Bis die Sicht verschwimmt

- Harry -

Das stetige rummeln des Tourbusses der sich über die Autobahn bewegt hatte mein Gehirn mittlerweile gelernt zu ignorieren. Nur noch zwei Konzerte an nur einer Location waren von dieser Tour noch übrig. Obwohl ich es liebte auf der Bühne zu stehen und die ganzen Fans vor mir zu sehen, musste ich zugeben, dass ich froh war, wenn ich wieder für einen Moment Ruhe haben würde. Das Leben auf Tour war sehr stressig und ich musste schon zugeben, dass eine kleine Ruhezeit jetzt sehr gelegen käme.

Ich lag auf meinem Bett im Tourbus und versuchte ein Buch zu lesen, aber immer wieder merkte ich, dass ich so tief in Gedanken versunken war, dass ich noch nicht einmal mehr in die Generelle Richtung des Buches sah. Noch schlimmer war, ich konnte gar nicht genau sagen, worüber ich so angestrengt nachdachte. Es war wie ein zusammenhangsloser Strang an Bildern, Sätzen und Gefühlen die sich durch meinen Kopf schwangen, ohne irgendwie zusammen zu passen. Doch selbst wenn ich es hätte in Worte fassen können, zu wem hätte ich es gesagt? Ich war allein auf Tour, also war gerade niemand bei mir, der mir bei meinen seltsamen Gedanken hätte ein Ohr leihen können. Ich verdrehte die Augen und sah wieder zu dem Buch. Unsinn. Selbst wenn jemand da wäre, sowas komisches wollte garantiert niemand hören. Ausserdem brauchte ich niemanden, der gespielt interessiert immer mal wieder "Ja" oder "Cool" sagt und dabei nickt als würde das Irgendwas bedeuten. So wie es war, war es doch gut. Und jetzt: Fokus. Das Buch liest sich nicht von alleine.

Ich las zirka fünf Sätze. Irgendwie war mir mein Handy in die Finger gekommen und Jetzt sah ich mich im internet um, was gerade so los war. Viele Fans hatten mir getweeted, dass sie auf meinem Letzten Konzert waren, oder dass sie zu einem der beiden kommenden kommen würde. Ich lächelte, denn auch obwohl ich mir bewusst war, dass das alles nur digital war und ich immer noch alleine war, fühlte ich mich kein bisschen mehr einsam. Nicht, das sich mich zuvor einsam gefühlt hätte. Nein, ganz sicher nicht. Mein Leben war gut so, und es würde so bleiben, also war es gut. Gut. Nicht einsam, gut.

Das Stadion in dem mein nächstes Konzert stattfinden würde, lag mitten in der Stadt. Es war open Air, riesig und ziemlich cool. Aussen war es mit seltsamen Metallkacheln dekoriert und wenn ich nicht so müde gewesen wäre (Und sich die Chance auf einen gebrochenen Knochen vor dem Konzert nicht so toll machte) hätte ich vielleicht versucht, daran ein Stück hoch zu klettern. Irgendwie wäre das sicher möglich gewesen, auch wenn jemand schon ziemlich irre im Kopf sein müsste, um es bis nach ganz oben zu versuchen. Das wäre sicherlich tödlich. Ich selbst liess es natürlich bleiben vertrat mir auf einer runde auf dem abgesperrten Gelände ein bisschen die Beine, bevor ich zum Tourbus zurück kehrte. Zwei Konzerte in dieser Halle. Das würde Episch. Ich setzte mich wieder in meinem Tourbus hin. Natürlich waren draussen Leute, mir denen ich etwas hätte tun können. Ich war nicht alleine. Ich hatte viele Leute, die ich hätte anrufen können, wenn ich mit jemandem hätte reden wollen. Aber ich tat es nicht.

Stattdessen setzte ich mich auf den Boden, griff nach meinem Computer und sah mir irgendwas auf Netflix an. Ich legte mit meinem Kopf an der Bettkante und hörte mit einem Ohr der Serie zu, mit dem anderen die Geräusche die von draussen zu mir drangen. Irgendwo bellte ein Hund. Menschen redeten, Autos fuhren herum, dinge wurden auf oder abgebaut, sicherlich für die erste Show morgen Abend, und alles in allem war es laut. Es war laut, draussen. Hier drinnen hallte nur der Wiederklang von allem da draussen. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich gerne draussen. Ich würde gerne beim Aufbau helfen, mir die Stadt ansehen und vielleicht mit ein paar Leuten von hier reden. Einfach den normalen Smalltalk führen, den die Leute mit dem anderen auch geführt hätten. Warum sass ich noch hier? In jedem Augenblick der fünfundvierzigminütigen Folgen dieser Serie, die ununterbrochen auf meinem PC liefen, hätte ich pausieren können, aufstehen können und einfach etwas tun können. Aber ich tat es nicht und starrte auf den Bildschirm und ins nichts davor, bis meine Sicht langsam verschwamm und ich in einen traumlosen schlaf fiel.

Meine Serie war noch ein paar folgen weiter gelaufen und ich musste am nächsten morgen noch eine ganze weile lang suchen, bis ich einen Punkt gefunden hatte, an den ich mich zwar noch erinnern, aber nicht viel weiter kannte. Leider griff ich auf der suche ein paar Spoiler auf, die ich am liebsten gleich wieder aus meinem Gehirn gelöscht hätte. Wie als versuch dessen, versuchte ich mich, parallel zu meiner Day-of-the-show Morgenroutine, mit einer Lokalen Newsshow ab zu lenken, die ich sonst nicht angeschaltet hätte. Der Nachrichtensprecher beendete gerade einen Beitrag über einen besonderen Tag an einer Schule, an der irgend ein Kind etwas gewonnen hatte und ging zu einem seriöseren Thema über. Er richtete seine Karteikarten, von welchen er nicht ablas, da er sicherlich hinter der Kamera einen Telepointer hatte, und berichtete:

"Die Fälle von Taschendiebstahl bleiben seit ihrer kürzlichen Zunahme weiterhin konstant, wobei die Techniken deutlich raffinierter werden. Innerhalb der letzten vierzehn Tage wurden laut Polizeiberichten rund Fünfzehntausend Dollar gestohlen. Sieben Zausend davon gehörten Alishy Crux, der lokale Internetstar verdiente seit Anfang Jahres Höchstbeträge durch social media und bekennt sich im folgenden Interview als tiefgründig bestürzt."

Eine nicht sonderlich originelle Trasitionscene folgte und ein Video mit einer hübschen jungen Frau startete, als ich den Nachrichtensender ausschaltete. Obwohl es mir leid für sie tat, intressierte es mich zu wenig, mir das ganze weiter an zu sehen. Ich verliess den Tourbus und hatte sich die feste Intention, dem Tourmagager zu sagen, er solle "Achtung vor Taschendieben" Hinweise aufhängen lassen, als ich sah, dass da schon welche hingen. Okay, dann war das zumindest geklärt.

Gegen Abend hörte man von draussen her immer mehr und mehr Stimmen und auch mehr Autos um das Stadion fahren. Die Stimmung knisterte und ich konnte fühlen wie draussen die Fans aufgeregt in das Stadion strömten. Die Zweite Vorband hatte schon zu spielen begonnen und je näher mein Auftritt kam, desto mehr spürte ich das Adrenalin in meinem Blut. In den letzten Minuten bevor ich au die Bühne ging fühlte ich mich als bestünde ich aus purer Energie. Mein Körper war zu klein um all die Energie inne zu halten und alles was ich wollte, war es endlich nach draussen zu kommen und alles heraus zu lassen, meine nicht Einsamkeit zu vergessen und die Fans mitsingen zu hören.

Das war alles was ich brauchte.

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