Bereit wenn du es bist

Liebe Leser,

so jetzt gibt es auch endlich mal ein neues Kapitel. Haben gerade viele Klausuren und das ist im Abijahr leider nicht gerade schillig, deshalb komme ich nicht so viel zum Schreiben. Jetzt aber mal wieder ein langes Kapitel.

Heute habe ich nämlich Geburtstag. Da dachte ich mir, dass ich auch mal was zurückschenken muss, wenn ich schon so reich beschenkt werde von Familie und Freunden. Da bekommt meine Wattpad-Familie ( ;) ) einfach mal etwas von mir.

Eure Anni und viel Spaß beim Lesen

P.S. Ich würde mich über ein paar Votes und Kommentare sehr freuen. ;)

Kapitel 3

Aiden und ich fuhren mit dem Bus zu mir. Es war plötzlich stark abgekühlt und angefangen zu regnen, was für diese Jahreszeit eigentlich ziemlich untypisch war. Als wir an der Haltestelle ausstiegen, die nur ein paar Blocks von meinem Zuhause entfernt war, hatte es angefangen zu schütten.

„Das ist ja ein richtiger Platzregen", meinte eine ältere Dame, die mit uns ausgestiegen war zu niemand bestimmten. Sie setzte sich die Kapuze ihres Sommermantels auf und lief schnell davon. Ein kleiner Dackel lief auf seinen kurzen Beinen hinter ihr her.

„Wir verwandeln uns doch nicht bei dem Wetter?", fragte ich und sah unsicher zum Himmel hinauf, wo sich tiefschwarze Gewitterwolken bedrohlich aufgetürmt hatten.

„Nur wenn wir zu lange hier draußen rumlaufen", meinte Aiden mit einem schiefen Grinsen, „Bei dem Wetter kann man leicht so nass werden, als wäre man gerade schwimmen gewesen."

„Komm, wir beeilen uns", sagte ich mit einem Kloß im Hals und griff nach seiner Hand, „Sich mitten auf der Straße in eine Meerjungfrau zu verwandeln war jetzt nicht gerade das, was ich heute noch machen wollte."

„Eins, zwei, drei", sagte Aiden und wir stürzten unter dem kleinen Haltestellenhäuschen hervor, das uns zumindest ein bisschen Schutz gegeben hatte. Zusammen rannten wir den Weg zu meinem Haus entlang, der mir auf einmal sehr weit vorkam. Binnen Sekunden waren wir nass bis auf die Knochen und ich befürchtete mich jederzeit zu verwandeln.

Mit vor Kälte zitternden Händen schloss ich kurze Zeit später die Haustür auf. Meine Klamotten klebten an meiner Haut und ich war froh, dass ich heute Morgen doch nicht das weiße Top angezogen hatte.

Im Haus war es angenehm warm und vor allem trocken. Alles war dunkel und still. Die anderen waren also noch nicht zu Hause. Mein Vater arbeitete bis zum Abend. Er hatte zwar versucht frei zu bekommen, schließlich hatte seine jüngste Tochter Geburtstag, aber in der Firma war gerade so viel zu tun, dass das nicht möglich war. Geena feierte ihre Prinzessinnenparty und hatte sich gewünscht mit ihren Freundinnen noch ins Kino zu gehen. Da war sie jetzt vermutlich zusammen mit meiner Mutter. Sie wollten sich einen Disney-Film ansehen, der gerade lief. Natürlich hatte er etwas mit Prinzessinnen zu tun. Er hieß Frozen und ich dachte mal wieder war es nur für eine Ironie sein konnte so etwas mitten im Sommer zu sehen. Ja, Australien war schon ein wenig verrückt. Schließlich war hier Sommer, wenn auf der Nordhalbkugel Winter war und andersrum. Dieses Jahr würden wir schon wieder Weihnachten bei über dreißig Grand am Strand feiern. Mir gefiel das sehr gut, auch wenn ich mich manchmal fragte, wie sich Schnee wohl anfühlte. Bisher hatte ich ihn nur im Fernsehen gesehen.

„Lou", sagte Aiden und riss mich abrupt aus meinen Gedanken.

„Ja?", sagte ich und bemerkte, dass ich mal wieder ganz wo anders gewesen war.

„Ich habe gefragt ob du vielleicht ein Handtuch für mich hast. Wir tropfen hier alles voll."

Mein Blick wandere zu Boden und ich sah überrascht, dass sich schon eine recht große Pfütze um unsere Füße herum gebildet hatte und der helle Teppich dunkel gefleckt wurde.

„Ach, ja klar", sagte ich schnell und hastete ins Badezimmer um ein paar Handtücher zu holen. Wir wischten den Boden schnell sauber und gingen dann nach oben in mein Zimmer. Unsere Klamotten waren immer noch triefend nass und wir hinterließen eine Spur aus Wassertropfen auf dem Weg nach oben.

Ich zog mir mein klitschnasses Shirt und die Hose aus und ließ sie einfach zu Boden fallen. Mir wurde bewusst, dass ich jetzt nur noch in Unterwäsche vor Aiden stand und wurde plötzlich rot. Ja, das war nun wirklich kindisch.

Aiden, der hinter mir ins Zimmer gekommen war sah mich an und lächelte.

„Du siehst wunderschön aus", sagte er und ich wurde noch röter.

Wieso musste er nur immer solche Sachen sagen? Obendrein konnte es nicht mal stimmen. Meine dunkelroten Haare, die mir eigentlich in weichen Wellen über den Rücken hingen, waren verknoten und klebten nass auf meiner Haut. Mein Mascara war vom Regen verschmiert worden, was ich zu meiner Bestürzung eben im Spiegel an der Wand gesehen hatte. Ich sah aus wie mutierter Waschbär. Das war meiner Meinung nach eine Menge, wie zum Beispiel furchtbar oder ein epic fail, aber ganz bestimmt nicht wunderschön.

Aiden zog sich das T-Shirt aus und warf es auf meine nassen Sachen. Wieder einmal staunte ich über seinen Körper. Es mochte vielleicht oberflächlich sein und natürlich zählten auch die inneren Werte (die bei Aiden auch nicht zu wünschen übrig ließen), aber er sah wirklich aus wie ein Model aus einem Hochglanzmagazin. Seine Haare sahen nass irgendwie verwegen und unglaublich sexy aus. Ganz anders als meine Haare, die eher einen begossenen Pudel zu mimen schienen.

Ohne es zu bemerken hatte ich einen Schritt auf ihn zu gemacht und er ebenso. Einen Moment später küssten wir uns und als unsere Lippen sich trafen war es mir plötzlich total egal, dass wir immer noch klitschnass vom Regen waren und dass meine Haare in einem beklagenswerten Zustand waren. Die ganze Welt schien um uns zu verschwinden. Das klang furchtbar kitschig, aber es half nichts, denn er konnte einfach so verdammt gut küssen.

„Ihhh", rief plötzlich eine schrille Mädchenstimme und wir sprangen erschrocken auseinander. Ich wirbelte zur Tür herum und sah in die großen Augen meiner kleinen Schwester. Sie trug noch immer das Prinzessinnenkleid von heute Morgen und Wassertropfen hingen in ihrem blonden Haare, als wären sie einzeln dort hingesetzt worden. Ich hatte nicht gehört, wie sie und Mom von Kino nach Hause gekommen waren und auch von Geenas Klopfen nichts mitbekommen, wenn sie denn überhaupt geklopft hatte, was sie meistens vergaß. Hoffentlich war sie nicht allzu schockiert von ihrer großen Schwester, wie sie ihren Freund küsste. In Unterwäsche.

„Ups." War alles, was mir dazu einfiel und ich sah schuldbewusst zu Aiden hin. Er lächelte ein bisschen und wirkte so, als sei es das natürlichste auf der Welt halbnackt von einer Elfjährigen beim Küssen unterbrochen zu werden.

„Geena", fing ich an, doch meine Schwester hatte sich schon wieder gefangen und grinste wie eh und je. Offensichtlich hatten wir sie doch nicht fürs Leben traumatisiert.

„Mummy sagt es gibt essen und ich glaube ihr solltet euch besser vorher was anziehen", meinte sie und ich fand, dass sie plötzlich viel älter als elf wirkte. Mit diesen Worten drehte sie sich um und sprang die Treppe runter, wobei sie mehrere Stufen auf einmal nahm.

„Wir sollten uns anziehen", sagte Aiden nach einem Moment.

„Stimmt", meinte ich und ging schnell zu meinem Schrank. Aiden hatte schon ein paar Mal bei mir übernachtet und hatte ein paar Menschenklamotten bei mir deponiert, was jetzt besonders praktisch war. Schließlich konnte er schlecht meine Sachen anziehen, weil die bestimmt nicht passen würden.

Nur zehn Minuten später kamen wir unten in die Küche. Wir hatten wieder trockene Kleidung an und die Haare mit einem Handtuch notdürftig trockengerubbelt. Das hieß, Aiden war nach weniger als einer Minute fertig, seine Haare waren trocken und seine Frisur sah aus, als hätte er sie ganz genau so geplant. Bei mir war das nicht so einfach gewesen. Meine Haare waren so lang, dass da ein Handtusch und ein bisschen rubbeln nichts brachte, deshalb hatte ich sie nur entwirrt und schnell mit einer Spange hochgesteckt.

„Da seid ihr ja", sagte meine Mutter und ihre Stimme verriet nicht, ob Geena gepetzt hatte oder nicht, „Seid ihr auch so nass geworden? Ihr Armen. Hoffentlich bekommt ihr keine Erkältung. Esst erst Mal was."

Nein, Geena schien nichts von ihrem „schockierenden" Erlebnis erzählt zu haben, denn sonst hätte meine Mutter uns erst einmal eine furchtbar peinliche Predigt darüber gehalten, dass wir vorsichtig sein sollten und dass sie sich noch zu jung fühlte Großmutter zu werden. Das Gespräch hatte ich mit ihr sogar schon mehrfach. Irgendwie hatte sie mir nicht geglaubt, dass wir es noch nicht getan hätten und dass ich definitiv wusste, wie man verhütete. Bitte, das war einfach nur peinlich und zwar die In-einem-Loch-im-Boden-versinken- und nicht die Rot-werden-Variante. Ganz besonders vor meiner kleinen Schwester und besagtem Freund.

Wir aßen ein chinesisches Gericht mit Reis, Gemüse und Hühnchen. Es war ziemlich lecker und auch Aiden lobte das Essen in höchsten Tönen, was ihm bei meiner Mom bestimmt ein paar Pluspunkte einbrachte.

Geena redete die ganze Zeit von der tollen Feier mit ihren Freundinnen am Nachmittag und von dem Film. Ich hatte ihn nicht gesehen und verstand nicht alles von dem, was sie erzählte, aber offensichtlich hatte es einen Schneemann namens Olaf gewesen, den sie besonders toll gefunden hatte.

Aiden und ich verabschiedeten uns, als wir mit dem Essen fertig waren und das Geschirr in die Spülmaschine gestellt hatten und gingen schnell nach oben.

Wir saßen auf meiner Couch und sahen uns eine DVD an. Das war etwas, dass viele Paare wahrscheinlich andauernd machten, aber mir viel plötzlich auf, dass wir noch nie zusammen einen Film gesehen hatten und ich musste lachen.

„Was ist los?", fragte Aiden verwundert. Der Film war gerade nämlich nicht lustig und es musste seltsam wirken mitten in einer eher traurigen Szene zu lachen.

„Wir haben das noch nie zusammen gemacht", klärte ich ihn auf, „Einfach nur auf dem Sofa sitzen und einen Film gucken." Ich kuschelte mich entspannt an ihn und legte meinen Kopf auf seine Brust.

„Stimmt, es passiert einfach immer so viel, aber ich finde wir könnten das echt häufiger machen", sagte er und küsste mich auf Haar.

„Genau." Ich hob meinen Kopf, drehe mich zu ihm um, sodass unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Er senkte seinen Kopf ein Stück und wir küssten uns. Aiden legte seine Arme um mich und ich spürte seine Hände an meinem Po. Ich vergrub meine Hände in seinem Haar und zerzauste es ihm bestimmt völlig, aber das war uns im Moment herzlich egal.

Ich konnte nicht behaupten von dem Rest des Films noch sonderlich viel mitbekommen zu haben. Aiden und ich waren...nun ja...abgelenkt. Die Guten hatten am Ende bestimmt gewonnen und es gab ein Happy End. Vielleicht mussten wir den Film einfach nächstes Mal nochmal gucken. Allerdings bezweifelte ich, dass ich dann viel mehr zusehen würde.

Mein Freund und ich schliefen dicht nebeneinander in meinem Bett. Sein Arm war um mich gelegt und unsere Beine waren ineinander verschlungen. Ich spürte seinen warmen Körper an meinem. Ich war mir später nicht sicher, wer von uns zuerst eingeschlafen war.

Ich träumte gerade davon neben Aiden auf einer Picknickdecke inmitten von bunten Blumen zu liegen und in lustig geformte Wolken zu blicken, als eine Stimme ich aus dem Schlaf riss.

„Story of my life", sang jemand und ich sah mich im Zimmer um, als ich hochschreckte, Aiden schien nichts davon zu bemerken und schlief einfach weiter. Es dauerte einen Moment, bis ich wach genug war um zu bemerken, dass One Direction mich nicht mit einem Morgenkonzert in meinem Zimmer überraschte, sondern lediglich mein Handy klingelte. (Ja, so einen Klingelton bekam man, wenn man seiner kleinen Schwester mal fünf Minuten unbeaufsichtigt sein Handy lieh.)

Ich lehnte mich aus dem Bett und versuchte Aiden dabei nicht zu wecken. Ich blinzelte verschlafen, während ich auf Annehmen klickte, ohne auf das Display zu sehen, wer mich zu nachtschlafender Zeit anrief.

„Ja", krächzte ich verschlafen. Meine Stimme klang wirklich furchtbar, als wäre ich auf einem Konzert gewesen und hätte die ganze Nacht durchgeschrien.

„Lou", schluchzte jemand und ich brauchte nicht eine Sekunde um zu bemerken wen ich da in der Leitung hatte.

„Scarlet", rief ich besorgt und ein bisschen lauter, als beabsichtigt. Schnell sah ich mich zu Aiden um, doch der hätte vermutlich alles verschlafen.

„Ich...", fing sie an, brach aber ab, weil sie vor lauter Weinen nicht weiter sprechen konnte.

Jetzt machte ich mir richtig Sorgen. Was war nur passiert. So hatte sie mich das letzte Mal angerufen, als ihr Kaninchen Oscar gestorben war. Es war vor knapp zehn Jahren und mein Vater war extrem wütend, weil Scarlet nachts um drei auf dem Festnetztelefon anrief. Damals hatten wir ja alle noch keine Handys. War also jemand gestorben? War sie deshalb so außer sich?

„Was ist passiert, Süße?", fragte ich kaute auf meiner Unterlippe, wie immer, wenn ich richtig nervös war.

„Ich habe überhaupt nicht geschlafen, aber ich wollte dich nicht anrufen, weil ich wusste, dass doch Aiden bei dir ist und...", ihre Stimme brach wieder weg.

„Scarlet", sagte ich und versuchte sie zu beruhigen, obwohl sie mir langsam eine ziemliche scheiß Angst einjagte und ich merke, wie meine Stimme ein bisschen zitterte. Meine beste Freundin tat eine Menge, aber eine Dramaqueen, die bei jedem kleinen Problem ausflippte war sie nicht.

„Kannst du...vorbei kommen?", fragte sie stockend und ich war sofort aus dem Bett.

Natürlich wäre ich am liebsten zurück zu Aiden unter die Decke geklettert, hätte ich an ihn gekuschelt und weiter geschlafen. Schließlich war es erst halb fünf und mein Wecker würde erst in über zwei Stunden klingeln. Es war eine große Ausnahme gewesen, dass Aiden an einem Schultag hier übernachten durfte, aber meine Eltern hatten schließlich nachgegeben, weil es ohnehin die letzte Schulwoche war und im Unterricht nur noch langweilige Filme geguckt wurden und man so viel frühstückte und Eis aß, dass man eigentlich die Ferien mit einer Diät beginnen müsste.

„Ich komme so schnell wie möglich", sagte ich leise und hörte nur ein Schluchzen und dann ein klicken in der Leitung. Ich legte das Handy zur Seite und zog mich so leise wie möglich an.

„Aiden", sagte ich, als ich fertig war, weil ich nun wirklich nicht einfach so verschwinden wollte. Alle würden sich Sorgen machen und dies war auch kein One-Night-Stand in einem Hotel, den man am besten bei Nacht und Nebel verließ, wie es immer wieder in Filmen gezeigt wurde.

„Aiden", wiederholte ich, diesmal lauter und rüttelte leicht an seiner Schulter, „Aiden!"

Er drehte sich ein Stück von mir weg und zog die Decke höher. Mein Freund war der reinste Morgenmuffel. Eigentlich war ich das auch, aber die Sorge um meine beste Freundin hatte mich wie elektrisiert auf einen Schlag hellwach werden lassen.

„Schon Morgen?", fragte Aiden verschlafen und drehte sich zu mir um.

„Naja, fast", sagte ich mit einem Blick auf die Uhr, die exakt 4:34 anzeigte.

„Was ist los? Komm wieder ins Bett." Aiden hob die Decke ein Stück an und sah mich mit seinen großen grünen Augen an, sodass ich noch sehr viel lieber direkt wieder zu ihm ins Bett geklettert wäre, aber das ging jetzt nicht.

„Es gibt einen Notfall mit Scarlet", sagte ich.

„Was ist passiert?", fragte er.

„Keine Ahnung, aber ich muss schnell zu ihr. Es ist wirklich wichtig. Bleib ruhig liegen. Es ist noch mitten in der Nacht."

„Soll ich nicht mitkommen? Wenn es ein Notfall ist braucht sie vielleicht Verstärkung", bot er an.

„Das ist glaub ich eher ein Bete-Freundin-Notfall", sagte ich. Natürlich wusste ich nicht mit Sicherheit, was los war, aber sie hätte bestimmt die Polizei oder den Krankenwagen gerufen, wenn es diese Art Notfall war und wenn tatsächlich jemand gestorben sein sollte oder etwas derart schreckliches passiert war, dass ich mir nicht mal ausmalen wollte, wäre es sicher besser, wenn ich allein kam.

„Okay", sagte Aiden und ließ sich zurück ins Bett sinken. Ja es war tatsächlich noch viel zu früh zum Aufstehen.

„Wann sehen wir uns?", fragte ich und nahm meine Tasche vom Boden, die ich eben schnell zusammengepackt hatte.

„Heute Nachmittag beim kleinen Riff", schlug mein Freund vor.

Ich wusste sofort welchen Ort er meinte. Das kleine Riff war ein Korallenriff unweit meiner Schule. Es war eine Art Treffpunkt, wo wir uns oft trafen, wenn ich Schule aus hatte und wir zusammen nach Antigua schwammen.

„Perfekt", sagte ich, „Ich habe um zwei Schluss, denn bin ich um zehn nach da."

Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen schneller Abschiedskuss, bevor ich das Zimmer verließ und die Treppe runterschlich um meine Eltern oder meine Schwester nicht zu wecken. Das letzte was ich jetzt gebrauchen konnte waren viele Fragen, die mich noch länger aufhielten. Ich steckte noch schnell den Haustürschlüssel ein und rannte beinah zum Schuppen. So früh morgens fuhren in meiner Gegend keine Busse. Deshalb musste ich mit dem Fahrrad zu Scarlet fahren. Das dauerte zwar zehn Minuten länger, als mit dem Bus, aber um zwanzig vor fünf schliefen die Busfahrer wahrscheinlich noch. Ebenso wie alle anderen Menschen in der Gegend. Ich begegnete niemandem auf den Straßen, durch die ich so schnell fuhr, wie ich konnte. Ein paar Vögel schreckte ich auf, aber sonst blieb alles still und friedlich.

Ich erreichte Scarlets Haus in Rekordzeit und war schon ziemlich verschwitzt, als ich mein Fahrrad im Vorgarten abstellte, ohne es abzuschließen. So früh am Morgen schliefen sicher selbst die Diebe noch.

Das Fenster in Scarlets Zimmer, im ersten Stock, waren erleuchtet. Der Rest des Hauses lag im Dunkeln, ebenso wie alle anderen Häuser in diesem Viertel. Das Gras im Vorgarten war nass vom Tau oder noch von dem Regen gestern Abend. Die Sonne ging langsam auf und der Himmel hinter den Häusern färbte sich rosa. Im Sommer war diese Himmelskörper einfach mal der krasseste Frühaufsteher überhaupt und im Winter kam er gar nicht aus dem Bett.

„Lou?", hörte ich plötzlich Scarlets verheulte Stimme von oben. Ich hatte gerade schon meine Hand auf den Klingelknopf gelegt. Natürlich war es unhöflich mitten in der Nacht bei anderen Leuten zu klingeln, aber ich hatte irgendwie angenommen, dass Scarlets Mutter auch auf sein musste, wenn es tatsächlich einen Notfall gab.

„Warte. Ich komm runter und mach auf." Schon hörte ich, wie sie das Fenster schloss und zehn Sekunden später öffnete sich die Haustür.

Meine beste Freundin stand vor mir. Sie trug die Kleidung von gestern, hatte sich, den dunkeln Mascaraflecken zu urteilen, nicht abgeschminkt und ihre Haare standen nach allen Seiten ab. Sie warf sich sofort in meine Arme und weinte an meine Schulter, wobei sie den Niagarafällen Konkurrenz machte und im Nu mein T-Shirt durchnässt hatte.

„Was ist nur mit dir los?", fragte ich besorgt und mir kamen auch schon die Tränen. Zum Glück hatte ich heute auf Wimperntusche verzichtet.

„Es ist..." Sie brach am und sah mich verzweifelt an.

„Gehen wir erst mal hoch." Versuchte ich sie zu beruhigen und schob sie sanft aber bestimmt über die Schwelle zurück ins Haus.

Oben in ihrem Zimmer angekommen ließ sie sich energielos auf ihr Bett fallen und nahm ihr altes Lieblingsplüschtier fest in den Arm, als wäre es ein Anker. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie Elmo überhaupt noch hatte. Elmo war nicht etwa das rote Monster von der Sesamstraße, sondern ein weißes Einhorn mit pinkfarbener Mähne, das mittlerweile schon eher schmuddelig grau war. Sie hatte es schon seit fünfzehn Jahren oder so. Es lag allerdings schon lange in einer Kiste auf dem Dachboden. Als wir beide in die High-School gekommen waren hatten wir beschlossen unsere Kindheit zurückzulassen und alle Plüschtiere und Spielzeuge in einem Umzugskarton verstaut. Scarlet wollte jetzt offensichtlich ein Stück ihrer Kindheit zurück haben.

Ich legte mich neben sie aufs Bett und legte einen Arm um sie um sie zu trösten.

„Und jetzt erzählst du mir mal, was passiert ist", sagte ich ruhig. Bei ihrem Verhalten fürchtete ich mich schon fast vor dem, was sie jetzt sagen würde. Es musste etwas wirklich schlimmes sein, aber wozu waren beste Freundinnen sonst da, wenn nicht dazu in solchen Situationen da zu sein.

„Ich...Er...Max hat mich verlassen", brachte sie nach einem Moment heraus und begann sofort wieder zu weinen wie ein Schlosshund.

Meine erste Reaktion war zu lachen, was ich natürlich sofort unterdrückte. Natürlich war es traurig, dass Max mit ihr Schluss gemacht hatte, aber es war doch kein Grund so ein Theater zu machen. Ich dachte jemand wäre gestorben, sie hätte herausgefunden, dass sie schwanger ist, Krebs hatte oder irgendwas anderes, was das Leben völlig aus der Bahn warf, aber sie war lediglich wieder Single. Natürlich war er ein Idiot, wenn er so ein tolles Mädchen, wie Scarlet verließ, aber wenn er so ein Arsch war hatte er sie einfach nicht verdient. Mir war allerdings sofort klar, dass ich ihr das so nicht sagen konnte, ohne dass sie sich wieder in einen Springbrunnen verwandelte.

Max und Scarlet waren sechs Monate zusammen gewesen. Er war ihr erster Freund ihre erste große Liebe. So kitschig das auch klang. Mit Liebessms, Schmetterlingen im Bauch und solchen Dingen. Die ganze Palette an pubertären Liebeshormonen. Sie hatten sogar miteinander geschlafen und ich wusste von Scarlet, dass sie geplant hatten nach der Schule zusammen nach Europa zu reisen. Daraus würde jetzt wohl auch nicht mehr werden.

Ich nahm sie fester in den Arm.

„Max sagt", sie stockte und nahm sich eines der letzten Taschentücher aus so einer großen hunderter Packung, „Max sagt, dass er mich nicht mehr liebt und dass es für ihn schon seit einer Weile zu Ende ist und er ist mit Anne zusammen. So ein Arsch. Dabei weiß doch jeder, dass Anne die größte Schlampe der Schule ist und dass sie sich gar nichts aus ihm macht und einfach nur", sie schniefte in ihr Taschentuch, „vögeln will." Scarlet sah mich verzweifelt aus ihren rot verweinten Augen an und klammerte sich jetzt gleichzeitig an mich und an Elmo.

„Er ist ein Idiot, wenn er lieber Anna will als ich", sagte ich weil ich einfach nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen.

„Er ist so ein I-Idiot, aber ich li-liebe ihn." Scarlet schluchzte wieder.

Fast eine Stunde lagen wir so auf ihrem Bett und sie beschwerte sich abwechselnd über ihren Ex-Freund und sagte dann wieder, dass sie ihn immer noch wie verrückt liebte. Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus und stand auf.

„Scarlet. Du kannst dich nicht ewig hier verkriechen. Wir haben gleich Schule und du wirst in diese Schule marschieren und Max zeigen, dass er dich Mal Kreuzweise kann. Du bist eine starke Frau das weiß ich. Du ziehst dich jetzt um, wir benutzen ein bisschen von dem tollen Concealer deiner Mutter und dann geht es dir schon viel besser."

„Ich will einfach nur im Bett bleiben und nie wieder rauskommen", jammerte meine beste Freundin und zog sich die Bettdecke über den Kopf, sodass nur noch ein paar Haarspitzen hervorschauten.

 „Quatsch", sagte ich und zog ihr rigoros die Decke weg. Sie jammerte weiter in ihr Kissen.

War es wirklich so schlimm seinen Freund zu verliere? Einen Menschen, der gerade mal ein halbes Jahr in seinem Leben gewesen war? Ich fragte mich, ob ich wohl eine schlechte Freundin war, weil ich sie nicht verstand. Dann dachte ich allerdings darüber nach, wie es ohne Aiden wäre und ich verbannte den Gedanken aus meinem Gehirn, weil allein die Überlegung schon Schmerzhaft war und sich ganz falsch anfühlte. Vielleicht konnte ich Scarlets Verhalten doch nachvollziehen. Sie hatte auf einen Schlag einen Teil ihres Lebens, den sie schon beinah für selbstverständlich gesehen hatte, verloren und das war hart, aber so fies es auch klang, sie konnte sich nicht für immer verkriechen. Sie musste da wieder raus und es ihm zeigen. Jetzt erst recht. Das war wie wenn man vom Pferd fiel. Man musste direkt wieder aufsteigen.

„Nun komm Scarlet. Wir kriegen das hin. Du willst Max doch zeigen, dass du darüber stehst, was er macht und schon längst über ihn hinweg bist."

„Aber ich bin nicht über ihn hinweg."

„Komm du stehst jetzt auf und dann zeigen wir es ihm so richtig."

Nur wiederwillig ließ sich meine Freundin überreden aufzustehen und sich umzuziehen. Wir brauchten eine ganze Weile im Bad und verbrauchten fast die Hälfte von dem sündhaft teuren Concealer ihrer Mutter, aber manchmal musste man eben Opfer bringen.

Wir kamen tatsächlich noch fast rechtzeitig zur ersten Stunde und huschten zusammen mit unserem Lehrer in den Politikraum. Ich bemerkte, dass Scarlets Blick starr auf ihren Platz in der zweiten Reihe gerichtet war, damit sie Max nicht ansehen musste. Ich warf ihm allerdings schon einen wütenden Blick zu. Hätte ich mit den Augen Laserstrahlen schießen können wäre er jetzt nur noch ein Häuflein Asche. Er hatte früher neben Scarlet gesessen. Ich hatte extra mit ihm den Platz getauscht, weil er nur diesen einen Kurs mit Scarlet zusammen hatte. Jetzt saß er in der letzten Reihe auffällig dich neben Anna, die ihn mit ihren Blicken auszuziehen schien. Ich unterdrückte ein würgen. Was er doch für ein Idiot war. Gestern war er noch mit meiner BFF zusammen gewesen und jetzt präsentierte er sich so öffentlich mit seiner Neuen.

Kaum dass ich mich gesetzt hatte schaltete jemand das Licht aus und eine typische Stunde in der letzten Woche vor den Ferien begann. Wir sahen uns eine langweilige Dokumentation an, die den einzigen Vorteil hatte, dass man dabei weder Denken noch Zuhören musste und mein Gehirn den Schlaf nachholen konnte, den es diese Nacht wegen Scarlets Notfall verpasst hatte.

Die anderen Stunden verliefen ähnlich und zogen sich hin, wie ein Kaugummi. Zwei Filme, einmal Eis essen und eine Stunde war eine „Spaß"-Stunde, was bedeutete, dass man sich unterhalten konnte, aber die ganze verdammte Stunde bleiben musste.

Ich traf mich noch kurz mit Scarlet nach der letzten Stunde und verabredete mich mit ihr für morgen Nachmittag nach der Schule. Wir würden erst shoppen gehen und dann bei ihr Zuhause einen richtigen Mädchen-Wellnesstag mit Nägel lackieren und Gurkenmaske machen. Vielleicht würde sie darüber Max zumindest zeitweise vergessen. Dieser lief gerade ganz dreist mit Anna am Arm an uns vorbei.

„Ich ruf dich heute Abend an und du versprichst mir, dass du mit deiner Mutter in diesen Laden gehst und dich nicht sofort wieder in deinem Zimmer einschließt wenn du zu Hause bist, okay?" Ablenkung war meiner Meinung nach die beste Strategie und da kam mir der neue Spleen von Scarlets Mutter gerade recht. Scarlets Mom war schon ein bisschen strange. Vor ein paar Monaten hatte sie die ganze Wohnung im Retrostil eingerichtet, dann war sie bei einem Tarotseminar gewesen und jetzt sammelte sie Kristallkugel und schwört damit in die Zukunft sehen zu können. Um noch mehr Kugel zu kaufen fuhr sie in ihrer Freizeit in alle möglichen Esoterikshops der Umgebung.

„In Ordnung", stimmte Scarlet zu, sah aber nicht besonders glücklich aus.

„Kopf hoch, Süße." Versuchte ich sie aufzumuntern. Sie lächelte, aber es sah gezwungen aus. Ich umarmte sie fest und hoffte, dass sie merkte wie sehr ich sie mochte und dass ich sie nie einfach so verlassen würde.

„Bis heute Abend."

„Genau."

Ich machte mich auf den Weg zum Strand und damit zu Aiden. Meine Gedanken waren bei Scarlet. Ich machte mir immer noch Sorgen um sie. So fertig war sie selten gewesen und ich hoffte, dass sie sich schnell erholen würde und wieder ganz die alte wäre. Es lohnte sich wirklich nicht wegen so einem Idioten wie Max den Kopf in den Sand zu stecken.

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