vergangenen Wochen öfter Ärger mit Orks", sagte er. "Sie kommen nachts, plündern unsere Scheunen und töten, wer sich ihnen in den Weg stellt. Meine Kinder sind durch ihre Streitkeulen gestorben" Er wandte seinen Blick nach Norden, wo zwei ausgebrannte Hütten standen, die auf ihrem Weg von dem Hügel versperrt gewesen waren. Sie schienen noch nicht lange zerstört. "Könnt Ihr uns vor ihnen schützen, Herr Elb?"

Legolas nickte. "Das können wir"

"Dann bitte ich Euch: Bleibt, und verteidigt unsere Höfe" Das Gesicht des Alten wurde grimmig. "Wir sind nur wenige, und von denen, die ein Schwert zu führen verstehen, ist kaum jemand mehr übrig"

"Wir bleiben", sagte Aragorn. 

Sie folgten dem Alten, von dem sie später erfuhren, dass er Berun hieß, und wurden in die Siedlungsgemeinschaft eingeführt. Berun war der Älteste. Die junge Frau mit dem Ochsenkarren war eine Nichte von ihm. Sie hieß Hela, ihr Mann trug den Namen Kordun und das Kind mit der Ziege war ihr gemeinsamer Sohn Norra.

Es gab noch zwei weitere Familien und ein Haus, das von zwei alten Damen bewohnt wurden, die weder Schwestern noch Cousinen, sondern sehr enge Freundinnen waren. 

Im Haus dieser beiden alten Damen wurde für Aragorn und Legolas ein Schlafplatz bereitet. 

Den restlichen Tag verbrachten sie damit, die umliegenden Waldstücke nach Spuren der Orks abzusuchen, aber die Fährte blieb verloren. So kehrten sie am Abend in die Siedlung zurück, gingen durch das Gartentor der beiden Damen und klopften an die hölzerne Tür. 

Es war Miria, die öffnete. Sie war eine herzliche, etwas überschwängliche Person, kleidete sich in karierte Stoffe und lachte immer über irgendwas. Ihr graues Haar war zu einem losen Dutt zusammengesteckt. 

"Hereinspaziert, die Herren", sagte sie mit einem breiten Lächeln. "Der Eintopf steht bereits auf dem Tisch!"

Legolas und Aragorn dankten ihr und setzten sich auf die hölzerne Bank, gegenüber von Lutia. 

Lutia war eine jener älteren Frauen, denen man ansah, dass sie sich gegen ihre Hochzeit gewehrt hatten. Sie hatte kurzes weißes Haar, trug eine Kette aus hölzernen Perlen und eine Weste aus verdrecktem Fell. 

Aragorn erinnerte sich, dass er sie kurz zuvor beim Holzhacken gesehen hatte. 

"Lasst es euch schmecken!", sagte Miria. 

Es schmeckte vorzüglich. 

Während sie aßen, fragte Lutia: "Wie lange wandert ihr schon gemeinsam?"

"Seit dem letzten Sommer", sagte Aragorn zwischen zwei Löffeln Eintopf. 

"Wisst ihr, wir kannten einmal zwei Männer, die ebenfalls Kampfgefährten gewesen waren", sagte sie. "Sie wanderten gemeinsam, kämpften gemeinsam und wenn es dunkel wurde, teilten sie ein gemeinsames Schlaflager"

Aragorn kniff kurz die Augen zusammen, sagte nichts und aß weiter. 

"Sie waren unzertrennlich, wirklich", sagte Miria. 

"Das ist schön für sie", sagte Legolas kühl. "Übrigens schmeckt der Eintopf wahrhaftig sehr gut"

"Das sind Mirias Kochkünste" Lutia legte ihrer Freundin den Arm um die Schulter. "Niemand würzt so perfekt wie sie"

"Dann bin ich doppelt dankbar, eine Kostprobe haben zu dürfen", sagte Legolas. 

Aragorn war fasziniert davon, mit was für einer Leichtigkeit es Legolas gelang, das Thema von den beiden Kampfgefährten wegzulenken. Wieder einmal war er froh, mit dem Elben den Weg zu teilen. 

Sie aßen, bis kein Eintopf mehr übrig war und halfen dann, das hölzerne Geschirr zu reinigen. Miria kümmerte sich unterdessen darum, das Feuer im Kamin anzufachen. 

"Wir haben uns gefragt, ob ihr zwei Schlaflager braucht", sagte Lutia, als sie gemeinsam die Schalen abtrockneten. 

Aragorn seufzte innerlich. Sie ließ wirklich nicht locker. 

"Elben schlafen nicht", sagte er. 

"Wirklich?"

"Doch, aber nicht sehr oft", sagte Legolas. 

"Das ist ja erstaunlich", sagte Lutia. 

Ein lauter Ruf unterbrach sie. Legolas stürzte zur Tür. 

"Sie sind da!", sagte er, und an Aragorn gewandt: "Komm!"

Während der Dämmerung hatte es sich wieder abgekühlt, und im Schein des Mondes konnte Aragorn seinen eigenen Atem in der Nachtluft hängen sehen.

Die Orks kamen von Westen, wie Aragorn bereits vermutet hatte. Sie trugen keine Fackeln oder Laternen bei sich, und dass sie so früh von ihrer Ankunft wussten hatten sie nur den scharfen Augen Norras, des Sohns von Hela und Kurdon zu verdanken. 

Legolas schwang sich mit ein paar Handgriffen auf das strohgedeckte Dach des Hauses, Aragorn gab sich mit einer leicht erhöhten Position auf einer Bank zufrieden. Es war schwierig in dem Dunkeln genug zu erkennen, aber ein Ork machte den Fehler, den vollen Mond zu verdecken. 

Aragorn erschoss ihn. 

Legolas, dessen Augen mit dem schwachen Licht besser klarkamen, tötete ein paar weitere, bevor sie den ersten Jägerzaun erreichten. 

Aragorn legte seinen Bogen zur Seite und zog sein Schwert. Irgendwo hinter ihm machten sich Lutia, Hela und Kordun bereit. Er wusste noch nicht, ob ihn das beruhigte, oder ihm mehr Sorgen bereitete, weil er auf die Sicherheit weiterer Personen achten musste. Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. 

Ein großer Ork sprang ihm entgegen. Aragorn lieferte sich einen kurzen Schlagabtausch mit ihm, bis er eine Lücke in der Deckung des Orks fand und zustieß. Er ging zu Boden, aber hinter ihm kam bereits ein Zweiter. Aragorn trat ihm gegen das Schienbein und schlug ihm den Kopf ab. 

Seine Gedanken verschwammen, und der Kampf nahm seine ganze Aufmerksamkeit ein. 

Da war die Faust eines Orks in seinem Gesicht. 

Seine Augen tränten, er spürte, wie sein Kopf von er Wucht des Schlags nach hinten geschleudert wurde. 

Aragorn stürzte, ließ dabei sein Schwert fallen. 

Das Gras war kalt und nass. 

Der Ork verzog grimmig das Gesicht, knurrte. 

Dann war da plötzlich Legolas, sein langes weißes Messer reflektierte das Licht des vollen Mondes, Blut spritzte über Aragorns Gesicht. 

Der Elb reichte ihm die Hand, zog ihn wieder auf die Beine. 

"Danke", keuchte Aragorn. 

"Nicht dafür" Legolas lächelte. In einer einzigen schnellen Bewegung warf er sein Messer, sodass es im Schädel eines Orks stecken blieb, der sich gerade auf Kordun stürzen wollte. 

Aragorn hob sein Schwert auf, wandte sich nach allen Seiten und stellte dann fest, dass keine Orks mehr übrig waren. Sie hatten gesiegt. 

Kordun und Hela waren leicht verletzt, Lutia hingegen hatte den Kampf gut überstanden. 

Aragorn half, ihre Wunden zu versorgen und kehrte dann mit Legolas in das Haus von Lutia und Miria zurück. 

Bei Sonnenaufgang verließen Legolas und er die Siedlung. Die Straße beschrieb nun einen Bogen nach Westen, bevor sie sich endlich nach Süden neigte und in Richtung der kleinen Stadt lief. 

Aragorn wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis sich seine und Legolas' Wege trennen würden. Jetzt, das sie die Orkmeute unschädlich gemacht hatten, gab es eigentlich nichts mehr, was den Prinz des Waldlandreiches hier hielt. 

Sie rasteten am Ufer eines kleinen Bachs, der rasch dahinfloss. 

Sie hielten ihre nackten, müden Füße ins kalte Wasser und genossen die Ruhe. 

"Stört dich, was Lutia erzählt hat?", fragte Legolas auf einmal. Seine Stimme war merkwürdig ernst, als hätte er lange über das nachgedacht, was er nun sagte. 

"Lutia hat viel gesagt. Was davon meinst du?"

"Die Geschichte über die beiden Kampfgefährten"

Aragorn zuckte die Schultern. "Was daran sollte mich stören? Es hat ja nichts mit mir zu tun"

"Aber das hat es doch", sagte Legolas. "Wir haben gemeinsam in deinem Schlaflager gelegen"

"Es gibt verschiedene Arten und Weisen, gemeinsam in einem Schlaflager zu liegen" Aragorn sah ihn nicht an. Er mochte nicht, dass sie darüber sprachen. Er wusste nicht, was er damit anfangen sollte, und am liebsten wäre es ihm, wenn er gar nicht erst darüber nachdenken musste.

"Also stört es dich nicht? Ich weiß nicht mehr, ob ich gefragt habe, bevor ich mich zu dir gelegt habe"

"Du hast gefragt, und ich habe es erlaubt", sagte Aragorn. "Warum bist du so besorgt, Legolas?"

Der Elb zuckte die Schultern. "Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich weiß, dass du Frau Arwen versprochen bist"

Aragorn runzelte die Stirn. "Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun"

Legolas nickte, und sagte nichts mehr. 

Erst Wochen später, als sich ihre Wege tatsächlich getrennt hatten, und Aragorn allein durch die Wälder wanderte, fragte er sich, ob es nicht vielleicht doch etwas miteinander zu tun hatte. Ob das, was er und Legolas gehabt hatten, vielleicht doch etwas anderes als Freundschaft gewesen war, und ob Kampfgefährten, vielleicht sogar Gefährten allein, ohne vorangestellte Eingrenzung, die bessere Beschreibung gewesen wäre. 

Er schob diese Gedanken fort, denn er erwartete nicht, Legolas so bald wiederzusehen. Tatsächlich sollten mehrere Jahre vergehen, bis sie bei Elronds Rat in Bruchtal wieder aufeinander trafen. 

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Hey und herzlichen Glückwunsch, dass ihr soweit gekommen seid!

This is the most random thing that I ever wrote, und es tut mir ein bisschen Leid, dass ich diesen Wirrwarr an Plot und inhaltlichen Schwerpunkten auf euch losgelassen habe. 

Ich habe aktuell eine kleine Faszination für die merkwürdigen Situationen in zwischenmenschlichen Beziehungen, die entstehen, wenn man selbst nicht checkt, dass man vielleicht schwul ist und auf die andere Person steht, aber definitiv so handelt, als würde man es tun, und hatte Lust, eine kleine Geschichte zu schreiben, in der Aragorn definitiv noch ein paar Dinge über sich selbst lernen muss. 

Wie immer freue ich mich über Feedback und Kritik, aber auch über Sternchen :)

Danke fürs Lesen 🥰

LG

Teddy


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