Imladris / Zu lange geschwiegen
Es hatte viele Gründe für Legolas gegeben, nach Bruchtal zu kommen, und die Nachricht, dass das Geschöpf Gollum aus der Gefangenschaft im Waldlandreich entkommen war, war nur einer davon.
Seine Reise war lang gewesen, und obgleich er sie gemeinsam mit einigen anderen Elben des Waldlandreichs angetreten hatte, so war ihm dennoch viel Zeit geblieben, seinen Gedanken nachzuhängen und in Erinnerungen zu versinken.
Er fragte sich, ob der Waldläufer wieder in Bruchtal weilte, oder ob seine Wege ihn mittlerweile ganz woanders hin verschlagen hatten. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, in denen ein Wanderer weite Strecken zurücklegen und viel geschehen konnte.
Legolas war sich nicht sicher, ob er wünschte, ihn noch einmal wiederzusehen.
Es würde Vieles komplizierter machen, das war gewiss.
Und doch...ein Teil von ihm sehnte sich danach, wieder in seiner Nähe zu sein, seine Stimme zu hören und zu spüren, wie sich Legolas' Herzschlag beschleunigte.
Sie näherten sich Bruchtal von der östlichen Seite und folgten dabei einem verborgenen Pfad, der für ungeübte Augen schwierig zu finden war. Der Himmel war klar und Sonnenstrahlen fielen auf die zahlreichen kleinen Wasserfälle und die filigranen weißen Säulen, die die Veranden der Häuser zierten.
Sie ritten durch das Tor, und als Legolas absaß, ließ er seinen Blick über den Hof schweifen.
Es hatte ihm in Bruchtal schon immer gefallen.
Ein Elb in langen blauen Gewändern kam ihnen entgegen.
"Mae govannen!", sagte er und verneigte sich leicht. "Legolas Thranduilion istannen le ammen"
"Mae govannen, Lindir", erwiderte Legolas. Er kannte den Elben nicht gut, aber hatte ihn als freundlich und zuvorkommend in Erinnerung. "Wir bringen Kunde aus dem Waldlandreich, eine schlimme Botschaft, die Herr Elrond und Gandalf der Graue hören sollen"
"Es wird ein Rat einberufen, denn nicht nur Ihr seid gekommen. Viele Gesandte aus vielen Ländern sind heute hier. Dort sollt Ihr Eure Botschaft vortragen"
Legolas nickte. "Hannon le"
"Ich werde Euch Eure Gemächer zeigen, damit Ihr Euch nach der langen Reise etwas ausruhen könnt" Lindir bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Er brachte sie in ein Haus, das nahe an einem Wasserfall gelegen war und die meiste Zeit des Tages über in der Sonne lag.
Legolas zog sich zunächst in seinen Schlafraum zurück, ging in Gedanken noch einmal den Inhalt der Botschaft durch.
Er fragte sich, was Lindir wohl vorhin gemeint hatte.
Wer waren die anderen Gesandten, und was hatte sie hierher geführt?
Manchmal spürte Legolas, dass etwas das Gleichgewicht der Welt störte. Es waren nur kleine Unstimmigkeiten, wie Dissonanzen in einer Musik, die rasch in neuen Melodien und Varianten untergingen, aber doch nie aufgelöst wurden.
Am Waldrand waren Reiter in schwarzen Gewändern gesichtet worden, das Geschöpf Gollum war entkommen, und einige Späher hatten Regungen in Dol Guldur gesichtet.
Es fühlte sich bedrohlich an, und zu sehen, wie sein Vater, der noch gegen Sauron in den Krieg gezogen war, Tag für Tag nervöser wurde, beruhigte ihn nicht sonderlich.
Schließlich beschloss er, lange genug gegrübelt zu haben und machte sich auf zu einem Spaziergang durch Bruchtal. So selten, wie er in Imladris war, erschien es ihm gut, die Zeit, die ihm hier vergönnt war, zu genießen.
Eine Weile bewunderte er den Springbrunnen und die weißen Statuen in einem Hinterhof, dann führten ihn seine Füße in die Bibliothek. Schriftrollen, Tafeln und sogar in Leder gebundene Bücher waren hier fein säuberlich in Regale sortiert worden. Vorhänge verdeckten das Fenster und schützten all das Wissen vor den schädlichen Effekten der Sonneneinstrahlung.
Es war also recht dunkel hier, was ihn ein wenig an die Hallen seines Vaters erinnerte.
Zu spät bemerkte er den Mann, der im Schatten stand, und nach einem Buch suchte.
"Dich hatte ich hier nicht erwartet", sagte eine vertraute Stimme, und Legolas spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
"Ich habe eine Botschaft von meinem Vater, die überbracht werden muss", sagte er.
"Dann nimmst du morgen an dem Rat teil?", fragte Aragorn und zog ein Buch aus dem Regal.
Legolas nickte. "Wir wurden eingeladen, als wir ankamen"
Einen Moment lang wussten sie beide nicht, wie sie das Gespräch fortführen sollten.
"Ich wollte gleich auf die Veranda gehen, möchtest du mich begleiten?", fragte Legolas schließlich.
"Wenn ich darf, dann würde ich das gerne tun", antwortete Aragorn.
Er hatte so eine zurückhaltende Art, die Legolas gefiel, als wäre er immer darauf bedacht, nichts zu nehmen, das ihm nicht zustand.
Er bedeutete dem Waldläufer, ihm zu folgen, und gemeinsam traten sie auf die ausladende, von geschwungenen Säulen umrahmte Terrasse. Es war kühl geworden, und der Mond ging über den Bergen auf.
"Gwennin in enninath", sagte Aragorn leise. Lange Jahre sind vergangen.
"Ich habe dich vermisst"
Der Waldläufer sah überrascht auf. "Ist das wahr?", fragte er.
Legolas neigte zustimmend den Kopf. "Ich war gern bei dir. Es tat weh, gehen zu müssen"
"Das wusste ich nicht", sagte Aragorn.
"Jetzt weißt du es"
Der Mond war bereits ein ganzes Stück weiter gewandert, und eine kühle Brise kam auf. Irgendwo schrie eine Eule.
"Bevor du ins Waldlandreich zurückgekehrt bist", sagte Aragorn nach einer Weile, "gab es Dinge, die ich dir hätte sagen sollen. Ich wollte sie dir sagen, aber..." Er brach ab.
"Sag sie jetzt"
Der Waldläufer zögerte.
"Ich werde dir nichts übel nehmen, und du wirst dich besser fühlen, wenn du sie ausgesprochen hast", sagte Legolas.
Er holte Luft. "Erinnerst du dich daran, als wir im Abendrot-Gebirge waren? An die Nacht auf dem Pass, als es so gestürmt hat?"
"Du hast mich geküsst" Er lächelte "Das war schön"
Aragorn nickte. "Ich war mir nicht sicher, was das für dich bedeutet hat"
"Ich war mir auch nicht sicher. Was hat es für dich bedeutet?"
"Ich möchte Zeit in deiner Nähe verbringen, ich möchte, dass du mir beibringst, den Bäumen zu lauschen und ich möchte mit dir die Dúnedain besuchen. Ich wünsche mir so viel, was wir gemeinsam tun könnten. Irgendwann habe ich begonnen, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, und ich weiß nicht, ob es dir überhaupt recht ist, dass ich über solche Dinge nachdenke", sagte er, und Legolas liebte, wie seine Stimme dabei klang. "Ich möchte, dass wir uns küssen und ich möchte in deinen Armen einschlafen. Ich liebe dich, Legolas, so sehr, dass ich manchmal Angst habe, es könnte mein Herz zerreißen"
Legolas griff nach seiner Hand. "Es macht mich glücklich, dass du von einer gemeinsamen Zukunft träumst. Ich möchte mit dir all diese Dinge machen, und ich möchte, dass du weißt, dass ich dich auch liebe"
"Ist das wahr?", fragte Aragorn.
Er lächelte. "Es ist wahr. Aber ich kann dich auch nochmal küssen, um es dir zu beweisen. Vielleicht würde dir das ja gefallen"
"Das würde es" Aragorn lächelte nun ebenfalls, und Legolas vergaß das Sternenlicht und die Wälder.
Dieses Lächeln war das Schönste, was er in seinem langen Leben gesehen hatte, und er fand beinahe schade, dass er es während ihrem Kuss nicht weiter betrachten konnte.
Aber als sie sich wieder lösten, war das Lächeln immer noch da.
Legolas spürte, wie Aragorn die Hand auf seinen Rücken legte, ihn näher an sich zog.
"Du kannst ja gar nicht genug bekommen", raunte er dem Waldläufer ins Ohr, und er hätte schwören können, dass er als Antwort darauf etwas schwerer atmete.
Er liebte es, wie sich der Kuss anfühlte. Aragorns Bart kitzelte ein wenig an seiner Wange, und die Hand auf seinem Rücken zog ihn immer und immer näher.
Sie bewegten ihre Lippen gegeneinander, sanft und doch auf eine Art verlangend, die sich nur dadurch erklären ließ, dass sie seit Jahren auf diesen Moment gewartet hatten. Er schmeckte die Zunge des anderen.
Es war wundervoll.
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