-Harry-
Ich folgte ihr auf das Dach. Das Metall der Feuerleiter war kalt und ein bisschen feucht, ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich die Wolken am Himmel fast bis zum Boden gesenkt und sich in dicken Nebel verwandelt hatten. Er reichte bis zum Boden und umhüllte mich vollkommen von dem Moment an, an dem ich mich an den Gitterstäben hoch zog. Meine Hände fühlten sich schon nach wenigen Griffen taub an.
Sie schien es sich gewohnt zu sein, diese Feuerleiter hoch zu klettern, denn sie hatte sich innerhalb kürzester Zeit über die Dachkante und aus meinem Sichtfeld bewegt. Deutlich weniger schnell erreichte ich die obersten Sprossen der Leiter. Mittlerweile lag der Nebel unter mir und bildete eine dicke, graue Masse, die mich an irgendetwas erinnerte, aber ich hatte nicht die Zeit, darüber nach zu denken, während ich über die Dachkante auf das Dach kletterte. Sie stand am anderen ende des Daches an einer Tür, die sichtlich zu einer Treppe nach unten ins Gebäude führte. Sie schloss sie ab, drehte sich zu mir um, hielt einen Moment lang blick Kontakt und lief auf eine andere Dachkante zu, an welcher sich sie anlehnte und darüber hinaus Blickte.
"was willst du?" fragte sie, als ich mich zu ihr gesellte. Gute frage, dachte ich und hatte keine Ahnung. "Ich nehme an, das ganze Erpressungs-Ding kann nicht mehr abgebrochen werden?" fragte ich und dachte darüber nach, was ich wollte. Was sollte ich schon wollen? Eine Pause von den Touren? Das würde so wie so nach diesem Konzert kommen, wenn auch nur für eine Weile. Dass ich keine Albträume haben würde? Jeder hätte nach diesen Erlebnissen Albträume, ich hatte mich nicht zu beschweren. Überhaupt sollte ich mich nicht beschweren. Sie hatte gesagt, dass sie nach Hause gehen wollte, hiess das, dass hier war ihr Zuhause? Mein Blick wanderte über die Stadt, dicker Nebel zwischen den Gassen, Graffitos an jedem Gebäude, von irgendwo weit weg klangen Sirenen und Autos...
"Das 'ganze Erpressungs-Ding' ist leider ziemlich notwendig. Also nein, kann es nicht." antwortete sie auf meine Frage. Sie... "Wie ist eigentlich den Name? Und bevor du sagst dass mich das nichts angeht, bedenke dass du schon massiv in meine Privatsphäre und auch meinen Körper", ich deutete auf meinen Hals, "eingedrungen bist. Also mir deinen Namen zu verraten, ist das mindeste. Das schuldest du mir." meinte ich ein bisschen schnippischer als ich vorgehabt hatte. Genau wie beim letzten mal, als ich das Wort "Schuld" erwähnt hatte, schien sie kein Gegenargument zu haben. Jedoch antwortete sie auch nicht, sondern sah weg von mir, ihre tief grauen Augen auf irgendwas in der Ferne fixiert. "Ich meine, ich dich ja nicht weiterhin Chill-Ninja nennen..." fügte ich noch hinzu und beobachtete, sie wie sich ein grinsen auf ihr Gesicht stahl, welches sie sichtlich zu bekämpfen versuchte, aber kläglich scheiterte.
Nach einem Weiteren Moment der Stille atmete sie durch und antwortete mir, immer noch meinen Blick vermeidend: "Es ist schon schlimm genug, dass du mein Gesicht kennst... El Unlawful. Mein Name ist El Unlawful."
Meine Augenbrauen fuhren auch oben. Teils aus Überraschung, dass sie mir ihren Namen tatsächlich gesagt hatte, teils wegen der ungewöhnlichen Natur des Namens. "Ist das... Ich meine... Haben dich deine Eltern so genannt? Dann sind sie wohl nicht sehr überrascht, dass du jetzt kriminell bist?" sprach mein Mund meine Gedanken aus, bevor ich dazu kam, diese in eine höflichere und weniger invasive frage um zu wandeln. Ihr blick verhärtete sich und ich bemerkte wie sich ihre Muskeln verspannten. Ich war drauf und dran mich zu entschuldigen, als sie mir zu vor kam. "Meine Eltern sind tot. Ich trage diesen Namen, weil er mir von meiner neuen Familie gegeben wurde. Sie haben mich gerettet, ich verdanke ihnen alles. Mein alter Name war meine Verbindung zu meinen Eltern, zu einem Leben ohne all das hier. Keine Gewalt, kein Rennen, keine Angst, aber auch keine Familie, keine Sicherheit, kein Zuhause. Alles was ich bin verdanke ich meiner Gang, meiner Familie. Ich habe dieses Leben als meines Anerkannt und schätze es Wert. Was meine Eltern davon denken würden... " sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe.
Mir selbst hatte es die Sprache verschlagen. Ihre Worte wirbelten in meinem Kopf umher, wobei einige immer wieder kamen. Anerkannt, Wertschätzung, Leben... Ihre Leben verdiente dies nicht, sagte mir mein rationaler Verstand, und trotzdem wusste ich genau was sie meinte. Es machte mir angst, wie sehr ich nachvollziehen konnte, was sie meinte.
"Ich... Ich weiss nicht was deine Eltern denken würden, aber für mich klingt es, als wärst du dankbar für alles was du hast, egal in welchem Zustand es ist, oder in welchen Zustand es dich versetzt. Die meisten Eltern, glaube ich, würden auf diese Dankbarkeit stolz sein." Sagte ich und musste dabei unweigerlich an meine eigenen Eltern denken. Ich hatte immer versucht, so dankbar wie möglich zu sein. Ich war dankbar für die Musik, die Tour, die Fans und alles, was es mit sich brachte... nur hatte es sich in der letzten Zeit immer mal wieder so angefühlt, als würde... als würde mir etwas fehlen. "Wenn man zugibt, dass einem etwas fehlt, bedeutet das, man ist nicht mehr dankbar?" fragte ich sie.
Unsere Augen trafen sich. "Das ist die Frage, nicht? Das ist die Frage." da war es wieder. Diese Gefühl, das ich in der Gasse schon gefühlt hatte. Diese seltsame Gefühl der Ausgeglichenheit, als stünden wir auf dem gleichen Punkt, der selben Linie, dem selben level. So standen wir einfach da, beobachtete die Stadt, uns gegenseitig und die Wolken, als gehörten wir hier her. Wir waren hier, und es war ganz natürlich und ruhig, von den Geräuschen der Stadt mal abgesehen. Bis es Klopfte.
"El? Bist hier Oben? El Unlawful? Jackson sucht dich." Kam es von der Tür gerufen und liess die angesprochene zusammen Zucken. "Ja, ich bin hier, Alien sag ihm, er solle her kommen, ich mache gleich auf, bin gleich da!" reif sie in Richtung der Tür, von wo Eineige Worte der Zustimmung kamen. "wer ist Jackson?" fragte ich, während El schon meine Hände gepackt hatte und mich in Richtung der Feuerleiter zerrte. "Mein Bruder. Oder zumindest so in etwa. Verschwinde. Schnell. Sofort. Los." wies sie mich an und rannte schon zurück zur Tür, während ich die grauenhaft kalte Metallleiter hinunter kletterte und mir zum ersten mal auffiel, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich eigentlich war.
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