Eine lange Nacht

Hallo ihr Lieben,

hier kommt das nächste Kapitel. Diesmal aus Aidens Perspektive.

Viel Spaß beim Lesen.

Kapitel 9
Aidens Sicht

Als die Sonne unterging wurde immer finsterer um die drei herum. Sie schwammen weiter und Aiden war froh, dass er sich als Meermensch auch bei Nacht im finsteren Ozean noch sehr gut orientieren konnte. Melodie hatte von den Leuten in Antigua die Koordinaten von Atlantis bekommen und sie per Telepathie an ihn weitergegeben. Er wusste also ungefähr, wo die Hauptstadt lag. Irgendwo in der Nähe der Inselgruppe, die die Menschen Französisch Polynesien nannten. Aiden hatte sich schon immer für Karten interessiert und kannte sich in der menschlichen Welt geographisch gesehen gut aus. Zumindest wenn es um die meernahen Regionen ging.
Leider war die Magnetfeldorientierung der Meermenschen nicht ganz so exakt, wie ein Navigationssystem. Als Aiden das das erste Mal im Auto von Lous Vater gesehen hatte war er ganz fasziniert gewesen. Von dem kleinen blauen Auto, das einen selbst darstellte und den Straßen, die richtig angezeigt wurden und Namen hatten. Bei Meermenschen funktionierte das anders. Sie konnten sich auf einen Ort konzentrieren und dann die richtige Richtung einschlagen. Die genaue Entfernung konnte so allerdings nicht ermittelt werden. Zum Glück gab es unter Wasser keine Staus, Baustellen und außerhalb der Städte auch keine Straßen, weshalb die Orientierung der Meermenschen absolut ausreichte.
Sie glitten noch immer schnell durch ihre tiefschwarze Umgebung. Aiden war sich sicher, dass die anderen genauso erschöpft waren wie er, doch keiner bat um eine Pause. Sie hatten ein Ziel: So schnell wie möglich Atlantis erreichen, um ein Heilmittel zu bekommen.
Ich sehe nichts, sagte Lou (höchstwahrscheinlich privat) zu ihm.
Sie schloss ihre Hand um seine, damit sie nicht von der Strecke abkam. Es musste schwierig für sie sein, ohne die gute Orientierung der Meermenschen. Aiden hatte versucht es ihr beizubringen, aber es war schwierig etwas zu erklären, dass schon sein ganzes Leben lang so natürlich für ihn gewesen war, wie für Menschen Luft zu atmen. Er konnte selbst gar nicht genau sagen, wie er es machte. Es war wie ein Seil oder eigentlich gleich viele Seile, die ihn mit seiner Umgebung verbanden. Er musste nur das richtige auswählen und ihm folgen. Als Halbmeerjungfrau hatte seine Freundin diese Fähigkeit nicht. Aiden war froh, dass sie ihm so vertraute und sich mit ihm zusammen sicher fühlte. Er wollte nichts mehr, als sie zu beschützen und hätte es nicht ausgehalten sie zu verlieren. Er wollte auf keinen Fall, dass sie sich verschwamm. Er drückte ihre Hand und schwamm eng neben ihr. So gerne hätte er einfach angehalten und sie geküsst. Er wollte keinen verdammten Meter mehr weiter, sondern einfach nur seine Lou in den Armen halten. Doch das ging nicht.
Ihr werdet langsamer, rief Melo ihnen zu und er spürte, dass sie schon ein ganzes Stück vor ihnen war.
Komm, sagte er leise zu Lou. Er spürte, dass sie wieder ein bisschen schneller wurde und er passte sich ihr an. Lou war zwar eine wirklich gute Schwimmerin und war in den letzten Monaten viel besser geworden, aber die 60 km/h, die Meermenschen erreichen konnten schaffte sie noch nicht. Sie war ja auch erst seit ein paar Monaten eine Meerjungfrau. Das vergaß Aiden immer wieder. Es kam ihm so vor, als würde er sie schon sein Leben lang kennen. Manchmal überraschte er sie, wenn sie plötzlich Dinge über die Meermenschenwelt nicht wusste, die für ihn ganz normal waren. Er fand, dass sie sich perfekt ergänzen konnten, weil sie beide in ganz unterschiedlichen Welten gelebt hatten.
Trotz der finsteren Umstände freute Aiden sich Lou seine Welt zeigen zu können. Am liebsten wäre er einfach mit ihr abgehauen. Irgendwo ganz weit weg. Wo es keine Probleme zwischen der Welt an Land und der im Wasser gab. Irgendwo wo es kein mors maris gab. Irgendwo wo sie einfach nur zusammen sein konnten.
Wie weit ist es noch? keuchte Lou und packte seine Hand ein wenig fester.
Aiden wollte gerade antworten, als Melodie ihm zuvor kam.
Nur noch so 6.000 Kilometer. Wir müssten schon viel weiter sein. Du bist einfach zu lahm.
6.000, ist echt noch nicht viel, aber wie soll ich schneller schwimmen? Ich habe das Gefühl mein Fischschwanz fällt gleich ab. Wir sind seit einer Ewigkeit unterwegs. Außerdem bin ich noch nicht lange Meerjungfrau. Dich würde ich gerne mal bei einem Marathon auf zwei Beinen sehen. Aber nein. An Land hätten wir einfach ein Auto genommen oder ein Flugzeug, aber so praktische Sachen habt ihr Meermenschen ja nicht erfunden. Lou redete sich richtig in Rage. Sie hatte seine Hand losgelassen und er merkte, dass sie versuchte schneller zu werden, um zu Melodie aufzuschließen.
Ruhig, Lou. Keiner macht dir einen Vorwurf. Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Ich bin auch schon ganz kaputt. Aiden versuchte sie zu beruhigen, doch insgeheim wusste er, dass Melodie Recht hatte. Die drei kamen viel zu langsam voran. Wenn das so weiter ging würden sie es nicht rechtzeitig schaffen.
Wieso musst du sie immer so angreifen, Melo? Fragte er die Meerjungfrau, ohne das Lou es hören konnte.
Weil sie langsam ist. Wegen ihr wird ganz Antigua sterben. Wir hätten sie in ihrer Menschenwelt lassen und zu zweit losziehen sollen. Wie ist sowieso ein viel besseres Team.
Darum geht es also? Deine Eifersucht. Du musst drüber hinwegkommen. Wir haben vor einem Jahr Schluss gemacht. Es ist absolut vorbei.
Es war ewig her und Aiden verstand nicht, wieso Melodie nicht kapieren konnte, dass ihre Beziehung schon lange beendet war. Aiden mochte Melodie noch, aber nur insofern, als das er nicht wollte, dass sie mors maris bekam oder von einem Hai gefressen wurde. Sie waren lange Freunde gewesen, bis sie schließlich bemerkt hatten, dass sie mehr als Freunde waren. Doch Melodie hatte sich verändert. Vielleicht hatte auch er sich verändert. Aiden wusste nur, dass er eines Tages bemerkt hatte, dass Melodie und er einfach nicht mehr auf derselben Wellenlänge schwammen. Er hätte es gerne, dass es wieder so wäre, wie ganz früher, als sie einfach nur gute Freunde waren, aber er wusste, dass er ihr das nicht sagen konnte. Er hatte es einmal seiner Schwester Serena gegenüber angesprochen. Sie hatte ihm das Versprechen abgenommen die Worte „Lass uns Freunde bleiben“ niemals, aber absolut niemals, gegenüber einem Mädchen zu benutzen. „Das ist das absolut schlimmste, was tun überhaupt tun kannst.“, hatte sie gesagt. Aiden verstand nicht genau, wieso das wirklich so schlimm war, weil er es ja aufrichtig meinte, aber er wusste, dass er seiner Schwester in solchen Dingen vertrauen konnte.
Wir hatten so eine tolle Zeit, jammerte Melodie.
Ja, Betonung auf „hatten“. Sorry, aber ich kann das einfach nicht. Permanent machst du solche Kommentare und stichelst gegen Lou. Merkst du nicht, dass das absolut nichts bringt? Ich werde deshalb mit Sicherheit nicht wieder mit dir zusammenkommen. Versuch doch einfach ein bisschen netter zu sein.
Aiden, sagte sie und Aiden spürte, wie sich Schmerz, Wut und Trauer darin vermischten, wie sie seinen Namen dachte. Er schwieg. Nahm einfach wieder Lous Hand und schwamm schweigend neben seiner Freundin her. Sie hatte von dem stillen Gespräch mit Melodie natürlich nichts mitbekommen. Er war froh darum.

Nach etwa einer Stunde wurde ihm klar, dass sie sich bald etwas für die Nacht überlegen mussten. Sie waren alle drei vollkommen erledigt und mussten sich dringend ausruhen. Sonst würden sie Atlantis nie rechtzeitig erreichen.
Wir müssen eine Pause machen. Etwas essen, ein bisschen schlafen, wieder zu Kräften kommen. In ein paar Stunden brechen wir wieder auf.
Die drei wurden langsamer, bis sie sich schließlich treiben ließen.
Wo schlafen wir, fragte Lou, gibt es hier irgendwo Höhlen?  Sie sah sich um, als würde direkt neben ihnen plötzlich eine Höhle auftauchen. Selbst wenn es eine gegeben hätte, so hätte sie sie in der Finsternis nicht sehen können.
Es hält immer einer Wache. Eineinhalb Stunden, dann wird gewechselt. So kriegt jeder drei Stunden Schlaf, beschloss Melodie, ich übernehme die erste Wache.
Drei Stunden Schlaf, juchu. So richtig zum Erholen, sagte Lou sarkastisch.
Wir müssen Atlantis rechtzeitig erreichen. Sonst haben wir gar keine Chance die Meermenschen in Antigua zu retten, wiedersprach Melodie.
Sie hatte Recht, aber drei Stunden Schlaf waren wirklich arg wenig, besonders, da sie den ganzen Tag schnell geschwommen waren.
Wie soll ich überhaupt wissen, wann eineinhalb Stunden um sind? Ich habe keine Uhr.
Nimm meine, schlug Melodie Lou vor. Sie berührte ihr Handgelenk und das Display einer Digitaluhr leuchtete durch die Dunkelheit.
Bestens vorbereitet, sagte Melodie und obwohl Aiden sie nicht sehen konnte, wusste er, dass sie ihr typisches Melodie-Lächeln aufgesetzt hatte. Er hatte es einst charmant gefunden, doch jetzt kam es ihm nur noch arrogant vor.
Zuerst sollten wir etwas essen, sagte er und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Meermenschen brauchten ihre Umgebung nicht zu sehen, um zu wissen wo Hindernisse, wie beispielsweise andere Lebewesen waren. Unter Wasser war alles miteinander verbunden. Ein einziger gigantischer Organismus. Aiden spürte einen Schwarm kleiner Fische zu ihrer Rechten. Roher Fisch gehörte nicht zu seinen bevorzugten Gerichten, aber er war nahrhaft. Aiden bewegte sich mit einer blitzschnellen Bewegung und schon hatte er einen Fisch in jeder Hand.
Abendessen, sagte er und streckte die Fische vor sich aus.
Lou griff nach seiner Hand und zuckte zurück.
Ih, was ist das?
Ein Fisch, sagte Melodie, die sich den anderen geschnappt hatte.
Da bleib ich bei Algen, bestimmte Lou.
Hier sind Algen gerade nicht so leicht zu finden, sagte Aiden. Fische bewegten sich und waren daher bei Nacht einfach zu fangen, aber Algen waren im Dunkeln als Meermensch kaum ausfindig zu machen. Zumal das Wasser super tief war und man eine Alge höchstens hätte finden können, wenn man in sie hineinschwamm.
Probier zumindest mal, forderte Aiden seine Freundin auf und hielt ihr den Fisch hin. Er spürte, wie sie ihn ihr langsam aus der Hand nahm.
Ich soll einen lebendigen Fisch essen?
Sie schmecken am besten wenn sie zucken, sagte Melodie.
Melodie lass es, riefen die anderen beiden unisono.
Es ist ja nur ein ganz kleiner Fisch. Der hat noch nicht mal richtige Greten, an denen du dich verschlucken könntest. Aiden versuchte Lou zu überreden und fing sich derweil selbst einen Fisch.
Nein, das mach ich nicht, sagte Lou entschieden. Ich weiß gar nicht, ob ich hungrig genug sein kann, um in einen lebendigen, rohen und ganzen Fisch reinzubeißen.
Aiden spürte die Bewegung, als seine Freundin den zappelnden Fisch in die Freiheit entließ.
Kurze Zeit später begann Melodie mit der ersten Wache, während Aiden und Lou sich eng aneinander schmiegten und sich treiben ließen.
Wozu brauchen wir eigentlich Wachen? Frage Lou, als Aiden beinah eingeschlafen war.
Bloß falls Haie oder Kraken kommen, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Mach dir keine Sorgen.
Aiden griff nach Lou, die sich bei der Erwähnung von Haien und Kraken abrupt aus seiner Umarmung gelöst hatte.
Wie bitte? Unwahrscheinlich? Ich wurde heute schon von einem verdammten Riesenkraken fast verspeist.
Das war so ziemlich das unwahrscheinlichste, das dir im ganzen Ozean passieren konnte. Ich hatte noch nie von so einem Vorfall gehört, versuchte Aiden seine Freundin zu beruhigen.
Dann bin ich ein wandelnder Horrormagnet. Wie soll ich denn jetzt einschlafen? Jederzeit könnte uns wieder ein Hai oder Krake oder das Monster von Loch Ness angreifen.
Was ist das Monster von Loch Ness?
Ein Seeungeheuer in Schottland. Egal, vor Nessi habe ich noch die geringste Angst im indischen Ozean.
Wollt ihr jetzt endlich schlafen oder will einer von euch die erste Wache übernehmen? Ich brauche meinen Schönheitschlaf.
Die drei Stunden, witzelte Lou. Offensichtlich wollte sie sich nur zu gerne von den potenziellen Riesenkrakenangriffen ablenken.
Wir schlafen, sagte Aiden und nahm Lou wieder in den Arm.

Es kam ihm vor, als wäre er nur kurz weggenickt, als Melodie ihn vorsichtig weckte. Naja, das mit dem vorsichtig hatte er wohl noch geträumt. In Wirklichkeit schlang sie ihm die Arme um den Hals und kam mit ihrem Mund ganz dicht an sein Ohr, als wollte sie ihm etwas zuflüstern. Das war bei der Telepathie unter Wasser allerdings sehr unwahrscheinlich. Diese Meerjungfrau gab einfach niemals auf.
Deine Schicht beginnt, flötete sie.
Aiden löste sich von seiner Freundin und schob Melodie unsanft beiseite. Er verstand nicht, wieso sie es nicht einfach bleiben lassen konnte. Er hatte es ihr doch mehr als deutlich gesagt. Allerdings beschloss er den Vorfall zu ignorieren. Er war müde und wollte keinen Streit.
Irgendwelche Vorkommnisse? Fragte er stattdessen.
Alles ruhig. Ich stelle den Timer auf neunzig Minuten.
Melodie gab mir ihre Armbanduhr und ich machte sie an meinem Handgelenk fest, damit ich sie nicht verlor. Melodie schwamm dicht neben Lou. Wenn die zwei sich festhielten, würden sie aufgrund der natürlichen Fischschwanzbewegungen von Meermenschen weniger abtreiben. Aiden viel auf, dass er vergessen hatte das Lou zu erzählen. Er hoffte, dass sie sich nicht aufregend würde, wenn sie direkt neben Melodie aufwachte. Gute Freundinnen waren die beiden ja nicht gerade.
Aiden ließ sich ein paar Meter von den beiden Mädchen entfernt treiben und konzentrierte sich dabei auf alle Bewegungen in der Umgebung. Er spürte die kleinen und größeren Fische und natürlich Lou und Melodie. Ansonsten war der Ozean um ihn herum ruhig.

Wenig später spürte er plötzlich etwas großes, dass sich rasch näherte, aber deutlich unter ihnen befand. Aiden konzentrierte sich darauf und vermutete, dass es sich um einen Hai handelte. Doch da Haie normalerweise auf Sicht Jagden und tagaktiv waren, machte Aiden sich keine allzu großen Sorgen. Wenn man Haie nicht provozierte und nicht gerade ein menschlicher Surfer mit viel Pech war, hatte man vor diesen riesigen Tieren wenig zu befürchten. Wie erwartet spürte Aiden, dass der Hai einfach weiter schwamm und sich rasch von ihnen entfernte. Zum Glück war Lou nicht wach gewesen. Sie wäre sicher wieder in Panik verfallen. Aiden beschloss ihr nichts von dem Vorfall zu erzählen.



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Viele Grüße und bis zum nächsten Mal

Anni



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